Anwaltsgerichtshof München:
Beschluss vom 25. April 2008
Aktenzeichen: 2 AnwG 50/07

(AGH München: Beschluss v. 25.04.2008, Az.: 2 AnwG 50/07)

Tenor

1. Der Antrag auf anwaltsgerichtliche Entscheidung über den Rügebescheid der Rechtsanwaltskammer für den Oberlandesgerichtsbezirk München vom ..., € Az. ... € wird zurückgewiesen.

2. Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens einschließlich seiner notwendigen Auslagen.

Gründe

I.

1.)

Die Rechtsanwaltskammer für den Oberlandesgericht München hat dem Antragsteller mit Bescheid vom ... gem. § 74 I BRAO eine Rüge erteilt. Die Rüge wird damit begründet, dass der Antragsteller mit einem Rundschreiben vom ... an Kapitalanleger in unzulässiger Weise geworben hat und dieses Rundschreiben eine auf die Erteilung eines Auftrags im Einzelfall gerichtete Werbung darstellt, die nach § 43 b BRAO verboten ist.

Die Rüge beruht auf folgendem Sachverhalt:

Der Antragsteller wandte sich mit dem Rundschreiben vom ... an Mitgesellschafter des Fonds ... Das Anschreiben erfolgte unter namentlicher Benennung der Mitgesellschafter und mit Beifügung eines vorbereiteten Schreibens an die ... zur Durchführung einer Sonderprüfung sowie eines Fragebogens zur Beteiligung an der ... Im Anschreiben wird angegeben, dass der Antragsteller bzw. seine Kanzlei eine auf Fragen des Kapitalanlegerschutzes spezialisierte Anwaltskanzlei sei und er sich im Rahmen zahlreicher bestehender Mandate gegen die ... mit den Anlagepraktiken der ... beschäftige. Im Rundschreiben sind unter anderem die Aussagen

Der Verdacht besteht, dass die Anlegergelder jedenfalls teilweise nicht prospektgemäß verwendet wurden.

und

Ausweislich der vorliegenden Daten besteht der dringende Verdacht, dass die Immobilien zu Lasten der Anleger weiter über Marktwert erworben worden waren.

enthalten.

Diese Behauptungen sind nach Auffassung der Rechtsanwaltskammer geeignet, die Empfänger in "Angst und Schrecken" zu versetzen und entsprechende Beratung beim Antragsteller einzuholen. Der Antragsteller kannte diesen Beratungsbedarf und weist am Ende seines Rundschreibens darauf hin, "jederzeit gerne zur Verfügung" zu stehen. Der Anleger als Adressat des Anschreibens sei nach dessen Lektüre derart verunsichert, dass er dieses Schreiben zum Anlass einer Mandatierung gegen die Fondsgesellschaft nehmen werde.

2.)

Gegen diesen Rügebescheid vom ..., zugestellt am ..., hat der Antragsteller mit Schreiben vom ..., am gleichen Tag, bei der Rechtsanwaltskammer für den Oberlandesgerichtsbezirk München eingegangen, Einspruch eingelegt. Der Einspruch wurde damit begründet, dass kein Verstoß gegen § 43 b BRAO vorliege.

Soweit sich die Rüge in der Begründung auf eine Entscheidung des OLG Hamburg vom 025.06.05 € Az. 5 U 126/04 € stütze, sei der dortige Sachverhalt mit dem streitgegenständlichen Sachverhalt nicht vergleichbar. Im gerügten Schreiben vom ... würden die Anleger weder zu einem umgehenden Handeln aufgefordert noch sei ihnen mit einer angeblichen Verjährung der Ansprüche Angst gemacht worden. Ziel des Rundschreibens sei die Forderung nach einer Sonderprüfung im Interesse der vertretenen Mandanten zur besseren Einschätzung der Werthaltigkeit und Seriosität. Es müsse im Interesse der vertretenen Mandanten erlaubt sein, grundsätzliche Zweifel an der Seriosität der Gesellschaft zu äußern. Auch die im Rügebescheid der Rechtsanwaltskammer für den Oberlandesgerichtsbezirk München zitierte weitere Entscheidung des LG Berlin vom 31.10.06 € Az. 103 O 169/06 € und der dort der Entscheidung zu Grunde liegende Sachverhalt sei mit dem vorliegenden Sachverhalt nicht vergleichbar. Das dem Verfahren des LG Berlin zu Grunde liegende Schreiben sei offensichtlich darauf gerichtet gewesen, dass sich bei den Absendern diejenigen Anleger meldeten, die konkreten Beratungsbedarf haben und diesen anderweitig noch nicht stillen konnten. Im eigenen Schreiben vom ... seien die Anleger nicht in Angst und Schrecken versetzt worden. Auch der beigefügte Fragebogen sei nicht mit denen vergleichbar, die der Entscheidung des OLG Hamburg bzw. LG Berlin zu Grunde lagen. Das im Rundschreiben vom ... geforderte Sonderprüfungsbegehren sei auch nicht mit unsachlichen Argumenten begründet worden.

3.)

Mit Schreiben vom ... hat die Rechtsanwaltskammer für den Oberlandesgerichtsbezirk München den Einspruch des Antragstellers gegen den Rügebescheid vom ... zurückgewiesen. Zur Begründung wurde zunächst auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Rügebescheids Bezug genommen und ergänzend nochmals darauf hingewiesen, dass dem Antragsteller bewusst gewesen sei, dass bei den Empfängern des Rundschreibens ein konkreter Beratungs- und Vertretungsbedarf bestand, der Antragsteller deshalb die Gesellschafter aus eben diesem Grund angeschrieben und eindringlich auf die missbräuchliche Verwendung der gezahlten Kapitalbeiträge hingewiesen habe. Ziel sei es gewesen, weitere Mandate zu erhalten. An diesem Ergebnis ändere sich auch nichts, dass der Antragsteller zugleich die Basis eines Vorgehens gegen die Verantwortlichen des Fonds habe verbreitern wollen. Das Vorgehen des Antragstellers liege auf der Linie der beiden im Rügebescheid zitierten Entscheidungen des OLG Hamburg und LG Berlin. Der Zurückweisungsbescheid vom ... wurde dem Antragsteller am ... zugestellt.

4.)

Mit schriftlichem Antrag vom ..., am ... eingegangen, beantragte der Antragsteller die Entscheidung des Anwaltsgerichts gem. § 74 a I BRAO gegen den Bescheid vom ... Zur Begründung wird darauf hingewiesen, dass in der Zurückweisung des Einspruchs des Antragstellers diesem Motive unterstellt werden, die dem vorgetragenen Sachverhalt, insbesondere dem gerügten Rundschreiben, nicht zu entnehmen seien.

Ferner werde darüber hinweg gegangen, dass die Interessen mehrerer Mandanten wahrgenommen worden seien und eine Beschränkung der Berufsausübungsfreiheit vorliege, wenn der Anwalt sich nicht im Interesse seiner Mandanten an Dritte wenden dürfe, wenn das mit dem Risiko verbunden wäre, dass diese ihn ebenfalls beauftragen. Die Mandanteninteressen seien auch nicht vorgeschoben.

Die Rechtsanwaltskammer für den Oberlandesgerichtsbezirk München äußerte sich mit Schreiben vom ... dahingehend, dass der Antragsteller in dem Rundschreiben Verdachtsäußerungen verwendet habe, die laut einstweiligem Verfügungsverfahren vor dem LG Hamburg verboten wurden und dass es sich um eine unzulässige Werbung handle, wenn beim Adressaten durch Verdachtsäußerungen und durch Schüren von Ängsten anwaltlicher Beratungsbedarf erweckt werde. Im Hinweis auf eine Entscheidung des OLG München im Rundschreiben vom ..., Seite 2, letzter Absatz, sei ein Appell zur Mandatierung zu sehen.

Der Antragsteller führt als ergänzende Begründung im Schreiben vom ... aus, dass dem Rundschreiben ohne weiteres zu entnehmen sei, dass dieses der Wahrnehmung berechtigter Interessen bereits bestehender Mandatsverhältnisse diene und es sich um eine andere Sachverhaltskonstellation handle als bei der von der Rechtsanwaltskammer zitierten Entscheidung des OLG Saarbrücken vom 07.08.2007 € Az. 4 U 106/07 €. Im Rundschreiben sei weder eine direkte noch indirekte Aufforderung zur Mandatserteilung enthalten, sodass die "Gefahr" des Erhalts weiterer Aufträge nicht bestehe. Nicht jede unzulässige Äußerung bedinge eine Werbung um die Erteilung eines Mandats im Einzelfall.

II.

Der zulässige Antrag auf anwaltsgerichtliche Entscheidung hat in der Sache keinen Erfolg, weil eine schuldhafte Pflichtverletzung des Antragstellers mit Recht bejaht worden ist.

Das Schreiben des Antragstellers vom ... wendet sich konkret an die Gesellschafter der ... Nicht zu beanstanden ist grundsätzlich die Werbung um Mandanten. Einer Werbemaßnahme immanent ist deren Zielgerichtetheit (siehe Henssler/Prütting, 2. Aufl., BRAO, § 43 b Rz. 65; Hartung/Holl, Anwaltliche Berufsordnung, 2. Aufl., Vor § 6 Rz. 83), sodass das direkte Ansprechen potentieller Mandanten zulässig ist.

Es muß gewährleistet sein, dass der potentielle Mandant frei und unbedrängt seine Entscheidung zur Mandatserteilung treffen kann (Henssler/Prütting, a. a. O. Rz. 70) Nicht gestattet ist nur die Werbung um einen konkreten Auftrag, nachdem bei dem potentiellen Mandanten bereits ein dem Rechtsanwalt bekannt gewordener akuter Beratungs- und/oder Vertretungsbedarf entstanden ist, oder der Rechtsanwalt jedenfalls mit einem solch akutem Bedarf rechnet oder ihn zu wecken sucht (siehe Feuerich, BRAO, 7. Auflage, § 43 b Rz. 31).

Der Antragsteller hat sich gem. Protokoll vom ... im Verfahren LG Hamburg Az. ... verpflichtet, im Bezug auf die ... folgende Äußerungen zu unterlassen:

"1. Der Verdacht besteht, dass die Anlegergelder jedenfalls teilweise nicht prospektgemäß nicht verwendet wurden."

"2. Ausweislich der vorliegenden Daten besteht der dringende Verdacht, dass die Immobilien zu Lasten der Anleger weit über Marktwert erworben worden waren."

"3. Da die ... teilweise in die identischen Immobilien der ... investierte, besteht hier der dringende Verdacht, dass auch diese Gesellschaft Anlegergelder verschleudert hat."

Gerade durch die mehrfache Verwendung des Wortes "dringend" (insgesamt 3 x) wird beim Adressaten, nämlich dem Gesellschafter dieser ... Druck im Sinne der Eilbedürftigkeit seines Handelns aufgebaut, sodass dessen Entscheidungsfreiheit nicht mehr gewährleistet ist.

Aus dem Anschreiben vom ... ergibt sich nicht die Vertretung konkreter Mandanten; es wird lediglich angegeben, dass sich der Antragsteller "im Rahmen zahlreicher bestehender Mandate" mit den Anlagepraktiken der ... beschäftigt.

In Widerspruch zur behaupteten Bitte der Mithilfe für eine Sonderprüfung steht der dem Schreiben vom ... beigefügte "Fragebogen zur Beteiligung an der ...", insbesondere die Frage Ziffer 3."Wie sind Sie beteiligt€". Diese Frage mit den diversen Unterpunkten zielt zusammen mit dem Inhalt des Rundschreibens vom ..., insbesondere dem dortigen Hinweis auf die Altersversorgung und die Entscheidung des OLG München zumindest darauf ab, den konkreten Beratungs- und Handlungsbedarf des Adressaten zu wecken, beispielsweise zur Prüfung und Geltendmachung des Schadenersatzanspruchs. Der Antragsteller verunsicherte den Adressaten seines Schreibens.

Auch die letzte Frage im Fragebogen nach dem Wunsch nach weiteren Informationen dient der Vorbereitung des konkreten Einzelmandats und der Werbung dafür.

Die zitierten Entscheidungen des OLG Hamburg (NJW 05, 2783) und LG Berlin (BRAK-Mitt. 2007, 92) haben im Kern einen durchaus vergleichbaren Sachverhalt. Den Entscheidungen ist als Kern zu entnehmen, dass kein Beratungs- und Vertretungsbedarf in einem konkreten Fall geweckt werden darf, da damit die Entscheidungsfreiheit des Adressaten nicht mehr gewährleistet ist.

Die Grenzen zulässiger Anwaltswerbung sind überschritten, da der Antragsteller mit dem Rundschreiben nebst Anlagen, insbesondere auch mit den zu unterlassenden Verdachtsäußerungen, die unbedingte Notwendigkeit der anwaltlichen Beratung weckte (siehe Saarländisches OLG, BRAK-Mitt. 07,278).

Zutreffend kommt die Rechtsanwaltskammer zum Ergebnis, dass hier ein schuldhafter Verstoß gegen das Verbot aus § 43 b BRAO vorliegt.

Der Antragsteller ist wegen eines Verstoßes gegen das Verbot der Werbung auf Erteilung eines Auftrages im Einzelfall zu Recht gerügt worden, sodass sein Antrag auf anwaltsgerichtliche Entscheidung zurückzuweisen war.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197 BRAO.






AGH München:
Beschluss v. 25.04.2008
Az: 2 AnwG 50/07


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