Bundesgerichtshof:
Urteil vom 22. Februar 2011
Aktenzeichen: X ZR 144/08

(BGH: Urteil v. 22.02.2011, Az.: X ZR 144/08)

Tenor

Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des 6. Zivilsenats des Oberlandesgerichts München vom 11. Dezember 2008 aufgehoben.

Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil der 7. Zivilkammer des Landgerichts München vom 2. September 1999 abgeändert und wie folgt neu gefasst:

Es wird festgestellt, dass die Beklagte der Klägerin allen Schaden zu ersetzen hat, welcher dieser dadurch entstanden ist, dass die Beklagte in der Zeit vom 18. September 1997 bis zum 29. März 2003 Vorrichtungen mit folgenden Merkmalen angeboten und/oder in den Verkehr gebracht hat:

(1) Die Vorrichtung ist zur Ausführung eines Verfahrens zum Melken von Kühen, die frei laufen und sich individuell zu einer oder mehreren zum Füttern vorgesehenen Boxen begeben können, in denen sie automatisch mit Hilfe eines an verwendete Identifikations-Fütterungsvorrichtungen angeschlossenen Computers identifiziert und gefüttert werden, geeignet, bei welchem Verfahren der Computer einerseits dazu verwendet wird, die Zeitpunkte zu erfassen, an denen jede Kuh jeweils gemolken wird, und andererseits, um im Zusammenhang mit der Identifizierung einer zu einer Futterbox zum Fressen kommenden, Identifikationsmittel tragenden Kuh - falls eine vorgegebene Zeit verstrichen ist, seitdem die jeweilige Kuh zuletzt gemolken wurde - eine Einrichtung zum automatischen Anbringen von Melkorganen am Euter der Kuh zu aktivieren und einen Melkvorgang einzuleiten, wobei die Kuh während des Melkens daran gehindert wird, die Box zu verlassen.

(2) Zur Verwendung bei den Kühen vorgesehene Identifikationsmittel wirken mit Abtastorganen zum Identifizieren einer Kuh zusammen.

(3) Die zum Füttern vorgesehene Box weist auf

(a) ein mit einem Computer verbundenes Abtastorgan,

(b) eine unter dem Einfluss des Computers steuerbare Futtervorrichtung,

(c) ein Festhalteorgan, das die Kuh daran hindert, die Box zu verlassen, und

(d) einen Roboter zum Anbringen von Melkorganen an den Zitzen des Euters der Kuh und zum Entfernen der genannten Melkorgane nach dem Melken.

(4) Der Computer besitzt

(a) Organe zur Aufzeichnung des Zeitpunktes, an dem jede Kuh zuletzt gemolken wurde,

(b) Mittel zum Vergleich einer vorgegebenen Milchmenge mit der seit dem aufgezeichneten Zeitpunkt zu (a) zeitabhängig von der Kuh zu erwartenden Milchleistung,

(c) mit diesem Vergleichsorgan verbundene Mittel zum Aktivieren der Festhalteorgane sowie des Roboters und zur anschließenden Deaktivierung derselben nach dem Melken.

Die Beklagte wird verurteilt, der Klägerin über den Umfang der vorstehend bezeichneten, in der Zeit vom 18. September 1997 bis 29. März 2003 begangenen Handlungen durch Vorlage eines Verzeichnisses Rechnung zu legen, aus dem sich ergeben:

1. die Liefermengen, Lieferzeiten, Lieferpreise und Namen und Anschriften der Abnehmer;

2. die Angebotsmengen, Angebotszeiten, Angebotspreise und die Namen und Anschriften der Angebotsempfänger;

3. die im Einzelnen aufgeschlüsselten Gestehungskosten und der erzielte Gewinn;

4. die betriebene Werbung nach Werbeträgern, Auflagenzahl, Erscheinungsdatum, Empfänger und dafür aufgewandten Kosten.

Im Übrigen wird die Sache, soweit die Klage darauf gestützt ist, dass die Beklagte das automatische Melksystem "Lely Astronaut X-Pert 4.31 VCPC-22.XX" in der Bundesrepublik Deutschland in Verkehr gebracht hat, zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen.

Tatbestand

Die Klägerin ist seit dem 18. September 1997 eingetragene Inhaberin des am 29. März 1983 unter Inanspruchnahme einer schwedischen Priorität vom 8. April 1982 angemeldeten und im Verlauf des Berufungsverfahrens durch Zeitablauf erloschenen, mit Wirkung für die Bundesrepublik Deutschland erteilten europäischen Patents 0 091 892 (Klagepatents), das ein Verfahren und eine Vorrichtung zum Melken von Kühen betrifft. Mit Urteil vom 22. Juni 2004 (X ZR 136/00, juris) hat der Senat unter Abänderung des Urteils des Bundespatentgerichts die Patentnichtigkeitsklage abgewiesen.

Patentanspruch 1 lautet in der Verfahrenssprache Englisch:

"A method of milking cows which are permitted to go loose and to find their way individually to one or more stalls constructed for feeding, in which the cows are automatically identified and fed with the aid of a computer connected to the identification and feeding means used, characterized in that the computer (5) is utilized, on one hand, to record the points of time at which every cow is milked and, on the other hand, to active - in connection with the identification of a cow arriving at a feeding stall (1) to eat, and provided that a predetermined time has passed after the cow in question was last milked - a device (8) for automatic application of milking means (6) to the udder of the cow and for starting a milking operation, while the cow is prevented from leaving the stall during milking."

In der deutschen Übersetzung der Patentschrift lautet Patentanspruch 1:

"Verfahren beim Melken von Kühen, die frei laufen und sich individuell zu einer oder mehreren zum Füttern vorgesehenen Boxen begeben können, in denen sie automatisch mit Hilfe eines an verwendete Identifikations-Fütterungsvorrichtungen angeschlossenen Computers identifiziert und gefüttert werden, dadurch gekennzeichnet, dass der Computer (5) einerseits dazu verwendet wird, die Zeitpunkte zu erfassen, an denen jede Kuh jeweils gemolken wird und andererseits, um im Zusammenhang mit der Identifizierung einer zu einer Futterbox (1) zum Essen kommenden Kuh - falls eine vorgegebene Zeit verstrichen ist, seitdem die jeweilige Kuh zuletzt gemolken wurde - eine Vorrichtung zum automatischen Anbringen von Melkorganen (6) am Euter der Kuh zu aktivieren und einen Melkvorgang einzuleiten, wobei die Kuh während des Melkens daran gehindert wird, die Box zu verlassen."

Der auf eine Vorrichtung zur Ausführung des Verfahrens nach Patentanspruch 1 gerichtete Patentanspruch 5 hat folgenden Wortlaut:

"Apparatus for carrying out the method claimed in claim 1, for use when the cows carry identification means adapted to cooperate with sensing means (3) connected to a computer (5), characterized in that at least one stall (1) is provided with a means for identification of a cow, feeding means (9) which is controllable under the influence of the computer (5), retaining means (4, 4', 4") for preventing the cow from leaving the stall and a robot (8) for application of milking means (6) to the teats of the cow and for removing said means after milking, said computer (5) including means for recording the point of time at which every identified cow was previously milked, means for comparing the time elapsed from such recorded time to a predetermined span of time, means connected to such comparing means for activating the retaining means (4, 4', 4") and the robot (8) and subsequently deactivating same after milking."

In der deutschen Übersetzung der Patentschrift lautet Patentanspruch 5:

"Vorrichtung zur Ausführung des Verfahrens nach Anspruch 1, zur Verwendung bei Kühen, die Identifikationsorgane tragen, die mit einem Abtastorgan (3) zusammenwirken könne, dadurch gekennzeichnet, dass wenigstens eine Box (1) mit einem Organ zum Identifizieren einer Kuh, einer unter Einfluss des Computers (5) steuerbaren Futtervorrichtung (9), einem Festhalteorgan (4, 4', 4"), das die Kuh daran hindert, die Box zu verlassen, sowie mit einem Roboter (8) zum Anbringen von Melkorganen (6) an den Zitzen des Euters der Kuh und zum Entfernen der genannten Melkorgane nach dem Melken versehen ist, wobei Computer (5) Organe zur Übertragung des Zeitpunktes, an dem jede identifizierte Kuh zuletzt gemolken wurde, Mittel zum Vergleich der seit dem übertragenen Zeitpunkt verstrichenen Zeit mit einer vorgegebenen Zeitspanne, sowie mit diesem Vergleichsorgan verbundene Mittel zum Aktivieren der Festhalteorgane (4, 4', 4"), sowie des Roboters (8) und zur anschließenden Deaktivierung derselben nach dem Melken aufweist."

Die Klägerin hat ihre Verletzungsklage zunächst darauf gestützt, dass die Beklagte in der Bundesrepublik Deutschland das automatische Melksystem "Lely Astronaut" (angegriffene Ausführungsform I) in den Verkehr gebracht hat, dessen Funktionsweise aus der hierzu vorgelegten Betriebsanleitung (Anlage K10) ersichtlich ist.

Das Landgericht hat die auf Unterlassung, Auskunft und Rechnungslegung sowie auf Feststellung der Schadensersatzpflicht gerichtete Klage abgewiesen.

Im Berufungsverfahren hat die Klägerin die Klageansprüche auf Schadensersatz sowie Auskunft und Rechnungslegung auf ein weiteres automatisches Melksystem erweitert, das die Beklagte unter der Bezeichnung "Lely Astronaut X-Pert 4.31 VCPC-22.XX" ebenfalls in der Bundesrepublik Deutschland in Verkehr gebracht habe (angegriffene Ausführungsform II). Das wegen der angegriffenen Ausführungsform I geltend gemachte Unterlassungsbegehren haben die Parteien nach Ablauf des Klagepatents übereinstimmend für in der Hauptsache erledigt erklärt.

Das Berufungsgericht hat die Berufung zurückgewiesen.

Mit der vom Senat zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin die zweitinstanzlich zuletzt gestellten Klageanträge weiter. Mit Schriftsatz vom 22. Februar 2011 hat sie die Revision zurückgenommen wegen der Rechnungslegungs- und Schadensersatzansprüche für die Zeit vor dem 18. September 1997. Die Beklagte tritt dem Rechtsmittel entgegen.

Gründe

Die zulässige Revision hat in der Sache Erfolg. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils sowie nach der teilweisen Rücknahme der Revision zur antragsgemäßen Verurteilung der Beklagten, soweit die Klageansprüche auf die angegriffenen Ausführungsform I gestützt werden. Im Übrigen führt die Revision zur Zurückverweisung an das Berufungsgericht, dem auch die Entscheidung über die Kosten der Revision zu übertragen ist.

I. Das Klagepatent betrifft ein Verfahren beim Melken von freilaufend, z.B. in Laufställen, gehaltenen Kühen. In derartigen Ställen können die Kühe einzeln ihren Weg zu einem Futterstand oder mehreren Futterständen finden. Dort werden sie mit Hilfe eines Rechners identifiziert und gefüttert. Die Streitpatentschrift weist auf ein Beispiel für eine solche selbsttätig arbeitende mechanisierte Anlage zum Füttern von Kühen hin (Klagepatentschrift Sp. 1 Z. 10-12).

Die Klagepatentschrift beschreibt sodann die Schwierigkeiten, die das Melken von Kühen auch bei modernen Melkanlagen mit sich bringe. Sie schildert, dass versucht worden sei, die anfallende Handarbeit teilweise zu automatisieren, beispielsweise das Anlegen der Zitzenbecher an die Zitzen des Euters der Kuh. Die bekannten Anlagen und Systeme umfassten auch Einrichtungen zum Festhalten der Kuh in einem Stand, zum anschließenden Freilassen sowie zum Waschen des Euters, zum Ansetzen und Abnehmen der Zitzenbecher und zur Massage des Euters zwecks Erleichterung des Melkens. Weiter hebt die Klagepatentschrift hervor, dass üblicherweise jede Kuh zweimal täglich gemolken werde, obwohl die Forschung gezeigt habe, dass sich ohne Schäden für die Kuh die Milchproduktion um 15 bis 25 % steigern lasse, wenn die Kuh drei- oder sogar viermal täglich gemolken werde. Bisher habe es jedoch der höhere Arbeitsaufwand durch zusätzliches Melken unmöglich gemacht, diese Forschungsergebnisse zu nutzen, da die zusätzlichen Einnahmen aus den höheren Milchaufkommen die zusätzlichen Arbeitskosten nicht ausgeglichen hätten (Sp. 1 Z. 39-50).

Das Klagepatent will zugleich das Problem lösen, die Milchproduktion positiv zu beeinflussen und einen hohen Automatisierungsgrad des Melkens zu erreichen.

Zur Lösung schlägt das Klagepatent ein Melkverfahren mit folgenden (im Wesentlichen der sowohl im Nichtigkeitsverfahren als auch vom Berufungsgericht verwendeten Gliederung entsprechenden) Merkmalen vor:

(a) Die Kühe laufen frei und können sich individuell zu einer oder mehreren zum Füttern vorgesehenen Boxen begeben.

(b) Die Kühe werden in den Boxen automatisch mit Hilfe eines Computers identifiziert und gefüttert, der

(b1) an Identifikations- und Fütterungsmittel angeschlossen ist und

(b1.1) die Zeitpunkte erfasst, zu denen jede Kuh jeweils gemolken wird.

(b1.2) Der Computer aktiviert eine Einrichtung zum automatischen Anbringen von Melkorganen am Euter der Kuh zur Einleitung eines Melkvorgangs

(b1.2a) im Zusammenhang mit der Identifizierung einer zum Fressen zur Futterbox kommenden Kuh und

(b1.2b) falls eine vorbestimmte Zeit verstrichen ist, seitdem die jeweilige Kuh zuletzt gemolken wurde.

(b1.3) Die Kuh wird (computergesteuert) während des Melkens daran gehindert, die Box zu verlassen.

Das Klagepatent schützt ferner durch Patentanspruch 5 eine Vorrichtung mit folgenden Merkmalen:

(1) Die Vorrichtung

(1a) ist zur Ausführung des Verfahrens nach Patentanspruch 1 geeignet und

(1b) dient zum Einsatz bei Kühen, die Identifikationsmittel tragen, die mit Abtastmitteln zusammenwirken können.

(1c) Die Abtastmittel sind mit einem Computer verbunden;

(2) Mindestens eine Box ist versehen mit

(2a) Mitteln zum Identifizieren einer Kuh,

(2b) unter Einfluss des Computers steuerbaren Fütterungsmitteln,

(2c) Festhaltemitteln, die die Kuh daran hindern, die Box zu verlassen, sowie

(2d) einem Roboter zum Anbringen von Melkorganen an den Zitzen des Euters der Kuh und zum Entfernen der Melkorgane nach dem Melken.

(3) Der Computer der Vorrichtung weist auf

(3a) Mittel zur Aufzeichnung des Zeitpunkts, an dem jede identifizierte Kuh zuletzt gemolken wurde,

(3b) Mittel zum Vergleich der nach dem aufgezeichneten Zeitpunkt verstrichenen Zeit mit einer vorbestimmten Zeitspanne,

(3c) mit diesen Vergleichsmitteln verbundene Mittel zum Aktivieren der Festhaltemittel sowie des Roboters und zur anschließenden Deaktivierung derselben nach dem Melken.

Damit beschreibt Patentanspruch 1 des Klagepatents wie Patentanspruch 5 ein Gesamtsystem für die Fütterung und das Melken von Kühen. Genutzt werden dabei die von der Klagepatentschrift als bekannt bezeichneten Verfahren zum selbständigen Füttern von Kühen, bei denen die Kuh, wenn sie eine Fütterungsbox erreicht hat, etwa mittels eines Responders oder Transponders, d.h. eines an einem Halsband angeordneten Senders, der ein codierbares Signal abgibt, durch einen Rechner identifiziert wird und nach vorgegebenem Bedarf eine individuell bestimmte Futtermenge erhält. Dieser Rechner wird bei dem Verfahren nach Patentanspruch 1 des Klagepatents und der Vorrichtung nach Patentanspruch 5 zugleich dazu verwendet, die Zeitpunkte aufzuzeichnen, zu denen die Kuh gemolken wird, und, wenn eine vorbestimmte Zeitspanne seit dem letzten Melken vergangen ist, eine Einrichtung zu aktivieren, die das Melkgerät selbsttätig an das Euter der Kuh ansetzt und einen Melkvorgang einleitet, wobei die Kuh in der Fütterungsbox festgehalten wird, solange der Melkvorgang andauert.

II. Die Parteien streiten im Verletzungsverfahren nur darüber, ob die von der Beklagten vertriebenen Melkeinrichtungen das erneute Melken einer Kuh erst dann zulassen, wenn gemäß Merkmal b1.2b des Patentanspruchs 1 eine vorbestimmte Zeit verstrichen ist, seitdem die jeweilige Kuh zuletzt gemolken worden ist.

Das Berufungsgericht hat dies verneint und seine Entscheidung wie folgt begründet: Der Begriff der vorbestimmten Zeit (predetermined time) erfordere die Eingabe fester Zeitspannen zwischen den einzelnen Melkvorgängen. Der Durchschnittsfachmann könne auch der Beschreibung keine Anhaltspunkte dafür entnehmen, dass es sich um eine flexible Zeitspanne handeln könne, die beispielsweise durch das Verhalten der einzelnen Kuh oder der Herde aufgrund bestimmter Parameter beeinflusst werden könne. Vielmehr spreche auch die Beschreibung (Sp. 4 Z. 17 ff.) dafür, dass ein fest eingespeicherter Wert erreicht sein müsse, um die Kuh zum Melken zuzulassen. Nichts deute darauf hin, dass es sich um einen jeweils neu errechneten Wert handeln könne. Zum Prioritätszeitpunkt habe es auch nur Fütterungsstationen gegeben, deren Futterzuteilung auf vorbestimmten, nicht variablen Standards beruht habe. Deshalb habe es nicht zu den Kenntnissen und Erfahrungen des Durchschnittsfachmanns gehört, ein System mit variablen Standards vorzusehen.

Die erste angegriffene Ausführungsform mache danach weder von Patentanspruch 1 noch von dem Vorrichtungsanspruch 5 Gebrauch. Der Verwender gebe nämlich keine feste Zeitspanne ein, sondern eine vorgegebene Milchmenge. Wenn die erwartete Milchleistung der Kuh über der vorgegebenen Milchmenge liege, werde die Kuh zum Melken freigegeben. Zwar nehme die produzierte Milchmenge der Kuh zeitabhängig zu; sie sei jedoch unstreitig von verschiedenen Faktoren abhängig wie genetische Veranlagung, Alter, Nährstoffzufuhr, Gesundheitszustand, Umweltsituation und Melktechnik. Da diese Faktoren sich von Tag zu Tag ändern könnten, fließe die dadurch jeweils veränderte Milchleistung in den gleitenden Durchschnitt ein. Dies habe zur Folge, dass die Kuh nicht frühestens nach einer vom Verwender festgelegten Zeitspanne zur Melkung zugelassen werde, sondern nach einer jeweils neu, nämlich nach der vorangegangenen Melkung errechneten, sich potentiell ändernden Zeitspanne.

Eine Verletzung des Klagepatents mit äquivalenten Mitteln sei ebenfalls zu verneinen. Zwar sei die Gleichwirkung der Mittel zu bejahen. Der Fachmann habe jedoch die abgewandelten Mittel nicht aufgrund seiner Fachkenntnisse im Prioritätszeitpunkt als gleichwirkend auffinden können. Dem Fachmann, einem Diplomingenieur oder Agrarwissenschaftler mit vertieften Kenntnissen der Automatisierungstechnik, seien nur solche automatischen Fütterungsvorrichtungen bekannt gewesen, bei denen nach vorbestimmten Standards eine eingestellte Futtermenge verabreicht worden sei. Zu seinen Kenntnissen habe kein System mit variablen Standards gehört, bei dem die Zeitspanne, nach der eine Kuh zur Fütterung zugelassen werde, oder die zugeteilte Menge an Futter auf der Grundlage weiterer Faktoren variabel gestaltet worden sei. Auch fehle es an einer Gleichwertigkeit. Der Fachmann finde in der Patentschrift keine Anregung, eine aufwändigere Lösung vorzusehen, die statt der einfachen Eingabe einer bestimmten Zeitspanne eine Datenerhebung und -auswertung über die in der Vergangenheit erzielte Milchmenge erfordere.

Aus denselben Gründen sei auch die zweite angegriffene Ausführungsform nicht patentverletzend. Es könne daher dahinstehen, ob diese Variante überhaupt im Inland während der Laufzeit des Patents vertrieben worden sei und ob ein Schadensersatzanspruch verjährt oder verwirkt wäre.

III. Diese Ausführungen halten revisionsrechtlicher Nachprüfung nicht stand. Die Verneinung der Verletzungsfrage beruht auf einer rechtsfehlerhaften Auslegung des Patentanspruchs.

1. Patentanspruch 1 schreibt in Merkmal b1.2b nicht vor, dass in den Computer eine feste Zeitspanne eingegeben wird, nach deren Ablauf der Computer gemäß Merkmal b1.2 die Melkeinrichtung aktiviert.

Bei dem Verfahren nach Patentanspruch 1 wird der Computer, wie der Senat bereits im Nichtigkeitsurteil ausgeführt hat, dazu verwendet, die Zeitpunkte aufzuzeichnen, zu denen die Kuh gemolken wird (Merkmal b1.1), und, wenn eine "vorbestimmte" (predetermined) Zeitspanne seit dem letzten Melken vergangen ist, eine Vorrichtung zu aktivieren, die das Melkgerät ansetzt und den Melkvorgang einleitet sowie die Kuh in der Fütterungsbox festhält, solange der Melkvorgang andauert (Merkmale b1.2 und b1.3). Insoweit kommt es für das erfindungsgemäße Verfahren (allein) darauf an, ob in dem Zeitpunkt, zu dem der Computer "entscheidet", ob er die Melkvorrichtung aktiviert oder nicht, eine Zeitspanne seit dem erfassten letzten Melkvorgang verstrichen ist, deren Dauer (unmittelbar oder mittelbar durch Festlegung der für ihre Ermittlung maßgeblichen Kriterien) vorbestimmt ist. Darüber, wie diese Zeitspanne ermittelt wird, sagt der Patentanspruch nichts aus. Es geht bei dem erfindungsgemäßen Verfahren danach um die Verwendung einer Zeitspanne als Voraussetzung für die Einleitung eines Melkvorgangs, nicht darum, wie diese gemessen oder sonst ermittelt oder bestimmt wird.

Durch die Einhaltung einer Zeitspanne, der "vorbestimmten Zeit", soll ein zeitlicher Mindestabstand zwischen den einzelnen Melkvorgängen erreicht werden. Es soll gewährleistet werden, dass ein Melkvorgang erst eingeleitet wird, wenn eine Mindestmilchmenge vorhanden ist. Zu diesem Zweck ist die Zeit vorbestimmt; die "Vorbestimmung" der Zeit dient dazu, dass das Melken erst bei Erreichen einer Mindestmilchmenge eingeleitet wird. Die Patentschrift gibt dazu an, dass die Milchproduktion sich durch drei- oder viermaliges Melken ohne Schäden für die Kuh um 15 bis 25 % steigern lasse (Sp. 1 Z. 42-44). Es soll demnach durch die Einhaltung des zeitlichen Mindestabstands vermieden werden, dass das Euter und die Zitzen der Kuh durch zu häufiges Melken geschädigt werden, zugleich soll aber eine Steigerung der Milchproduktion erzielt werden, indem die Kuh gemolken wird, wenn eine Mindestmilchmenge vorhanden ist. Wie dieser zeitliche Mindestabstand zwischen zwei Melkvorgängen erreicht wird, ob durch die Eingabe einer festen Zeitspanne in den Melkcomputer oder durch Vorgabe einer Zeitspanne, die sich nach bestimmten Umständen, z.B. der Milchleistung, der Dauer der Laktationsperiode, der Jahreszeit der Futteraufnahme usw. richtet, gibt Patentanspruch 1 ebenso wenig an wie die Quelle, aus der die Zeitspanne herzuleiten ist (Erfahrungswerte, Tabellenwerte, Daten, die vom Melkcomputer ermittelt werden). Schließlich gibt das Klagepatent nicht an, ob diese Zeitspanne in den Computer eingegeben wird oder ob dieser sie selbst errechnet.

Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus der vom Berufungsgericht in Bezug genommenen Stelle der Beschreibung (Sp. 4 Z. 18-27). Dort heißt es:

"If the memory of the computer indicates that a predetermined time has passed after the cow in question was milked, then the operating means for the retaining means 4 are activated so that the cow will be retained and brought to take a fixed position in the stall 1. After this the robot 8 is activated to move and direct the milking means 6 carried by the unit 7 towards the cows teats to which the robot applies these means whereupon milking is started."

Womit die seit dem letzten Melken verflossene Zeitspanne verglichen wird, was also die "predetermined time" ist, ergibt sich hieraus nicht. Dass der Computer diese Zeitspanne "kennen" muss, um sie mit der Zeit seit dem letzten Melken vergleichen zu können, liegt auf der Hand, ob sie eingegeben wird oder ob er diese errechnet und gegebenenfalls anhand welcher Kriterien und von wem, lässt sich hieraus nicht herleiten.

Demnach ist der Gegenstand des Patentanspruchs 1 nicht auf ein Melkverfahren beschränkt, bei dem der zeitliche Mindestabstand eine "fest eingestellte Zeitspanne" ist. Umfasst werden vielmehr auch Ausgestaltungen, bei denen der Mindestabstand zwischen zwei Melkvorgängen vom Rechner nach vorgegebenen, wirtschaftlich und physiologisch sinnvollen Kriterien angepasst werden kann.

Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts lässt sich etwas anderes auch nicht daraus ableiten, dass das Klagepatent an die Ausgestaltung vorhandener Futterstationen anknüpft und insoweit nur geringfügige Modifikationen vorhandener Rechner für nötig hält. Daraus kann nicht gefolgert werden, "der Durchschnittsfachmann" werde "deren Standard zugrunde legen". Maßgeblich ist nicht, welche Vorstellungen der Fachmann von der Funktionalität von Rechnern hat, die für eine erfindungsgemäße Verwendung in Betracht kommen. Entscheidend ist vielmehr, welche Anforderungen der Patentanspruch aus fachmännischer Sicht vor dem Hintergrund der in der Beschreibung gegebenen Erläuterung an die Vorbestimmung der Zeitspanne stellt, die seit dem letzten Melken der Kuh verstrichen ist. Insoweit sind jedoch die vom Berufungsgericht postulierten Einschränkungen nicht zu begründen. Dies gilt selbst dann, wenn dem Fachmann zum Prioritätszeitpunkt Verfahren mit variabler Zeitvorgabe nicht bekannt gewesen sein sollten. Denn dies allein kann es nicht rechtfertigen, das insoweit funktional formulierte Merkmal der Vorbestimmung der Zeit auf Ausführungsformen zu beschränken, die dem Fachmann zum Prioritätszeitpunkt zur Verfügung gestanden haben. Entgegen der Auffassung der Revisionserwiderung ist es deshalb auch unerheblich, ob das Streitpatent Ausführungsformen offenbart, bei denen der Computer die "vorbestimmte Zeit" im Sinne des Merkmals b1.2b errechnet.

2. Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts wird der Melkvorgang bei der angegriffenen Ausführungsform I durch den Melkcomputer aufgrund eines Vergleichs der erwarteten Milchmenge (der "voraussichtlichen Milchleistung") mit der vorgegebenen Mindestmilchmenge, die vom Benutzer auch von Hand eingegeben werden kann, eingeleitet. Der Melkvorgang wird eingeleitet, wenn die erwartete Milchmenge der Kuh mindestens der vorgegebenen Menge entspricht. Dazu wird der Zeitpunkt des letzten Melkens der Kuh gespeichert. In die Melkanlage können Minimal- und Maximalwerte für Abstände zwischen zwei Melkvorgängen eingegeben werden. Die erwartete Milchmenge wird auf der Grundlage eines gleitenden Durchschnitts und der verstrichenen Zeit berechnet. Der gleitende Durchschnitt wird an den ersten 30 Tagen der Laktation über sieben Tage berechnet; nach diesen 30 Tagen wird der gleitende Durchschnitt der Kuh über 14 Tage ermittelt.

Verglichen werden demnach die vom Benutzer vorgegebene Mindestmilchmenge und die vom Computer errechnete Milchmenge, die in dem Zeitpunkt erwartet werden kann, in dem die Kuh den Melkstand betritt. Beide verglichenen Größen sind - notwendigerweise - zeitabhängig. Die voraussichtliche Milchleistung der Kuh, die sich im Melkstand befindet, wird unter Berücksichtigung der Zeit ermittelt, die seit dem letzten Melken vergangen ist. Dies macht die Betriebsanleitung nach den Feststellungen des Berufungsgerichts deutlich. Dort heißt es auf Seite 5-3: "Das ist die voraussichtliche Milchleistung der Kuh. Sie wird auf der Grundlage eines gleitenden Durchschnitts und der verstrichenen Zeit berechnet. Der gleitende Durchschnitt wird an den ersten 30 Tagen der Laktation über sieben Tage berechnet. Nach diesen 30 Tagen wird der gleitende Durchschnitt der Kuh über 14 Tage ermittelt." Demnach wird die voraussichtliche Milchleistung nach der durchschnittlichen Milchleistung der Kuh in den letzten sieben oder 14 Tagen errechnet. Diese ist die Basis für die Ermittlung der erwarteten Milchmenge der einzelnen Kuh. Die erwartete Milchmenge ist demnach eine Größe, die aus der Durchschnittsmilchleistung der Kuh pro Zeiteinheit errechnet wird. Die Mindestmilchmenge ist ebenso eine zeitabhängige Größe, da die Produktion der entsprechenden Menge Milch notwendigerweise eine bestimmte Mindestzeit benötigt.

Damit enthält die Mindestmilchmenge (mittelbar) die Vorgabe einer vorbestimmten Zeit, die seit dem letzten Melken mindestens vergangen sein muss, bevor ein Melkvorgang ausgelöst werden soll. Die in dieser Weise (generell) vorbestimmte Zeitspanne wird dadurch verfeinert, dass sie mit der von der einzelnen Kuh zu erwartenden Milchmenge verglichen wird, so dass die Melkeinrichtung nur dann aktiviert wird, wenn von der Kuh diejenige Milchleistung erwartet werden kann, die bei der Bestimmung der Mindestmilchmenge zugrunde gelegt worden ist. Bei der angegriffenen Ausführungsform I wird mithin die Melkeinrichtung aktiviert, wenn eine durch das Ergebnis des Vergleichs zwischen Mindestmilchmenge und zu erwartender Milchmenge definierte vorbestimmte Zeit verstrichen ist. Ob diese Voraussetzung vorliegt, wird nach der verstrichenen Zeit ermittelt. Ist seit dem letzten Melken eine Zeitspanne verstrichen, in der die Kuh mutmaßlich eine über der eingegebenen Mindestmenge liegende Milchmenge erzeugt hat, so wird sie gemolken. Etwas anderes als die verstrichene Zeit kann auch gar nicht zugrunde gelegt werden, da der Computer nicht "weiß", welche Milchmenge die Kuh tatsächlich erzeugt hat.

3. Soweit das Berufungsgericht auch hinsichtlich der zweiten angegriffenen Ausführungsform die Klage abgewiesen hat, ist es ebenfalls von einer unzutreffenden Auslegung des Merkmals b1.2b ausgegangen. Die Verletzung des Klagepatents hat das Berufungsgericht deshalb verneint, weil die Zulassung der einzelnen Kuh zum Melken unter anderem von der Anzahl der Melkvorgänge in der Herde abhänge, die seit dem letzten Melken der Kuh erfolgt seien. Da auf das Verhalten anderer Kühe abgestellt werde, sei nicht absehbar, nach Ablauf welcher Zeitspanne die einzelne Kuh wieder "zum Zuge komme"; denn die anderen Kühe könnten alsbald wieder zum Melken erscheinen oder aber einzelne Kühe sich über längere Zeit nicht zum Melken vorstellen, so dass die erforderliche Zahl über einen längeren Zeitraum nicht erreicht werde. Dies stelle keine vorbestimmte Zeitspanne im Sinne des Klagepatents dar.

Auch dies trifft nicht zu. Auch bei der angegriffenen Ausführungsform II wird die Melkeinrichtung nur dann aktiviert, wenn eine im Sinne des Merkmals b1.2b vorbestimmte Zeit seit dem letzten Melken verstrichen ist. Die angegriffene Ausführungsform, bei der das europäische Patent 0 714 232 verwendet worden ist, zieht zur Ermittlung der vorbestimmten Zeit nach seinem Patentanspruch 1 die Anzahl von Tieren, die nach dem letzten Melken des betreffenden Tiers gemolken worden sind, heran. Damit wird der zeitliche Mindestabstand zwischen zwei Melkvorgängen festgelegt durch die Zeitspanne, die das Melken einer Kuh im Melkstand vom Betreten des Melkstandes bis zum Entlassen der Kuh aus dem Melkstand (mindestens oder üblicherweise) dauert. Dieser Wert wird multipliziert mit der Anzahl der Kühe, die in diesem Melkstand seit dem letzten Melken gemolken worden sind. Legt man dies zugrunde, so handelt es sich auch hier um die Ermittlung eines zeitlichen Abstandes. Daher trifft die Annahme des Berufungsgerichts, dies stelle keine vorbestimmte Zeitspanne im Sinne des Klagepatents dar, nicht zu.

IV. Das Berufungsurteil ist hiernach insgesamt aufzuheben.

1. Der Senat kann hinsichtlich der ersten angegriffenen Ausführungsform abschließend in der Sache entscheiden. Aus den Feststellungen des Berufungsgerichts und dem ergänzend in Bezug genommenen Tatbestand des erstinstanzlichen Urteils ergibt sich, dass - was zwischen den Parteien auch nicht streitig ist - von der angegriffenen Ausführungsform I auch alle übrigen Merkmale des Patentanspruchs 5 verwirklicht werden. Zu den Festhaltemitteln und ihrer Aktivierung und Deaktivierung (Merkmale 2c und 3c) finden sich keine ausdrücklichen Feststellungen im angegriffenen Urteil. Jedoch ergibt sich aus der dort in Bezug genommenen Betriebsanleitung (Anlage K10 S. F3, F6), dass die angegriffene Ausführungsform auch diese Merkmale wortsinngemäß verwirklicht.

Da die Beklagte bei Beachtung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt die Verletzung des Klagepatents hätte erkennen können, ist sie der Klägerin nach § 139 Abs. 2 PatG zum Schadensersatz verpflichtet.

Nach § 242 BGB schuldet die Beklagte der Klägerin ferner Auskunft über den Umfang der patentverletzenden Handlungen und ist verpflichtet, über diese Rechnung zu legen, damit die Klägerin sich für eine Methode der Schadenskompensation entscheiden und ihren Schadensersatzanspruch beziffern kann.

Nachdem die Revision wegen der Rechnungslegungs- und Schadensersatzansprüche für die Zeit vor dem 18. September 1997 zurückgenommen worden ist, ist die Klage insoweit in vollem Umfang begründet; denn ab diesem Zeitpunkt war die Klägerin Patentinhaberin.

2. Hinsichtlich der auf die angegriffene Ausführungsform II gestützten Ansprüche kann der Senat hingegen nicht selbst entscheiden, weil das Berufungsgericht die streitigen Fragen offen gelassen hat, ob die zweite angegriffene Ausführungsform vor dem Zeitablauf des Klagepatents in der Bundesrepublik Deutschland in Verkehr gebracht worden ist und wann die Klägerin dies in Erfahrung gebracht hat, sowie die damit verbundenen Fragen, ob Rechnungslegungs- und Schadensersatzansprüche verjährt oder verwirkt sind. Diese Fragen wird das Berufungsgericht nunmehr zu klären haben.

Meier-Beck Mühlens Richter am Bundesgerichts- hof Gröning kann wegen Ur-

laubs nicht unterschreiben.

Meier-Beck Grabinski Hoffmann Vorinstanzen:

LG München I, Entscheidung vom 02.09.1999 - 7 O 16379/98 -

OLG München, Entscheidung vom 11.12.2008 - 6 U 5365/99 -






BGH:
Urteil v. 22.02.2011
Az: X ZR 144/08


Link zum Urteil:
https://www.admody.com/urteilsdatenbank/4a4a4a3d18b3/BGH_Urteil_vom_22-Februar-2011_Az_X-ZR-144-08




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