Bundespatentgericht:
Beschluss vom 6. April 2000
Aktenzeichen: 25 W (pat) 165/99

(BPatG: Beschluss v. 06.04.2000, Az.: 25 W (pat) 165/99)

Tenor

Die Beschwerde der Widersprechenden wird zurückgewiesen.

Gründe I.

Die Bezeichnung EPIKUR ist unter der Nummer 396 31 829 als Marke für "pharmazeutische Präparate" in das Markenregister eingetragen worden. Die Markeninhaberin hat nach einer Vergleichsanregung des Senats das Warenverzeichnis ihrer Marke im Beschwerdeverfahren eingeschränkt auf "pharmazeutische Präparate, ausgenommen Antibiotika/Antiinfektiva". Nach der Veröffentlichung der Eintragung am 10. Februar 1997 ist Widerspruch erhoben worden von der Inhaberin der älteren, seit dem 1. April 1992 für "pharmazeutische Erzeugnisse und Substanzen" eingetragenen Marke 2 012 017 EPIVIR, die ihren Widerspruch auch nach Einschränkung des Warenverzeichnisses im Beschwerdeverfahren aufrechterhalten hat.

Die Inhaberin der angegriffenen Marke hat die Benutzung der Widerspruchsmarke für alle Waren außer "rezeptpflichtige Antibiotika/Antiinfektiva" bestritten. Eine über den zugestandenen Warenbereich hinausgehende Benutzung hat die Widersprechende nicht geltend gemacht.

Die Markenstelle für Klasse 5 des Deutschen Patent- und Markenamts hat die Verwechslungsgefahr zwischen den Marken verneint und den Widerspruch zurückgewiesen. Im Hinblick auf mögliche Warenidentität sei zunächst ein strenger Maßstab an die Beurteilung des Ähnlichkeitsbereichs der Marken geboten. Wegen der auf diesem Warengebiet erhöhten Aufmerksamkeit auch bei Laien sei dieser Maßstab allerdings zu mindern. Obwohl die Marken in der Silbenzahl und in dem Anfangsbestandteil "EPI" übereinstimmten, sei allenfalls eine mittlere klangliche Markenähnlichkeit festzustellen, wobei sich eine Verwechslungsgefahr noch sicher ausschließen lasse. Die Markenwörter unterschieden sich in der Vokalfolge und in der Schlußsilbe. Da der übereinstimmende Anfangsbestandteil "EPI" die aus der griechischen Sprache kommende Vorsilbe mit der Bedeutung "darauf, darüber, daneben" darstelle und diese Vorsilbe in einer großen Anzahl von Drittmarken vorkomme und deshalb als verbraucht gelte, würde den abweichenden Schlußsilben und den dort vorhandenen Unterschieden eine entsprechend große Aufmerksamkeit entgegengebracht. Die dort vorhandenen deutlichen Abweichungen im Klangbild seien nicht zu überhören. Auch aus anderen Gesichtspunkten sei eine Verwechslungsgefahr nicht ersichtlich.

Hiergegen richtet sich die Beschwerde der Widersprechenden, die beantragt, den angefochtenen Beschluß aufzuheben und die angegriffene Marke im Register zu löschen.

Die angesichts möglicher Warenidentität zu stellenden besondere Anforderungen an den Markenabstand seien nicht erfüllt. Die dreisilbigen Markenwörter stimmten in den besonders prägenden Anfangssilben "EPI" überein und seien im Abschlußlaut "r", der stets ein wenig gerollt ausgesprochen werde, gleich. Die Unterschiede könnten demgegenüber in der Erinnerung verblassen, insbesondere dann, wenn beide Marken nicht nebeneinander auftreten. Der Umstand, daß der Wortanfang "Epi" aus der griechischen Sprache stamme, werde normalen Verkehrskreisen unbekannt sein und sei daher nicht zu berücksichtigen. Da die Marken nach ihrem Gesamteindruck zu beurteilen seien, könne auch nicht von einem "Verbrauch" der Wortanfangs gesprochen werden. Auch in schriftbildlicher Hinsicht seien Verwechslungen nicht mit der erforderlichen Sicherheit auszuschließen. Die Buchstaben "U" und "V" wiesen insoweit eine starke Ähnlichkeit auf. Der einzige verbleibende Unterschied im Schriftumriß - die Oberlänge des "k" der jüngeren Marke - falle oft recht undeutlich aus oder verschwinde sogar ganz.

Die Inhaberin der angegriffenen Marke beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen.

Es sei zu berücksichtigen, daß die Widerspruchsmarke für ein rezeptpflichtiges Antibiotikum/Antiinfektivum zur Behandlung von Aids-Patienten benutzt werde. Dadurch sei sichergestellt, daß das Präparat ausschließlich durch Fachpersonal abgegeben werde. Ausgehend davon seien keine erhöhten Anforderungen an den Markenabstand zu stellen. Diesen werde die angegriffene Marke gerecht. Der übereinstimmende Wortanfang "EPI" sei im Hinblick auf etliche "EPI-Zeichen" in der Roten Liste wenig unterscheidungskräftig und als verbraucht einzustufen, zumal er auch beschreibend auf medizinische Begriffe wie Epilepsie, Epidemie, Epidermis usw hinweist. In den dominierenden Schlußsilben unterschieden sich die Markenwörter aber markant, so daß keine Verwechslungsgefahr bestehe.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Beschluß der Markenstelle sowie auf die Schriftsätze der Beteiligten Bezug genommen.

II.

Die Beschwerde der Widersprechenden ist zulässig, insbesondere statthaft sowie form- und fristgerecht eingelegt, § 66 Abs 1 Satz 1, Abs 2 MarkenG.

In der Sache hat die Beschwerde jedoch keinen Erfolg. Der nach § 42 Abs 2 Nr 1 MarkenG erhobene Widerspruch ist von der Markenstelle zu Recht gemäß § 43 Abs 2 Satz 2 MarkenG zurückgewiesen worden. Es besteht auch nach Auffassung des Senats keine Verwechslungsgefahr im Sinne von § 9 Abs 1 Nr 2 MarkenG.

Nachdem die Inhaberin der angegriffenen Marke die Benutzung der Widerspruchsmarke für alle Waren mit Ausnahme von "rezeptpflichtigen Antibiotika/Antiinfektiva" bestritten hat und die Widersprechende eine weitergehende Benutzung auch nicht behauptet und belegt hat, ist auf seiten der Widerspruchsmarke zunächst von diesen Waren auszugehen, § 43 Abs 1 Satz 1 bis 3 MarkenG. Bei der Entscheidung sind zugunsten der Widersprechenden allerdings die Waren der entsprechenden Hauptgruppe der Roten Liste, also Antibiotika/Antiinfektiva (Hauptgruppe 10) ganz allgemein, insbesondere ohne Beschränkung auf rezeptpflichtige Präparate oder bestimmte Darreichungsformen zu berücksichtigen, da ein Markeninhaber in seiner wirtschaftlichen Bewegungsfreiheit nicht ungebührlich eingeschränkt werden darf (so ständige Rechtsprechung, vgl BPatG Mitt 1979, 223 "Mastu"; GRUR 1995, 488 "APISOL/Aspisol"; vgl allgemein zur Integrationsfrage auch BGH GRUR 1990, 39 ff "Taurus" in einem Löschungsverfahren).

Ausgehend davon stehen den "pharmazeutischen Präparaten, ausgenommen Antibiotika/Antiinfektiva" der angegriffenen Marke die zu berücksichtigenden "pharmazeutischen Erzeugnisse und Substanzen, nämlich Antibiotika/Antiinfektiva" der Widerspruchsmarke gegenüber. Die Marken können sich danach zwar nicht mehr auf identischen, gleichwohl aber noch auf sehr ähnlichen Waren begegnen. Durch den Ausnahmevermerk im Warenverzeichnis der angegriffenen Marke wird kein deutlicher Warenabstand hergestellt. Im Hinblick auf den weiten Warenbegriff "pharmazeutische Präparate" kann die angegriffene Marke nach wie vor zur Kennzeichnung einer Vielzahl von Waren verwendet werden, und zwar auch von solchen, die zu den Widerspruchswaren enge Berührungspunkte aufweisen, zB weil sie in einem sinnvollen, unter Umständen sogar funktionalen Zusammenhang bei der Behandlung eines bestimmten Krankheitsbildes eingesetzt werden. Bei schweren Infektionen der oberen Atemwege werden zB neben den Antibiotika, welche die Infektion als solche bekämpfen sollen, häufig auch Antitussiva oder Expektorantia zur Linderung der symptomatischen Beschwerden verabreicht.

Bei seiner Entscheidung geht der Senat von einer durchschnittlichen Kennzeichnungskraft und damit einem normalen Schutzumfang der Widerspruchsmarke aus. Insbesondere Fachleute mit entsprechenden Fach- und Sprachkenntnissen und ausreichendem Assoziationsvermögen können zwar in der Bezeichnung mit den Markenbestandteilen "EPI" und "VIR" vermuten, daß es sich bei einem derart gekennzeichneten Präparat um ein Arzneimittel zur Behandlung von Viruserkrankungen im weitesten Sinne handelt. Gleichwohl sind die Markenbestandteile hinreichend phantasievoll zusammengefügt, so daß jedenfalls keine Kennzeichnungsschwäche der Gesamtbezeichnung angenommen werden kann, zumal im pharmazeutischen Bereich Markenbildungen üblich sind, welche die Art, Zusammensetzung, Wirkung, Indikation und dergleichen des zu kennzeichnenden Präparats jedenfalls für den Fachmann erkennen lassen.

Die Ähnlichkeit der Marken ist nach Auffassung des Senats in keiner Richtung derart ausgeprägt, daß unter Berücksichtigung der Kennzeichnungskraft der Widerspruchsmarke und der Warenlage die Gefahr von Verwechslungen im Sinne des § 9 Abs 1 Nr 2 MarkenG zu bejahen wäre. Auch wenn im Hinblick auf eine enge Warenähnlichkeit und uneingeschränkte Berücksichtigung allgemeiner Verkehrskreise noch strenge Anforderungen an den Markenabstand gestellt werden, wird die angegriffene Marke diesen gerecht.

Von Bedeutung für die Beurteilung ist zunächst, daß die Übereinstimmung der Markenwörter im Anfangsbestandteil "EPI" bei der Beurteilung des jeweiligen Gesamteindrucks und der Verwechslungsgefahr nicht so stark ins Gewicht fällt, wie dies bei einem originelleren Bestandteil der Fall wäre. Dieser Markenbestandteil ist als Anfangsbestandteil außerordentlich beliebt und in sehr vielen Marken der Klasse 5 enthalten (weit mehr als 100 Marken). Selbst wenn von den eingetragenen Marken tatsächlich nur ein Teil benutzt wird, kann die Drittzeichenlage schon für sich genommen nicht unbeachtet bleiben (vgl BGH GRUR 1967, 246, 250 reSp aE "Vitapur"; MarkenR 1999, 57 - Lions). Außer der Widerspruchsmarke sind im übrigen fünf entsprechend gebildete Marken anderer Hersteller in der Roten Liste eingetragen (vgl Rote Liste 2000, Nr 27 242 "Epicordin", Nr 67 166 "Epifrin", Nr 63 064 "Epipak", Nr 21 100 "Epi-Pevaryl" und Nr 21 134 "Epipavisone"), was ein gewisses Indiz für eine tatsächliche Verwendung darstellt. Der Anfangsbestandteil "EPI" muß bei der Beurteilung des Gesamteindrucks zwar jeweils berücksichtigt werden, sein kennzeichnendes Gewicht ist aber reduziert. Die Aufmerksamkeit des Verkehrs wird sich vergleichsweise stärker auf die weiteren Wortbestandteile oder - sofern auch diese kennzeichnungsschwach sind - auf die Kombination der Markenelemente als solche richten.

Klanglich stimmen die Markenwörter zwar bei gleicher Silbenzahl und gleichem Sprechrhythmus im Anfangsbestandteil "EPI" und im Schlußkonsonanten überein. Darüber hinaus weisen die weiteren Markenbestandteile "KUR" und "VIR" aber keine relevanten Annäherungen auf, sondern sie heben sich sowohl im konsonantischen Anlaut als auch im Vokallaut markant voneinander ab. Diese deutlichen Abweichungen prägen den maßgeblichen klanglichen Gesamteindruck der Vergleichsbezeichnungen hinreichend unterschiedlich.

Im schriftbildlichen Vergleich unterscheiden sich die Markenwörter trotz der Übereinstimmung im Anfangsbestandteil und im Schlußbuchstaben in allen verkehrsüblichen Wiedergabeformen aufgrund der in ihrer Umrißcharakteristik deutlich unterschiedlichen Buchstaben "ku" gegenüber "vi" bzw "KU" gegenüber "VI" im Wortinnern im Gesamteindruck hinreichend deutlich.

Epikur EPIKUR Epivir EPIVIR Soweit die Widersprechende anführt, daß die Buchstaben "U" und "V" in ihrer Umrißcharakteristik angenähert sind oder sein können, führt dies bei den vorliegenden noch relativ übersichtlichen Vergleichsbezeichnungen schon deshalb zu keiner entscheidenden Annäherung, weil diese Buchstaben hinreichend deutlich erkennbar an unterschiedlicher Stelle im Wort positioniert sind. Bei der Beurteilung der schriftbildlichen Verwechslungsgefahr ist zudem zu berücksichtigen, daß das Schriftbild der Marken erfahrungsgemäß sehr viel besser eine ruhige oder auch wiederholte Wahrnehmung der Bezeichnung gestattet als das schnell verklingende gesprochene Wort.

Zu berücksichtigen ist ferner, daß die handschriftliche Markenwiedergabe mit einer im Vergleich zur Maschinenschrift unter Umständen etwas undeutlicheren Markendarstellung bei pharmazeutischen Kennzeichnungen eine immer geringere Rolle spielt. Diese Tendenz wird sich in Zukunft vermutlich noch verstärken. Arzneimittelbestellungen werden von den Apotheken beim Pharmagroßhandel in der Regel bereits auf elektronischem Wege von Computer zu Computer über das Fernmeldenetz aufgegeben. Im Hinblick darauf, daß inzwischen die meisten Arztpraxen und Apotheken über eine EDV-Ausstattung verfügen, werden Rezepte und Bestellungen ganz überwiegend nicht mehr handschriftlich, sondern maschinenschriftlich erstellt, so daß die Marken in erster Linie insoweit zu vergleichen sind. Soweit bei der Beurteilung der Verwechslungsgefahr noch auf eine handschriftliche Wiedergabe abzustellen ist, muß der Beurteilung eine normal leserliche Handschrift zugrunde gelegt werden (vgl Althammer/Ströbele MarkenG, 5. Aufl, § 9 Rdn 91). Unleserliche Angaben auf Rezepten, auch in der Wortmitte der Präparatebezeichnungen führen nicht zu Verwechslungen, sondern regelmäßig nur zu Rückfragen des Apothekers beim Arzt. Unter Berücksichtigung dieser Gesichtspunkte halten die Marken auch bei einem Vergleich in handschriftlicher Hinsicht einen ausreichenden Abstand voneinander ein.

Schließlich wirken sich auch die unterschiedlichen Bedeutungsanklänge in den Schlußsilben zumindest in geringem Umfang verwechslungsmindernd aus. Auch wenn ein unmittelbares Erfassen der Bedeutungen wegen der jeweiligen Einbindung in eine Gesamtbezeichnung erschwert ist, können diese Bestandteile in ihrem Sinngehalt teilweise erkannt werden. Solche Sinnanklänge führen zwar nicht zum Ausschluß der Verwechslungsgefahr (iSv BGH GRUR 1992, 130 ff "BALL/Bally"), können sie aber etwas reduzieren.

Nach alledem konnte die Beschwerde der Widersprechenden keinen Erfolg haben.

Zu einer Kostenauferlegung aus Billigkeitsgründen bot der Streitfall keinen Anlaß, § 71 Abs 1 MarkenG.

Kliems Brandt Knoll Pü






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Az: 25 W (pat) 165/99


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