Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen:
Urteil vom 9. Dezember 1999
Aktenzeichen: 8 A 395/97
(OVG Nordrhein-Westfalen: Urteil v. 09.12.1999, Az.: 8 A 395/97)
Tenor
Die Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Düsseldorf vom 5. November 1996 wird zurückgewiesen.
Von den Kosten des Berufungsverfahrens tragen die Beklagte und der Beigeladene ihre außergerichtlichen Kosten selbst sowie die Gerichtskosten und die außergerichtlichen Kosten des Klägers je zur Hälfte.
Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte und der Beigeladene dürfen die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des beizutreibenden Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Der Kläger begehrt die Verurteilung des Beklagten zum Austritt aus dem - im Berufungsverfahren beigeladenen - Verband Freier Berufe im Lande Nordrhein-Westfalen e.V.
Der Kläger ist niedergelassener Arzt und Mitglied der Beklagten. Die Beklagte ist Mitglied des Beigeladenen. "Zweck des Verbandes ist es" nach § 2 Satz 1 seiner Satzung (in der Fassung des Beschlusses der Mitgliederversammlung vom 1. November 1986), "alle berufsübergreifenden Bestrebungen der Angehörigen der Freien Berufe in einem allgemeinen Sinn zu verfolgen und für die Erhaltung und den Ausbau des Freien Berufes einzutreten". Was hierzu gehört, ist in Satz 2 dieser Vorschrift im einzelnen ausgeführt. Satz 3 lautet: "Ein wirtschaftlicher Geschäftsbetrieb ist ebenso ausgeschlossen wie die Wahrnehmung der Interessen für die Angehörigen eines bestimmten freien Berufes, soweit damit nicht auch berufsübergreifende Bestrebungen für die Gesamtheit der Freien Berufe unauflösbar verbunden sind." Gleichlautende Bestimmungen enthält § 2 der Satzung des Bundesverbandes der Freien Berufe, BFB, (in der geänderten Fassung vom 20. Juni 1991) dessen Mitglied unter anderem der Beigeladenen ist.
Mit Schreiben vom 14. Dezember 1993 verlangte der Kläger von der Beklagten den Austritt aus dem beigeladenen Landesverband. Zur Begründung führte er aus: Die Mitgliedschaft sei mit der gesetzlichen Aufgabenzuweisung an die Beklagte nicht vereinbar, da der Verbandszweck in einer einseitigen wirtschaftlichen Interessenvertretung für Angehörige freier Berufe bestehe. Nur eine Minderheit der Kammerangehörigen sei jedoch in freier Arztpraxis tätig. Die Mitgliedschaft in derartigen Verbänden, die einen einseitigen Lobbyismus betrieben, und die Verwendung der Beiträge der Pflichtmitglieder für die Unterstützung privater Interessengruppen stelle einen Mißbrauch der kraft Gesetzes übertragenen Vertretungsmacht und der abverlangten Beiträge dar.
Die Kammerversammlung der Beklagten lehnte in ihrer Sitzung vom 23. April 1994 eine Kündigung der Mitgliedschaft in dem beigeladenen Landesverband mit der Begründung ab, diese sei zur Wahrung der Interessen der Ärzteschaft im Konzert der Freien Berufe sinnvoll und notwendig.
Am 7. Februar 1996 hat der Kläger Klage erhoben. Er hat zur Begründung geltend gemacht: Die Aufgabe der Beklagten, die beruflichen Belange der Kammerangehörigen wahrzunehmen, rechtfertige die streitige Mitgliedschaft nicht. Es gehöre nicht zu den Aufgaben der Beklagten, die Interessen anderer Berufsgruppen zu verfolgen. Der Beigeladene und der Bundesverband Freier Berufe setzten sich weder ausschließlich für die Belange der Mitglieder der Beklagten ein, noch beschränkten sie sich auf berufsübergreifende Bestrebungen im allgemeinen Sinne. Dies ergebe sich etwa aus Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts Bremen in seinem Urteil vom 30. März 1993, wonach sich im Jahre 1990 der Bundesverband der Frage der steuerrechtlichen Behandlung neuer Gruppen freier Berufe angenommen habe und das Vorhaben unterstützt habe, das Prüfmonopol des TÜV einer Überprüfung zu unterziehen, um auf diese Weise die Betätigungsmöglichkeiten freiberuflicher Sachverständiger zu erweitern. Weiterhin habe sich der Bundesverband in seiner Mitgliederversammlung vom 12. Juni 1995 mit der Novellierung der Honorarordnung für Architekten und Ingenieure befaßt. Zudem halte der Bundesverband einen 10 %-igen Anteil an der Deutschen Akkreditierungs- und Prüfungsgesellschaft für Umweltgutachter - DAU GmbH - und unterstütze den Bundesverband Deutscher Unternehmensberater im Kampf gegen konkurrierende Verbände von Unternehmensberatern. Darüber hinaus nehme der Bundesverband auch ein allgemeinpolitisches Mandat für sich in Anspruch. So werde im Jahresbericht 1995 über eine von ihm mitgetragene Veranstaltung mit dem Dalai Lama unter dem Motto "Freiheit für Tibet" berichtet.
Der Kläger hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, aus dem Verband Freier Berufe im Lande Nordrhein-Westfalen e.V. auszutreten.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Zur Begründung hat sie geltend gemacht, mit der streitigen Mitgliedschaft nehme sie die beruflichen Belange aller Kammerangehörigen und nicht nur der wirtschaftlich selbständigen Ärzte wahr. Sowohl der Beigeladene als auch der Bundesverband Freier Berufe verhielten sich satzungsgemäß und verträten nur berufsübergreifende Interessen der Angehörigen freier Berufe. Der Verweis auf die Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts Bremen gehe fehl. Hier handele es sich um einen anderen Landesverband sowie um die Betätigung des Bundesverbandes im Jahre 1990. Dagegen habe der Bundesgerichtshof, Senat für Patentanwaltssachen, in einer Entscheidung vom 18. Dezember 1995 entschieden, daß eine Interessenvertretung auch nur einer Berufsgruppe zulässig sein könne, wenn Rückwirkungen auf andere freie Berufe in Betracht kämen.
Das Verwaltungsgericht hat mit Urteil vom 5. November 1996, auf dessen Entscheidungsgründe Bezug genommen wird, der Klage stattgegeben. Es hat die Beklagte antragsgemäß verurteilt, aus dem Landesverband Freier Berufe im Lande Nordrhein- Westfalen e.V. auszutreten.
Gegen das ihr am 11. Dezember 1996 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 10. Januar 1997 Berufung eingelegt. Zur Begründung führt sie aus: Die Mitgliedschaft im beigeladenen Verband bleibe im Rahmen ihrer Aufgabenstellung, die sich aus § 6 HeilBerG ergebe. Der in der Satzung des beigeladenen Verbandes geregelte Zweck überschreite nicht die Grenzen, die ihr im Rahmen ihres körperschaftlichen Selbstverwaltungsrechts durch diese gesetzliche Aufgabenstellung gesetzt seien. § 6 Abs. 1 Nr. 6 HeilBerG bestimme, daß es ihre Aufgabe sei, "die beruflichen Belange der Kammerangehörigen wahrzunehmen"; aus § 6 Abs. 1 Nr. 5 HeilBerG folge, daß es gleichermaßen ihre Aufgabe sei, "für die Erhaltung eines hochstehenden Berufsstandes zu sorgen". Ferner gehöre es zu ihren Aufgaben nach § 6 Abs. 1 Nr. 4 HeilBerG, "die Qualitätssicherung im Gesundheits- (und im Veterinärwesen) sowie die berufliche Fortbildung der Kammerangehörigen zu fördern und die Weiterbildung nach Maßgabe dieses Gesetzes zu regeln sowie Zusatzqualifikationen ihrer Kammerangehörigen zu bescheinigen". Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts sei eine einschränkende Auslegung der tatsächlich durchzuführenden Aufgaben nicht mit der grundgesetzlichen Ordnung vereinbar. Dieser sei zu entnehmen, daß gesellschaftliche Gruppen - wie z.B. die der Ärzteschaft - aufgrund der Prinzipien der Selbstverwaltung und Autonomie dazu berufen seien, mit ihrem Sachverstand bei der Findung des "richtigen Rechts" mitzuwirken. Hierbei sei der Selbstverwaltungskörperschaft Ermessen eingeräumt, wie sie im Einzelfall ihre Aufgaben lösen wolle. Die somit unter Beachtung des Prinzips der Subsidiarität staatlicher Gesetzgebung vorgenommene Delegation öffentlichrechtlicher Aufgaben auf berufsständische Selbstverwaltungskörperschaften mit Pflichtmitgliedschaft schließe infolge dessen nicht aus, daß sie - die Beklagte - die Angelegenheiten wahrnehme, die allgemein die Kammerangehörigen angehe. Die Aufgabe, die beruflichen Belange der Kammerangehörigen wahrzunehmen, umfasse daher alles, was im Rahmen dieser Aufgabenstellung notwendig, zweckmäßig oder nützlich sei. Infolge dessen sei ihr Tätigkeitsfeld breit angelegt, nicht zuletzt auch deshalb, weil sie zu zahlreichen Gesetzgebungsverfahren und sonstigen Initiativen des Landes und des Bundes wegen ihrer Fachkompetenz gehört werde. Dies werde durch viele Einzelbeispiele belegt. Im Rahmen dieser Aufgabenstellung sei es ihr nicht verwehrt, sich zum einen mit anderen Heilberufskammern und zum anderen mit anderen Körperschaften oder Vereinigungen Freier Berufe zusammenzuschließen. Ein solcher Zusammenschluß rechtfertige zwar nicht, die ihr unmittelbar obliegenden Aufgaben auf eine andere Körperschaft zu übertragen. Etwas anderes gelte aber dort, wo sich ihr Wirkungskreis als Verbandskörperschaft mit den übergreifenden Bestrebungen der Angehörigen der anderen Freien Berufe in einem allgemeinen Sinne verbinde. So sei in der Rechtsprechung anerkannt, daß sich die Heilberufskammern des Bundesgebietes in der Bundesärztekammer zusammenschließen durften. Folglich könne es ihr auch nicht verwehrt sein, im beigeladenen Verband Mitglied zu sein, wenn die Mitgliedschaft mit dem Wirkungskreis der Beklagten im Sinne der gesetzlichen Aufgabenstellung vereinbar sei. Es sei nämlich ein legitimes Mittel, die beruflichen Belange ihrer Kammerangehörigen im Sinne berufsübergreifender Bestrebungen der Angehörigen der Freien Berufe in einem allgemeinen Sinn wahrzunehmen und zu verfolgen. § 2 der Satzung des beigeladenen Verbandes begrenze die Aufgaben dieses Vereins gerade in diesem Sinne. Auch § 2 Satz 3 der genannten Vorschrift stehe nicht im Widerspruch zu diesen Vorgaben. Er stelle sicher, daß nur dann die Interessen der Angehörigen eines bestimmten Freien Berufes wahrgenommen werden dürften, wenn dies zugleich nicht nur die Interessen einzelner anderer Freier Berufe, sondern aller Freien Berufe unauflösbar betreffe. Das Verwaltungsgericht gehe insoweit irrig davon aus, daß eine Überschreitung ihres gesetzlichen Aufgabenbereichs schon immer dann gegeben sei, wenn nicht ausschließlich die Interessen der Angehörigen des ärztlichen Berufes wahrgenommen würden. Ferner meine das Gericht zu Unrecht, daß § 2 Satz 3 der Satzung zu weit gefaßt sei, weil damit auch ihre Tätigkeit für einen fremden Freien Beruf gerechtfertigt sei. Die dafür vom Gericht angeführten Beispiele seien nicht tragfähig. Die von ihr - der Beklagten - vertretene Meinung werde durch die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes bestätigt. Dieser habe in seinem Beschluß vom 18. Dezember 1995 entschieden, daß die Mitgliedschaft der Patentanwaltskammer im Bundesverband der Freien Berufe BFB rechtmäßig sei. In gleicher Weise habe der Niedersächsische Anwaltsgerichtshof durch Beschluß vom 27. August 1996 die Mitgliedschaft der Rechtsanwaltskammer im Verband der Freien Berufe im Lande Niedersachsen e.V. nicht beanstandet. Bezüglich des Umfangs der Aufgaben habe sich der Anwaltsgerichtshof auf die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs bezogen. Der von ihr vertretenen Rechtsansicht stehe auch das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 10. Juni 1986 nicht entgegen. Der diesem Urteil zugrundeliegende Sachverhalt sei mit dem vorliegenden Sachverhalt nicht vergleichbar, weil zum Zeitpunkt jener Entscheidung § 2 der Satzung sowohl des beigeladenen Verbandes als auch des Bundesverbandes Freier Berufe BFB noch nicht die Fassung erhalten habe, die heute gelte. Unbeachtlich sei im übrigen das ihrer - der Beklagten - Meinung entgegenstehende Urteil des Oberverwaltungsgerichts Bremen vom 16. März 1993. Selbst wenn man ihrer Meinung nicht in allen Punkten folge, verbiete es der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, sie zum Austritt aus dem Landesverband zu verurteilen. Soweit der beigeladene Landesverband oder der Bundesverband der Freien Berufe gelegentlich seinen durch die Satzung bestimmten Aufgabenkreis im Randbereich überschreite, bedürfe es keiner Sanktionen.
Die Beklagte beantragt,
das angefochtene Urteil zu ändern und die Klage abzuweisen.
Der Senat hat mit Beschluß vom 3. Mai 1999 den Verband Freier Berufe im Lande Nordrhein-Westfalen e.V. beigeladen.
Der Beigeladene beantragt ebenfalls,
das angefochtene Urteil zu ändern und die Klage abzuweisen.
Zur Begründung führt er aus: Die mitgliedschaftliche Betätigung der Beklagten bei ihm - dem beigeladenen Verband - sei weder rechtswidrig noch verletze sie den Kläger in seinem Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit. Die den öffentlichrechtlichen Körperschaften mit Pflichtmitgliedern zugewiesenen Aufgaben erstreckten sich auf alle Angelegenheiten, welche von allgemeiner Bedeutung für die Mitglieder seien und die Gesamtheit der öffentlichrechtlichen Körperschaften berührten. Diesen Rahmen habe der Bundesgerichtshof in ständiger Rechtsprechung entwickelt. Zu den beruflichen Belangen der Kammermitglieder gehörten naturgemäß auch berufsübergreifende Belange, wenn sie für die Gesamtheit der Freien Berufe relevant seien. Dieses Abgrenzungskriterium sei in § 2 Satz 3 der Satzung des Beigeladenen ausdrücklich verankert. Da diese Vorschrift die ausschließliche Wahrnehmung der Interessen für die Angehörigen eines bestimmten freien Berufes ausschließe, soweit damit nicht auch berufsübergreifende Bestrebungen für die Gesamtheit der freien Berufe unauflösbar verbunden seien, sei die Mitgliedschaft der Beklagten mit ihrem gesetzlich bestimmten Aufgabenbereich vereinbar. Als nordrheinwestfälischer Dachverband habe er - der Beigeladene - 36 Mitglieder. Dazu zählten Ärzte-, Zahnärztekammern und kassenärztliche Vereinigungen, der Hartmannbund, Apotheker-, Rechtsanwalt-, Notar-, Steuerberaterkammern sowie weitere Vereinigungen und Verbände. Diese Mitgliedsorganisationen hätten am 31. Dezember 1998 insgesamt 100.490 Einzelmitglieder gehabt. Dabei seien auf die Ärzte im Bereich der Beklagten 13.240 und im Bereich der Ärztekammer Westfalen-Lippe 9.941 Mitglieder entfallen. Die Mitgliedsbeiträge hätten sich auf insgesamt 403.460,-- DM belaufen, wobei das Beitragsaufkommen der Ärztekammern inklusive der Kassenärztlichen Vereinigungen im Bereich Nordrhein 66.200,-- DM und im Bereich Westfalen-Lippe 49.705,-- DM betragen habe. Auf das einzelne Mitglied der Beklagten seien dabei 5,-- DM Jahresbeitrag entfallen. Das Beitragsaufkommen aller Körperschaften des öffentlichen Rechts im Bereich der Heilberufe habe insgesamt 44,6 % seines - des Beigeladenen - Gesamtbeitragsaufkommens im Jahre 1998 betragen. Den Heilberufskammern komme somit eine hohe Bedeutung für seine wirtschaftliche Existenz zu. Tätigkeitsschwerpunkte des Verbandes in den Jahren 1997 und 1998 seien die Mitwirkung an Initiativen der Landesregierung im Bereich Berufsausbildung und Existenzgründung gewesen. Er - der Beigeladene - trete neben IHKs, Handwerkskammern und Gewerkschaften für alle Kammern der Freien Berufe auf, die für die Ausbildung im dualen System zuständig seien. Wichtig sei auch die Mitgliedschaft im Kuratorium der Deutschen Wirtschaft für Berufsausbildung. Nur so habe der Übergriff handwerklicher Berufe in den medizinischen Bereich verhindert werden können. Ihm - dem Beigeladenen - sei es auch zu verdanken, daß die statistischen Jahresberichte in NRW eine eigene Rubrik für die Freien Berufe führten. Ausweislich der Jahresberichte 1997 und 1998 habe sich der Bundesverband mit Themen der Wirtschafts- und Sozialpolitik, der Berufsrechte und der Europapolitik befaßt. Gerade im Zusammenhang mit der Entwicklung in Europa sei die Vertretung der Freien Berufe in Brüssel über einen Dachverband von zunehmender Bedeutung. Die besondere Stellung der Freien Berufe in Deutschland sei in Gefahr, durch Vereinheitlichung der europäischen Berufsrechte geschwächt zu werden. Deswegen sei der Bundesverband der Freien Berufe als Mitglied der europäischen Dachorganisation C.E.P.L.I.S in Brüssel vertreten. Die Freien Berufe hätten sonst keine gemeinsame Stimme in der EU. Denn auch die Bundesärztekammer als übergeordnete Repräsentantin der gesamten deutschen Ärzteschaft sei nicht in einem Büro in Brüssel vertreten. Ohne die Mitgliedschaft im Bundesverband der Freien Berufe würden die Interessen der deutschen Ärzte bei den Institutionen der Europäischen Union nicht wahrgenommen. Es sei aber erforderlich, die immer umfangreicheren und unübersichtlicheren Regelungen in Europa durch eine berufsübergreifende Stelle zu beobachten und kritisch zu begleiten. Entgegen den Ausführungen im erstinstanzlichen Urteil sei der Bundesverband nicht an der DAU-GmbH beteiligt. Mit 10 % an der DAU-GmbH sei vielmehr die "der freie beruf" Dienstleistungs- und Verlagsgesellschaft mbH beteiligt, die in Treuhandeigentum der Deutschen Apotheker- und Ärztebank e.G. stehe. Die vom Kläger aufgeführten Beispiele, die auch das Verwaltungsgericht als Aufgabenüberschreitung der Beklagten gewertet habe, hätten sämtlich berufsübergreifende Bezüge. Schließlich könnten Satzungsverstöße nur ein Problem der verbandsinternen Kontrolle sein und deshalb nur verbandsintern gerügt werden. Für die Frage der Rechtmäßigkeit der Mitgliedschaft der Beklagten bei ihm - dem Beigeladenen - sei allein der satzungsrechtlich zugewiesene Aufgabenkreis des Beigeladenen maßgeblich.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er verteidigt das erstinstanzliche Urteil und macht geltend: Aus § 6 Abs. 1 Nr. 6 HeilBerG folge, daß die Beklagte in ihrer Interessenvertretung auf die beruflichen Belange der Ärzte beschränkt sei und daneben nur berufsübergreifende Bestrebungen, die allgemein für die Interessen des freien Berufes einträten, wahrnehmen dürfe, nicht aber fachfremde Belange anderer Gruppen von Freiberuflern. § 6 Abs. 1 Nr. 2 und Abs. 4 HeilBerG gäben für die streitgegenständliche Mitgliedschaft nichts her. Anders als die Beklagte meine, sei diese in ihrer Tätigkeit auf die Aufgaben beschränkt, die der Gesetzgeber auf sie durch das HeilBerG delegiert habe. Dies seien aber nicht alle Angelegenheiten, die allgemein die Kammerangehörigen "angingen", sondern nur die, die innerhalb der gesetzlichen Aufgabenanweisung an die Beklagte lägen. Es sei ausschließlich Sache des (einfachrechtlichen) Gesetzgebers, wie er den Aufgabenbereich der Beklagten festlege. Die Beklagte genieße weder in ihrem Bestand noch in ihrer Aufgabenstellung grundrechtlichen Schutz. Nichts anderes folge aus der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts. Soweit dort darauf hingewiesen werde, die Verleihung von Satzungsautonomie habe ihren guten Sinn darin, gesellschaftliche Kräfte zu aktivieren, den entsprechenden gesellschaftlichen Gruppen die Regelung solcher Angelegenheiten, die sie selbst beträfen und die sie in überschaubaren Bereichen am sachkundigsten beurteilen könnten, eigenverantwortlich zu überlassen, besage dies nicht, daß eine Einschränkung der Aufgabenstellung der Beklagten mit der grundgesetzlichen Ordnung nicht vereinbar sei. Vielmehr habe gerade das Bundesverfassungsgericht betont, daß berufsständische Kammern sich strikt an die ihr vom Gesetzgeber eingeräumte Aufgabenzuweisung zu halten hätten und eine Erweiterung der Betätigung einer solchen Körperschaft über die durch Gesetz ausdrücklich zugewiesenen Aufgaben hinaus, mit der grundgesetzlichen Ordnung nicht zu vereinbaren sei. Es bleibe daher unerfindlich, wie die Beklagte z.B. ihre indirekte Beteiligung in der DAU GmbH mit der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts vereinbaren wolle. Gegenstand des Rechtsstreits sei auch nicht die Selbständigkeit berufsständischer Selbstverwaltungskörperschaften gegenüber dem Staat, sondern der "Freiheitsanspruch des Bürgers gegenüber dem Staat", nämlich der Schutz des Klägers vor einer Aufgabenüberschreitung der Beklagten als berufsständischer Körperschaft mit Zwangsmitgliedschaft als Teil der (mittelbaren) Staatsverwaltung. Der Landesgesetzgeber habe der Beklagten kein Ermessen bei der Beurteilung ihrer Aufgaben eingeräumt. Das Verwaltungsgericht sei zutreffend davon ausgegangen, daß die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 10. Juni 1986 auch unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes zu beachten sei. Die infolge dieser Entscheidung geänderte Satzung sei offensichtlich nur auf dem Papier angepaßt worden, um formal den Anforderungen der höchstrichterlichen Rechtsprechung zu genügen, während in Wahrheit die Verbandspolitik, die der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 10. Juni 1986 zugrunde gelegen habe, unverändert fortgesetzt werde. Zu Recht habe daher auch das Verwaltungsgericht festgestellt, daß sich die Tätigkeit des Bundesverbandes im Kern seit den Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts vom 10. Juni 1986 und des Oberverwaltungsgerichts Bremen nicht geändert habe.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Tätigkeitsbereichs der Verbände der Freien Berufe wird auf die BFB Jahrbücher 1995 bis 1998, die Jahresberichte 1997 und 1998, das Protokoll der Mitgliederversammlung des Bundesverbandes vom 12. Juni 1995, die Berichte des beigeladenen Landesverbandes aus der Verbandsarbeit 1994/1995, 1995/1996, 1996/1997, 1997/1998 und die Niederschriften der Mitgliederversammlungen des beigeladenen Landesverbandes vom 9. Oktober 1995, 8. Oktober 1997 und 7. Oktober 1998 Bezug genommen.
Gründe
Die Berufung der Beklagten hat keinen Erfolg.
1. Die Klage ist zulässig.
a) Für die Klage ist gemäß § 40 Abs. 1 Satz 1 VwGO der Rechtsweg zu den Verwaltungsgerichten gegeben, weil das Verfahren eine öffentlichrechtliche Streitigkeit nicht verfassungsrechtlicher Art betrifft. Gegenstand des Streits ist das Begehren des Klägers, daß die Beklagte aus dem beigeladenen Verband Freier Berufe im Lande Nordrhein- Westfalen e.V. austritt, der seinerseits Mitglied im Bundesverband der Freien Berufe, BFB, ist. Nach § 1 Heilberufsgesetz (HeilBerG) in der Fassung der Bekanntmachung vom 27. April 1994 (GV NRW S. 204) ist die beklagte Ärztekammer eine Körperschaft des öffentlichen Rechts, deren (Zwangs-)Mitglied der Kläger nach § 2 Abs. 1 HeilBerG ist. Die aus der Zugehörigkeit des Klägers zur Beklagten sich herleitenden Rechtsbeziehungen sind öffentlichrechtlicher Natur. Dabei bedarf es keiner Klärung, ob die vom Kläger erstrebte Beendigung der Mitgliedschaft der Beklagten im beigeladenen Verband ebenfalls durch dem öffentlichen Recht oder durch anderen Rechtsbereichen zuzuordnende Akte - etwa durch eine privatrechtliche Kündigung - bewerkstelligt werden müßte. Für die Entscheidung des vorliegenden Rechtsstreits kommt es lediglich darauf an, ob das Rechtsverhältnis, aus dem sich der vom Kläger geltend gemachte Anspruch ergeben kann, seinerseits öffentlichrechtlicher Natur ist.
Die öffentlichrechtliche Streitigkeit ist auch nicht durch § 40 Abs. 1 Satz 1, 2. Halbsatz oder Satz 2 VwGO ausdrücklich einem anderen Gericht durch Bundesgesetz oder durch Landesgesetz zugewiesen worden.
Zwar regelt das HeilBerG in seinem VI. Abschnitt "Die Berufsgerichtsbarkeit" (§§ 57 bis 112). § 57 Abs. 1 HeilBerG bestimmt allerdings, daß der Berufsgerichtsbarkeit Kammerangehörige unterliegen, die ihre Berufspflichten verletzen. § 58 Abs. 1 dieses Gesetzes sieht als berufsgerichtliche Maßnahme die Verwarnung, den Verweis, die Entziehung des passiven Berufswahlrechtes, eine Geldbuße bis zu 100.000,-- DM und die Feststellung der Berufsunwürdigkeit vor. Das Berufsgerichtsverfahren hat somit ausschließlich disziplinarrechtlichen Charakter. In der Rechtsprechung ist anerkannt, daß ein Verfahren dieser Art nicht geeignet und nicht dazu bestimmt ist, das Verwaltungsstreitverfahren zu ersetzen oder auszuschließen.
Vgl. OVG NRW, Urteil vom 13. September 1961 - III A 371/58 -, VerwRspr 14 Nr. 66; Urteil vom 24. Februar 1987 - 13 A 688/86 -, MedR 1987, 200; VGH Baden-Württemberg, Beschluß vom 7. September 1981 - IX 1432/79 -; Beschluß vom 27. März 1985 - 9 S 223/84 -, MedR 1985, 238 ff.; Urteil vom 27. März 1985 - 9 S 223/94, MedR 1986, 215 ff.; OVG Lüneburg, Urteil vom 15. August 1988 - 8 A 45/87 -, MedR 1989, 99 (100), und BVerwG, Beschluß vom 10. Juli 1991 - 3 CB 89/90 -, NJW 1992, 1579 f.
Im vorliegenden Fall steht nicht die Ahndung eines gegen die Berufspflichten verstoßenden Verhaltens des Klägers zur Entscheidung an, sondern die Klärung der Rechtsbeziehungen zwischen der Kammer und dem einzelnen Kammermitglied.
Es ist auch keine bundesgesetzliche Kompetenzzuweisungsvorschrift ersichtlich, die auf den Willen des Gesetzgebers schließen ließe, den Verwaltungsrechtsweg bei Streitigkeiten der vorliegenden Art auszuschließen. Infolge dessen gehen die Verwaltungsgerichte davon aus, daß für derartige Streitigkeiten, die die Ärztekammern betreffen, der Verwaltungsrechtsweg gegeben ist.
Vgl. OVG Bremen, Urteil vom 16. März 1993 - 1 BA 7/92 -, MedR 1993, 441 ff.; VG Frankfurt, Urteil vom 11. März 1998 - 12 E 2790/95 (3) -; zu einer derartigen Mitgliedschaft einer Steuerberaterkammer: BVerwG, Urteil vom 10. Juni 1986 - 1 C 9/86 -, NJW 1987, 337 ff.
Allerdings gilt (möglicherweise) etwas anderes, wenn Anwälte oder Patentanwälte mit ihren Berufskammern über deren Mitgliedschaft im Landes- oder Bundesverband der Freien Berufe streiten. Insoweit hat der Niedersächsische Anwaltsgerichtshof seine Zuständigkeit auch für Feststellungs-, Leistungs- und Unterlassungsanträge, die sich auf Maßnahmen der Rechtsanwaltskammern ohne Verwaltungsaktsqualität beziehen, aus den §§ 90, 223 Bundesrechtsanwaltsordnung (BRAO) abgeleitet.
Vgl. Nds. AGH, Beschluß vom 27. August 1996 - AGH 3/96 - BRAK - Mitt. 1996, 208 f.
Der Bundesgerichtshof (BGH) hat indes die Zulässigkeit einer derartigen Klage eines Patentanwaltes offen gelassen, da eine derartige Klageart weder in § 84 noch in § 184 Patentanwaltsordnung (PatAnwO) vorgesehen sei. Der BGH hat die Klage als jedenfalls unbegründet abgewiesen.
Vgl. BGH, Beschluß vom 18. Dezember 1995 - PatAnwZ 3/95 -, NJW 1996, 1899 ff.
Dadurch, daß einerseits die Verwaltungsgerichte, andererseits die Zivilgerichte zuständig für die Beurteilung der Mitgliedschaft von Berufskammern im Verband Freier Berufe sind, kann es durchaus - wie die Ausführungen zur Begründetheit der Klage belegen - zu unterschiedlichen gerichtlichen Entscheidungen kommen.
b) Die Klage ist als Leistungsklage zulässig. Eine Verpflichtungsklage nach § 42 Abs. 1 VwGO scheidet aus, weil die Handlung, die der Kläger von der Beklagten verlangt - nämlich aus dem beigeladenen Verband auszutreten -, kein Verwaltungsakt ist. Vielmehr handelt es sich um die Abgabe einer Willenserklärung zur Kündigung eines zivilrechtlichen Körperschaftsverhältnisses. Hierdurch soll die Mitgliedschaft in einem privatrechtlichen Verein beendet werden.
Vgl. Redeker/von Oertzen, VwGO, 12. Aufl., § 42 Rdn. 158 zur Verpflichtung einen Vertrag abzuschließen.
c) Der Kläger ist auch klagebefugt, da er durch eine mögliche Aufgabenüberschreitung der Beklagten in seinen Rechten verletzt sein kann.
Vgl. zum Erfordernis der Klagebefugnis bei der allgemeinen Leistungsklage Pietzcker, in: Schoch/Schmidt-Aßmann/ Pietzner, VwGO § 42 Abs. 1, Rdn. 170.
2. Die Klage ist begründet.
Der Kläger hat einen Anspruch darauf, daß die Beklagte aus dem beigeladenen Verband austritt. Der Senat teilt im Ergebnis die Auffassung des Verwaltungsgerichts, daß die mitgliedschaftliche Betätigung der Beklagten bei dem beigeladenen Verband rechtswidrig ist und den Kläger in seinen Rechten verletzt.
a) Der Anspruch des Klägers gründet letztlich auf Verfassungsrecht. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts schützt Art. 2 Abs. 1 GG grundrechtsmäßig vor einer Zwangsmitgliedschaft in öffentlich- rechtlichen Körperschaften, die nicht oder jedenfalls nicht in dem am Verhältnismäßigkeitsprinzip ausgerichteten Maße durch legitime öffentliche Aufgaben gerechtfertigt ist. Verfassungsrechtliche Schranken einer Zwangsmitgliedschaft in öffentlichrechtlichen Verbänden lassen sich hingegen nicht aus Art. 9 GG beantworten, weil diese Bestimmung lediglich die Freiheit garantiert, privatrechtliche Vereinigungen zu gründen, ihnen beizutreten oder fernzubleiben.
Vgl. BVerfG, Urteil vom 29. Juli 1959 - 1 BvR 394/58 -, BVerfGE 10, 89 (102, 104) = NJW 1959, 1675.
Art. 2 Abs. 1 GG setzt zunächst der Einrichtung öffentlich- rechtlicher Verbände mit Zwangsmitgliedschaft Grenzen. Die Einrichtung eines öffentlichrechtlichen Zwangsverbandes ist danach nur zur Verwirklichung von Aufgaben zulässig, an deren Erfüllung ein gesteigertes Interesse der Gemeinschaft besteht, die aber so geartet sind, daß sie weder im Wege der privaten Initiative wirksam wahrgenommen werden können noch zu den im engeren Sinne staatlichen Aufgaben zählen, die der Staat selbst durch seine Behörden wahrnehmen muß.
Vgl. BVerfG, Beschluß vom 18. Dezember 1974 - 1 BvR 430/65 u. 259/66 -, BVerfGE 38, 281, 297 m.w.N.
Diese verfassungsrechtlichen Grenzen hat der Gesetzgeber bei der Errichtung der Ärztekammern eingehalten.
Vgl. BayVerfGH, Entscheidung vom 20. Juli 1951 - Vf. 23, 25 - VII - 50, VerwRspr. 4 (1952), 261; Scholz, in Maunz/Dürig, Art. 12 GG, Rdn. 258; zur Ärzteversorgung: BVerfG, Beschluß vom 25. Februar 1960 - 1 BvR 239/52 -, BVerfGE 10, 354 = NJW 1960, 619; Beschluß vom 2. Mai 1961 - 1 BvR 203/53 -, BVerfGE 12, 319 = NJW 1961, 1155.
Art. 2 Abs. 1 GG schützt aber nicht nur vor der Zwangsmitgliedschaft in einem "unnötigen" Verband, vielmehr unterliegt darüber hinaus auch die nachfolgende Tätigkeit des Zwangsverbandes dem Schutzbereich des Grundrechts auf freie Entfaltung der Persönlichkeit im Rahmen der verfassungsmäßigen Ordnung.
Vgl. BVerwG, Urteil vom 13. Dezember 1979 - 7 C 58.78 -, BVerwGE 59, 231 ff.; Urteil vom 24. September 1981 - 5 C 53.79 -, BVerwGE 64, 115 = NJW 1982, 1298 f.; Urteil vom 17. Dezember 1981 - 5 C 56.79 -, BVerwGE 64, 298.
Dies gilt jedenfalls dann, wenn die Tätigkeit des Verbandes dazu geeignet ist, über die Zwangsbeitragspflicht hinaus in eigene Rechte des Mitglieds einzugreifen.
Vgl. BVerfG, Beschluß vom 15. Juni 1988 - 1 BvR 1301/86 -, NJW 1988, 2289.
Hieraus folgt für den hier zu entscheidenden Fall, daß der Beitritt der beklagten berufsständischen Kammer zu dem privatrechtlich organisierten beigeladenen Verband nur dann mit Art. 2 Abs. 1 GG vereinbar ist und keine Rechte des Klägers verletzt, wenn die Mitgliedschaft innerhalb des der berufsständischen Kammer gesetzlich zugewiesenen Aufgabenbereiches liegt und wenn sie erforderlich und angemessen ist, um die zugewiesenen Aufgaben zu fördern und zu wahren. Die Kammer darf sich somit insbesondere auch keine weitergehenden Kompetenzen anmaßen.
Vgl. BVerwG, Urteil vom 10. Juni 1986 - 1 C 4/86 - = NJW 1987, 338, und Urteil vom 10. Juni 1986 - 1 C 9/86 -, a.a.O. sowie Dettmeyer, Verfassungsrechtliche Anforderungen an Zwangsmitgliedschaft und Ärztekammerbeitrag, NJW 1999, 3367 ff.
Hiergegen wird jedoch verstoßen.
b) Die Mitgliedschaft der Beklagten im beigeladenen Verband überschreitet den den Ärztekammern durch das HeilBerG zugewiesenen Aufgabenbereich und ist daher rechtswidrig.
Aufgaben der Kammern sind - abgesehen von hier nicht weiter zu erörternden Regelungen - nach § 6 Abs. 1 HeilBerG:
1. ...
2. auf Verlangen der Aufsichtsbehörde Stellungnahmen abzugeben sowie auf Verlangen der zuständigen Behörden Fachgutachten zu erstatten und Sachverständige zur Erstattung von Fachgutachten zu benennen,
3. ...
4. die Qualitätssicherung im Gesundheits- und im Veterinärwesen sowie die berufliche Fortbildung der Kammerangehörigen zu fördern und die Weiterbildung nach Maßgabe dieses Gesetzes zu regeln sowie Zusatzqualifikationen ihrer Kammerangehörigen zu bescheinigen,
5. für die Erhaltung eines hochstehenden Berufsstandes zu sorgen und die Erfüllung der Berufspflichten der Kammerangehörigen zu überwachen; ...
6. die beruflichen Belange der Kammerangehörigen wahrzunehmen,
7. - 11. ...
Aus dem Wortlaut dieser Aufgabenzuweisungsvorschriften folgt, daß die beklagte Ärztekammer auf eine Interessenvertretung beschränkt ist, die die Belange der Ärzteschaft, nicht aber die fremder Berufsgruppen zum Gegenstand hat. Zur Qualitätssicherung im Gesundheitswesen, der Erhaltung eines hochstehenden Berufsstandes und der Wahrnehmung der beruflichen Belange der Kammerangehörigen dient sicherlich die Mitgliedschaft in der Bundesärztekammer, die Vertretung der Interessen der Ärzteschaft in der Öffentlichkeit bis hin zur Einflußnahme auf das Entstehen von Gesetzen, die die Ärzteschaft betreffen (vgl. auch die in § 25 HeilBerG ausdrücklich aufgeführte Aufgabe). Darüber hinaus lassen sich allenfalls noch berufsübergreifende Bestrebungen, die in einem allgemeinen Sinne für den Erhalt und den Ausbau des freien Berufes eintreten, mit der berufsspezifischen Interessenvertretung durch berufsständische Kammern vereinbaren. Etwas anderes folgt entgegen der Meinung der Beklagten auch nicht aus einem allgemeinen Zweck der Ärztekammer, der es selbständig oder als Auslegungsdirektive rechtfertigen könnte, auch fremde Berufsinteressen wahrzunehmen.
In § 6 Abs. 1 HeilBerG ist der Aufgabenbereich der Beklagten abschließend und umfassend beschrieben. Dies folgt bereits aus dem Wortlaut, der ein auf die Normierung von Regelbeispielen hinweisendes "insbesondere" (anders noch der FDP-Entwurf-LT-Drs. 2/78) zu Beginn des Zuständigkeitskataloges nicht enthält.
Demgegenüber enthält § 5 Abs. 1 des Hessischen HeilBerG eben dieses "insbesondere". Hieraus hat das VG Frankfurt, a.a.O., abgeleitet, daß die Vorschrift keine abschließende Aufgabenzuweisung enthält und die Mitgliedschaft der Ärztekammer im Verband Freier Berufe in Hessen zulässig ist.
Die Vorschrift umschreibt aber nicht nur den Aufgabenbereich, sondern auch den Zweck der beklagten Berufskammer abschließend. Die gesetzliche Aufgabenbeschreibung deckt nämlich den Körperschaftszweck ab. Aus den vorstehenden Ausführungen zu den grundrechtlichen Grenzen der Betätigung eines Zwangsverbandes folgt, daß darüber hinaus keine Aufgaben denkbar sind, die aus dem mit der Kammer verfolgten Zweck zu folgern sind und nicht zugleich der Wahrung der in § 6 Abs. 1 HeilBerG erwähnten Aufgabenerfüllung dienen.
Vgl. BVerwG, Urteil vom 10. Juni 1986 - 1 C 9.96 -, a.a.O. zur Steuerberaterkammer.
Der BGH hat zwar das diesen Ausführungen zugrundeliegende Urteil des BVerwG als "nach seiner Auffassung zu weitgehende Entscheidung" bezeichnet und die Mitgliedschaft der Patentanwaltskammer im Bundesverband der Freien Berufe als rechtmäßig beurteilt.
Vgl. BGH, Beschluß vom 18. Dezember 1995, a.a.O.
Dies entspricht der ständigen Rechtsprechung des BGH, wonach der Funktionsbereich der Rechtsanwaltskammern und der Bundesrechtsanwaltskammer nicht nur die ihnen durch Gesetz ausdrücklich zugewiesenen Aufgaben umfaßt. Vielmehr erstreckt sich dieser Funktionsbereich nach dieser Rechtsprechung darüber hinaus auf den Wirkungskreis, der der Körperschaft im Hinblick auf den Zweck des mitgliedschaftlichen Zusammenschlusses erkennbar zugedacht ist.
Vgl. BGH, Beschluß vom 7. November 1960 - AnwZ (P) 1/60 -, BGHZ 33, 381 (385) = NJW 1961, 220; Beschluß vom 10. Juli 1961 - AnwZ (B) 18/61 -, BGHZ 35, 292 (294) = NJW 1961, 1864; Beschluß vom 12. Mai 1975 - AnwZ (B) 2/75 -, BGHZ 64, 301 (306) = NJW 1975, 1559; Beschluß vom 17. Mai 1976 - AnwZ (B) 39/75 -, BGHZ 66, 297 (300) = NJW 1976, 1541, und Urteil vom 26. Juni 1979 - KZR 25/78 -, NJW 1980, 186; dem folgt der Nds. AGH, Beschluß vom 27. August 1996, a.a.O.
Dem ist jedenfalls für die Aufgabenzuweisung an die Ärztekammern nach dem HeilBerG nicht zu folgen. Vielmehr ist an der oben wiedergegebenen Rechtsauffassung des BVerwG festzuhalten, da diese den verfassungsrechtlichen Vorgaben für die Aufgabenerfüllung von Zwangsverbänden entspricht. Aus dieser verfassungskonformen und am Wortlaut der Aufgabennorm orientierten Auslegung folgt, daß § 6 Abs. 1 HeilBerG die Tätigkeit der Beklagten auf die Wahrnehmung der beruflichen Belange der Kammerangehörigen einschränkt und es nicht Aufgabe einer Ärztekammer ist, auch die Interessen anderer Berufsgruppen zu verfolgen. Das gilt auch dann, wenn dies durch die Mitgliedschaft in privaten Vereinen erfolgt.
Vgl. OVG Bremen, Urteil vom 16. März 1993, a.a.O.
Den so mit Hilfe des Art. 2 Abs. 1 GG eingegrenzten und in § 6 Abs. 1 HeilBerG bezeichneten Aufgabenbereich überschreitet die Beklagte durch ihre mitgliedschaftliche Betätigung bei dem beigeladenen Verband, der wiederum Mitglied im Bundesverband der Freien Berufe, BFB, ist. Denn die Tätigkeit des Beigeladenen und des BFB beschränkt sich nicht auf die Wahrnehmung gruppenspezifischer Interessen der Angehörigen der Beklagten, sondern ist zugleich auf die Förderung der Belange anderer Berufsgruppen ausgerichtet.
Hieran hat sich schließlich auch nichts dadurch geändert, daß die Änderung der einschlägigen Satzungsbestimmungen des beigeladenen Verbandes und des BFB nach der Entscheidung des BVerwG vom 10. Juni 1986 ersichtlich von dem Bemühen getragen sind, den in dieser Entscheidung entwickelten Anforderungen - teilweise bis zur wörtlichen Übernahme - zu entsprechen. Dort heißt es übereinstimmend, daß der Zweck des Verbandes darin bestehe, "alle berufsübergreifenden Bestrebungen der vertretenen Berufsgruppen in einem allgemeinen Sinn zu verfolgen und für die Einhaltung und den Ausbau des Freien Berufs einzutreten". Die "Wahrnehmung der Interessen eines bestimmten Freien Berufes" ist "ausgeschlossen".
Aber bereits der Vorbehalt, unter dem der Ausschluß der Interessenwahrung für bestimmte Berufsgruppen steht ("soweit damit nicht auch berufsübergreifende Bestrebungen für die Gesamtheit der Freien Berufe unauflösbar verbunden sind"), weist darauf hin, daß die Tätigkeit des Beigeladenen und des BFB sich zugleich auf die konkreten Wirkungsfelder einzelner Berufsgruppen bezieht. Die Verbandszwecke des Beigeladenen und des BFB werden von den jeweiligen Mitgliedern und den Organen dessen ungeachtet in diesem Sinne nach wie vor als Ermächtigung zur Unterstützung spezifischer Forderungen einzelner Berufe verstanden. Die konkrete Verbandstätigkeit offenbart dies, wie die folgenden Ausführungen belegen.
So bereits OVG Bremen, Urteil vom 16. März 1993, a.a.O.
Dabei bedarf es keiner näheren Darlegung, daß sich der Beigeladene nicht auf die Wahrnehmung von Interessen gerade der Angehörigen des ärztlichen Berufes beschränkt. Der Beigeladene und der BFB beschränken sich aber auch nicht auf berufsübergreifende Bestrebungen, die in einem allgemeinen Sinne für die Erhaltung und den Ausbau des freien Berufes eintreten. So befaßte sich beispielsweise der Bundesverband auf seiner Mitgliederversammlung am 12. Juni 1995 unter anderem mit dem "eher problematische(n) Öko-Audit", mit Verhandlungen um die VOF - Verdingungsordnung für Freiberufliche Leistungen -, mit der Honorarordnung für Architekten und Ingenieure und mit dem Psychotherapeuten- Gesetz. Dabei mag das letztgenannte Gesetzesvorhaben noch einen hinreichenden Bezug zum Tätigkeitsbereich der Beklagten haben. Die übrigen Beispiele lassen indessen jeden Bezug zum gesetzlich geregelten Tätigkeitsbereich der Beklagten vermissen. Auch die Beteiligung an der DAU GmbH ist ein Beleg dafür, daß sich die Aktivitäten des Bundesverbandes nicht auf solche Tätigkeiten beschränken, die auch die Beklagte selbst zulässigerweise ausüben dürfte. Daß die Beteiligung an einer Prüfungsgesellschaft für Umweltgutachter mit der Wahrnehmung beruflicher Belange von Ärzten nicht mehr zu vereinbaren ist, liegt auf der Hand. Der gegen diese Feststellung gerichtete Einwand des Beigeladenen, nicht der Bundesverband der Freien Berufe, sondern die Verlagsgesellschaft mbH "der freie beruf" sei an der DAU-GmbH beteiligt, mag allenfalls formal zutreffen. Hierzu hat der Präsident des BFB in der bereits erwähnten Mitgliederversammlung vom 12. Juni 1995 ausgeführt: Der Verlag "wird in Zukunft nicht mehr nur als Verlag, sondern auch als Dienstleistungsgesellschaft tätig sein und hält für die Freien Berufe in Deutschland einen 10 % Anteil an der Deutschen Akkreditierungs- und Prüfungsgesellschaft für Umweltgutachter - DAU GmbH. Diese Aktivität wird für das Präsidium Grundlage sein, die Eigenkapitalausstattung der Gesellschaft zu verbessern, um ihr auch für diese Aufgaben ausreichenden Spielraum zu geben."
Hierzu heißt es im Jahrbuch 1997 des BFB (Seite 249 oben):
"Die mit ihrem erweiterten Tätigkeitsfeld als Dienstleistungs- und Verlags GmbH benannte Gesellschaft der Freien Berufe, in Treuhandeigentum der Deutschen Apotheker- und Ärztebank stehend, hält nicht nur einen Anteil an der Deutschen Akkreditierungs- und Zulassungsgesellschaft für Umweltgutachter Dau mbH, sondern auch einen Anteil an der Gesellschaft für Begabtenförderung. Diese Gesellschaft wird gemeinsam mit dem Deutschen Handwerkskammertag und dem Deutschen Industrie- und Handelstag von der dfb GmbH betrieben und hat entsprechend dem Auftrag des Bundesministeriums für Bildung, Wissenschaft, Forschung und Technologie - auch unter Kostenerstattung - Begabtenförderprogramme für diesen, aber auch für andere Träger, durchzuführen."
In dem BFB-Jahrbuch 1997 (Seite 238) wird zum Sachverständigenwesen als negative Entwicklung genannt, daß Großorganisationen den "im freien Wettbewerb erkämpften Anteil" der Überwachungsarbeiten an Kfz (§ 29 StVO) mit Hilfe des Bundesverkehrsministeriums zurückzuholen versuchen.
Keinen Bezug zum Aufgabenbereich der Beklagten haben schließlich allgemeinpolitische Betätigungen des BFB - beispielsweise durch die Einladung des Dalai Lama unter dem Motto "Freiheit für Tibet" - oder des Beigeladenen. In dessen Niederschrift über die Jahresmitgliederversammlung am 11. Oktober 1995 ist ein Resolutionsentwurf enthalten, in dem die Einführung einer Amtsträgerhaftung gefordert wird, damit Beamte und Angestellte für Fehlentscheidungen persönlich in die Verantwortung genommen werden sollen. Weiterhin wird eine Ausweitung der Finanzkontrolle durch eine Ausweitung der Kontrollrechte von Bundesrechnungshof, Landesrechnungshof und Parlament gefordert.
c) Die mitgliedschaftliche Betätigung der Beklagten bei dem Beigeladenen ist nicht nur rechtswidrig, sie verletzt den Kläger auch in seinen Rechten auf freie Entfaltung der Persönlichkeit im Sinne des Art. 2 Abs. 1 GG. Dies folgt aus den oben näher dargelegten verfassungsrechtlichen Grenzen, die die Zwangsmitgliedschaft des Klägers der Betätigung der beklagten Ärztekammer setzt. Durch die Beteiligung der Beklagten beim beigeladenen Verband erhält die Mitgliedschaft des Klägers bei der Beklagten eine neue Qualität, indem der Kläger durch seine Mitgliedschaft nicht mehr nur das Eintreten für das gruppenspezifische Interesse der Ärzte, sondern die Interessenwahrung für alle freien Berufe und einzelne andere freie Berufe mitträgt. Dadurch wird der Kläger unter Beeinträchtigung seiner Handlungsfreiheit mitgliedschaftsmäßig stärker in Anspruch genommen, als dies vor der Aufgabenüberschreitung der Beklagten der Fall war.
Vgl. BVerwG, Urteil vom 10. Juni 1986 - 1 C 9.96 -, a.a.O.
d) Die antragsgemäße Verurteilung der Beklagten zum Austritt aus dem beigeladenen Verband ist auch nicht unverhältnismäßig. Der Senat verkennt nicht, daß der BFB der einzige Dachverband der freien Berufe in der Bundesrepublik Deutschland ist, und daß die Beklagte ein Interesse daran hat, die Belange ihrer Mitglieder in diesem Verband zu vertreten. Dieses Interesse ist allerdings rechtlich nicht schutzwürdig. Es führt insbesondere nicht dazu, den Kläger auf die Bekämpfung jeder einzelnen Aufgabenüberschreitung im Wege der verbandsinternen Kontrolle oder der einzelnen gerichtlichen Überprüfung zu verweisen. Der gegenteiligen Meinung des BGH ist nicht zu folgen. Sie beruht auf der Annahme einer Überschreitung der satzungsrechtlichen Aufgaben durch den BFB in Einzelfällen.
Vgl. BGH, Beschluß vom 18. Dezember 1995, a.a.O.
Hiervon ist nach den obigen Ausführungen nicht auszugehen. Die Satzung des beigeladenen Verbandes und des BFB sind vielmehr, wie die Praxis belegt, auf eine ständige und wiederkehrende Rechtsverletzung des Klägers angelegt, die nur durch das Ausscheiden der Beklagten aus dem beklagten Verband behoben werden kann.
Entgegen der Auffassung des Beigeladenen ist die antragsgemäße Verurteilung der Beklagten auch nicht etwa deshalb unverhältnismäßig, weil lediglich ca. 5,-- DM des Jahreskammerbeitrages, den der Kläger zahlt, für die beanstandete Mitgliedschaft aufgewandt wird. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts hat der Kläger einen Anspruch darauf, "daß die aus den Beitragsleistungen der Mitglieder aufgebrachten Haushaltsmittel nicht für verbandsfremde Zwecke verwendet werden". Unzutreffend ist in diesem Zusammenhang die Auffassung, ein Unterlassungsanspruch könne nur dort anerkannt werden, wo es um eine bewußte und offensichtliche Überschreitung des gesetzlichen Aufgabenbereichs gehe. Die Intensität einer Rechtsverletzung ist kein Maßstab für das Wirksamwerden des Grundrechtsschutzes aus Art. 2 Abs. 1 GG. Macht ein Mitglied - wie hier der Kläger - erfolgreich geltend, daß der Zwangsverband in einer Weise tätig wird, die sich als ein mit seiner gesetzlichen Aufgabenstellung nicht zu vereinbarender Eingriff in die Handlungsfreiheit einzelner oder der Gesamtheit der Mitglieder darstellt, so steht ihm ohne Rücksicht auf den Umfang der Beeinträchtigung seiner Handlungsfreiheit ein Unterlassungsanspruch gegen den Verband zu. Vgl. BVerwG, Urteil vom 24. September 1981, a.a.O., und Dettmeyer, a.a.O., S. 3371 f.
Die Kostenentscheidung folgt aus den §§ 154 Abs. 2 und Abs. 3, 162 Abs. 3 VwGO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. den §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
Die Revision war nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO nicht gegeben sind.
OVG Nordrhein-Westfalen:
Urteil v. 09.12.1999
Az: 8 A 395/97
Link zum Urteil:
https://www.admody.com/urteilsdatenbank/48c8273b0de3/OVG-Nordrhein-Westfalen_Urteil_vom_9-Dezember-1999_Az_8-A-395-97