Landgericht München I:
Urteil vom 22. November 2010
Aktenzeichen: 21 O 19689/10

(LG München I: Urteil v. 22.11.2010, Az.: 21 O 19689/10)

Tenor

I. Die einstweilige Verfügung vom 21.10.2010 wird bestätigt.

II. Die Antragsgegner tragen auch die weiteren Kosten des Verfahrens.

Tatbestand

Die Parteien streiten im Rahmen einer einstweiligen Verfügung über die Bewerbung und den Vertrieb von Digitalreceivern.

Die Antragstellerin betreibt den kostenpflichtigen Abonnementfernsehsender ... Die Antragsgegnerin zu 1) betreibt einen Internetshop, der unter der Internetadresse ... erreichbar ist. Dort bietet sie Elektronikprodukte, insbesondere solche, die mit Satellitenfernsehen im Zusammenhang stehen, an. Die Antragsgegner zu 2) und zu 3) sind die Geschäftsführer der Antragsgegnerin zu 1).

Da die Antragstellerin ihre Programmangebote ausschließlich Kunden zur Verfügung stellt, die durch den Abschluss eines Abonnementvertrages eine Nutzungsberechtigung erworben haben, verwendet sie ein Zugangskontrollsystem, um eine Nutzung durch Nichtberechtigte zu verhindern. Dieses Zugangskontrollsystem sieht einen technischen Schutzmechanismus vor, der auf einer Verschlüsselung des Fernsehprogramms beruht. Hierzu bedient sie sich des sogenannten DVB-Common-Scrambling-Verfahrens, bei dem im Abstand weniger Sekunden die jeweils zur Ver- und Entschlüsselung notwendigen Schlüssel geändert werden. Zur gesicherten Übermittlung der genannten Schlüssel sowie der notwendigen Berechtigungsinformationen stellt die Antragstellerin ihren autorisierten Kunden eine sogenannte Smartcard zur Verfügung. Die Entschlüsselung des Programms durch die berechtigten Kunden wird dadurch gewährleistet, dass die Schlüssel von der Smartcard an einen Receiver weitergegeben werden, der damit die Entschlüsselung des Programms durchführt.

Durch nichtberechtigte Nutzer ist in jüngerer Zeit dazu übergegangen worden, das Zugangskontrollsystem der Antragstellerin im Wege des sogenannten Card-Sharings zu umgehen, um so einen kostenlosen Empfang der Programme der Antragstellerin zu erhalten. Der Mechanismus des sogenannten Card-Sharings setzt an, nachdem einem einzelnen berechtigten Kunden die zur Entschlüsselung des Sendesignals erforderlichen Schlüssel und Berechtigungsinformationen auf einer Smartcard übermittelt worden sind. Unter Verwendung speziell angepasster Software werden von diesem Kunden die rechtmäßig zugestellten Schlüssel über ein Netzwerk, z. B. das Internet, unberechtigt an Dritte weitergeleitet. Die Informationen können dann von Dritten über einen Receiver wiederum mit einer für diesen Zweck speziell angepassten Software empfangen werden. Die Weitergabe der Schlüssel an die über das Netzwerk anfragenden Nutzer ermöglicht die parallele mehrfache Nutzung der abonnierten Programmangebote. Auf der Nutzerseite werden die empfangenen Schlüssel zur Nutzung der Programme der Antragstellerin eingesetzt, ohne dass dort eine rechtmäßig aktivierte Smartcard vorliegt und ohne dass der empfangende Nutzer eine Vertragsbeziehung mit der Antragstellerin hat. Der Nutzer wird in die Lage versetzt, die verschlüsselt ausgestrahlten Programme der Antragstellerin ohne eigene Nutzungserlaubnis zu entschlüsseln, wobei der regelmäßige Wechsel innerhalb weniger Sekunden eine regelmäßige Übermittlung der neuen Schlüssel vom Server zum anfragenden Nutzer, also eine dauerhafte Datenverbindung, nötig macht.

Die AGB der Antragstellerin (Antrag ASt 1) enthalten in Ziffer 1.3.1 Satz 4 eine Bestimmung, die diese Vorgehensweise ausschließt: "Die gleichzeitige Nutzung mehrerer Digitalreceiver mit nur einer Smartcard oder die Verteilung der Verschlüsselungsinformationen der Smartcard über ein Netzwerk (z. B. (W)LAN, VPN, Internet) ist unzulässig."

Die Antragsgegnerin zu 1) vertreibt über ihre unter ... erreichbare Internetseite einen Receiver mit der Bezeichnung ... (Anlage ASt 4). In das Angebot des Receivers ist direkt auf der Internetseite ein dort abrufbares Youtube-Video mit dem Titel ... (Anlage ASt 5) eingebunden. In diesem Video wird der Betrieb des Receivers ... vorgeführt. Auf dem dort zu sehenden angeschlossenen Fernseher ist neben der eingeblendeten Internetadresse ... ein so bezeichnetes ... zu sehen. In der Folge sind nach dem Empfang einiger Free-TV-Angebote auch entschlüsselte Programmangebote der Antragstellerin auf dem Bildschirm zu erkennen. Zwischen den Zeitpunkten 2:57 Min. und 3:02 Min. wird links unten im Bild ein Fenster mit dem Hinweis "Faster Zapping on PayTV if Card is running in Slots" eingeblendet (Anlage ASt 5 a).

Bei dem so beworbenen Receiver ... handelt es sich um einen netzwerk- bzw. internetfähigen Satellitenreceiver mit Festplattenanschluss. Die Hardware verfügt über einen Chipsatz, der einen sogenannten DVB-Descrambler beinhaltet, welcher für die Entschlüsselung der nach DVB-Standard ausgestrahlten Pay-TV-Programme notwendig ist.

Der Receiver wird im Auslieferungszustand mit der Systemsoftware ... an die Verbraucher ausgeliefert. Bei der Systemsoftware ... handelt es sich um ein Linux-Betriebssystem, das unter einer Open-Source-Lizenz vertrieben wird.

Das "Enigma2"-Betriebssystem enthält eine Plug-in-Funktion. Über diese Funktion kann der Receiver Zusatzprogramme direkt über das Internet abrufen, laden und installieren. Der Receiver kann außer mit der ab Werk installierten Systemsoftware alternativ auch mit einem sogenannten ... betrieben werden. Bei diesem ... handelt es sich um eine Modifikation des "Emigma2"-Betriebssystems, ebenfalls auf Linux-Basis. Auch das ... verfügt über eine Plug-in-Funktion, deren vorinstallierte Internetadresse allerdings nicht wie ... auf die Standardsupportseite ... sondern auf die Internetseite ... verweist.

Bei der Suche nach Plug-ins greift der Receiver nach einer Installation des alternativen Betriebssystems ... dementsprechend auch auf die Webseite ... zu und ermöglicht dort über den Menüpunkt "Erweiterungen" auch das Laden eines Emulationsprogramms mit dem Namen ... Nach dem Laden des Plug-ins ... kann in dessen Konfigurationsdatei eine sogenannte "Shareline" eingetragen werden. Dabei handelt es sich um die Zugangsdaten für einen Card-Sharing-Server, d. h. dessen IP-Adresse oder DynDNS-Eintrag, die Portnummer, einen User-Namen sowie ein Passwort zur Anmeldung. Nach Eingabe entsprechender Shareline-Daten ist der Receiver nach dem oben beschriebenen Prinzip in der Lage, das vollständige Programmangebot der Antragsstellerin mit Ausnahme von Pay-Per-View-Angeboten aufgrund der über die Shareline eingespielten Entschlüsselungsinformationen zu empfangen und auf einem Bildschirm unverschlüsselt anzuzeigen.

Der für die Bearbeitung juristischer Sachverhalte aus dem Bereich Technik zuständige Mitarbeiter der Antragstellerin, der Zeuge ... erhielt erstmals am 22.09.2010 von dem Internetanbot der Antragsgegner (Anlage ASt 4) und dessen Bewerbung mit dem streitgegenständlichen Video (Anlage ASt 5) Kenntnis.

Die Antragstellerin behauptet, auf dem Video (Anlage ASt 5) sei erkennbar, dass sich im Kartenschacht des Receivers trotz des Empfangs der Programmangebote der Antragstellerin keine Smartcard befinde. Es werde daher mit dem Video demonstriert, wie mit dem Receiver das Programmangebot der Antragstellerin unter Benutzung einer "Shareline" unberechtigt empfangen werden könne. Dass ein Empfang ohne Smartcard vorgeführt werde, zeige sich auch an dem in einem Fenster auftauchenden Hinweis "Faster Zapping on PayTV if Card is running in Slots". Durch diesen Hinweis, dass die Umschaltzeiten kürzer wären, wenn der Empfang über eine Smartcard erfolgen würde, zeige sich, dass tatsächlich keine Smartcard eingesteckt sei und daher längere Umschaltzeiten durch den Abruf der Entschlüsselungsinformationen über einen Shareline-Server demonstriert würden.

Die Antragstellerin ist der Auffassung, ihr stehe ein Unterlassungsanspruch dergestalt zu, dass den Antragsgegnern einerseits das Bewerben des Receivers mit der Möglichkeit, das Zugangskontrollsystem der Antragstellerin zu umgehen, verboten werden könne. Andererseits könne sie auch verlangen, dass die Antragsgegner die Verbreitung und den Verkauf der Digitalreceiver unterließen, wenn diese nach der Installation des ... unter Eingabe einer Shareline die Umgehung des Zugangskontrollsystems der Antragstellerin ermöglichten.

Bei den streitgegenständlichen Receivern handle es sich um Vorrichtungen zur Umgehung wirksamer technischer Maßnahmen im Sinne des Urheberrechtsgesetzes. Das Card-Sharing stelle eine Umgehungshandlung da, die nicht die Zustimmung der Antragstellerin im Rahmen der von ihr abgeschlossenen Abonnementverträge finde. Die Unterlassungsansprüche gegen die Antragsgegner ergäben sich insbesondere aus künftigen zu erwartenden Rechtsverletzungen Dritter, an die die Receiver vertrieben würden. Es bestehe insoweit eine Erstbegehungsgefahr, da ernsthafte und greifbare Anhaltspunkte dafür vorlägen, dass Dritte in naher Zukunft tatsächlich Rechtsverletzungen vornehmen. Durch die Bewerbung des streitgegenständlichen Receivers mithilfe des Videos trügen die Antragsgegner willentlich und adäquat kausal dazu bei, dass ihre Abnehmer das Zugangskontrollsystem umgehen. Die Antragsgegner hafteten für diese drohenden Rechtsverletzungen, da ein vorbeugender Unterlassungsanspruch sich nicht nur gegen die möglichen Täter, also die Abnehmer der Receiver, sondern auch gegen diejenigen richte, die als potentielle Teilnehmer oder Störer eine Erstbegehungsgefahr für eine Verletzungshandlung begründeten.

Eine Störerhaftung bestehe auch für Produkte, die wie die hier streitgegenständlichen Receiver sowohl rechtmäßig, als auch zu Eingriffen in Rechter Dritte benützt werden könnten. Da es aufgrund der Werbung mithilfe des Videos bei objektiver Betrachtung nicht außerhalb jeder Wahrscheinlichkeit liege, dass die Abnehmer der Antragsgegner in rechtsverletzender Weise von den Produkten Gebrauch machten, könne es den Antragsgegnern als Störern billigerweise zugemutet werden, diese Rechtsverletzungen zu unterbinden. Die Antragsgegner stellten schließlich mit dem Video die Möglichkeit, die Rechtsverletzungen zu begehen, wissentlich heraus und führten damit die Gefahr einer rechtswidrigen Nutzung der Receiver willentlich herbei.

Das Verbot des Verkaufs und der Verbreitung der Receiver verstoße auch nicht gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, da die Antragsgegner die streitgegenständlichen Receiver durch ihre Werbung auf die Möglichkeit von Urheberrechtsverletzungen ausgerichtet und rechtswidrige Handlungen zur Zweckbestimmung dieser Receiver erhoben hätten.

Zudem hafteten die Antragsgegner auch unter wettbewerbsrechtlichen Gesichtspunkten, zumal die Antragstellerin einen zugangskontrollierten Dienst anbiete und die Parteien in einem Wettbewerbsverhältnis stünden.

Der Verfügungsgrund ergebe sich aus der Dringlichkeit sowie der Kenntniserlangung der Antragstellerin von den streitgegenständlichen Vorgängen am 22.09.2010.

Das Gericht hat am 21.10.2010 die von der Antragstellerin begehrte einstweilige Verfügung erlassen, mit der den Antragsgegnern verboten wurde, die Digitalreceiver mit der Umgehungsmöglichkeit durch das Card-Sharing zu bewerben oder bewerben zu lassen sowie die Digitalreceiver zu verbreiten und/oder zu verkaufen, wenn mit den Receivern nach der Installation eines sogenannten ... unter Eingabe einer sogenannten Shareline die Umgehung des Zugangskontrollsystems der Antragstellerin möglich ist. Gegen die ihnen am 26.10.2010 zugestellte einstweilige Verfügung wenden sich die Antragsgegner mit Widerspruch vom 26.10.2010 (Bl. 25/26), bei Gericht eingegangen am gleichen Tag.

Die Antragstellerin beantragt daher nunmehr

die Aufrechterhaltung der einstweiligen Verfügung.

Die Antragsgegner beantragen,

die einstweilige Verfügung vom 22.10.2010 aufzuheben.

Die Antragsgegner wenden ein, es sei auf dem Video (Anlage ASt 5) keineswegs erkennbar, dass der Receiver beim Empfang des Programms der Antragstellerin keine entsprechende Smartcard enthalten habe. Vielmehr müsse davon ausgegangen werden, dass im Laufe des Films eine Smartcard eingesteckt werde und jedenfalls zu dem Zeitpunkt des Empfangs von ... eine Smartcard verwendet werde.

Der von der Antragstellerin monierte Hinweis "Faster Zapping on PayTV if Card is running in Slots" könne auch durch die Verwendung externer Kartenleser zustandekommen. Bei extern an den Receiver angeschlossenen Kartenlesern dauere die Verbindung und damit die Entschlüsselung des Signals der Antragstellerin etwas länger als bei einer direkt in den Schacht des Receivers eingesteckten Smartcard, ohne dass in dieser Vorgehensweise etwas Rechtswidriges liege.

Die Antragsgegner sind der Auffassung, weder der Verkauf noch die Werbung der Antragsgegner für den Receiver verletzten die Rechte der Antragstellerin. Keine der beiden Handlungen begründe eine Rechtsverletzung, da es vielmehr um die Frage der Shareline-Daten gehe, die als absolut illegale Daten im Internet jedoch nicht ohne weiteres erhältlich seien. Es müsse berücksichtigt werden, dass sowohl die Verwendung von linuxbasierten Receivern als auch das Herunterladen und Aufspielen des ... und des ... als solche rechtlich unbedenklich seien. Es könne nicht angehen, dass sämtliche linuxbasierten Geräte untersagt würden, zumal alle die Möglichkeit böten, auf diverse Plug-ins zuzugreifen.

Ein Unterlassungsanspruch hinsichtlich Vertrieb und Verkauf der Receiver sei nicht zu begründen, da die Programme der Antragstellerin allein durch das Aufspielen von ... und das Plug-in nicht zu entschlüsseln seien. Die Antragstellerin banalisiere den entscheidenden Vorgang des Eintragens einer Shareline. Deren Daten seien nämlich im Internet nicht frei verfügbar und tauchten auch in öffentlichen Foren nicht auf, so dass sie nicht als Maßstab für eine Untersagung herangezogen werden könnten.

Über den Erwerb eines Receivers hinaus bedürfe es schließlich durch die Käufer noch dreier eigenständiger Handlungen, nämlich des Aufspielens und Auffindens der ...-Software, der Installation des ... und schließlich der höchst illegalen Beschaffung der Shareline-Daten. Aus diesen mehrfachen Schritten ergebe sich, dass die Antragsgegner nicht als Störer hafteten, da sie keine Möglichkeit hätten, entsprechende Handlungen Dritter zu unterbinden.

Die Antragsgegner böten auch keinesfalls selbst Card-Sharing an. Vielmehr bedürfe es, um an Card-Sharing-Daten zu kommen, eigenständiger Handlungen der Abnehmer, erheblicher krimineller Energie sowie technischen Fachwissens und entsprechender Kontakte.

Wettbewerbsrechtliche Ansprüche kämen nicht in Betracht, da die Parteien nicht in einem Wettbewerbsverhältnis stünden. Während die Antragstellerin Pay-TV-Abonnements vertreibe, verkauften die Antragsgegner Unterhaltungselektronik.

Zur Ergänzung des Tatbestands wird auf die zwischen den Parteivertretern gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen, das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 17.11.2010 sowie den übrigen Akteninhalt Bezug genommen.

Gründe

Die einstweilige Verfügung vom 21.10.2010 (Bl. 19/22 a d. A.) war zu bestätigen, da der Antrag zulässig ist und ein Verfügungsanspruch sowie ein Verfügungsgrund bestehen.

I.

Der Verfügungsantrag ist zulässig, insbesondere ist das Landgericht München I nach § 32 ZPO örtlich zuständig. Die streitgegenständlichen Digitalreceiver werden von der Antragsgegnerin zu 1) im gesamten Bundesgebiet ohne örtliche Einschränkungen über das Internet angeboten. Das Internetangebot der Antragsgegnerin zu 1) ist daher im hiesigen Gerichtsbezirk bestimmungsgemäß abrufbar.

II.

341. Der Antragstellerin steht gegen die Antragsgegner ein Verfügungsanspruch auf Unterlassung nach §§ 97 Abs. 1, 95 a Abs. 1, Abs. 3, 87 Abs. 1 UrhG zu. Aufgrund der Kombination des Vertriebs der streitgegenständlichen Receiver mit der Werbung durch das auf der Internetseite eingebundene Video, das die Umgehung der von der Antragstellerin ergriffenen technischen Schutzmaßnahmen zeigt, haften die Antragsgegner als Störer wegen drohender, mit den von ihnen vertriebenen Receivern von Dritten begehbaren Umgehungshandlungen auf Unterlassung. Durch die Koppelung von Werbung und Vertrieb wird konkret eine Verletzung von Rechten der Antragsgegnerin gemäß §§ 95 a Abs. 1, Abs. 3, 87 Abs. 1 UrhG ermöglicht, so dass der Antragstellerin aufgrund der entsprechenden Erstbegehungsgefahr ein vorbeugender Unterlassungsanspruch gegen die Antragsgegner zusteht.

a) Ein auf Erstbegehungsgefahr gestützter vorbeugender Unterlassungsanspruch besteht, weil ernsthafte und greifbare tatsächliche Anhaltspunkte für eine in naher Zukunft konkret drohende Rechtsverletzung vorhanden sind (vgl. BGH GRUR 2009, 841, 841 m. w. N. € Cybersky).

36In dem streitgegenständlichen Video (Anlage ASt 5) finden sich deutliche Hinweise an interessierte Anwender, dass sich die von den Antragsgegnern vertriebenen Receiver für den kostenlosen rechtswidrigen Empfang von verschlüsselten Pay-TV-Programmen der Antragstellerin eignen. Die Inaugenscheinnahme des von den Antragsgegnern in ihre Internetseite eingebundenen Videos (Anlage ASt 5) im Termin vom 17.11.2010 hat die Kammer davon überzeugt, dass es den Empfang des ...-Programms ohne tatsächlich vorhandene Smartcard im Wege des sogenannten Card-Sharings zeigt. Auf dem Video findet sich vor Minute 2:21 eine Sequenz, in der zu sehen ist, dass die Frontplatte des Receivers auf der rechten Seite auf- und zugeklappt wird, wobei die Kamera auf die entsprechende Stelle der Gerätefront zoomt. Hinter der geöffneten Front zeigt das Video eine vollständig dunkle Aussparung, in der keine zusätzlichen Module oder sonstigen Elemente sichtbar werden.

Bei der zusätzlichen Inaugenscheinnahme eines Receiverexemplars hat die Kammer dann festgestellt, dass nach einem Einlegen einer Smartcard in den hinter der aufgeklappten Front befindlichen Kartenschlitz, diese ca. 15 bis 20 mm aus der eigentlichen Halterung herausragt, wobei jedenfalls bei der im Termin verwendeten Karte eine weiße Vorderkante deutlich sichtbar blieb.

Eine Zusammenschau dieser Feststellungen hat die Kammer überzeugt, dass auf dem von den Antragsgegnern verwendeten Video tatsächlich ein leerer Kartenschacht zu sehen ist, da ansonsten aufgrund der herausstehenden Smartcard unabhängig von deren Farbe jedenfalls ein herausragendes Element innerhalb der dunklen Aussparung sichtbar gewesen wäre und zudem davon auszugehen ist, dass Kunststoffkarten € wie die streitgegenständlichen Smartcards € in der Regel nur bedruckt, nicht aber durchgefärbt sind, so dass im Video auch eine helle Vorderkante hätte sichtbar gewesen sein müssen.

Dass das streitgegenständlichen Video den Betrieb des Receiver ohne eingesteckte Karte zeigt, ergibt sich auch aus der Überlegung, dass ansonsten nicht der Hinweis erschienen wäre, wonach ein Umschaltvorgang bei Pay-TV-Kanälen weniger Zeit in Anspruch nimmt, wenn eine Smartcard eingesteckt wird. Es leuchtet der Kammer vollständig ein, dass die Übertragung der sich permanent ändernden Verschlüsselungsdaten von einem Internetserver bei einem Umschalten deutlich mehr Zeit in Anspruch nimmt als das Auslesen der Daten von einer in der Hardware befindlichen Smartcard. Insofern dürfte es nach Einschätzung der Kammer auch keinen Unterschied machen, ob die Karte in das Gerät selbst eingesteckt wird oder € wie die Antragsgegner andeuten € über einen externen Kartenleser an den Receiver angeschlossen wird. Die Kammer wertet die entsprechenden Ausflüchte der Antragsgegner hinsichtlich des externen Kartenlesers ebenso als reine Schutzbehauptung wie deren Einlassung, dass in dem Video selbst bei einem anfänglichen Fehlen einer Karte im Kartenschlitz spätestens zum Zeitpunkt des Umschaltens auf "..." davon ausgegangen werden müsse, dass eine Karte eingelegt worden sei. Dies gilt umso mehr, als in dem Video auch das Zuklappen der Frontpartie ohne vorheriges Einlegen einer Karte gezeigt wird, was vom objektiven Empfängerhorizont so verstanden wird, dass durch den Film der Receiverbetrieb ohne Smartcard demonstriert werden soll.

Dass das Video auf der Internetseite der Antragsgegner ausschließlich den Zweck hat, das Interesse von Personen an den Geräten zu wecken, die diese zum rechtswidrigen Card-Sharing verwenden wollen, zeigt auch die Überlegung, dass es den Receiver nach dem Aufspielen des VTi-Image und des CCcom-Emulators zeigt, also in einem Zustand, in dem er von den Antragsgegnern gar nicht vertrieben wird. Typischerweise dürften Internethändler, schon um einer Verärgerung des Kundenstamms vorzubeugen, darauf achten, die vom Kunden nicht an Ort und Stelle ansehbaren Geräte möglichst präzise zu beschreiben und den Auslieferungszustand wiederzugeben. Daher macht es keinen Sinn, das Gerät mit zwei vollständig verschiedenen Softwareprogrammen unter Einbeziehung eines Herkunftshinweises auf eine nicht vom Hersteller betriebene Webseite zu bewerben, zumal dies bei den Kunden falsche Vorstellungen vom Auslieferungszustand weckt. Ein Anreiz hierfür besteht nur dann, wenn die Kunden als besonderen Vorteil des Receivers erkennen sollen, dass er zum unberechtigten kostenfreien Empfang von Pay-TV-Kanälen geeignet ist.

Das Bewerben des Receivers mit dem eingebundenen Video begründet daher die greifbare Gefahr, dass die Kunden der Antragsgegner den Receiver auch tatsächlich dazu verwenden, das Programm der Antragstellerin rechtswidrig zu empfangen.

b) Der Unterlassungsanspruch richtet sich vorliegend nicht nur gegen die möglichen Abnehmer sondern auch gegen die hiesigen Antragsgegner, da diese durch die Kombination aus Werbung und Verkauf der Receiver eine Erstbegehungsgefahr für die Verletzung begründen (vgl. BGH GRUR 2009, 841, 842 ff. € Cybersky).

Mit der Werbung für die Receiver haben die Antragsgegner willentlich und adäquat kausal dazu beigetragen, dass Urheberechtsverletzungen durch die Käufer zu befürchten sind. Durch die Werbung werden die angesprochenen Verkehrskreise geradezu darauf gestoßen, dass mit den Geräten der kostenfreie Empfang bei entsprechender technischer Umrüstung und Inanspruchnahme einer Shareline möglich wird. Der rechtsverletzende Gebrauch der Receiver € die unstreitig sowohl zum rechtmäßigen Empfang des Programms der Antragstellerin als auch zu Eingriffen in deren Rechte benutzt werden können € liegt damit nicht nur nicht außerhalb jeder Wahrscheinlichkeit, sondern drängt sich bei der Bewerbung mit dem Video geradezu auf.

44c) Den Antragsgegnern ist die Unterlassungshaftung auch billigerweise zuzumuten, da sie sich nicht darauf beschränkt haben, möglichen Kunden die mehrfach nutzbaren Receiver anwendungsneutral anzubieten, sondern durch die Werbung gezielt darauf hingewiesen haben, dass damit der rechtswidrige Empfang von Pay-TV-Programmen möglich ist. Insoweit macht es nach Auffassung der Kammer auch keinen Unterschied, dass es gegenüber dem rechtmäßigen Empfang bei einer rechtswidrigen Verwendung der Receiver dreier Zwischenschritte durch die Käufer bedarf. Diese haben unstreitig zunächst die ... Software aufzuspielen, das ... Programm zu installieren und schließlich die Zugangsdaten für einen Shareline-Server manuell in das System einzugeben.

Dass es auf diese Zwischenschritte nicht ankommen kann, macht die Überlegung deutlich, dass die Antragsgegner selbst mit dem Video € dessen Herkunft sie nicht zu kennen angeben, während sie ihre Verantwortlichkeit dafür in Übereinstimmung mit der höchstrichterlichen Rechtsprechung zutreffend nicht bestreiten € dafür sorgen, dass die Internetadresse ... eingeblendet wird und ein so bezeichnetes ... zu sehen ist. Da auf der Internetseite ... unstreitig eine Downloadmöglichkeit für das Zusatzprogramm ... besteht und den Kunden auch der Begriff ... nahegebracht wird, wird dem interessierten Käufer geradezu eine Handlungsanweisung mitgeliefert, welche Software er gegenüber dem Auslieferungszustand noch installieren muss, um die Receiver rechtswidrig zu nutzen. Es kann die Antragsgegnerin auch nicht entlasten, dass zudem die manuelle Eingabe von zu beschaffenden Zugangsdaten für einen Shareline-Server zur Vervollständigung notwendig ist. Insoweit bedarf es keines großen technischen Fachwissens, um im Internet entsprechende Seiten aufzufinden. Der Kammer ist es bereits durch einfache Suchmaschinenabfragen gelungen, zu den einschlägigen Internetseiten zu gelangen. Die anderslautenden eidesstattlichen Versicherungen von Mitarbeitern der Antragsgegner (Anlage AG 9) dürften insoweit an der Grenze zur strafrechtlichen Relevanz liegen. Im Ergebnis muss davon ausgegangen werden, dass die von der Werbung angesprochenen Interessenten auch über die Angabe der Software hinaus den deutlichen Hinweis verstehen, dass nach Beschaffung der Shareline-Zugangsdaten die Nutzung der Receiver zum kostenlosen Empfang ohne weiteres möglich ist.

46d) Das Vertriebsverbot verstößt auch nicht gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Da die Antragsgegner die Gefahr, dass ihre Kunden die Receiver zur Verletzung der Rechte der Antragstellerin verwenden, durch das Video selbst vorsätzlich herbeigeführt haben, können sie sich nicht darauf berufen, es sei ihnen unmöglich oder unzumutbar, diese Gefahr zu beseitigen. Das Verbot richtet sich vorliegend nicht darauf, generell den Vertrieb der Receiver als solchen zu untersagen, sondern allein dagegen, dass die Antragsgegner die auch für einen rechtmäßigen Empfang von ... geeigneten Geräte in Kombination mit einer Werbung vertreiben, die auf die Begehung von Urheberrechtsverletzungen ausgerichtet ist.

2. Es besteht auch der Verfügungsgrund der Dringlichkeit, zumal der verantwortliche Mitarbeiter der Antragstellerin unstreitig erst am 22.09.2010 Kenntnis von dem Angebot der Receiver (Anlage ASt 4) und dem Video (Anlage ASt 5) erlangt hat und der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung am 21.10.2010, mithin innerhalb eines Monats, bei Gericht eingegangen ist.

III.

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 91 Abs. 1 ZPO.






LG München I:
Urteil v. 22.11.2010
Az: 21 O 19689/10


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