Bundesgerichtshof:
Beschluss vom 21. Februar 2013
Aktenzeichen: AnwZ (Brfg) 69/12
(BGH: Beschluss v. 21.02.2013, Az.: AnwZ (Brfg) 69/12)
Tenor
Der Antrag der Klägerin auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des 1. Senats des Anwaltsgerichtshofs des Landes Nordrhein-Westfalen vom 31. August 2012 wird abgelehnt.
Die Klägerin hat die Kosten des Zulassungsverfahrens zu tragen.
Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 50.000 € festgesetzt.
Gründe
I.
Die Klägerin wendet sich gegen den Widerruf ihrer Zulassung zur Rechtsanwaltschaft. Die Beklagte hat mit Bescheid vom 20. April 2012 die Zulassung der Klägerin wegen Vermögensverfalls (§ 14 Abs. 2 Nr. 7 BRAO) widerrufen. Deren hierauf erhobene Klage hat der Anwaltsgerichtshof abgewiesen. Dagegen richtet sich der Antrag der Klägerin auf Zulassung der Berufung.
II.
Der nach § 112e Satz 2 BRAO, § 124a Abs. 4 VwGO statthafte Antrag der Klägerin auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg. Der von der Kläge-1 rin geltend gemachte Zulassungsgrund der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils (§ 112e Satz 2 BRAO, § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) liegt nicht vor. Er setzt voraus, dass ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Argumenten in Frage gestellt wird (vgl. etwa Senatsbeschluss vom 28. Oktober 2011 - AnwZ (Brfg) 30/11, NJW-RR 2012, 189 Rn. 5 m.w.N.). Das ist nicht der Fall.
1. Dies gilt zunächst, soweit die Klägerin geltend macht, der angefochtene Bescheid vom 20. April 2012 sei schon deswegen aufzuheben, weil die Beklagte dem Untersuchungsgrundsatz (§ 32 Abs. 1 Satz 1 BRAO, § 24 Abs. 1, 2 VwVfG) nicht genügt habe. Die Klägerin meint, die Beklagte habe den aus formalen Gründen am 19. April 2012 aufgehobenen Widerrufsbescheid vom 26. März 2012 nicht ohne Durchführung eines erneuten Verwaltungsverfahrens durch den - vorliegend angefochtenen - Bescheid vom 20. April 2012 ersetzen dürfen. Dem ist nicht zu folgen. Die Beklagte hat vor Erlass des ursprünglichen Widerrufsbescheids vom 26. März 2012 die gebotenen Ermittlungen angestellt. Dieser Bescheid wurde allein deswegen aufgehoben, weil anstelle des zuständigen Vorstands der Beklagten (vgl. § 73 Abs. 1 Satz 1, § 71 BRAO) lediglich die Abteilung III des Vorstands der Beklagten über den Zulassungswiderruf entschieden hatte. Anders als die Klägerin meint, ist eine Behörde im Falle eines von ihr erkannten Verfahrensfehlers grundsätzlich nicht gehalten, das eingeleitete Verfahren insgesamt abzubrechen und neu zu beginnen (vgl. Senatsbeschluss vom 19. November 2012 - AnwZ (Brfg) 41/12, juris Rn. 7; BVerwGE 75, 214, 227; Kopp/Ramsauer, VwVfG, 13. Aufl., § 20 Rn. 67). Die Beklagte war lediglich verpflichtet zu prüfen, ob sich die Sach- und Rechtslage aufgrund im Zeitraum vom 26. März 2012 bis zum 20. April 2012 eingetretener Entwicklungen verändert hat. Dieser Verpflichtung ist sie - wie der abschließende Satz im Widerrufsbescheid vom 20. April 2012 belegt - nachgekommen. Die Situation der Klägerin hatte sich in dieser Zeitspanne nicht maßgeblich verändert. Soweit 3 die Klägerin geltend macht, die Beklagte habe in der mündlichen Verhandlung vor dem Anwaltsgerichtshof Ermittlungsergebnisse zur Vermögenslage der Klägerin vorgelegt, die auf erst nach dem 14. März 2012 (vgl. Position 5 in der dem angefochtenen Widerrufsbescheid beigefügten Forderungsaufstellung) gewonnenen Erkenntnissen basierten, trifft dies nicht zu. Die in der mündlichen Verhandlung von der Beklagten vorgelegte Forderungsaufstellung ist mit der dem Widerrufsbescheid beigefügten Liste identisch.
2. Weiter wird die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheids, wie der Anwaltsgerichtshof überzeugend ausgeführt hat, nicht durch den Umstand berührt, dass die Rechtsanwaltskammer die Klägerin vor Erlass des - den aufgehobenen Bescheid vom 26. März 2012 ersetzenden - Widerrufsbescheids vom 20. April 2012 nicht erneut angehört hat. Eine weitere Anhörung der Klägerin (§ 32 Abs. 1 Satz 1 BRAO, § 28 Abs. 1 VwVfG) war schon deswegen nicht geboten, weil ihr bereits zuvor ausreichend Gelegenheit zur Stellungnahme eingeräumt worden war, wovon sie mit Schriftsätzen vom 12. März 2012 und vom 19. März 2012 Gebrauch gemacht hatte. Dass im Widerrufsbescheid vom 20. April 2012 zu ihren Lasten Umstände berücksichtigt worden seien, zu denen sie nicht angehört worden ist, oder dass sie bei einer ergänzenden Anhörung neue entlastende Umstände vorgetragen hätte, hat die Klägerin nicht einmal ansatzweise dargetan.
3. Der Widerrufsbescheid vom 20. April 2012 leidet auch nicht deswegen an formellen Mängeln, weil der Steuerberater L. , der neben der Klägerin und deren Ehemann Mitglied einer Partnerschaftsgesellschaft ist, nicht am Verwaltungsverfahren beteiligt worden ist. Ein Fall der notwendigen Beteiligung lag - wie der Anwaltsgerichtshof, auf dessen Ausführungen ergänzend Bezug genommen wird, zutreffend ausgeführt hat - nicht vor (§ 32 Abs. 1 Satz 1 BRAO, § 13 Abs. 2 VwVfG). Weder hat der Steuerberater einen Antrag auf Be-4 teiligung gestellt noch hat der Widerruf der Zulassung der Klägerin (und ihres Ehemanns, dessen Zulassung ebenfalls widerrufen worden ist) rechtsgestaltende Wirkung für den Steuerberater als drittes Mitglied der Partnerschaftsgesellschaft. Die rechtsgestaltende Wirkung des Zulassungswiderrufs (§ 13 BRAO) beschränkt sich allein auf die Klägerin. Der Umstand, dass die Klägerin und ihr Ehemann mit der Bestandskraft des Zulassungswiderrufs aus der dreigliedrigen Partnerschaft ausscheiden (§ 9 Abs. 3 PartGG) und damit die Gesellschaft erlöschen dürfte (vgl. Hopt in Baumbach/Hopt, HGB, 35. Aufl., § 131 Rn. 7, 19, 35 m.w.N.), ist lediglich mittelbare Folge des Zulassungsverlusts. Auch die von der Klägerin angeführte Vermögenslage der berufsübergreifenden Partnerschaftsgesellschaft ist rechtlich ohne Belang; gemäß § 14 Abs. 2 Nr. 7 BRAO kommt es allein darauf an, ob die Klägerin selbst in Vermögensverfall geraten ist. Aus denselben Gründen war auch das Finanzamt M. , das nach den Angaben der Klägerin ihren Anteil an der Partnerschaftsgesellschaft gepfändet hat, nicht am Verwaltungsverfahren zu beteiligen.
4. Fehl geht schließlich auch die Rüge der Klägerin, ein Mangel des Verwaltungsverfahrens liege darin begründet, dass das Finanzamt M. die Steuerschulden der Klägerin nicht nach §§ 3, 10 Abs. 1 StBerG in Verbindung mit den Erlassen der obersten Finanzbehörden der Länder vom 23. Januar 2012 an die Beklagte gemeldet habe. Zum einen hat die Beklagte durch Mitteilung vom 2. Mai 2011 erfahren, dass das Finanzamt gegen die Klägerin und ihren Ehemann die Zwangsvollstreckung wegen Steuerrückständen in Höhe von rund 37.000 € betreibt (Position 1 der Forderungsaufstellung). Zum anderen ist nicht ersichtlich, weshalb eine unterbliebene Mitteilung des Finanzamts über eine Berufspflichtverletzung einen Verfahrensfehler zu Lasten der Klägerin begründen würde.
5. Auch in materieller Hinsicht ist der Zulassungswiderruf mit Recht erfolgt. Die Klägerin hat sich im maßgeblichen Zeitpunkt des Erlasses des Widerrufsbescheids (20. April 2012) in Vermögensverfall befunden; hierdurch ist eine Gefährdung der Interessen der Rechtsuchenden eingetreten.
a) Die Klägerin stellt nicht in Frage, dass bei ihr schon die gesetzliche Vermutung des Vermögensverfalls nach § 14 Abs. 2 Nr. 7 Halbs. 2 BRAO eingreift, weil sie am 9. Januar 2012 die eidesstattliche Versicherung abgegeben hat und sie seither im Schuldnerverzeichnis des Amtsgerichts M. eingetragen ist. Sie bringt auch nichts gegen die zutreffenden Feststellungen des Anwaltsgerichtshofs vor, ein Vermögensverfall sei im Hinblick auf die im Widerrufsbescheid aufgeführten titulierten Forderungen verschiedener Gläubiger in Höhe von rund 67.000 € sogar nachweislich gegeben. Der Hinweis der Klägerin, sie habe bereits im Oktober 2011 beim Finanzamt einen - noch nicht beschiedenen - Antrag auf Gewährung eines höheren Freibetrags gestellt, ist nicht geeignet, einen Vermögensverfall der Klägerin zum maßgeblichen Zeitpunkt des Zulassungswiderrufs auszuräumen. Für die Frage der Rechtmäßigkeit des Zulassungswiderrufs ist nach der mit Wirkung ab 1. September 2009 erfolgten Änderung des Verfahrensrechts allein auf den Zeitpunkt des Abschlusses des Verwaltungsverfahrens abzustellen; die Beurteilung danach eingetretener Entwicklungen ist einem Wiederzulassungsverfahren vorbehalten (Senatsbeschluss vom 29. Juni 2011 - AnwZ (Brfg) 11/10, BGHZ 190, 187 Rn. 9 ff.). Es kommt also nicht darauf an, ob die Klägerin auf einen höheren Freibetrag hoffen kann. Zudem ist nicht dargelegt, dass sie mit einem auf rund 2.600 € aufgestockten monatlichen Freibetrag eine Konsolidierung ihrer Vermögensverhältnisse erreichen könnte.
b) Die Ausführungen der Klägerin zur Vermögenssituation der Partnerschaftsgesellschaft sind rechtlich unerheblich. Darüber hinaus ist die finanzielle 7 Lage der Gesellschaft weder nachvollziehbar dargelegt noch belegt worden. Der Anwaltsgerichtshof hat das diesbezügliche Vorbringen zutreffend für nicht stichhaltig erachtet. Auch im Zulassungsverfahren bringt die Klägerin gegen die zutreffenden Ausführungen des Anwaltsgerichtshofs keine tragfähigen Angriffe vor.
c) Nach der in § 14 Abs. 2 Nr. 7 BRAO zum Ausdruck gekommenen Wertung des Gesetzgebers ist mit einem Vermögensverfall eines Rechtsanwalts grundsätzlich eine Gefährdung der Interessen der Rechtsuchenden verbunden. Ihr Vorliegen wird nur in seltenen Ausnahmefällen verneint werden können (st. Rspr.; vgl. etwa Senatsbeschlüsse vom 22. Juni 2011 - AnwZ (Brfg) 12/11, juris Rn. 3; vom 28. September 2011 - AnwZ (Brfg) 29/11, ZInsO 2012, 140 Rn. 5; vom 15. März 2012 - AnwZ (Brfg) 55/11, juris Rn. 9). Denn die Annahme einer Gefährdung der Interessen der Rechtsuchenden im Falle des Vermögensverfalls eines Rechtsanwalts ist regelmäßig schon im Hinblick auf dessen Umgang mit Fremdgeldern und den darauf möglichen Zugriff von Gläubigern gerechtfertigt (st. Rspr.; vgl. Senatsbeschlüsse vom 31. Mai 2010 - AnwZ (B) 55/09, juris Rn. 11; vom 29. Juni 2011 - AnwZ (Brfg) 11/10, BGHZ 190, 187 Rn. 8; vom 15. März 2012 - AnwZ (Brfg) 55/11, aaO; jeweils m.w.N.). Tragfähige Anhaltspunkte dafür, dass vorliegend eine solche Gefahrenlage im Zeitpunkt des Zulassungswiderrufs ausnahmsweise nicht bestand, sind weder vorgetragen noch ersichtlich.
aa) Die Klägerin, die gleichberechtigtes Mitglied einer Partnerschaftsgesellschaft ist, hat weder rechtliche noch tatsächliche Vorkehrungen für einen effektiven Schutz der Rechtsuchenden getroffen (vgl. Senatsbeschlüsse vom 18. Oktober 2010 - AnwZ (B) 21/10, juris Rn. 9; vom 22. Juni 2011 - AnwZ (Brfg) 12/11, juris Rn. 3; vom 28. September 2011 - AnwZ (Brfg) 29/11, aaO; jeweils m.w.N.). Die von ihr geschilderten Maßnahmen reichen hierfür 10 nach ständiger Rechtsprechung des Senats nicht aus, da sie allein auf einer freiwilligen Selbstbeschränkung beruhen und keine ausreichend enge tatsächliche Überwachung der Klägerin (auch in urlaubs- und krankheitsbedingten oder sonstigen Vertretungsfällen) gewährleistet. Ergänzend wird auf die zutreffenden und eingehenden Ausführungen im Urteil des Anwaltsgerichtshofs Bezug genommen. Hiergegen bringt die Klägerin im Zulassungsverfahren nichts Substantielles vor. Dass die Partnerschaftsgesellschaft, der die Klägerin angehört, vier Verkehrsunfallsachen ohne Entgegennahme von Fremdgeldern abgewickelt hat, genügt nicht, um eine Gefährdung der Rechtsuchenden generell auszuräumen. Denn dies schließt nicht aus, dass die Klägerin oder ihre Gläubiger in anderen Fällen auf Vermögenswerte der Mandanten der Klägerin zugreifen.
bb) Ohne Erfolg beanstandet die Klägerin, der Anwaltsgerichtshof sei fehlerhaft davon ausgegangen, bei ihr sei es "immer wieder" zu Rückständen bei Zahlung der Beiträge zur Haftpflichtversicherung gekommen. Wie sie selbst einräumt, gab es drei solcher Vorkommnisse, die zur Kündigung der Berufshaftpflicht geführt haben. Der von der Klägerin geltend gemachte Umstand, dass anschließend Rückwärtsversicherungen abgeschlossen worden seien, ändert nichts daran, dass zunächst Deckungslücken bestanden haben, die erst zu einem späteren Zeitpunkt, wenn auch rückwirkend behoben worden sind. Zudem lässt die Klägerin außer Acht, dass die Ausführungen des Anwaltsgerichtshofs zu den Deckungslücken nicht tragend geworden sind, sondern nur ergänzend zur bereits aus anderen Gründen bejahten Gefährdung der Rechtsuchenden erfolgt sind.
d) Auch die Rüge der Klägerin, der Zulassungswiderruf sei unverhältnismäßig, bleibt ohne Erfolg. Die Regelung des § 14 Abs. 2 Nr. 7 BRAO dient dem Schutz der Funktionsfähigkeit der Rechtspflege, also eines überragend wichtigen Gemeinschaftsguts (Senatsbeschlüsse vom 31. Mai 2010 - AnwZ (B) 12 55/09, aaO Rn. 13 m.w.N.; vom 15. März 2012 - AnwZ (Brfg) 55/11, aaO Rn. 11). Die von der Klägerin geschilderten versorgungsrechtlichen Nachteile und die damit verbundenen finanziellen Belastungen lassen den Widerruf der Zulassung der Klägerin in Anbetracht des hohen Stellenwerts, den der Gesetzgeber der Funktionsfähigkeit der Rechtspflege zuweist, nicht als unverhältnismäßig erscheinen. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass nicht gesichert ist, dass die Klägerin bei weiterer Ausübung des Anwaltsberufs finanziell imstande wäre, die geschuldeten Beiträge an das Versorgungswerk zu entrichten. Immerhin hat das Versorgungswerk der Rechtsanwälte wegen Beitragsrückständen in Höhe von rund 14.600 € Zwangsvollstreckungsmaßnahmen gegen die Klägerin eingeleitet, die dazu geführt haben, dass sie am 9. Januar 2012 die eidesstattliche Versicherung abgegeben hat. Nach dem - von der Klägerin vorgelegten - Schreiben des Versorgungswerks vom 6. März 2012 sind die Rückstände zum 29. Februar 2012 sogar auf zwischenzeitlich rund 25.000 € angestiegen.
Kayser König Fetzer Wüllrich Stüer Vorinstanz:
AGH Hamm, Entscheidung vom 31.08.2012 - 1 AGH 16/12 -
BGH:
Beschluss v. 21.02.2013
Az: AnwZ (Brfg) 69/12
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