Oberverwaltungsgericht Greifswald:
Urteil vom 20. März 2009
Aktenzeichen: 2 L 69/06

(OVG Greifswald: Urteil v. 20.03.2009, Az.: 2 L 69/06)

Zur Wiedereinsetzung in die Frist zur Begründung des Berufungszulassungsantrags bei Verschulden einer angestellten Rechtsanwältin

Tenor

Der Antrag auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Schwerin - 3. Kammer - vom 1. Dezember 2005 wird abgelehnt.

Die Klägerin trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.

Der Streitwert wird für das Zulassungsverfahren auf 5.112,92 Euro festgesetzt.

Gründe

Der Antrag auf Zulassung der Berufung ist abzulehnen, weil die Gründe, aus denen die Berufung zuzulassen ist, nicht innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des vollständigen Urteils dargelegt worden sind, § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO.

Das Urteil des Verwaltungsgerichts vom 1. Dezember 2005 wurde den Bevollmächtigten der Klägerin am 7. Februar 2006 zugestellt. Die 2-Monats-Frist nach § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO endete demnach am 7. April 2006 (§ 57 Abs. 2 VwGO, § 222 Abs. 1 ZPO i.V.m. § 187 Abs. 1, § 188 Abs. 2 BGB). Die am 27. April 2006 per Fax eingegangene Begründung des Zulassungsantrags war damit nicht fristwahrend.

Wegen der Versäumung der Frist für die Einreichung der Begründung des Zulassungsantrags kann der Klägerin keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 125 Abs. 1, § 60 Abs. 1 VwGO gewährt werden. Die Klägerin konnte nicht darlegen, dass ihre Prozessbevollmächtigten ohne Verschulden gehindert gewesen wären, die gesetzliche Frist zur Begründung des Zulassungsantrags einzuhalten. Die Wahrung prozessualer Fristen ist eine der wesentlichen Aufgaben des Rechtsanwalts, der er besondere Aufmerksamkeit widmen muss (vgl. Schmidt, in: Eyermann, VwGO, 12. Aufl. 2006, § 60 Rn. 19 m.w.N.).

Bedient sich der Prozessbevollmächtigte einer Partei bei der Bearbeitung eines Rechtsstreits eines angestellten Rechtsanwalts, so muss sich die Partei dessen Verschulden grundsätzlich wie eigenes zurechnen lassen. Dies jedenfalls dann, wenn dem angestellten Rechtsanwalt der Rechtsstreit vom Prozessbevollmächtigten zur selbstständigen Bearbeitung übergeben worden ist (vgl. BGH, Beschl. v. 01.04.1992 - XII ZB 21/92 -, zit. nach juris Rn. 6 ff.; BVerwG, Beschl. v. 31.05.1978 - I WB 180.76 -, zit. nach juris Rn. 27 ff.). Zwar ist nach allgemeiner Meinung ein Prozessbevollmächtigter von dem Vorwurf eigenen Verschuldens befreit, wenn ein sorgsam ausgewählter, überwachter und nach ständiger Weisung arbeitender juristischer Mitarbeiter, der nicht als allgemeiner Vertreter nach § 53 BRAO bestellt ist, einen Fehler begeht (vgl. BVerwG, Beschl. v. 31.05.1978 -, a.a.O., m.w.N.). So verhält es sich hier jedoch nicht. Denn der angestellten Rechtsanwältin, die am letzten Tag der Frist zur Begründung des Zulassungsantrags einen untauglichen Fristverlängerungsantrag (vgl. VGH München, Beschl. v. 30.08.2005 - 12 ZB 05.1767 -, zit. nach juris) gestellt hat, war der Rechtsstreit in diesem Verfahrensstadium nicht lediglich in untergeordneter Hilfstätigkeit, sondern - wenn auch mit inhaltlichen Vorgaben - zur eigenverantwortlichen Bearbeitung übertragen. Mit dem fristgerecht eingereichten Wiedereinsetzungsantrag vom 27. April 2006 macht der Prozessbevollmächtigte der Klägerin geltend, dass die bei ihm angestellte Rechtsanwältin, die den Schriftsatz vom 7. April 2006 unterzeichnet hat, als juristische Hilfskraft in der Kanzlei angestellt sei. Sie sei durch den Prozessbevollmächtigten angewiesen gewesen, den Schriftsatz zur Begründung des Antrags auf Zulassung der Berufung entsprechend den inhaltlichen Vorgaben des Prozessbevollmächtigten zu fertigen und wegen dessen urlaubsbedingter Abwesenheit durch die anstehende Geburt seines 3. Kindes auch zu unterzeichnen. Für den Senat ist entscheidend, dass die angestellte Rechtsanwältin auch nach den Weisungen des Prozessbevollmächtigten nicht nur zu untergeordneter Hilfstätigkeit in diesem Fall eingesetzt worden ist, sondern vielmehr - wenn auch nach konkreten inhaltlichen Vorgaben des Prozessbevollmächtigten - selbständig den fristwahrenden Schriftsatz einreichen sollte. Der Prozessbevollmächtigte der Klägerin hat sich in dem hier zugrunde liegenden Fall gerade nicht die Entscheidung über den Inhalt des Schriftsatzes, insbesondere nicht dessen Unterzeichnung, selbst vorbehalten. Damit sollte und wurde die Rechtsanwältin, die zum Zeitpunkt der Einleitung des Rechtsmittelverfahrens auch im Briefkopf der Kanzlei des Prozessbevollmächtigten geführt wird, nicht nur in einer Hilfsfunktion tätig, sondern ihr wurde die Rechtsmittelführung letztlich zur selbstständigen eigenverantwortlichen Bearbeitung übertragen. Sie wurde in dieser Sache mit der Wahrung der Rechtsmittelfrist in voller anwaltlicher Verantwortung tätig. Der Bewertung als "juristische Hilfskraft" vermag der Senat daher nicht zu folgen.

Die rechtliche Fehleinschätzung der angestellten Rechtsanwältin, die Frist zur Begründung des Zulassungsantrages sei verlängerungsfähig, ist auch verschuldet. Der Rechtsirrtum war vermeidbar. Bereits aus § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO wird deutlich, dass es sich bei der Begründungsfrist um eine gesetzliche Frist handelt, für die etwa in Abgrenzung zu § 124a Abs. 3 Satz 3 VwGO keine Verlängerungsmöglichkeit vorgesehen ist (§ 57 Abs. 2 VwGO i.V.m. § 224 Abs. 2 ZPO). Sonstige Gründe, weshalb der auch im Übrigen vermeidbare Rechtsirrtum hier im konkreten Einzelfall entschuldbar wäre, sind schon nach dem Klägervorbringen nicht ersichtlich.

Die Klägerin hat sich dementsprechend das Verschulden ihres Prozessbevollmächtigten zurechnen zu lassen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.

Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 52 Abs. 1, 47 Abs. 3 GKG.

Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird das angefochtene Urteil rechtskräftig (§ 124 a Abs. 5 Satz 4 VwGO).






OVG Greifswald:
Urteil v. 20.03.2009
Az: 2 L 69/06


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