Bundesgerichtshof:
Urteil vom 21. Dezember 2005
Aktenzeichen: X ZR 72/04

(BGH: Urteil v. 21.12.2005, Az.: X ZR 72/04)

Tenor

Auf die Revision der Klägerin wird das am 25. März 2004 verkündete Urteil des 2. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Düsseldorf aufgehoben.

Der Rechtsstreit wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen.

Tatbestand

Die Klägerin lieferte über die E. Ltd., ... (nachfol- gend: ESL) im Jahr 1996 in C. gefertigte Funkwanduhren an Unternehmen der Handelsgruppe L. . Die Beklagte hat darin eine Verletzung des deutschen Patents 35 10 861 (Streitpatent) gesehen, das eine Anzeigen-Detektionsvorrichtung zur vollautomatischen Erkennung und Korrektur der Anzeige analog anzeigender Funkuhren mittels Lichtschranken betrifft und dessen Inhaberin ein Schwesterunternehmen der Beklagten, die G. GmbH (nach- folgend: Patentinhaberin) war.

ESL hat gegen die Patentinhaberin Nichtigkeitsklage erhoben, die zunächst zu einer Teilnichtigerklärung des Streitpatents durch das Bundespatentgericht führte; Patentanspruch 2 blieb dabei bestehen. Daraufhin verwarnte die Beklagte, die befugt ist, Rechte am Streitpatent geltend zu machen, mit Anwaltsschreiben vom 22. November 1996 zwei Unternehmen der L. -Gruppe (nachfolgend: Antragsgegnerinnen) als Abnehmer und Anbieter patentverletzender Uhren. Da diese Abmahnungen keinen Erfolg hatten, erwirkte die Beklagte am 13. Dezember 1996 im Beschlussweg gegen die Antragsgegnerinnen einstweilige Verfügungen des Landgerichts Düsseldorf. Die Antragsgegnerinnen legten dagegen keinen Widerspruch ein, sondern gaben eine Abschlusserklärung ab und schlossen zusammen mit anderen Unternehmen der L. - Gruppe mit der Beklagten am 21. Februar 1997 eine Vereinbarung, mit der sie sich den Ansprüchen der Beklagten aus dem Streitpatent unterwarfen. Wegen des näheren Inhalts wird auf das Berufungsurteil verwiesen. Am 19. März 1997 verwarnte die Beklagte die Klägerin aus dem Streitpatent. Kurz zuvor war der Beklagten eine Kopie der japanischen Offenlegungsschrift 50-147 772 mit dem Hinweis übersandt worden, dass diese das Streitpatent neuheitsschädlich treffe. Nach Einreichung der Berufung gegen das Urteil des Bundespatentgerichts im Nichtigkeitsverfahren erwirkte die Beklagte am 3. Juni 1997 eine einstweilige Verfügung des Landgerichts Düsseldorf gegen die Klägerin (abgedruckt in Entscheidungen der 4. Zivilkammer des Landgerichts Düsseldorf 1997, 58) und erhob auch in der Hauptsache Klage. Im Verfügungs-Berufungsverfahren nahm die Beklagte den Antrag auf Erlass der Verfügung zurück; auch die Hauptsacheklage wurde zurückgenommen. Das Nichtigkeitsberufungsverfahren führte zur weitergehenden Teilnichtigerklärung im Umfang des nebengeordneten Patentanspruchs 2 des Streitpatents, den das Bundespatentgericht noch als schutzfähig angesehen hatte (Sen.Urt. v. 23.09.1999 - X ZR 50/97, abgedruckt bei Bausch, Nichtigkeitsrechtsprechung in Patentsachen Bd. 3, 129).

Die Klägerin, die entsprechende Umsatzeinbußen behauptet hat, hat gegen die Beklagte im vorliegenden Verfahren wegen unberechtigter Abnehmerverwarnung (Eingriff in den eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb) Schadensersatzansprüche in angemessener Höhe, mindestens jedoch in Höhe von 1.173.199 DM, geltend gemacht. Die Beklagte hat ein Verschulden in Abrede gestellt. Das Landgericht hat den Klageanspruch dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt. Das Verschulden der Beklagten hat das Landgericht darin gesehen, dass diese sich nach der mündlichen Verhandlung im Berufungsverfahren vor dem Oberlandesgericht Düsseldorf gegen die einstweilige Verfügung, die gegenüber der Klägerin ergangen war, in Hinblick auf die japanische Offenlegungsschrift 50-147 772 nicht in ausreichendem Maß sorgfältig verhalten habe; sie habe nämlich der Rechtsbeständigkeit des Patentanspruchs 2 des Streitpatents von da an mit Misstrauen begegnen und die L. -Gruppe aus den getroffenen Vereinbarungen entlassen müssen. Auf die Berufung der Beklagten hat das Oberlandesgericht die Klage insgesamt abgewiesen. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihre Klageforderung weiter. Die Beklagte verteidigt das angefochtene Urteil.

Gründe

I. Das Berufungsgericht hat das Klagebegehren schon dem Grunde nach als nicht gerechtfertigt angesehen. Zwar begegne der unbezifferte Klageantrag der Klägerin keinen durchgreifenden Bedenken, weil von der Angabe des begehrten Betrags Ausnahmen zugelassen seien, wenn die Klägerin die Rechnungs- und Schätzungsgrundlagen umfassend darlege und - wie hier geschehen - einen Mindestbetrag angebe. Die geltend gemachten Ansprüche fänden jedoch in § 823 Abs. 1 BGB unter dem Gesichtspunkt des rechtswidrigen Eingriffs in den eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb keine Grundlage. Voraussetzung für einen solchen Anspruch sei ein rechtswidriger und schuldhafter, betriebsbezogener Eingriff. Einen solchen Eingriff stellten die Abnehmerverwarnungen, die Verwarnung der Klägerin und die erwirkten einstweiligen Verfügungen aus dem Patentanspruch 2 des Streitpatents nicht dar. Eine Abnehmerverwarnung sei nicht allein deshalb rechtswidrig, weil eine Schutzrechtsverletzung nicht vorliege. Das gelte auch für die Klageerhebung und den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung des Inhabers eines auf seine materiellen Schutzvoraussetzungen geprüften Schutzrechts. Das Berufungsgericht ist dabei unter Übernahme einer in der Literatur wie auch teilweise in der Rechtsprechung vertretenen Auffassung von Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs abgewichen, wonach Schutzrechtsverwarnungen als rechtswidrige Eingriffe in den nach § 823 Abs. 1 BGB als sonstiges Recht geschützten eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb des Verwarnten oder dessen Lieferanten schon dann zu beanstanden sind, wenn sie lediglich der Sache nach unberechtigt sind. Es sei, so das Berufungsgericht, vielmehr das gute Recht des Patentinhabers, Dritte, und zwar auch potenzielle Abnehmer von Mitbewerbern, vor der Begehung von Verletzungshandlungen zu warnen. Dem Inhaber eines geprüften Patents könne es zudem grundsätzlich nicht verwehrt sein, über die Warnung hinaus die zur Abwehr von Eingriffen in sein Recht notwendigen Maßnahmen zu ergreifen und die hierzu von der Rechtsordnung zur Verfügung gestellten Mittel einzusetzen. Die Rechtsordnung sehe ausdrücklich die Möglichkeit vor, einen Streit über das Bestehen und Nichtbestehen von Rechtsansprüchen durch die Gerichte entscheiden zu lassen. Die Einleitung eines gerichtlichen Verfahrens diene der Wahrung des Rechts. Sie dürfe bei Erfolglosigkeit nicht in einer expost-Betrachtung als rechtswidriges Vorgehen beurteilt werden, weil dies die Rechtsschutzgarantie des Art. 20 Abs. 3 GG auf den Kopf stellen würde. Es sei daher mit Stimmen in der Literatur davon auszugehen, dass Klage und Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung nicht per se rechtswidrig sein könnten, nur weil sie objektiv unberechtigt seien, insbesondere, wenn sich die mangelnde Berechtigung erst aus einer späteren Nichtigerklärung des Schutzrechts ergebe. Rechtswidrigkeit der Klageerhebung wie der Einreichung des Antrags auf einstweilige Verfügung könnten nur angenommen werden, wenn Umstände vorlägen, die das Verhalten des Klägers oder Antragstellers als rechtsmissbräuchlich oder sittenwidrig erscheinen ließen, was der Fall sein möge, wenn dem Kläger bereits bei Klageerhebung positiv bekannt sei, dass der geltend gemachte Anspruch nicht bestehe, und der Beklagte mit der Erhebung der Klage in dem Sinn eingeschüchtert werden solle, dass er befürchte, die Klage könne Erfolg haben, um ihn so zu einem rechtlich nicht gebotenen Nachgeben zu veranlassen.

Hierfür sei indessen nichts ersichtlich. Die Beklagte sei aus dem Streitpatent erst vorgegangen, als dieses vom Bundespatentgericht im Nichtigkeitsverfahren aufrechterhalten worden sei. Es spreche nichts dafür, dass der Beklagten bereits positiv bekannt gewesen sei, der geltend gemachte Anspruch werde später keinen Bestand haben. Infolge der Marktstärke von L. könne es der Beklagten nicht um eine Einschüchterung dieser Unternehmensgruppe gegangen sein. Auch bei der Erwirkung der einstweiligen Verfügung gegen die Klägerin könne von einem rechtsmissbräuchlichen oder sittenwidrigen Vorgehen keine Rede sein. Die japanische Offenlegungsschrift habe den Rechtsbestand des Patentanspruchs 2 des Streitpatents nicht so zweifelhaft erscheinen lassen, dass sich das Landgericht hierdurch am Erlass der einstweiligen Verfügung gehindert gesehen hätte.

Bei einer nur objektiv unbegründeten Schutzrechtsverwarnung oder einem gerichtlichen Vorgehen liege ein Eingriff in den eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb nicht vor. Den berechtigten Interessen des Lieferanten sei dadurch hinreichend genügt, dass Schutzrechtsverwarnungen, die bezüglich ihrer Form oder ihres Inhalts Mängel aufwiesen, als wettbewerbswidrig beanstandet werden könnten, und solche, bei denen der Mangel dem Verwarnenden im Zeitpunkt der Verwarnung positiv bekannt sei, als vorsätzliche sittenwidrige Schädigung oder als rechtsmissbräuchlich abgewehrt werden könnten. Zudem könne der Hersteller oder Lieferant gegenüber dem Verwarner im Weg der negativen Feststellungsklage vorgehen; des Auffangtatbestands des Eingriffs in den eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb bedürfe es daher nicht. Bei im Rahmen einer gerichtlichen Auseinandersetzung erwirkten Titeln böten die §§ 945, 717 Abs. 2 ZPO eine ausreichende Haftungsgrundlage.

Auf die Frage eines Verschuldens der Beklagten komme es nicht an, da ein rechtswidriger Eingriff in den Gewerbebetrieb der Klägerin ausscheide. Jedoch werde auch ein Verschulden zu verneinen sein, denn solange das Patent nicht rechtskräftig vernichtet sei, könne ein auf den Bestand des Patents gestütztes Verhalten weder besondere Verhaltenspflichten begründen noch schuldhaft sein. Dass die Nichtigerklärung des Patents rückwirkend erfolge, könne nicht rückwirkend besondere Verhaltenspflichten oder ein Verschulden begründen. Im Zeitpunkt der beanstandeten Handlungen sei die Beklagte Inhaberin eines nicht nur von der zuständigen Verwaltungsbehörde, sondern auch vom Bundespatentgericht überprüften Patents gewesen. Weiter seien Ansprüche aus § 826 BGB, aus Wettbewerbsrecht oder aus § 824 BGB wie auch aus § 945 ZPO nicht gegeben.

II. Diese Auffassung greift die Revision an. Der Bundesgerichtshof habe daran festgehalten, dass die unberechtigte Verwarnung aus einem gewerblichen Schutzrecht und damit auch die Unterlassungsklage einen Eingriff in den Gewerbebetrieb des Verwarnten darstelle. Der in der Literatur vertretenen Gegenansicht sei nicht zu folgen. Sie leugne im Kern die Sozialbindung des Schutzrechtsinhabers, auf die schon das Reichsgericht hingewiesen habe. Bei der Beurteilung, ob die Rechtsordnung Schadensersatzansprüche zur Verfügung stelle, sei auf das verletzte Rechtsgut und die Intensität eines Eingriffs, nicht aber darauf abzustellen, ob andere Eingriffe in andere Rechtsgüter Ansprüche auslösten. Folge der in der Literatur vertretenen Auffassung sei im Fall der Abnehmerverwarnung, dass dem Hersteller keine Unterlassungsansprüche zuständen. Der Abnehmer werde typischerweise die entsprechenden Waren nicht mehr vertreiben, wodurch die Wettbewerbsmechanismen außer Kraft gesetzt würden. Der Anspruch wegen Eingriffs in den eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb verstoße auch im Fall einer unberechtigten Verwarnung aus einem gewerblichen Schutzrecht nicht gegen Art. 5 GG; da er Verschulden voraussetze, treffe den sorgfältigen Schutzrechtsinhaber keine Haftung. Der Irrtum, in dem sich die Beklagte befunden habe, sei, nachdem ihr das Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. C. im Nichtigkeitsberufungsverfahren vorgelegen habe, nicht mehr zu entschuldigen gewesen. Die Rechtsprechung fordere als Korrelat zum Wissensvorsprung des Schutzrechtsinhabers gegenüber dem Beklagten lediglich, dass sich der Verwarnende vor der Verwarnung über die Schwere seines Eingriffs in die Rechtssphäre des Verwarnten bewusst werde und dass von der Verwarnung nur dann Gebrauch gemacht werde, wenn zuvor mit der gebotenen Sorgfalt geprüft worden sei, ob die eigene Rechtsposition die Verwarnung rechtfertige. Fehl gehe zudem die Auffassung des Berufungsgerichts, solange das Patent nicht für nichtig erklärt sei, könne ein auf den Bestand des Patents gestütztes Verhalten nicht schuldhaft sein oder besondere Verhaltenspflichten begründen. Dabei werde nämlich übersehen, dass dem Patentinhaber weiterer Stand der Technik durchaus bekannt sein könne, der Patentanmelder im Erteilungsverfahren aber darauf baue, dass er unerkannt bleibe.

III. Die Beklagte hat im Revisionsverfahren zwar einen Antrag gestellt, sich aber nicht weiter geäußert.

IV. Die zulässige Revision führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht, dem auch die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens zu übertragen ist.

1. Der Senat tritt der Auffassung des Berufungsgerichts bei, dass die auf einen Mindestbetrag und im Übrigen auf einen angemessenen Betrag gerichtete Klage im vorliegenden Fall zulässig ist (vgl. BGH, Urt. v. 13.10.1981 - VI ZR 162/80, NJW 1982, 340).

2. Die Frage, ob die unberechtigte Verwarnung aus einem Schutzrecht einen Eingriff in den eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb im Sinn des § 823 Abs. 1 BGB darstellt und damit auch einen Schadensersatzanspruch aus unerlaubter Handlung nach der genannten Bestimmung auslösen kann, wurde von den Gerichten und in der Literatur in jüngerer Zeit unterschiedlich beurteilt. Der I. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat sie dem Großen Senat für Zivilsachen unterbreitet, weil er sie entgegen der bisherigen Rechtsprechung verneinen wollte (Beschluss vom 12.08.2004 - I ZR 98/02, u.a. in GRUR 2004, 958 = WRP 2004, 1366 = Mitt. 2005, 40).

3. Der Große Senat für Zivilsachen des Bundesgerichtshofs hat mit Beschluss vom 15. Juli 2005 - GSZ 1/04 (ZIP 2005, 1690 = GRUR 2005, 882) die Vorlagefrage, soweit hier von Interesse, dahin beantwortet, dass die unberechtigte Schutzrechtsverwarnung unter dem Gesichtspunkt eines rechtswidrigen und schuldhaften Eingriffs in das Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb zum Schadensersatz verpflichten kann. Zur Begründung hat der Große Senat für Zivilsachen u.a. ausgeführt, es entspreche ständiger, auf das Reichsgericht zurückgehender Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, dass die unberechtigte Schutzrechtsverwarnung einen rechtswidrigen Eingriff in eine nach § 823 Abs. 1 BGB geschützte Rechtsposition des Verwarnten als auch desjenigen Gewerbetreibenden darstellen könne, dessen Kundenbeziehungen durch die unberechtigte Geltendmachung eines Ausschließlichkeitsrechts gegenüber dem verwarnten Abnehmer schwerwiegend beeinträchtigt werden. Seit Beginn der höchstrichterlichen Rechtsprechung zur unberechtigten Schutzrechtsverwarnung werde auf den entscheidenden Gesichtspunkt hingewiesen, dem nach wie vor Rechnung zu tragen sei: Das dem Schutzrechtsinhaber verliehene Ausschließlichkeitsrecht schließe jeden Wettbewerber von der Benutzung des Schutzgegenstands aus. Diese einschneidende, die Freiheit des Wettbewerbs begrenzende Wirkung des Ausschließlichkeitsrechts verlange nach einem Korrelat, das sicherstelle, dass der Wettbewerb nicht über die objektiven Grenzen hinaus eingeschränkt werde, durch die das Gesetz den für schutzfähig erachteten Gegenstand und seinen Schutzbereich bestimme. Dieser notwendige Ausgleich zwischen dem verfassungsrechtlich geschützten Interesse des Schutzrechtsinhabers, sein Recht geltend machen zu können, und dem gleichfalls durch das Grundgesetz geschützten Interesse des Wettbewerbs, sich außerhalb des Schutzbereichs bestehender Rechte unter Beachtung des Gesetzes frei entfalten zu können, wäre nicht mehr wirksam gewährleistet, wenn es dem Schutzrechtsinhaber gestattet wäre, aus einem Schutzrecht Schutz in einem Umfang zu beanspruchen, der ihm nicht zustehe, und wenn der Schutzrechtsinhaber den wirtschaftlichen Nutzen aus einer schuldhaften Verkennung des Umfangs des ihm zustehenden Schutzes ziehen dürfte, ohne für einen hierdurch verursachten Schaden seiner Mitbewerber einstehen zu müssen. Das werde bei einer Verwarnung von Abnehmern besonders deutlich. Bei dieser mache der Schutzrechtsinhaber sein vermeintlich verletztes Recht nicht gegenüber dem unmittelbaren Mitbewerber, sondern - was ihm grundsätzlich freistehe - gegenüber dessen Abnehmern geltend. Das Interesse der Abnehmer, sich sachlich mit dem Schutzrechtsinhaber auseinanderzusetzen, sei typischerweise erheblich geringer als das Interesse des mit dem Schutzrechtsinhaber konkurrierenden Herstellers. Bei dem einzelnen Abnehmer könnten die Umsätze mit dem vermeintlich verletzenden Erzeugnis nur geringe Bedeutung haben, außerdem stehe ihm häufig die Alternative zu Gebote, ohne erhebliche Nachteile auf ein entsprechendes Produkt des Schutzrechtsinhabers auszuweichen. Einschneidend getroffen werde in dieser Situation nicht der verwarnte Abnehmer, sondern der ihn beliefernde Hersteller. Ohne das von der Rechtsprechung entwickelte Institut der unberechtigten Schutzrechtsverwarnung ergäbe sich keine wirksame Handhabe, um einem möglicherweise existenzgefährdenden Eingriff in die Kundenbeziehungen des Herstellers durch die unberechtigte Geltendmachung von Ausschließlichkeitsrechten gegenüber seinen Abnehmern entgegenzutreten. Durch die andernfalls nur verbleibende Klage auf Feststellung, dass dem aus dem Schutzrecht Verwarnenden die vermeintlichen Ansprüche nicht zustehen, sei in aller Regel ein wirksamer Rechtsschutz nicht zu erreichen. Die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs habe stets daran festgehalten, dass die unberechtigte Schutzrechtsverwarnung untersagt sei und der schuldhafte Verstoß gegen dieses Verbot zum Schadensersatz verpflichte. Die im Vorlagebeschluss des I. Zivilsenats angeführten Gründe, mit denen sich der Große Senat für Zivilsachen im Einzelnen auseinandergesetzt hat, gäben keine Veranlassung, von dieser Rechtsprechung abzugehen. Zutreffend sei, dass bei subjektiver Redlichkeit nicht rechtswidrig in ein geschütztes Rechtsgut seines Verfahrensgegners eingreife, wer ein insbesondere gerichtliches Verfahren einleite und betreibe, auch wenn sein Begehren sachlich nicht gerechtfertigt sei. Für die Folgen einer nur fahrlässigen Fehleinschätzung der Rechtslage hafte der ein solches Verfahren betreibende Schutzrechtsinhaber grundsätzlich nicht nach dem Recht der unerlaubten Handlung, da der Schutz des Prozessgegners regelmäßig durch das gerichtliche Verfahren gewährleistet werde. Wo dies allerdings nicht der Fall sei, müsse es beim uneingeschränkten Rechtsgüterschutz verbleiben, den § 823 Abs. 1 BGB und § 826 BGB gewährten. Aus der in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs anerkannten Rechtfertigungswirkung des gerichtlichen Verfahrens gegenüber dem Verfahrensgegner ergebe sich daher nichts für einen grundsätzlichen Ausschluss der Haftung für die unberechtigte Schutzrechtsverwarnung, namentlich die Abnehmerverwarnung, wenn der geschädigte Gewerbetreibende seine Rechte nicht in einem gerichtlichen Verfahren wahrnehmen könne. Allerdings könne die gerichtliche Prüfung eines auch nur vermeintlich bestehenden Anspruchs nicht unterbunden werden. Das sei aber ein rein prozessuales Privileg, das den Eingriff in das Recht eines Mitbewerbers am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb nicht rechtmäßig mache. Diese Privilegierung sei nicht auf die außer- oder vorgerichtliche Abmahnung zu erstrecken. Die Gleichbehandlung von Klage und Abmahnung sei nicht logisch zwingend vorgegeben. Die Abmahnung sei keine Prozessvoraussetzung für die Klage oder den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung. Der gleichwohl verbleibende, für eine Privilegierung von Klage und Abmahnung im gleichen Umfang sprechende Nachteil für den Schutzrechtsinhaber wiege gering gegenüber den Gründen, die gegen eine Privilegierung der Abmahnung sprächen. Stünde die Abmahnung der Klage gleich, bliebe eine fahrlässige unberechtigte Schutzrechtsverwarnung praktisch folgenlos, obgleich das Bedürfnis einer Sanktion in Fällen der Verwarnung ungleich größer sei als in Klagefällen. Die außergerichtliche Abmahnung auch einer Vielzahl von Abnehmern bedeute nur einen verhältnismäßig geringen Aufwand. Die in der Vergangenheit in Übereinstimmung mit der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs gegen außergerichtliche Abnehmerverwarnungen ausgesprochenen Verbote hätten nicht dazu geführt, dass Abnehmer stattdessen in erheblichem Umfang unmittelbar gerichtlich in Anspruch genommen worden seien. Dem Betroffenen den deliksrechtlichen Schutz zu entziehen, wäre dem im Interesse der Allgemeinheit liegenden Ziel eines angemessenen und praktisch wirksamen Ausgleichs zwischen dem Schutz der geistigen Leistung einerseits und dem Schutz des freien Wettbewerbs außerhalb des Schutzbereichs bestehender Ausschließlichkeitsrechte andererseits abträglich.

4. Dieser Beurteilung schließt sich der Senat an. Sie hat nicht nur zur Folge, dass die Regelung des § 823 Abs. 1 BGB weiterhin auf alle außergerichtlichen Verwarnungen aus einem technischen Schutzrecht gegenüber einem Hersteller, einem Lieferanten, einem Importeur oder einem Abnehmer des streitigen Erzeugnisses anwendbar ist. Auch im Fall der Einleitung eines gerichtlichen Verfahrens kann § 823 Abs. 1 BGB einen Anspruch auf Ersatz dadurch verursachter Schäden begründen, nämlich zugunsten dessen, der nicht als Partei an dem betreffenden Verfahren beteiligt ist. Denn im Verhältnis zu dem Nichtbeteiligten greift die Regel nicht, dass nicht rechtswidrig in ein geschütztes Rechtsgut seines Verfahrensgegners eingreift, wer ein staatliches, gesetzlich eingerichtetes und geregeltes Verfahren einleitet oder betreibt (BGH ZIP 2005, 1692). Dem etwa durch einen gegen seinen Abnehmer gerichteten Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung beeinträchtigten Hersteller oder Lieferanten kann daher Ersatz sowohl der Schäden zuzusprechen sein, die ihm durch eine vorherige Abnehmerverwarnung entstanden sind, als auch der Schäden, die ihm der anschließende Antrag auf Erlass der einstweiligen Verfügung oder ein klageweises Vorgehen gegen den Abnehmer verursacht hat. Letzteres findet seinen Sinn auch darin, dass der Hersteller oder Lieferant die Einleitung eines gegen seinen Abnehmer gerichteten gerichtlichen Verfahrens zur Durchsetzung eines unberechtigten Unterlassungsanspruchs nicht seinerseits durch Geltendmachung eines Unterlassungsanspruchs verhindern kann, weil insoweit das prozessuale Privileg zu beachten ist, das Bestehen eines behaupteten Anspruchs aus einem Schutzrecht gerichtlich klären zu lassen (BGH ZIP 2005, 1690, 1693). Auch im Streitfall kommt deshalb ein Schadensersatzanspruch der Klägerin aus § 823 Abs. 1 BGB hinsichtlich der Schäden in Betracht, die ihr durch die Verwarnung der beiden Unternehmen der L. -Gruppe und/oder deren gerichtliche Inanspruchnahme entstanden sind, ferner für die Schäden, die der Klägerin dadurch entstanden sind, dass sie ihrerseits von der Beklagten außergerichtlich verwarnt worden ist.

Damit weicht der Senat nicht von dem Urteil des I. Zivilsenats des Bundesgerichtshofs vom 29. Juni 1977 (I ZR 186/75, GRUR 1977, 805 - Klarsichtverpackung) ab. Der I. Zivilsenat hat in dieser Entscheidung die Auffassung vertreten, in der unberechtigten Verwarnung eines Mitbewerbers wegen vermeintlicher Verletzung eines Ausstattungsschutzrechts (heute § 4 Nr. 2 MarkenG) sei nicht zugleich ein zum Schadensersatz verpflichtender unmittelbarer Eingriff in den Gewerbebetrieb des Lieferanten der angegriffenen Ausstattung zu sehen. Er hat dies damit begründet, dass sich die Schutzrechtsverwarnung ausschließlich gegen dasjenige Unternehmen gerichtet habe, das die von der damaligen Klägerin hergestellte Klarsichtverpackung als Ausstattung für Süßwaren verwendet habe, und dass nur dieses Unternehmen als Verletzer in Betracht gekommen sei, weil es eben diese Waren mit der angegriffenen Ausstattung versehen und in den Verkehr gebracht habe (§ 25 WZG). Demgegenüber folgt aus § 9 Nr. 1 PatG, dass auch derjenige, der ein patentgeschütztes Erzeugnis in den Verkehr bringt, das Patent verletzt. Das ist schon dann der Fall, wenn die vermeintlich patentverletzende Ware wie hier an einen gewerblichen Abnehmer geliefert wird. Dies genügt zur Bejahung der Unmittelbarkeit (Betriebsbezogenheit) des Eingriffs in den Gewerbebetrieb der Klägerin.

5. Was Schäden anbelangt, die durch die gerichtliche Inanspruchnahme der Klägerin selbst entstanden sind, kann der Auffassung des Berufungsgerichts nicht beigetreten werden, bei Nichtigerklärung eines Patents kämen Ansprüche nach § 945 ZPO nicht in Betracht (so auch Vollkommer in Zöller, ZPO, 25. Aufl., § 945 Rdn. 8; Grunsky in Stein/Jonas, ZPO, 21. Aufl,. § 945 Rdn. 19a; Schwerdtner, GRUR 1968, 17; Kroitzsch, GRUR 1976, 512; Pietzcker, GRUR 1980, 442; offen gelassen in BGHZ 75, 116, 120 - Oberarmschwimmringe). Vollständige oder teilweise Nichtigerklärung des Patents wirken gegenüber jedermann auf den Zeitpunkt der Anmeldung der Erfindung zum Patent zurück (ex tunc; vgl. Busse/Schwendy, PatG, 6. Aufl., § 21 PatG Rdn. 135, 136 mit Nachw. zur entsprechenden Rechtsprechung vor Inkrafttreten des IntPatÜG; Benkard/Rogge, PatG u. GebrMG, 9. Aufl., § 22 PatG Rdn. 63 m.w.N.). Sie haben zur Folge, dass Unterlassungs- und Schadensersatzansprüche in dem Umfang, in dem das Patent widerrufen oder für nichtig erklärt worden ist, von Anfang an nicht bestehen. Daraus ergibt sich, dass die Rechtsstellung, die durch ein Patent erlangt wird, das in dem für nichtig erklärten Umfang nicht hätte erteilt werden dürfen, dem Patentinhaber von Gesetzes wegen bereits anfänglich nicht zusteht. Dem Patentinhaber erwächst durch den Bestand eines zu Unrecht erteilten Patents auch keine geschützte Rechtsstellung (Senat, Versäumnisurt. v. 05.07.2005 - X ZR 167/03 - Vergleichsempfehlung II). Im Ergebnis ist die Rechtslage daher nicht anders als in dem Fall, dass sich die einstweilige Verfügung als von Anfang an ungerechtfertigt erweist. Das ist aber gerade einer der in § 945 ZPO geregelten Fälle.

6. Die Verneinung eines Eingriffs in den eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb insgesamt sowie eines Anspruchs aus § 945 ZPO durch das Berufungsgericht kann auf dieser Grundlage keinen Bestand haben.

V. Dem Senat ist allerdings eine abschließende Entscheidung in der Sache verwehrt. Ob die Beklagte ein Verschulden trifft, kann in der Revisionsinstanz nicht geklärt werden. Das Berufungsgericht hat es - von seinem Rechtsstandpunkt aus folgerichtig - unterlassen, abschließende tatrichterliche Feststellungen hierzu zu treffen. Es hat lediglich darauf abgestellt, dass nicht angenommen werden könne, das Verhalten des Klägers sei rechtsmissbräuchlich oder sittenwidrig gewesen. Das ist aber jedenfalls, soweit eine Haftung nach § 823 Abs. 1 BGB in Betracht kommt, nicht der maßgebliche Maßstab. Die Überlegungen, die das Berufungsgericht hierzu angestellt hat, erweisen sich zudem nicht in vollem Umfang als tragfähig. Dass ein auf den Bestand des Patents gestütztes Verhalten nicht schuldhaft sein könne, wie es das Berufungsgericht annehmen will, trifft, worauf die Revision zutreffend hinweist, in dieser Allgemeinheit nicht zu. Ein dahin gehender Rechtssatz besteht jedenfalls dann nicht, wenn der Patentinhaber weitergehende Kenntnisse als die Erteilungsbehörden über den Stand der Technik hat, diese Kenntnisse aber entgegen seiner nunmehr in § 34 Abs. 7 PatG normierten Wahrheitspflicht zurückhält, aber auch dann nicht, wenn ihm möglicherweise der Schutzfähigkeit entgegenstehendes Material nachträglich bekannt geworden ist und er wusste, dass dieses Material der Schutzfähigkeit des Streitpatents entgegensteht, oder er sich dieser Erkenntnis in vorwerfbarer Weise verschlossen hat. Ob solches der Fall war, wird das Berufungsgericht nunmehr zu prüfen haben. Dabei wird es nicht allein darauf abstellen können, dass das Streitpatent erteilt worden ist und das Bundespatentgericht eine Nichtigerklärung im Umfang seines Patentanspruchs 2 nicht ausgesprochen hat. Letzteres besagt nämlich nur, dass sich das Bundespatentgericht insoweit nicht in der Lage gesehen hat, das Vorliegen eines geltend gemachten Nichtigkeitsgrunds positiv festzustellen.

Sofern das Berufungsgericht bei erneuter Befassung zu dem Ergebnis gelangt, dass die Beklagte ein Verschulden trifft, wird es sich weiter mit der Frage zu befassen haben, wieweit ein Schaden der Klägerin auf das gerichtliche Vorgehen der Beklagten zurückzuführen ist, für das diese nur nach den Regeln der Prozessgesetze (etwa nach § 945 ZPO) haftet. Eine sich daraus möglicherweise ergebende Haftungsprivilegierung wird schon dann eingreifen müssen, wenn und soweit das gerichtliche Vorgehen für den Schaden lediglich mitursächlich war.

Scharen Keukenschrijver Mühlens Asendorf Kirchhoff Vorinstanzen:

LG Düsseldorf, Entscheidung vom 17.09.2002 - 4a O 344/01 -

OLG Düsseldorf, Entscheidung vom 25.03.2004 - 2 U 151/02 -






BGH:
Urteil v. 21.12.2005
Az: X ZR 72/04


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