Bundespatentgericht:
Beschluss vom 24. April 2008
Aktenzeichen: 23 W (pat) 334/05
(BPatG: Beschluss v. 24.04.2008, Az.: 23 W (pat) 334/05)
Tenor
1. Der Einspruch wird als unzulässig verworfen.
2. Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.
Gründe
I.
Die Prüfungsstelle für Klasse H01L des Deutschen Patent- und Markenamts hat auf die am 18. Dezember 2001 eingereichte Patentanmeldung, für die die Priorität der japanischen Anmeldung JP 2001-184 943 vom 19. Juni 2001 in Anspruch genommen wird, ein Patent (Streitpatent) mit der Bezeichnung "Leistungshalbleiterbauelement für beispielsweise Halbbrückenschaltungen" erteilt. Die Patenterteilung ist am 17. Februar 2005 veröffentlicht worden.
Die Einsprechende hat mit Schriftsatz vom 13. Mai 2005, beim Patentamt eingegangen am 17. Mai 2005, Einspruch erhoben und beantragt, das Patent gemäß § 21 PatG zu widerrufen, insbesondere weil sein Gegenstand gemäß § 4 PatG nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhe. Dabei hat sie zum Stand der Technik auf die Druckschriften D1 DE 100 23 950 A1, D2 EP 0 431 586 A2, D3 KOA Corporation, 99' General Katalog, Seite 70, Produktbeschreibung zum Typ "LR", D3a KOA Corporation, derzeit im Internet verfügbare Produktbeschreibung zum Typ "LR", D4 DE 41 35 183 A1, D5 DE 691 23 234 T2, D6 US 5 825 641 A verwiesen und in ihrem Einspruchsschriftsatz geltend gemacht, das Leistungshalbleiterbauelement nach dem erteilten Anspruch 1 ergebe sich für den Fachmann in naheliegender Weise aus den Druckschriften D1 und D3.
Nach Ablauf der Einspruchsfrist hat die Einsprechende mit Schriftsatz vom 24. Mai 2007 noch auf die Druckschriften D7 EP 1 043 591 A2 und D8 EP 0 706 221 A2 hingewiesen und dargelegt, der Stand der Technik gemäß der D7 nehme den Gegenstand des geltenden Anspruchs 1 neuheitsschädlich vorweg. Zudem ergebe dieser sich aber auch in naheliegender Weise aus einer Zusammenschau der Druckschrift D8 mit jeder der Druckschriften D2, D5 und D6.
In der mündlichen Verhandlung vom 24. April 2008 ist mit den beiden Parteien die Zulässigkeit des Einspruchs erörtert worden.
Die Einsprechende beantragt, das Patent zu widerrufen.
Die Patentinhaberin stellt den Antrag, den Einspruch als unzulässig zu verwerfen.
Der erteilte Anspruch 1 lautet:
"Leistungshalbleiterbauelement, das folgendes aufweist:
- ein Leistungsschaltelement (11) mit zwei Hauptelektroden und einer Steuerelektrode,
- eine Metallelektrode (17), die mit einer der Hauptelektroden des Leistungsschaltelements (11) verbunden ist; und - eine Schutzschaltung (15) zur Steuerung des Betriebes des Leistungsschaltelements (11), derart, dass ein zwischen den Hauptelektroden des Leistungsschaltelements (11) fließender Hauptstrom detektiert und der Hauptstrom begrenzt wird, wenn bestimmt worden ist, dass der detektierte Hauptstrom ein Überstrom ist;
dadurch gekennzeichnet, dass die Metallelektrode (17) U-förmig ausgebildet ist und dass die Schutzschaltung (15) den durch das Leistungsschaltelement (11) fließenden Hauptstrom durch Detektieren einer Spannung zwischen den beiden Endes des U-förmigen Bereiches (17a) der Metallelektrode (17) detektiert."
Hinsichtlich der erteilten Unteransprüche 2 und 3 wird auf das Streitpatent und hinsichtlich weiterer Einzelheiten auf den Akteninhalt verwiesen.
II.
1. Die Zuständigkeit des Bundespatentgerichts für die Entscheidung über den Einspruch ergibt sich aus § 147 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 PatG in der bis einschließlich 30. Juni 2006 maßgeblichen Fassung. Danach ist nicht das Patentamt, sondern das Patentgericht zuständig, wenn - wie im vorliegenden Fall - die Einspruchsfrist nach dem 1. Januar 2002 zu laufen begonnen hat und der Einspruch vor dem 1. Juli 2006 eingelegt worden ist. Diese befristete Regelung ist zum 1. Juli 2006 ohne weitere Verlängerung ausgelaufen, so dass ab 1. Juli 2006 die Zuständigkeit für die Entscheidung in den Einspruchsverfahren wieder auf das Patentamt zurückverlagert wurde. Das Bundespatentgericht bleibt gleichwohl für die durch § 147 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 PatG zugewiesenen Einspruchsverfahren auch nach dem 30. Juni 2006 zuständig, weil der Gesetzgeber eine anderweitige Zuständigkeit für diese Verfahren nicht ausdrücklich festgelegt hat und deshalb der in allen gerichtlichen Verfahren geltende Rechtsgrundsatz der "perpetuatio fori" (analog § 261 Abs. 3 Nr. 2 ZPO und analog § 17 Abs. 1 Satz 1 GVG) zum Tragen kommt, wonach eine einmal begründete Zuständigkeit bestehen bleibt. Die Aufhebung des § 147 Abs. 3 PatG durch das "Gesetz zur Änderung des patentrechtlichen Einspruchsverfahrens und des Patentkostengesetzes" (BGBl 2006, Teil I, Seite 1318) führt zu keiner anderen Beurteilung (vgl. die Senatsentscheidung vom 19. Oktober 2006, BPatG GRUR 2007, 499 - "Rundsteckverbinder"). Der gegenteiligen Rechtsauffassung (BPatG GRUR 2007, 904 - "Gesetzlicher Richter"), kann nicht gefolgt werden (vgl. die Senatsentscheidung vom 10. Mai 2007, BPatG GRUR 2007, 907 - "Gehäuse/perpetuatio fori" und die Entscheidung 19 W (pat) 344/04 vom 9. Mai 2007, BPatG PMZ 2007, 332 - "Einspruchszuständigkeit".
Die Rechtsauffassung zur fortdauernden Zuständigkeit des Bundespatentgerichts wurde durch den Bundesgerichtshof bestätigt, vgl. BGH GRUR 2007, 862, Tz. 10 am Ende - "Informationsübermittlungsverfahren II".
2. Der Senat hat in der mündlichen Verhandlung die Zulässigkeit des Einspruchs in Frage gestellt. Diese ist vom Patentamt und Patentgericht von Amts wegen in jedem Verfahrensstadium zu prüfen, vgl. Schulte 7. Auflage § 59 Rdn. 22 und 145 sowie BGH BlPMZ 1972, 173, 175 re. Sp., Abs. 3 - "Sortiergerät", da ein unzulässiger - einziger - Einspruch zur Beendigung des Einspruchsverfahrens ohne weitere Sachprüfung über die Rechtsbeständigkeit des Streitpatents führt, vgl. Schulte PatG, 7. Auflage, § 61, Rdn. 24 und BGH GRUR 1987, 513, II.1 - "Streichgarn".
Der form- und fristgerecht erhobene Einspruch ist nach dem Ergebnis der mündlichen Verhandlung als unzulässig zu verwerfen.
Eine Einspruchsbegründung genügt nur dann den gesetzlichen Anforderungen (§ 59 Abs. 1 Satz 4 PatG), wenn in ihr innerhalb der Einspruchsfrist die für die Beurteilung des behaupteten Widerrufsgrundes maßgeblichen Umstände im Einzelnen so dargelegt werden, dass Patentinhaber und Patentamt bzw. Patentgericht daraus abschließende Folgerungen für das Vorliegen oder nicht Vorliegen des Widerrufsgrundes ziehen können, vgl. BGH GRUR 1988, 364, 365, IV.1. - "Epoxidationsverfahren". Dieser Substantiierungspflicht werden die innerhalb der Einspruchsfrist vorgetragenen Darlegungen der Einsprechenden nicht gerecht.
Die Einsprechende hat in ihrem Einspruchsschriftsatz den Widerruf des Patents gemäß § 21 PatG beantragt, "insbesondere weil sein Gegenstand gemäß § 4 PatG nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruht". Im Einspruchsschriftsatz vom 13. Mai 2005 führt sie zur Begründung hierzu aus, das Leistungshalbleiterbauelement nach dem erteilten Anspruch 1 des Streitpatents ergebe sich für den Fachmann in naheliegender Weise aus dem Stand der Technik gemäß den Druckschriften D1 und D3, denn aus der Druckschrift D1 sei ein Leistungshalbleiterbauelement bekannt, das bis auf das Merkmal eines Messwiderstands in Form einer U-förmigen Metallelektrode alle Merkmale des Leistungshalbleiterbauelements nach dem erteilten Anspruch 1 aufweise. Eine solche Ausbildung eines Messwiderstandes sei jedoch aus der weiteren Druckschrift D3 bekannt.
Bei ihrem Vorbringen hat die Einsprechende jedoch nicht berücksichtigt, dass die Offenlegungsschrift gemäß der Druckschrift D1, von der sie bei ihrer Argumentation ausgeht, nachveröffentlicht ist. Die Druckschrift D1 ist zwar am 16. Mai 2000 und damit vor dem für den Zeitrang des Streitpatents maßgeblichen Prioritätstag 19. Juni 2001 angemeldet worden, wurde jedoch erst am 22. November 2001 offengelegt. Somit handelt es sich bei der Druckschrift D1 um einen Stand der Technik nach § 3 Abs. 2 PatG.
Da derartige Dokumente gemäß § 4 Satz 2 PatG bei der Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit außer Betracht bleiben, können mit ihnen keine Umstände geltend gemacht werden, die den Widerruf eines Patents wegen mangelnder erfinderischer Tätigkeit begründen könnten. Die Druckschrift D1 ist dementsprechend zur Substantiierung des von der Einsprechenden geltend gemachten Widerrufsgrundes nicht geeignet.
Ein auf den Widerrufsgrund der mangelnden erfinderischen Tätigkeit gestützter und mit einer nachveröffentlichten Schrift begründeter Einspruch ist mithin unzulässig.
Es kann auch nicht angenommen werden, die Einsprechende habe ihren Einspruch auch auf den Widerrufsgrund der mangelnden Neuheit stützen wollen, denn in ihrem Einspruchsschriftsatz hat sie im Einzelnen darlegt, dass und warum das Halbleiterbauelement nach dem erteilten Anspruch 1 neu gegenüber dem Halbleiterbauelement nach der Druckschrift D1 ist. Ebensowenig lässt die Begründung erkennen, dass in Wahrheit dem Streitpatent ein jüngerer oder der Entgegenhaltung ein älterer Zeitrang zukommt (vgl. Schulte, PatG, 7. Aufl. § 59, Rdn. 96 m. w. N. ).
Auch die Darlegungen der Einsprechenden zu den übrigen von ihr innerhalb der Einspruchsfrist zitierten Druckschriften sind nicht geeignet, den geltend gemachten Widerrufsgrund zu substantiieren, denn diese sind unvollständig und versetzen Patentinhaber und Patentamt bzw. Patentgericht nicht in die Lage, abschließende Folgerungen für das Vorliegen oder Nichtvorliegen eines Widerrufsgrundes ziehen zu können. Die Druckschrift D2 wird zwar im Einspruchsschriftsatz in der Aufzählung der zu berücksichtigenden Schriften genannt, jedoch im folgenden Text nicht mehr erwähnt. Die Darlegungen zu den Druckschriften D3 und D3a beschäftigen sich nur mit Teilaspekten der im Anspruch 1 des Streitpatents gegebenen Lehre, nämlich der U-förmigen Messelektrode. Die Ausführungen zu den Druckschriften D4 und D5 gehen über die reine Darstellung des Offenbarungsgehalts dieser Schriften nicht hinaus; die Einsprechende gibt weder an, wie diese Druckschriften im Hinblick auf den behaupteten Widerrufsgrund zu bewerten sein sollen noch stellt sie einen Zusammenhang mit der im erteilten Anspruch 1 des Streitpatents gegebenen Lehre her. Die Druckschrift D6 wurde ohnehin nur im Hinblick auf den erteilten Unteranspruch 3 genannt.
Die von der Einsprechenden gerügten Unklarheiten in den erteilten Unteransprüchen 2 und 3 sind kein Widerrufsgrund nach § 21 PatG.
Die Einsprechende hat somit innerhalb der Einspruchsfrist nichts vorgetragen, was geeignet wäre, den von ihr geltend gemachten Widerrufsgrund der mangelnden erfinderischen Tätigkeit (§ 21 Abs. 1 mit Bezug auf § 4 PatG) zu substantiieren.
Insoweit sie in der mündlichen Verhandlung auf die Entscheidung des 20. Senats des BPatG in einem vergleichbaren Fall (ein mit Vorbringen der fehlenden erfinderischen Tätigkeit erhobener Einspruch, gestützt auf ein nachveröffentlichtes Patentdokument) Bezug genommen hat, wonach dadurch nicht die Zulässigkeit des Einspruchs in Frage gestellt sei, sondern allein dessen Begründetheit (BPatG GRUR 1999, 700-702 - "Bilderzeugungsgerät"), so vermochte dies nicht zu überzeugen:
Zu vermeiden ist zwar - entsprechend dem dort entwickelten Ansatz - eine Vermengung der Frage nach einem ausreichend substantiierten Tatsachenvortrag, die allein die förmlichen Anforderungen an einen Einspruch und damit die Zulässigkeit betrifft, mit der Frage der sachlichen Bewertung des Inhalts einer solchen Druckschrift als maßgeblichem Stand der Technik, die die rechtliche Beurteilung und damit die Frage nach der Begründetheit des Einspruchs betrifft. Die Nennung einer nicht vorveröffentlichten Druckschrift zur Substantiierung eines auf mangelnde erfinderische Tätigkeit gegründeten Einspruchs führt jedoch nach Auffassung des erkennenden Senats zu einem Mangel für seine Zulässigkeit, nicht nur für seine Begründetheit, denn sie ist den förmlichen Anforderungen an den Einspruch zuzuordnen. Zu unterscheiden ist nämlich einerseits zwischen Dokumenten, die - wie im vorliegenden Fall - schon bezüglich ihres Zeitranges den vorgebrachten Einspruchsgrund nicht tragen können, also in ihrer formalen Qualität hinsichtlich des genannten Widerrufsgrundes ungeeignet und unbrauchbar sind, und andererseits Dokumenten, die - wenngleich formal in ihrem Zeitrang geeignet - inhaltlich unzutreffend in Bezug auf den Gegenstand des Streitpatents interpretiert werden. Nach Auffassung des erkennenden Senats ist nur letzteres als eine Frage der Begründetheit zu beurteilen; die fehlende formale Eignung eines Dokuments im Bezug auf den genannten Einspruchsgrund ist jedoch Teil der förmlichen Anforderungen an einen Einspruch; denn die im Einspruch angeführten überprüfbaren Umstände und Tatsachen müssen sich auf den genannten Einspruchs- bzw. Widerrufsgrund beziehen, vergl. BGH GRUR 1997, 740 - "Tabakdose" sowie Schulte, PatG, 7. Aufl., § 59 Rn. 180 m. w. N. Dies ist vorliegend wegen der entsprechenden mangelnden Qualität der zum Einspruchsgrund "erfinderische Tätigkeit" genannten Qualität des Bezugsdokumentes und muss somit zur mangelnden Zulässigkeit des Einspruchs führen.
Damit war in der vorliegenden Sache der Einspruch als unzulässig zu verwerfen.
3. Bei einem unzulässigen Einspruch ist das Einspruchsverfahren ohne weitere Sachprüfung über die Rechtsbeständigkeit des Streitpatents zu beenden, vgl. Schulte PatG, 7. Auflage, § 61, Rdn. 24 und BGH GRUR 1987, 513, II.1. - "Streichgarn"
4. Nach § 100 Abs. 2 Nr. 2 PatG ist die Rechtsbeschwerde zuzulassen, wenn die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtssprechung eine Entscheidung des BGH erfordert. Dies ist vorliegend der Fall, denn der ersichtlich gleiche Sachverhalt ist bisher unterschiedlich entschieden worden, vgl. die Beschlüsse 4 W (pat) 57/94 vom 15. Mai 1995, veröffentlicht in BlPMZ 1996, 225, sowie 4 W (pat) 53/97 vom 8. Februar 1999 (unveröffentlicht) und 17 W (pat) 12/97 vom 2. Februar 1999 (unveröffentlicht), in denen ein auf eine nachveröffentlichte Druckschrift gestützter, mit mangelnder erfinderischer Tätigkeit begründeter Einspruch als unzulässig verworfen wird, und die hierzu konträre Entscheidung 20 W (pat) 14/97 vom 22. März 1999, veröffentlicht in GRUR 1999, 700, Leitsatz - "Bilderzeugungsgerät -, derzufolge in diesem Fall nicht die Zulässigkeit des Einspruchs, sondern dessen Begründetheit in Frage gestellt ist.
Dr. Tauchert Lokys Martens Brandt Pr
BPatG:
Beschluss v. 24.04.2008
Az: 23 W (pat) 334/05
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