Sozialgericht Berlin:
Urteil vom 23. Februar 2010
Aktenzeichen: S 54 AL 3058/06

(SG Berlin: Urteil v. 23.02.2010, Az.: S 54 AL 3058/06)

1. Auch im Rahmen eines Zugunstenverfahrens ist lediglich die Gebühr nach RVG-VV Nr. 2501 erstattungsfähig, wenn der Bevollmächtigte seit Stellung des Überprüfungsantrages tätig ist, eine Abhilfe jedoch erst im Rahmen des Widerspruchsverfahrens gegen den Überprüfungsbescheid erfolgt.

2. Eine vorangegangene Tätigkeit im Verwaltungsverfahren im Sinne der RVG-VV Nr. 2501liegt bereits bei einer Tätigkeit vor Erlass des Überprüfungsbescheides vor, auch wenn der Bevollmächtigten vor Erlass des zu überprüfenden (Ausgangs-)Bescheides nicht mit der Sache befasst war. Das Überprüfungsverfahren stellt ein eigenes, vom früheren - mit Ablauf der Widerspruchsfrist abgeschlossenen - Verwaltungsverfahren dar.

Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Die Beteiligten haben einander Kosten nicht zu erstatten.

Die Berufung wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über die Höhe der zu erstattenden Kosten für die vorgerichtliche Tätigkeit des Bevollmächtigten des Klägers.

Der Kläger beantragte über seinen Bevollmächtigten mit Schreiben vom 6. April 2005 ohne nähere Begründung die Überprüfung des Bescheides vom 2. Juli 2001, mit dem die Beklagte vom Kläger Unterhaltsgeld in Höhe von 537,48 € zurückgefordert hatte.

Nach dem Erinnerungsschreiben des Bevollmächtigten des Klägers vom 19. September 2005 lehnte die Beklagte mit Überprüfungsbescheid vom 23. Dezember 2005 eine Aufhebung des Bescheides vom 2. Juli 2001 mit der Begründung ab, dass seit Bekanntgabe bis zum Überprüfungsantrag vom 19. September 2005 mehr als vier Jahre vergangen seien und weder das Recht unrichtig angewandt noch von einem falschen Sachverhalt ausgegangen worden sei.

Mit seinem Widerspruch wies der Kläger durch seinen Bevollmächtigten darauf hin, dass mit Datum vom 19. September 2005 kein Überprüfungsantrag gestellt worden sei. Nachdem die Beklagte den Überprüfungsbescheid daraufhin dahingehend berichtigte, dass es sich um den Überprüfungsantrag vom 6. April 2005 handelt, der bloße Schreibfehler jedoch unbeachtlich sei, wies der Kläger durch seinen Bevollmächtigten darauf hin, dass die Vierjahresfrist noch nicht verstrichen und eine Rücknahme des Verwaltungsakt nunmehr grundsätzlich möglich sei.

Mit Bescheid vom 21. April 2006 hob die Beklagte den Bescheid vom 2. Juli 2001 mit dem Hinweis auf, dass die im Widerspruchsverfahren entstandenen notwendigen Kosten erstattet würden.

Mit Schreiben vom 26. April 2006 machte der Kläger durch seinen Bevollmächtigten sodann Kosten für die anwaltliche Tätigkeit wie folgt geltend:

Geschäftsgebühr gemäß Nr. 2500 VV RVG240,00 €Postentgeltpauschale gemäß Nr.7002 VV RVG 20,00 €16 % Umsatzsteuer gemäß Nr. 7008 VV RVG 41,60 € 301,60 €Mit Kostenfestsetzungsbescheid vom 4. Juli 2006 erkannte die Beklagte als im Widerspruchsverfahren entstandene notwendige Aufwendungen einen Betrag in Höhe von 162,40 €. Den weitergehenden Kostenantrag lehnte sie mit der Begründung ab, dass der Bevollmächtigte bereits im Verwaltungsverfahren für den Kläger tätig war und daher nur die Kosten nach VV 2501 geltend machen könne, wobei in Anbetracht des geringen Umfangs der anwaltlichen Tätigkeit nur 120,00 € in Ansatz gebracht werden könnten. Im Einzelnen hielt die Beklagte Kosten nach VV 2501 in Höhe von 120,00 €, Auslagen in Höhe von 20,00 € und unter Berücksichtigung von 16 % Mehrwertsteuer einen Gesamtbetrag von 162,40 € für erstattungsfähig.

Mit seinem hiergegen gerichteten Widerspruch machte der Kläger geltend, dass Nr. 2501 VV RVG nach Sinn und Zweck nicht anwendbar sei, da eine Tätigkeit im Verwaltungsverfahren im Sinne dieser Vorschrift eine Tätigkeit vor Erlass des ursprünglichen Bescheides darstelle, nicht jedoch eine Tätigkeit im Rahmen des Überprüfungsverfahrens. Folglich sei nach Nr. 2500 VV RVG abzurechnen.

Mit Widerspruchsbescheid vom 28. August 2006 wies die Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück.

Mit der am 8. September 2006 erhobenen Klage verfolgt der Kläger sein Begehren weiter.

Der Kläger beantragt,

die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 4. Juli 2006 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28. August 2006 zu verurteilen, ihm weitere 139,20 € zu erstatten.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Zur Begründung verweist sie auf den Inhalt der Leistungsakte und die Ausführungen im Widerspruchsbescheid.

Das Gericht hat die Leistungsakte der Beklagten sowie die Gerichtsakte S 77 AL €. beigezogen.

Wegen weiterer Einzelheiten wird zur Ergänzung des Sach- und Streitstandes auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen Beklagtenakte Bezug genommen.

Gründe

Die zulässige Klage ist unbegründet. Der Bescheid vom 4. Juli 2006 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28. August 2006 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten.

Der Anspruch des Klägers auf Kostenerstattung ergibt sich aus § 63 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 des Sozialgesetzbuches - Zehntes Buch € Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz (SGB X). Danach hat der Rechtsträger, dessen Behörde den angefochtenen Verwaltungsakt erlassen hat, soweit der Widerspruch erfolgreich ist, demjenigen, der den Widerspruch erhoben hat, die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen zu erstatten. Die Gebühren und Auslagen eines Rechtsanwalts im Vorverfahren sind erstattungsfähig, wenn die Zuziehung eines Bevollmächtigten notwendig war. Die Behörde, die die Kostenentscheidung getroffen hat, setzt auf Antrag den Betrag der zu erstattenden Aufwendungen fest (§ 63 Abs. 3 Satz 1 SGB X). Der Umfang der notwendigen Aufwendungen für den Prozessbevollmächtigten des Klägers richtet sich hier nach dem Rechtsanwaltsvergütungsgesetz (RVG) i.V.m. Anlage 1 (zu § 2 Abs. 2 RVG), dem Vergütungsverzeichnis.

In sozialgerichtlichen Verfahren, in denen das Gerichtskostengesetz (GKG) nicht anzuwenden ist, entstehen nach § 3 Abs. 2 i.V.m. Abs. 1 Satz 1 RVG auch außerhalb eines gerichtlichen Verfahrens Betragsrahmengebühren. Das GKG ist vorliegend nicht anzuwenden, denn der Kläger gehört als Versicherter zu den in § 183 Satz 1 SGG genannten Personen. Kostenpflichtigkeit gem. § 197 a Abs. 1 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) - der auf das GKG verweist - besteht daher nicht.

Die Höhe der Vergütung bestimmt sich gemäß § 2 Abs. 2 Satz 1 RVG nach dem Vergütungsverzeichnis der Anlage 1 zum RVG in der damals gültigen Fassung. Laut Abschnitt 5 (Vertretung in bestimmten sozialrechtlichen Angelegenheiten) Nr. 2500 VV RVG beträgt die Geschäftsgebühr in den sozialrechtlichen Angelegenheiten, in denen im gerichtlichen Verfahren Betragsrahmengebühren entstehen (§ 3 RVG), 40,00 bis 520,00 Euro. Einschränkend enthält das Vergütungsverzeichnis zu diesem Gebührentatbestand den Zusatz: Eine Gebühr von mehr als 240,00 Euro kann nur gefordert werden, wenn die Tätigkeit umfangreich oder schwierig war. Nach Nr. 2501 VV RVG beträgt die Gebühr Nr. 2500 VV RVG für das weitere, der Nachprüfung des Verwaltungsaktes dienende Verwaltungsverfahren, sofern eine Tätigkeit in Verwaltungsverfahren vorausgegangen ist, 40,00 bis 260,00 Euro. Das Vergütungsverzeichnis enthält zu diesem Gebührentatbestand die Zusätze: (1) Bei der Bemessung der Gebühr ist nicht zu berücksichtigen, dass der Umfang der Tätigkeit infolge der Tätigkeit im Verwaltungsverfahren geringer ist. (2) Eine Gebühr von mehr als 120,00 EUR kann nur gefordert werden, wenn die Tätigkeit umfangreich oder schwierig war. Der Zusatz unter Ziffer (1) trägt dem Umstand Rechnung, dass sich der ersparte Aufwand des Prozessbevollmächtigten im Widerspruchsverfahren durch seine vorausgegangene Tätigkeit im Verwaltungsverfahren bereits im niedrigeren Gebührenrahmen der Nr. 2501 VV RVG niederschlägt und daher nicht mehr bei der Bemessung zu berücksichtigen ist.

23Entgegen der Auffassung des Klägers ist vorliegend für die Kostenerstattung im Vorverfahren die Nr. 2501 VV RVG einschlägig mit der Folge, dass unter Berücksichtigung des Zusatzes (2) zu Nr. 2501 VV RVG allenfalls die €Schwellengebühr€ von 120,00 EUR als billig im Sinne des § 14 Abs. 1 Satz 1 RVG anzusetzen war.

Für eine weitergehende Erstattungspflicht der Beklagten ist keine Rechtsgrundlage ersichtlich. Nach den Regelungen des § 63 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 SGB X sind durch die Beklagte lediglich die Kosten des Vorverfahrens zu erstatten. Entstehen dem Betroffenen schon bei Durchführung des dem Vorverfahren vorausgehenden Verwaltungsverfahrens Kosten, so sind diese nicht zu erstatten, soweit nicht spezielle Regelungen - etwa § 65 a Sozialgesetzbuch, Erstes Buch (SGB I) - dies vorsehen. Dies gilt selbst dann, wenn einem Antrag des Betroffenen ganz oder teilweise entsprochen wird (BSG v. 20.04.1983 - 5a RKn 1/82 -, BSGE 55, 92, 93). Eine derartige spezielle Regelung, wonach Kosten des Verwaltungsverfahrens zu erstatten wären, liegt hier nicht vor. In § 17 Nr. 1 RVG ist - im Unterschied zur früheren Vorschrift des § 119 BRAGO - ausdrücklich geregelt, dass es sich beim Verwaltungsverfahren und dem Vorverfahren um verschiedene Angelegenheiten handelt. Eine Erstattung der im Verwaltungsverfahren angefallenen Gebühr nach Nr. 2500 VV RVG seitens der Behörde hat daher nicht zu erfolgen (LSG für das Land Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 7.05.2008, L 12 AL 22/07; Hessisches LSG v.19.03.2008 - L 4 SB 51/07). Diese Gebühr ist vielmehr von dem Auftraggeber selbst, folglich hier vom Kläger, zu tragen.

25Das Gericht vermochte der Auffassung des Klägers, dass eine Anwendung der Nr. 2501 VV RVG mit der Folge der Reduzierung der Gebühr nicht möglich wäre, da eine Vortätigkeit im Verwaltungsverfahren überhaupt nicht erfolgt sei, nicht zu folgen. Der Kläger meint, eine Tätigkeit im Verwaltungsverfahren sei nur eine solche bis zum Erlass des Ursprungsbescheides € hier des Bescheides vom 2. Juli 2001. Hiervon vermochte sich die Kammer jedoch nicht zu überzeugen. Nach Sinn und Zweck der hier einschlägigen Regelung in Nr. 2501 VV RVG soll dem Umstand Rechnung getragen werden, dass der Prozessbevollmächtigte im Widerspruchsverfahren von seiner vorausgegangenen Tätigkeit im Verwaltungsverfahren profitiert und seine weitere Tätigkeit daher nur einen geringeren Aufwand erfordert. Dies gilt sowohl für den Fall des Erlasses eines (Erst-)Bescheides mit sich anschließendem Widerspruchsverfahren, als auch für ein neues Verwaltungsverfahren aufgrund eines Überprüfungsantrages mit einem sich dem Überprüfungsbescheid anschließendem Widerspruchsverfahren. Insoweit war für die Kammer nicht ersichtlich, weshalb ein späteres Überprüfungsverfahren kein Verwaltungsverfahren in diesem Sinne darstellen soll. Nach § 8 SGB X ist Verwaltungsverfahren im Sinne dieses Gesetzbuches die nach außen wirkende Tätigkeit der Behörden, die auf die Prüfung der Voraussetzungen, die Vorbereitung und den Erlass eines Verwaltungsaktes oder auf den Abschluss eines öffentlich-rechtlichen Vertrages gerichtet ist; es schließt den Erlass des Verwaltungsaktes oder den Abschluss des öffentlich-rechtlichen Vertrags ein. Ein Verwaltungsakt ist im Lichte des mit der Vorschrift der Nr. 2501 VV RVG verfolgten Zwecks jedoch auch der Überprüfungsbescheid. Insoweit wird durch den Überprüfungsantrag ein neues Verwaltungsverfahren in Gang gesetzt, das zwar als Besonderheit die Überprüfung eines bereits erlassenen Verwaltungsakts betrifft, jedoch ebenfalls auf den Erlass eines Bescheides mit sich anschließender möglicher Überprüfung im Widerspruchsverfahren gerichtet ist. Das (ursprüngliche) Verwaltungsverfahren hinsichtlich des Bescheides vom 2. Juli 2001 endete hier mit der Versäumung der Widerspruchsfrist und damit eintretenden Bestandskraft des Bescheides.

Die Auffassung des Klägers würde zu einer den gesetzlichen Regelungen widersprechenden Vermengung der einzelnen Verwaltungsverfahren führen. Der Kläger hat im Überprüfungsverfahren ebenfalls die Möglichkeit, zwei Entscheidungen der Behörde zu erhalten und entsprechend auf diese einzuwirken. Insoweit erspart also eine Auseinandersetzung des Prozessbevollmächtigten mit dem Sachverhalt vor Erlass des Überprüfungsbescheides diesem weiteren Aufwand im sich ggf. anschließenden Widerspruchsverfahren. Genau diese Fallgestaltung soll nach Sinn und Zweck von der Regelung der Nr. 2501 VV RVG jedoch erfasst sein. Eine Tätigkeit im vorangegangenen Verwaltungsverfahren stellt daher jede Tätigkeit in dem dem Widerspruchsverfahren vorausgehenden Verwaltungsverfahren dar € hier also dem Überprüfungsverfahren vor Erlass des Überprüfungsbescheides.

Unter Berücksichtigung des Zusatzes II zu Nr. 2501 VV RVG war hier lediglich die Schwellengebühr in Höhe von 120,00 € als billig im Sinne des § 14 Abs. 1 Satz 1 RVG anzusetzen. Insoweit bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass die anwaltliche Tätigkeit umfangreich oder schwierig war. Hiervon geht im Übrigen auch der Kläger aus, der im Rahmen seiner Abrechnung bei Nr. 2500 VV RVG ebenfalls nur die (dortige) Schwellengebühr in Ansatz brachte.

Ausgehend davon hat die Beklagte die Aufwendungen unter weiterer Berücksichtung der Pauschale für Entgelte für Post- und Telekommunikationsdienstleistungen und der geltend gemachten Umsatzsteuer von 16 % erstattet. Weitere Ansprüche kommen nicht in Betracht.

Die Klage hatte daher keinen Erfolg.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Berufung war nicht zuzulassen, da mit der begehrten Geldleistung von 139,20 EUR die Berufungssumme nicht erreicht wird, vgl. § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG, und Zulassungsgründe nach § 144 Abs. 2 SGG nicht vorliegen.






SG Berlin:
Urteil v. 23.02.2010
Az: S 54 AL 3058/06


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