Landgericht Göttingen:
Beschluss vom 28. März 2002
Aktenzeichen: 9 T 11/02
(LG Göttingen: Beschluss v. 28.03.2002, Az.: 9 T 11/02)
Tenor
Auf die sofortige Beschwerde der Prozessbevollmächtigten des Klägers und von Amts wegen wird die Streitwertfestsetzung in dem Urteil des Amtsgerichts Duderstadt vom 12.02.2002 - 4 C 349/01 - abgeändert.
Der Streitwert wird für den Rechtsstreit insgesamt auf 4.000,00 Euro festgesetzt.
Das weitergehende Rechtsmittel wird zurückgewiesen.
Die Entscheidung ergeht gerichtkostenfrei; außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.
Gründe
Das zulässige Rechtsmittel der Prozessbevollmächtigten des Klägers (§ 9 Abs. 2 Satz 1 BBRAGO) ist teilweise begründet. Darüber hinaus war der angefochtene Beschluss von Amts wegen (§ 25 Abs. 2 Satz 2 GKG) abzuändern.
Das Amtsgericht hat den Wert für den Unterlassungsanspruch hinsichtlich des Ausdruckes "Möchtegernkinderficker" auf 1.000,-- Euro und den Wert hinsichtlich der Äußerungen des Beklagten "Du bist doof" und "Du hast Dein Leben lang noch nie gearbeitet" auf je 500,-- Euro bemessen, den Wert für den Rechtsstreit insgesamt auf 2.000,-- Euro. Das Rechtsmittel richtet sich gegen die Wertbemessung hinsichtlich des erstgenannten Ausdruckes mit dem Ziel, den Wert insoweit auf 4.000,-- Euro festzusetzen.
3Sowohl das Amtsgericht als auch die Beschwerde gehen zunächst von unzutreffenden Voraussetzungen aus. Denn im Falle des tateinheitlichen Zusammentreffens verschiedener Äußerungen - wovon hier nach der Klageschrift auszugehen war - wird grundsätzlich nur ein einheitlicher Wert festgesetzt; die einzelnen Äußerungen werden nicht selbständig bewertet (vgl. dazu Zöller/Herget, ZPO, 22. Auflage, § 3 Rdnr. 16 "Ehre"; OLG Frankfurt, OLGR 1999, 296). Es kann deshalb nur ein einheitlicher Wert für den Rechtsstreit insgesamt festgesetzt werden. Dies führt dazu, dass die angefochtene Entscheidung teilweise von Amts wegen (§ 25 Abs. 2 Satz 2 GKG) abzuändern war.
4Der Wert für den Rechtsstreit insgesamt war auf 4.000,-- Euro festzusetzen. Diese Wertfestsetzung beruht auf § 12 Abs. 2 Satz 1 GKG. Danach ist in nichtvermögensrechtlichen Streitigkeiten der Wert des Streitgegenstandes unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls, insbesondere des Umfangs und der Bedeutung der Sache und der Vermögens- und Einkommensverhältnisse der Parteien, nach Ermessen zu bestimmen.
Die Kammer folgt der in Literatur und Rechtsprechung teilweise vertretenen Auffassung nicht, wonach bei Fehlen entsprechende Anhaltspunkt in analoger Anwendung der §§ 13 Abs. 1 Satz 2 GKG, 8 Abs. 2 Satz 2 BGAGO von einem Regelstreitwert von 4.000,-- Euro auszugehen sei (BAG Juristisches Büro 1998, 647; vgl. auch Zöller/Herget a.a.O. "nichtvermögensrechtliche Streitigkeiten"). Denn § 13 Abs. 1 Satz 2 GKG bezieht sich ausdrücklich nur auf Streitigkeiten vor Verwaltungs-, Finanz- und Sozialgerichten. Für Zivilrechtsstreitigkeiten fehlt es an der Festlegung eines derartigen Regelstreitwertes. Allerdings sind in § 12 Abs. 2 GKG Regelstreitwerte für Kindschaftssachen und Mindeststreitwerte für Ehe- und Lebenspartnerschaftssachen angegeben. Dies spricht dafür, dass für andere nichtvermögensrechtliche Streitigkeiten gerade kein Regelstreitwert anzunehmen ist. Der Gesetzgeber hat sich mithin anders als in den Fällen des § 13 Abs. 1 Satz 2 GKG für Zivilrechtsstreitigkeiten ausdrücklich gegen einen Regelstreitwert ausgesprochen, so dass es an einer Gesetzeslücke für die analoge Anwendung des § 13 Abs. 1 Satz 2 GKG fehlt.
6Aus § 8 Abs. 2 Satz 2 BRAGO kann ebenfalls kein Schluss gezogen werden. Danach ist in Ermangelung genügender tatsächlicher Anhaltspunkte bei nichtvermögensrechtlichen Streitigkeiten der Gegenstandswert auf 4.000,--Euro anzunehmen. Diese Vorschrift greift aber nach § 8 Abs. 1 Satz 1 BRAGO vorliegend nicht ein. Denn soweit sich die Gerichtsgebühren nach dem Wert richten, bestimmt sich der Gegenstandswert für die Anwaltsgebühren im gerichtlichen Verfahren nach den für die Gerichtsgebühren geltenden Wertvorschriften. Daraus ergibt sich, dass § 12 Abs. 2 Satz 1 GKG der Regelung in § 8 Abs. 2 Satz 2 BRAGO vorgeht.
Für die Streitwertbemessung in nichtvermögensrechtlichen Streitigkeiten sind deshalb allein die in § 12 Abs. 2 Satz 1 GKG genannten Einzelfallumstände maßgeblich.
Diese führen allerdings vorliegend dazu, dass der Gegenstandswert für das Verfahren auf insgesamt 4.000,--Euro festzusetzen ist. Hierbei war in erster Linie an den Umfang und die Bedeutung der Sache anzuknüpfen. Zwar war die rechtliche Bewertung nicht schwierig; allerdings hat das Amtsgericht insgesamt vier Zeugen vernommen, weshalb der Arbeitsaufwand für die Aufklärung des Sachverhaltes als nicht unbeträchtlich anzusehen ist.
Vor allem aber beinhaltet der Ausdruck "Möchtegernkinderficker" eine schwerwiegende Ehrkränkung, weshalb das von dem Kläger mit der Klage verfolgte Interesse in beträchtlichem Umfang streitwerterhöhende Wirkung entfaltet. Wer mit einer derartigen Beleidigung belegt wird, darf und muss sich in seiner persönlichen Ehre ganz einschneidend herabgewürdigt fühlen. Denn sein soziales Ansehen wird dadurch schwerwiegend beeinträchtigt, weil der damit konkludent erhobene Vorwurf, Kinder sexuell missbraucht haben zu wollen, in der Bevölkerung gerade in den letzten Jahren als ausgesprochen ehrabschneidend empfunden wird. Der strafrechtliche und insbesondere soziale Unwert des sexuellen Missbrauchs von Kindern hat durch entsprechende Diskussionen in der Öffentlichkeit in letzter Zeit und auch durch gesetzgeberische Maßnahmen zusätzliche Abwertung erfahren. Wer in einer Weise wie der Beklagte beleidigt wird, muss damit rechnen, künftig von nicht wenigen Mitmenschen geschnitten zu werden, mag der Vorwurf sachlich berechtigt gewesen sein oder nicht. Hierbei ist im vorliegenden Falle auch zu berücksichtigen, dass die streitbefangene Äußerung nicht etwa unter vier Augen gefallen ist; mindestens drei Zeugen haben nämlich außer dem Kläger selbst die Äußerungen des Beklagten mitgehört.
Im Rahmen einer Gesamtbewertung genügt es allerdings, den Wert für alle drei Äußerungen, deren Unterlassung ursprünglich begehrt worden war, auf 4.000,00 Euro festzusetzen. In diese Bewertung ist auch einzustellen, dass gemeinhin ehrabschneidende Äußerungen, die in beschränkter Öffentlichkeit fallen, keine hohen Schmerzensgeldansprüche auslösen. Es erscheint nicht als gerechtfertigt, den vom Gewicht her vergleichbaren Unterlassungsanspruch wertmäßig höher anzusiedeln.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 25 Abs. 4 GKG.
Die Zulassung der Rechtsbeschwerde ist nicht veranlasst.
LG Göttingen:
Beschluss v. 28.03.2002
Az: 9 T 11/02
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