Oberlandesgericht München:
Urteil vom 17. Juni 2008
Aktenzeichen: 5St RR 28/08
(OLG München: Urteil v. 17.06.2008, Az.: 5St RR 28/08)
Tenor
I. Die Revision der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Amtsgerichts München vom 06. September 2007 wird als unbegründet verworfen.
II. Die Kosten des Verfahrens und die dem Angeklagten entstandenen notwendigen Auslagen trägt die Staatskasse.
Gründe
I.
Das Amtsgericht München hat den Angeklagten mit Urteil vom 06. September 2007 vom Vorwurf der gewerbsmäßigen unerlaubten Veranstaltung von Glücksspielen gemäß § 284 Abs. 1, Abs. 3 Nr. 1 StGB freigesprochen.
Dieses Urteil greift die Staatsanwaltschaft mit der Rüge der Verletzung sachlichen Rechts an.
II.
Die gemäß §§ 341 Abs. 1, 344, 345 StPO zulässige (Sprung-) Revision hat keinen Erfolg. Der Angeklagte ist im Ergebnis zu Recht freigesprochen worden.
1. Mit gemäß § 408 Abs. 3 S. 2 StPO zur Hauptverhandlung zugelassenem Strafbefehlsantrag vom 06. Dezember 2006 legte die Staatsanwaltschaft dem Angeklagten folgenden Sachverhalt zur Last:
In dem Zeitraum vom 29.03.2006 bis 08.08.2006 betrieben Sie in der XXX, ein für jedermann zugängliches Sportwettbüro (Öffnungszeiten: Mo.- Fr. 10.30 - 21 Uhr, Sa.-So. 10.00 -22.00 Uhr), in dem Sie Sportwetten annahmen und an die in Malta ansässige Fa. T Co. Ltd. vermittelten. Dazu lagen in dem Wettbüro die Wettbestimmungen und €programme der Fa. T sowie Wettscheine aus. Gewettet werden konnte insbesondere auf den Ausgang nationaler und internationaler Fußball- und Eishockeyspiele. Die von den Wettkunden ausgefüllten Wettscheine wurden in dem von Ihnen betriebenen Wettbüro durch Sie zusammen mit den entsprechenden Einsatzsummen entgegengenommen, es wurden Wettquittungen ausgestellt, die Wettdaten in den Computer eingegeben und die Sportwetten online an die Fa. T Malta weitergeleitet. Etwaige Gewinne wurden nach den bereits vor Abgabe der Wette festgelegten Quoten in bar ausgezahlt.
Als Entgelt für die Vermittlung erhielten Sie von der Fa. T eine Provision in Höhe von 60 % des erzielten Gewinnes. So erhielten Sie beispielhaft für Ihre Vermittlungstätigkeit im Zeitraum vom 18.01. bis 07.02.2006 eine Provision in Höhe von 3.342,54 EUR und im Zeitraum vom 21.02. bis 06.03.2006 bei vereinnahmten Wetteinsätzen von 15.134,15 EUR eine Provision in Höhe von 3.237,05 EUR.
Wie Sie wussten, verfügten weder Sie selbst noch die Fa. T über die erforderliche behördliche Erlaubnis zur Veranstaltung und Vermittlung von Sportwetten in Bayern.
Sie handelten somit in der Absicht, sich durch wiederholte Tatbegehung eine nicht nur vorübergehende Einnahmequelle von einigem Umfang zu verschaffen.
Die vom Amtsgericht getroffenen Feststellungen bestätigten diesen Sachverhalt. Gleichwohl sprach das Amtsgericht den Angeklagten mit folgender Begründung frei:
Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Urteil vom 28.03.2006 (NJW 2006, 1261) das in Bayern durch das dortige Staatslotteriegesetz errichtete staatliche Wettmonopol für einen in seiner gegenwärtigen gesetzlichen und tatsächlichen Ausgestaltung unverhältnismäßigen Eingriff in die Berufsfreiheit des Art. 12 Abs. 1 GG und damit für verfassungswidrig gehalten. Den an entsprechender beruflicher Tätigkeit interessierten Bürgern sei der strafbewehrte Ausschluss gewerblicher Wettangebote durch private Wettunternehmer nur dann zumutbar, wenn das bestehende Wettmonopol auch in seiner konkreten Ausgestaltung der Vermeidung und Abwehr von Spielsucht und problematischem Spielverhalten diene. Das derzeit im Rahmen des staatlichen Wettmonopols errichtete Sportwettenangebot sei jedoch nicht konsequent am Ziel der Begrenzung der Wettleidenschaft und Bekämpfung der Wettsucht ausgerichtet. Die Vorschrift des § 284 StGB beseitige das verwaltungsrechtliche Defizit des Staatslotteriegesetzes nicht, da sie keine inhaltlichen Vorgaben für die Ausgestaltung des Wettangebots enthalte. Ein verfassungsgemäßer Zustand könne sowohl durch eine Ausgestaltung des Wettmonopols, die wirklich der Suchtbekämpfung diene, als auch durch eine gesetzlich normierte und kontrollierte Zulassung gewerblicher Veranstaltung durch private Unternehmen errichtet werden.
11Das Bundesverfassungsgericht hatte dem Gesetzgeber zur Neuregelung eine Frist bis zum 31.12.2007 gesetzt. Über die zwischenzeitliche Strafbarkeit hat das Bundesverfassungsgericht jedoch nicht entschieden. Es hat diese Frage vielmehr offen gelassen und die Entscheidung hierüber den Strafgerichten überlassen. Das Bundesverfassungsgericht hat zwar bestimmt, dass während der Übergangszeit die bisherige Rechtslage mit der Maßgabe anwendbar bleibe, dass der Staat unverzüglich ein Mindestmaß an Konsistenz zwischen dem Ziel der Begrenzung der Wettleidenschaft und der Bekämpfung der Wettsucht einerseits und der tatsächlichen Ausübung seines Wettmonopols andererseits herzustellen habe. Nach Auffassung des Gerichts kann diese Fortgeltungsanordnung nur für das Verwaltungsrecht, nicht für das Strafrecht gelten. Denn die Fortgeltungsanordnung bedeutet nur, dass in der Übergangszeit eine an sich verfassungswidrige Rechtslage hinzunehmen ist, nicht jedoch, dass die Rechtslage in der Übergangszeit als verfassungsgemäß anzusehen ist. Der Verstoß gegen eine verfassungswidrige, aber übergangsweise hinzunehmende Freiheitsbeschränkung kann nicht als kriminelles Unrecht geahndet werden. Die Verhängung einer strafrechtlichen Sanktion kann nach Auffassung des Gerichts erst dann erfolgen, wenn der Gesetzgeber ein verfassungsmäßiges Gesetz erlassen hat, welches eine tragfähige Grundlage für das staatliche Sportwettenmonopol darstellt.
2. Im Ergebnis hält dies rechtlicher Nachprüfung stand.
a) Mit Urteil vom 28. März 2006 erklärte das Bundesverfassungsgericht das Gesetz über die vom Freistaat Bayern veranstalteten Lotterien und Wetten (Staatslotteriegesetz) vom 29. April 1999 (GVBl 226) (im Folgenden: Staatslotteriegesetz) wegen Verstoßes gegen Art. 12 Abs. 1 GG für mit dem Grundgesetz unvereinbar und ordnete gleichzeitig bis zu einer Neuregelung für die längstens bis zum 31. Dezember 2007 andauernde Übergangszeit die weitere Anwendung des Staatslotteriegesetzes nach Maßgabe der Urteilsgründe an. Diese Entscheidung, deren Tenor nach § 31 BVerfGG in Gesetzeskraft erwachsen ist, und nicht mehr das defizitäre Staatslotteriegesetz, bildet für die Übergangszeit die Rechtsgrundlage für hoheitliche Eingriffe in den grundrechtlich geschützten Bereich des Einzelnen. Sie stellt deshalb auch die verfassungsrechtliche Grundlage für die strafrechtliche Bewertung des Handelns des Angeklagten dar.
Nach den Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts bleibt die bisherige Rechtslage mit der Maßgabe anwendbar, dass der Freistaat Bayern unverzüglich ein Mindestmaß an Konsistenz zwischen dem Ziel der Begrenzung der Wettleidenschaft sowie der Bekämpfung der Wettsucht einerseits und der tatsächlichen Ausübung seines Monopols andererseits herzustellen habe. Jedoch sei das gewerbliche Veranstalten von Wetten durch private Wettunternehmen und die Vermittlung von Wetten, die nicht vom Freistaat Bayern veranstaltet werden, weiterhin als verboten anzusehen und dürfe ordnungsrechtlich unterbunden werden. Allerdings müsse in der Übergangszeit damit begonnen werden, das bestehende Wettmonopol konsequent an einer Bekämpfung der Wettsucht und einer Begrenzung der Wettleidenschaft auszurichten. Der Staat dürfe die Übergangszeit nicht zu einer expansiven Vermarktung von Wetten nutzen. Daher seien bis zu einer Neuregelung die Erweiterung des Angebots staatlicher Wettveranstaltungen sowie eine Werbung untersagt, die über sachliche Informationen zur Art und Weise der Wettmöglichkeit hinausgeht und gezielt zum Wetten auffordert. Ferner habe die staatliche Lotterieverwaltung umgehend aktiv über die Gefahren des Wettens aufzuklären (BVerfGE 115, 276 = NJW 2006, 1261 Rn. 157, 158 und 160). Die Entscheidung über die Strafbarkeit nach § 284 StGB überließ das Bundesverfassungsgericht ausdrücklich den Strafgerichten (BVerfGE 115, 276 = NJW 2006, 1261 Rn. 159).
15b) Sowohl für die sogenannten Altfälle als auch für die in die Übergangszeit bis zum 31. Dezember 2007 einzuordnenden Fälle scheidet nach der bislang vorliegenden Rechtsprechung zum gewerblichen Veranstalten oder Vermitteln sogenannter Oddset-Wetten bei Vorliegen einer €europarechtlichen Erlaubnis€ eine Strafbarkeit nach § 284 StGB aus.
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs (NJW 2007, 3078/3081 Rn. 22) erkannte auf der Grundlage der verwaltungsrechtlichen Natur des § 284 StGB und ausgehend davon, dass die Frage nach der Strafbarkeit nicht losgelöst von der verfassungsrechtlichen Beurteilung der landesrechtlichen Gesamtregelung des Sportwettenrechts zu beantworten sei, dass eine Strafbarkeit (für die ihm vorliegenden €Altfälle€ vor dem 28. März 2006) nach § 284 StGB nicht gegeben sei. Der Anbieter von Sportwetten sei nicht strafbar, wenn die fehlende Erlaubnis auf einem Rechtszustand beruht, der seinerseits die Rechte des Betreibers von Glücksspielen in verfassungswidriger Weise verletzt. So habe es sich jedenfalls in den €Altfällen€ vor der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts verhalten. Der Staat habe unter Androhung von Kriminalstrafe verboten, was er selbst betrieb, ohne rechtlich und organisatorisch sichergestellt zu haben, dass er sich nicht tatsächlich mit den von ihm für das Verbot geltend gemachten Zielen in Widerspruch setzte. Hinzu komme, dass ein auf präventive Kontrolle gerichtetes Genehmigungsverfahren im Rahmen der Regelung des staatlichen Wettmonopols (in concreto: Saarland) von vorneherein nicht vorgesehen war und die entsprechende Regelung die private Vermittlung von Sportwetten auch bei Unbedenklichkeit ohne die Möglichkeit einer Erlaubniserteilung unter Androhung von Kriminalstrafe verbot. Vor diesem Hintergrund habe das Bundesverfassungsgericht aber gerade den strafbewehrten Ausschluss als für den an entsprechender beruflicher Tätigkeit Interessierten €unzumutbar€ bezeichnet.
Das Oberlandesgericht München (NJW 2006, 3588/3591; ebenso Pischel, JA 2008, 202/205; im Ergebnis zustimmend Satzger, JK3/07, StGB § 284/1) kommt wegen der Verfassungs- und Gemeinschaftswidrigkeit der Rechtslage unter der Geltung des Staatslotteriegesetzes bis zur Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zu dem Schluss, der Anwendungsvorrang des Gemeinschaftsrechts verbiete jedem nationalen Organ die Anwendung nationaler Vorschriften, €ohne dass es die vorherige Beseitigung dieser Bestimmungen auf gesetzgeberischem Wege oder durch irgendein anderes verfassungsrechtliches Verfahren beantragen oder abwarten müsste€, wenn diese nationalen Vorschriften mit unmittelbar anwendbarem Gemeinschaftsrecht, darunter den Grundfreiheiten des Art. 43 und 49 EGV, kollidieren.
Das Hanseatische Oberlandesgericht (ZfWG 2008, 295 Rn. 27) hält eine Bestrafung von in der Übergangszeit bis zum 31. Dezember 2007 begangenen Fällen für unzulässig, weil sie rechtsstaatswidrig wäre. Denn die verfassungsrechtlichen Grundlagen für eine strafrechtliche Sanktion seien entfallen. Derzeit würde ein bloßer Verwaltungsungehorsam bestraft, obwohl die derzeitige verwaltungsrechtliche Grundlage und die tatsächliche Ausgestaltung des staatlichen Wettmonopols vom Bundesverfassungsgericht als grundgesetzwidrig erklärt worden sind. Aus denselben Gründen verstoße eine Bestrafung auch gegen vorrangiges Gemeinschaftsrecht der Europäischen Union (a.a.O. Rn. 40).
c) Auf der Grundlage der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts sowie unter Berücksichtigung der soeben dargestellten Entscheidungen ist (auch) der Senat davon überzeugt, dass das dem Angeklagten zur Last gelegte Verhalten nicht nach § 284 StGB strafbar ist. Der Freispruch hält daher im Ergebnis rechtlicher Nachprüfung stand.
Es kann für den Tatzeitraum dahin stehen, ob die von maltesischen Behörden der Firma T Co. Ltd. erteilte Konzession eine Strafbarkeit des Angeklagten nach dieser Vorschrift schon tatbestandlich ausschließt. Jedenfalls stehen einer Anwendbarkeit des § 284 StGB auf den vorliegenden Sachverhalt verfassungsrechtliche Gründe entgegen. Diese folgen aus dem verfassungsrechtlichen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit (Übermaßverbot).
aa) Wie das Bundesverfassungsgericht in Fortführung seiner Rechtsprechung aus dem Urteil vom 28. März 2006 im Beschluss vom 22. November 2007 (NVwZ 2008, 301 Rn. 26) dargelegt hat, ist der € strafbewehrte € Ausschluss gewerblicher Wettangebote durch private Wettunternehmer den an entsprechender beruflicher Tätigkeit interessierten Bürgern nur dann zumutbar, wenn das Wettmonopol nicht nur nach den zu seiner Rechtfertigung angeführten Zielen, sondern auch in seiner konkreten Ausgestaltung der Vermeidung und Abwehr von Spielsucht und problematischem Spielverhalten dient. Der Ausschluss der Vermittlung anderer als der vom Freistaat Bayern veranstalteter Wetten sei daher während der Übergangszeit bis zur Neuregelung des Bereichs der Sportwetten lediglich dann €verfassungsrechtlich hinnehmbar€, wenn der Freistaat Bayern ein €Mindestmaß an Konsistenz zwischen dem Ziel der Begrenzung der Wettleidenschaft und Bekämpfung der Wettsucht einerseits und der tatsächlichen Ausgestaltung der staatlich veranstalteten Sportwetten andererseits herstellt€. Nur dann könne die Monopolisierung staatlicher Wetten verfassungsrechtlich gerechtfertigt sein (a.a.O. Rn. 35, 37 und 38).
Damit läge es an den gewerblichen Sportwettenanbietern und €vermittlern zu überprüfen, ob die geforderte Konsistenz hergestellt wurde, ggfs. wann, bezogen auf welche Städte und Gemeinden und ggfs. in welchem Umfang. Denn nur dann müssten sie die Einschränkungen ihrer grundrechtlich geschützten Freiheitssphäre hinnehmen, und nur dann ist diese Beschränkung auch verfassungsrechtlich gerechtfertigt. Nur in diesen Fällen müssten sie das weitere Risiko tragen, dass über die Einschränkung des Art. 12 Abs. 1 GG hinaus das strafrechtliche repressive Verbot des § 284 StGB zum Tragen kommt und zu weiteren Grundrechtseinschränkungen, etwa des Art. 2 Abs. 2 GG, führt.
Dabei wären die gewerblichen Sportwettenanbieter und €vermittler mit der Unsicherheit belastet, dass die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 28. März 2006 keinen klaren Maßnahmenkatalog dahin erkennen lässt, welche konkreten Maßnahmen die staatliche Lotterieverwaltung auf dem Weg zur Herstellung des Mindestmaßes von Konsistenz ergreifen muss, und zudem, was dieses Mindestmaß von Konsistenz beinhaltet und ggf. wann das Mindestmaß im Verlauf der Übergangszeit tatsächlich erreicht ist. Die verfassungsgerichtliche Weitergeltungsanordnung räumt der staatlichen Wettenverwaltung einen erheblichen verwaltungsrechtlichen Handlungs- und Ermessensspielraum ein. Die Frage, ob dieser inhaltlich und zeitlich eingehalten worden ist, belastet den betroffenen gewerblichen Wettunternehmer mit der weiteren Unsicherheit, dass erst die Verwaltungsgerichte in entsprechenden, ihm möglicherweise unbekannt bleibenden Verwaltungsstreitigkeiten feststellen können, ob die staatliche Wettenverwaltung diesen verfassungsgerichtlichen Anforderungen gerecht geworden ist. Im Vorfeld etwaiger verwaltungsgerichtlicher Feststellungen aber erfährt der an der Veranstaltung von Wetten interessierte Bürger weder von den Anordnungen von Konsistenz herstellenden Maßnahmen, von deren Inhalt und noch viel weniger von deren tatsächlicher Verwirklichung vor dem Hintergrund des fortbestehenden staatlichen Wettmonopols. Insbesondere erfährt er nicht, ob die Werbung entsprechend den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts eingeschränkt worden ist, ob und mit welchem (ausreichenden €) Inhalt vor den Gefahren des Wettens gewarnt wird.
bb) Schon wegen der großen Anzahl der staatlichen Wettannahmestellen in einem Flächenstaat der Größe des Freistaats Bayern sind solche Feststellungen dem einzelnen Rechtsunterworfenen wenn nicht objektiv unmöglich so doch jedenfalls subjektiv unzumutbar. Die hieraus folgenden Unsicherheiten schließen daher eine Strafbarkeit aus (grundlegend Carsten Momsen, Die Zumutbarkeit als Begrenzung strafrechtlicher Pflichten, 2006, passim).
Stellt der Staat € wie vorliegend für die Übergangszeit € unzumutbare Verhaltensanforderungen an den Einzelnen, mag die ordnungsrechtliche Durchsetzung einer Verwaltungsrechtslage grundrechtlich hinnehmbar sein, jedoch bieten diese unzumutbaren Verhaltensanforderungen keine tragfähige Grundlage für eine strafrechtliche Verurteilung des Betroffenen. Dieser Gedanke steht auch hinter der Regelung des § 17 StGB, der allerdings auf den Einzelfall und das individuelle Erkenntnisvermögen des Betroffenen abstellt. Ebenso wie beim Verbotsirrtum, bei dem die Vermeidbarkeit nur bei Zuständigkeit für den Defekt gegeben ist (Jakobs, Strafrecht Allgemeiner Teil, 2. Aufl., 19/35), scheidet bei einer vom Staat zu verantwortenden Rechtslage, die zu unzumutbaren Verhaltensanforderungen führt, wegen Unzumutbarkeit eine strafrechtliche Schuld aus (vgl. auch Jakobs, a.a.O. 18/5). Dieser allgemeine Zumutbarkeitsgedanke stellt als Teil des verfassungsrechtlichen Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes eine Schranke für alle belastenden staatlichen Maßnahmen dar.
26Da es dem einzelnen Rechtsunterworfenen schon nicht zugemutet werden kann, das Verhalten der Staatslotterieverwaltung in Folge der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 28. März 2006 während der Übergangszeit nachzuvollziehen, kann es für die Frage nach der Strafbarkeit auch keine Rolle spielen, ob und welche Maßnahmen die bayerische Staatslotterieverwaltung nach dem Urteil vom 28. März 2006 zu welchem Zeitpunkt tatsächlich ergriffen hat. Ob diese dann das verfassungsgerichtlich geforderte Mindestmaß an Konsistenz erreicht haben, bedarf unter Umständen ordnungsrechtlicher Bewertung im Zusammenhang mit der Frage, ob im Übergangszeitraum verwaltungsrechtliche Einschränkungen der Berufsfreiheit noch oder wieder gerechtfertigt sind. Strafrechtlich sind diese Umstände jedoch ohne Belang.
cc) Die hier entwickelten Grundsätze bedeuten für den vorliegenden Fall, dass sich der Angeklagte, bei dem sich auch keinerlei Anhaltspunkte für eine wie auch immer geartete Unzuverlässigkeit gefunden haben, nicht strafbar gemacht hat. Der ihm vorgeworfene Tatzeitraum erstreckt sich vom 29. März 2006 bis zum 08. August 2006, wobei schon nach den dem Revisionsgericht zugänglichen tatsächlichen Umständen fraglich erscheint, ob er schon am 29. März 2006 von der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts hat Kenntnis erlangen können oder Kenntnis erlangt hat. Nach dem oben Ausgeführten ist das aber nicht von Bedeutung.
d) Die vorgenannten Gründe, die den Freispruch des Angeklagten sachlich-rechtlich tragen, finden ihre Entsprechung auf der prozessualen Ebene. Zwischen Prozessvoraussetzungen und Prozesshindernissen ist zu unterscheiden: Unter Prozessvoraussetzungen sind diejenigen Voraussetzungen zu verstehen, die vorliegen müssen, damit das Verfahren überhaupt durchgeführt werden kann; Prozesshindernisse sind Umstände, die der Bestrafung des Angeklagten durch das € an sich zulässig mit der Sache befasste € Gericht entgegen stehen (BGH NJW 2007, 853/854 Rn. 14; BGH StV 2008, 299/300 Rn. 1 f.; Löwe-Rosenberg/Kühne, StPO, 26. Aufl., Einl. K Rn. 39; Meyer-Goßner, StPO, 50. Aufl., Einl. Rn. 142; ders., Festschrift für Rieß, 2002, S. 342 ff.; ders., Festschrift für Eser, 2005, S. 373/389; ähnlich Rieß, 50 Jahre Bundesgerichtshof, Bd. IV, 2000, S. 809/841). Die Entwicklung eines Bestrafungsverbots im vorgenannten Sinn, das nicht die Durchführung des Verfahrens gegen den Angeklagten hindert, jedoch seiner Bestrafung entgegen steht, ist jedoch noch im Fluss (KMR-Eschelbach, Einl. Rn. 209). Die noch nicht abgeschlossene dogmatische Entwicklung bestätigt jedoch das im vorliegenden Fall entwickelte sachlich-rechtliche Ergebnis.
Die vorliegende verfassungsrechtliche Sondersituation nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 28. März 2006 führt nicht nur zu den dargestellten materiell-rechtlichen Konsequenzen, sondern hätte im Hinblick auf eine effektive Grundrechtsverwirklichung auch prozessuale Auswirkungen.
An ein Bestrafungsverbot ist bei einer an verwaltungsrechtliche Vorgänge anknüpfenden Strafvorschrift zu denken, die der repressiven strafrechtlichen Sanktionierung von Verstößen gegen das zugrunde liegende Verwaltungsrecht dient (wie bei § 284 Abs. 1 StGB), wenn das zugrunde liegende Verwaltungsrecht gegen vorrangiges unmittelbar anwendbares Recht der Europäischen Union verstößt oder vom Bundesverfassungsgericht für mit der Verfassung unvereinbar erklärt worden ist (vgl. zur Rechtsfolge Meyer-Goßner, StPO, 50. Aufl., Einl. Rn. 143, 143b). Ein solches Bestrafungsverbot würde einerseits seine Grundlage im verfassungsrechtlichen Übermaßverbot (BGH NJW 2007, 3078/3081 Rn. 22) und andererseits im Prinzip der Sicherung des Vorrangs des Gemeinschaftsrechts finden (OLG München NJW 2006, 3588/3591).
aa) Die Herleitung eines Bestrafungsverbots aus der Verfassung (kritisch allgemein Bartlsperger, DVBl 1993, 333, 344/346) ist nicht grundsätzlich ausgeschlossen, setzt aber eine Sondersituation voraus, die mit anderen gesetzlich ausdrücklich geregelten Mitteln nicht oder nur schlechter gelöst werden kann, sodass im Bestrafungsverbot die ultima ratio liegt (BVerfG NJW 1987, 1874; BGHSt 46, 159, 170/171 mit Zusammenfassung auch der obergerichtlichen Rechtsprechung; Hillenkamp, NJW 1989, 2841; Meyer-Goßner, StPO, 50. Aufl., Einl. Rn. 148; vgl. ferner zu differenzierenden verfahrensrechtlichen Lösungsanforderungen bei Herleitung aus dem Rechtsstaatsprinzip BVerfGE 57, 250, 275/276; KK-Pfeiffer, StPO, 5. Aufl., Einl. Rn. 131/132).
Im Zusammenhang mit tatprovozierendem Verhalten von polizeilichen V-Leuten wurde in der Vergangenheit ein solches Verfahrenshindernis diskutiert, bisher aber in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH JZ 2008, 258/261 m. Anm. Duttge; BGHSt 47, 44, 47 ff.; 45, 321/324 ff. = JZ 2000, 363 ff. mit Anm. Roxin = StV 2000, 114 m. Anm. Stinner/Kreuzer; vgl. auch BGHSt 33, 356 ff.; KK-Nack, StPO, 5. Aufl., § 110c Rn. 11 ff.; Meyer-Goßner, StPO, 50. Aufl., § 110c Rn. 4; Lemke, HK-StPO, 3. Aufl., § 110c Rn. 6; vgl. auch Herzog, StV 2003, 410; Bruns, NStZ 1983, 49 ff.; Arloth, NJW 1985, 417; Rieß, 50 Jahre Bundesgerichtshof, 2000, Bd. IV. 809, 823/824), der stattdessen ein Beweiserhebungs- und -verwertungsverbot befürwortet, abgelehnt (auch EGMR, Urteil vom 05. Februar 2008, Nr. 74420/01, Rn. 54; EGMR, StV 1999, 127/128 m. Anm. Kempf = NStZ 1999, 47 m. Anm. Sommer; Kinzig, StV 1999, 288). Auch bei der Problematik überlanger Verfahrensdauer in Verletzung des Art. 6 Abs. 1 S. 1 MRK ist die Möglichkeit eines Verfahrenshindernisses diskutiert worden (zuletzt BGH StV 2008, 299/300 Rn. 2 f.). Im Regelfall, wenn trotz langer Verfahrensdauer eine Sachentscheidung noch möglich ist, soll nach neuester Rechtsprechung des Bundesgerichtshof (BGH [GSSt] NJW 2008, 860 Rn. 31 ff. = NStZ 2008, 234; vgl. auch BGH StV 2008, 298 Rn. 3 f.) der vom Angeklagten nicht verursachten und nicht zu vertretenden Verfahrensdauer auf der Rechtsfolgenseite, nämlich über die sogenannte Vollstreckungslösung (statt der bisher gepflogenen Strafzumessungslösung [vgl. dazu die Darstellung der Rechtsprechungsentwicklung BGH [GSSt] NJW 2008, 860 Rn. 20 € 27 = NStZ 2008, 234; hinsichtlich des Schrifttums Meyer-Goßner, StPO, 50. Aufl., Art. 6 MRK Rn. 9), Rechnung getragen werden. Nur in außergewöhnlichen Einzelfällen, bei welchen eine Sachentscheidung schlicht nicht mehr denkbar ist, kommt nach wie vor eine Einstellung des Verfahrens in Betracht (BGHSt 46, 159, 171/172; BVerfG NJW 1995, 1277/1278). In Fällen der Verletzung des allgemeinen Völkerrechts, insbesondere bei Verhaftung eines Beschuldigten auf fremdem Hoheitsgebiet und seiner Verbringung in den Geltungsbereich der Strafprozessordnung unter Verletzung der Auslieferungsprivilegien, kann sich ebenfalls ein Verfahrenshindernis ergeben (vgl. dazu BVerfG NJW 1986, 1427/1428; BGH StV 1985, 273; BGH StV 1985, 273/274; BGH NStZ 1985, 464; OLG Düsseldorf NJW 1984, 2050).
Eine den vorgenannten Beispielsfällen entsprechende strafrechtliche Sondersituation liegt auch hier vor. Sie ergibt sich aus der Abhängigkeit des § 284 Abs. 1 StGB von dem hinter ihm stehenden Verwaltungsrecht, mit dem die Vorschrift einen Regelungszusammenhang bildet. Im vorliegenden Fall war dies das Staatslotteriegesetz, das durch Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 28. März 2006 für mit dem Grundgesetz unvereinbar erklärt wurde. Das Bundesverfassungsgericht überließ es ausdrücklich den Strafgerichten zu entscheiden, ob § 284 Abs. 1 StGB auf die sogenannten Altfälle vor dem 28. März 2006 und die in der Übergangszeit bis zum 31. Dezember 2007 begangenen Taten anzuwenden ist. Zudem lief das bayerische Sportwettenmonopol auch in seiner tatsächlichen Ausgestaltung höherrangigem Gemeinschaftsrecht zuwider und beschränkte in unzulässiger Weise jedenfalls die Grundfreiheiten aus Art. 43 und 49 EGV. Die vom Bundesverfassungsgericht für die Übergangszeit bis zum 31. Dezember 2007 angeordnete Fortgeltung des verfassungswidrigen Staatslotteriegesetzes beseitigte das Verdikt der Verfassungswidrigkeit nicht, sondern war lediglich ein Behelf dazu, kein ordnungsrechtliches Vakuum in dem hochsensiblen Bereich gewerblicher Sportwettenveranstaltungen entstehen zu lassen, und konnte mangels entsprechender Kompetenz das gemeinschaftsrechtliche Regelungsdefizit nicht beheben. Der Freiheitsbereich des Einzelnen aus Art. 12 Abs. 1 GG und aus Art. 43 und 49 EGV blieb verfassungs- und gemeinschaftswidrig beschränkt. Dies war in der Übergangszeit aus den vom Bundesverfassungsgericht vorangestellten Gründen hinzunehmen. Darüber hinausgehende Einschränkungen der Freiheitssphäre laufen aber dem € im Rechtsstaatsprinzip verankerten € Übermaßverbot zuwider und sind dem Einzelnen verfassungsrechtlich nicht zuzumuten.
Das Bundesverfassungsgericht hat in den dem Sportwettenurteil nachfolgenden Entscheidungen (BVerfG, Beschluss vom 31. März 2006 € 1 BvR 1840/05 € dort Rn. 4; BVerfG, Beschluss vom 21. Juni 2006 € 1 BvR 2218/06 € dort Rn. 35; BVerfG, Beschluss vom 04. Juli 2006 € 1 BvR 138/05 € dort Rn. 17) stets betont, dass unabhängig von der Frage nach der Strafbarkeit die Verwaltungsbehörden ordnungsrechtlich in der Lage seien, das Verbot von gewerblichen Sportwetten auch während der Übergangszeit durchzusetzen. Ein ausschließlich an die Strafverfolgungsbehörden gerichtetes prozessuales Bestrafungsverbot belässt der Ordnungspolizei diese nach Art. 7 Abs. 2 Nr. 1 (bayerisches) Gesetz über das Landesstrafrecht und das Verordnungsrecht auf dem Gebiet der öffentlichen Sicherheit und Ordnung i.d.F. der Bekanntmachung vom 13. Dezember 1982 (BayRS 2011-2-1) erforderliche Eingriffsmöglichkeit einer Untersagungsverfügung, weil ein solches Bestrafungsverbot den sachlich-rechtlichen Bestand und die sachlich-rechtliche Geltung des § 284 Abs. 1 StGB auch auf dem Gebiet der Sportwetten unberührt lässt. Dies gilt auch für den Bereich des Wettbewerbs- oder Kartellrechts, soweit die Zivilgerichte etwa bei Unterlassungsklagen im Rahmen von §§ 1, 4 Nr. 11 UWG auf § 284 Abs. 1 StGB angewiesen sind. Zudem würde das Bestrafungsverbot im Hinblick auf den Vorrang des Gemeinschaftsrechts aus Art. 43 und 49 EGV verhindern, dass durch repressive strafrechtliche Sanktionierung der verwaltungswidrigen Ausübung der Niederlassungs- und Dienstleistungsfreiheit der gemeinschaftswidrige Freiheitsverlust vertieft wird. Nur durch ein prozessuales Bestrafungsverbot könnte daher den Vorgaben des Europäischen Gerichtshofs (NJW 2007, 1515/1520) für den Bereich der Strafverfolgung hinreichend Rechnung getragen werden, wonach ein Mitgliedsstaat bei Verletzung von Verwaltungsformalitäten keine Strafsanktionen verhängen darf, wenn er selbst durch gemeinschaftsrechtswidrige Regelungen die Verantwortung dafür trägt, dass eine verwaltungsrechtliche Erlaubnis nicht erteilt wurde oder erteilt werden kann.
bb) Höherrangige Interessen der Allgemeinheit würden der Annahme eines prozessualen Bestrafungsverbots nicht entgegenstehen.
Der Staat, der eine verfassungs- und gemeinschaftswidrige Rechtslage schafft und aufrecht erhält, muss es hinnehmen, dass sein weiter ausgeübtes monopolistisches Verhalten auf dem Gebiet der Sportwetten weniger effektiv geschützt wird, weil für die Dauer des verfassungswidrigen Zustands in der Übergangszeit keine repressive strafrechtliche Sanktionierung verwaltungsrechtswidrigen Verhaltens Einzelner erfolgt. Wie das Oberlandesgericht München (NJW 2006, 3588/3592) ausgeführt hat, steht dem auch die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGHSt 47, 138 = NJW 2002, 762) im Zusammenhang mit der weiteren Anwendung des § 370 AO auf Hinterziehungssachverhalte, die sich aus dem teilweise für verfassungswidrig erklärten Vermögensteuergesetz (i.d.F. der Bekanntmachung vom 14. November 1990 [BGBl I, 2467]) (BVerfGE 93, 121 = NJW 1995, 2615) ergeben, nicht entgegen. Denn dort erzwangen zudem höhergewichtige Interessen der Allgemeinheit, nämlich der Grundsatz der Steuergleichheit und damit €gerechtigkeit, die weitere strafrechtliche Sanktionierung von Hinterziehungstatbeständen (BGH NJW 2002, 762/763; dies in ihrer Kritik nicht erkennend Beckemper/Janz, ZIS 2008, 31, 37/38).
In der hier zu entscheidenden Fallgestaltung würde demgegenüber aber ein prozessuales Bestrafungsverbot auch für die Übergangszeit Rechtssicherheit und €klarheit schaffen. Gewerbliche Sportwettenveranstaltungen blieben verboten; das Verbot kann ordnungspolizeilich durchgesetzt werden, jedoch befassten sich die Strafgerichte nicht mehr mit Zuwiderhandlungen gegen § 284 Abs. 1 StGB. Deswegen kommt es für die Entscheidung über die Strafbarkeit auch nicht darauf an, ob und welche Maßnahmen die Verwaltungsbehörden in Erfüllung der verfassungsgerichtlichen Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts seit 28. März 2006 ergriffen haben (die Unmaßgeblichkeit ebenfalls hervorhebend Hanseatisches OLG ZfWG 2008, 299 Rn. 30; für die ordnungsrechtlich ergriffenen Maßnahmen in den verschiedenen Bundesländern etwa VG Chemnitz ZfWG 2008, 64/66; BVerfG ZfWG 2008, 42 (für das Land Berlin); BVerfG, Beschluss vom 21. September 2006 € 1 BvR 2399/06, Rn. 10; für Bayern im Anschluss an die VGH-Entscheidung vom 10. August 2006 € 24 CS 06.1621; BVerfG, Beschluss vom 19. Oktober 2006 € 2 BvR 2023/06 Rn. 19; BayVGH, Beschluss vom 23. August 2006 € 24 CS 06.1970, Rn. 38 und BayVGH, Beschluss vom 07. Dezember 2006 € 24 CS 06.2720, Rn. 30; VG Braunschweig GewArch 2007, 422/423; OVG Lüneburg GewArch 2007, 339/340; OVG Münster NVwZ 2006, 1078/1079). Diese erfüllen nämlich nur den Zweck, die verfassungswidrige Beeinträchtigung des Art. 12 Abs. 1 GG in der Übergangszeit erträglich zu machen und ein tatsächlich ausgewogenes Verhältnis zwischen dem weiter ausgeübten Staatsmonopol einerseits und den staatlichen Zielen der Bekämpfung der Wettsucht und Spielleidenschaft andererseits herzustellen. Sie machen das festgestellte Regelungsdefizit jedoch nicht verfassungsgemäß. Zudem würden die durch die Ableitung des Bestrafungsverbots für die Übergangszeit erzielte Rechtssicherheit und Rechtsklarheit, ließe man die ergriffenen Übergangsmaßnahmen dieses prozessuale Hindernis ihrerseits wieder bedingen, wieder in Frage gestellt werden.
cc) Würde die Behandlung des vorliegenden Sachverhalts daher über ein Bestrafungsverbot erfolgen, bleibt festzustellen: Da das Amtsgericht das Strafverfahren gegen den Angeklagten bis zur €Freispruchreife€ geführt hat, könnte eine Verfahrenseinstellung nicht mehr ausgesprochen werden (Meyer-Goßner, StPO, 50. Aufl., Einl. Rn. 143b; BGHSt 46, 130/136; Rieß, 50 Jahre Bundesgerichtshof, 2000, Bd. IV, S. 809/839 f.). Das gegen das freisprechende Urteil gerichtete Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft wäre daher auch hiernach als unbegründet zu verwerfen.
e) Das hier gefundene sachlich- und förmlich-rechtliche Ergebnis der Straffreiheit des Angeklagten nach § 284 StGB sichert zudem auch den Anwendungsvorrang des Europäischen Gemeinschaftsrechts. Ist € wie hier € eine Erlaubnis eines Mitgliedsstaats zur Veranstaltung von gewerblichen Sportwetten (hier: Malta) inmitten, kann die strafrechtliche Repression der gewerblichen Veranstaltung und Vermittlung von Sportwetten wegen fehlender inländischer Erlaubnis den durch Art. 43, 49 EGV eröffneten Bereich der Niederlassungs- und Dienstleistungsfreiheit (ggfs. darüber hinaus der Freiheit des Kapitalverkehrs nach Art. 50 EGV) in unzulässiger Weise tangieren (vgl. EuGH NJW 2004, 139 Rn. 46, 58/59). Zwar sind Einschränkungen der genannten Grundfreiheiten möglich, jedoch müssen diese Beschränkungen aus Gründen des Gemeinwohls gerechtfertigt sein (EuGH NJW 2004, 139 Rn. 60; EuGH NJW 2007, 1515/1517 Rn. 45/46, 49). Dies gilt auch für strafrechtliche Sanktionen wegen erlaubniswidriger oder erlaubnisloser gewerblicher Tätigkeit auf dem Gebiet der Veranstaltung und Vermittlung von Sportwetten (EuGH NJW 2007, 1515/1519 Rn. 68). Allerdings stehen Art. 43 und 49 EGV einer Bestrafung gewerblicher Sportwettenanbieter und €vermittler dann entgegen, wenn sich die Betroffenen die nach nationalem Recht erforderliche Genehmigung nicht beschaffen konnten, weil der Mitgliedsstaat es unter Verstoß gegen das Gemeinschaftsrecht abgelehnt hat, sie ihnen zu erteilen (EuGH NJW 2007, 1515/1519 Rn. 71), oder wenn eine solche Möglichkeit gar nicht gegeben war, weil € wie vorliegend € der Mitgliedsstaat die entsprechende Tätigkeit bei sich monopolisierte, ohne dass dieses Monopol aus den genannten Gründen des Gemeinwohls gemeinschaftsrechtlich gerechtfertigt wäre.
Das Oberlandesgericht München (NJW 2006, 3588, 3591/3592) hat für die sogenannten Altfälle aus der Zeit vor der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 28. März 2006 hierin das entscheidende gemeinschaftswidrige Defizit gesehen und eine Sanktionierung von Verstößen gegen § 284 StGB verneint (NJW 2006, 3588/3591 f.). In Fortsetzung dieser Rechtsprechung hat das Hanseatische Oberlandesgericht (ZfWG 2008, 295 Rn. 32 ff., 40) eine Anwendung des § 284 StGB auf Fälle aus der sogenannten Übergangszeit ausdrücklich verneint. Dem tritt der Senat aus den oben näher dargestellten Gründen bei.
III.
Die Kostenfolge beruht auf § 473 Abs. 1 StPO.
OLG München:
Urteil v. 17.06.2008
Az: 5St RR 28/08
Link zum Urteil:
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