Bundespatentgericht:
Beschluss vom 14. Oktober 2003
Aktenzeichen: 33 W (pat) 155/02
(BPatG: Beschluss v. 14.10.2003, Az.: 33 W (pat) 155/02)
Tenor
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
Gründe
I Gegen die Eintragung der Wortmarke 397 32 576 BIOSORB fürchemische Erzeugnisse für industrielle und andere gewerbliche Zwecke, chemische Mittel zur Abwasserbehandlung, Adsorbentien, Filterdetergentien, Deodorantien, Korrosionsinhibitorenist Widerspruch eingelegt worden aus der Wortmarke 2 000 281 BECOSORB die für Kieselgel, ausgenommen für die Anwendung in der Chromatographiegeschützt ist.
Mit zwei Beschlüssen vom 22. März 2000 und vom 21. Januar 2002, letzterer als Erinnerungsbeschluss, hat die Markenstelle für Klasse 1 den Widerspruch zurückgewiesen. Nach Auffassung der Markenstelle besteht zwischen den Waren zwar eine Teilidentität, da die für die Widersprechende geschützte Ware unter den für die jüngere Marke eingetragenen Oberbegriff falle. Auch verfüge die Widerspruchsmarke über eine normale Kennzeichnungskraft. Für den Fachverkehr, an den sich die beiderseitigen Waren ausschließlich richteten, halte die jüngere Marke jedoch den danach erforderlichen deutlichen Abstand ein. Zwar stimmten die Markenwörter in Silbenzahl, Sprech- und Betonungsrhythmus sowie in der Vokalfolge überein. Mit dem Konsonanten "C", gesprochen wie "K", enthalte die Widerspruchmarke jedoch einen zusätzlichen klangstarken Konsonanten und Sprenglaut, der sich zudem am stärker beachteten Wortanfang befinde. Angesichts der Kennzeichnungsschwäche des Wortendes "sorb", das einen Hinweis auf "absorbieren" darstelle, werde der Verkehr den Unterschied in der ersten Worthälfte bemerken und die Marken nicht verwechseln, zumal der leicht erfassbare Sinngehalt der ersten Silbe "Bio" der angegriffenen Marke zusätzlich die Unterscheidbarkeit erleichtere. Auch in schriftbildlicher Hinsicht bestehe keine Verwechslungsgefahr, da sich die Marken in den Buchstaben "I" gegenüber "EC" ebenfalls deutlich unterschieden.
Hiergegen richtet sich die Beschwerde der Widersprechenden. Nach ihrer Auffassung besteht zwischen den Marken eine Verwechslungsgefahr. Angesichts der teilweise vorliegenden Warenidentität unterschieden sich die Marken klanglich und schriftbildlich nicht ausreichend. Sie wiesen fast identische Wortlängen und keine Unterschiede in den Ober- und Unterlängen auf, so dass schriftbildliche Verwechslungen nicht ausgeschlossen seien. Auch in klanglicher Hinsicht bestehe eine Verwechslungsgefahr. Die Marken enthielten mit den Vokalen "I-O-O" und "E-O-O" nahezu gleiche Vokalfolgen, im Übrigen die gleiche Silbenzahl sowie einen ähnlichen Sprech- und Betonungsrhythmus. Die Markenstelle habe die Markenwörter unzulässig in die Buchstabenfolgen "OSORB" und "BI" bzw. "BEC" aufgeteilt. Selbst bei einer Gegenüberstellung der Wortanfänge seien entweder "BI/BE" oder "BIO/BECO" gegenüberzustellen. Auch dann reichten die Unterschiede angesichts der sonstigen Gemeinsamkeiten der Marken jedoch nicht aus, um eine Verwechslungsgefahr zu verneinen. Dies gelte selbst für den Fachverkehr, wobei zu berücksichtigen sei, dass im gewerblichen Bereich auch weniger geschulte Hilfskräfte mit der Bestellung von Markenartikeln befasst sein könnten. Zwar fehle der klangstarke Konsonant "C", gesprochen wie "K", in der jüngeren Marke, bei nachlässiger Sprechweise verlören dahingehende Unterscheidungsmerkmale jedoch ihre Wirksamkeit für den Gesamteindruck. Daher habe das Bundespatentgericht auch eine Verwechslungsgefahr zwischen den Marken "Standapol" und "Stokopol" angenommen, die nach Kriterien wie Silbenzahl, Vokalfolge, klangstarker abweichender Konsonant, Ober- und Unterlängen sowie identischer oder ähnlicher Waren, dem vorliegenden Fall vergleichbar seien.
Die Widersprechende beantragt sinngemäß, den angefochtenen Beschluss aufzuheben und die Löschung der angegriffenen Marke anzuordnen.
Die Inhaberin der angegriffenen Marke beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen.
Eine weitere Stellungnahme hat sie im Beschwerdeverfahren nicht abgegeben.
Wegen der Einzelheiten wird auf den Akteninhalt Bezug genommen.
II Die zulässige Beschwerde der Widersprechenden ist nicht begründet.
Zwischen den Marken besteht keine Verwechslungsgefahr nach §§ 42 Abs. 2 Nr. 1, 9 Abs. 1 Nr. 2 MarkenG.
Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist die Frage einer markenrechtlichen Verwechselungsgefahr i.S. von § 9 Abs. 1 Nr. 2 MarkenG unter Heranziehung aller Umstände des Einzelfalls umfassend zu beurteilen. Dabei ist von einer Wechselwirkung zwischen den Beurteilungsfaktoren der Warenidentität oder -ähnlichkeit, der Markenidentität oder -ähnlichkeit und der Kennzeichnungskraft der Widerspruchsmarke in der Weise auszugehen, dass ein geringerer Grad der Ähnlichkeit der Waren durch einen höheren Grad der Ähnlichkeit der Marken oder der Kennzeichnungskraft der älteren Marke ausgeglichen werden kann und umgekehrt (st. Rspr.; vgl. BGH GRUR 2001, 544, 545 - BANK 24, m.w.N.; GRUR 2002, 1067 - DKV/OKV).
Die Kennzeichnungskraft der Widerspruchsmarke ist mangels anderweitiger Anhaltspunkte als normal einzustufen.
Außerdem liegen die sich gegenüberstehenden Waren und Dienstleistungen weitgehend im Identitätsbereich, da die für die jüngere Marke eingetragenen chemischen Erzeugnisse für industrielle und andere gewerbliche Zwecke die für die Widersprechende geschützten Kieselgele oberbegrifflich erfassen und Kieselgele zudem zur Reinigung und als Deodorantien eingesetzt werden. Auch zu "chemischen Mitteln zur Abwasserbehandlung", "Filterdetergentien" und Deodorantien" besteht daher eine Identität, zumindest aber eine hochgradige Ähnlichkeit.
Jedoch hält die angegriffene Marke den insoweit erforderlichen größeren Abstand zur Widerspruchsmarke ein. Zwar sind die Vokalfolgen der beiderseitigen Marken (ioo/eoo) sehr ähnlich, der Unterschied zwischen den Anfangsvokalen "i" und "e" ist hier dennoch gut vernehmbar. Sie werden beide betont ausgesprochen. Zudem leitet der Vokal "i" in der jüngeren Marke einen Diphtong ein, der wegen der helldunkel kontrastierenden Bestandteile "io" sehr auffällig ist. Hinzu kommt, dass der erste Markenbestandteil der jüngeren Marke "BIO" ein für jedermann geläufiges Wortelement darstellt, was die klangliche Unterscheidbarkeit der Marken zusätzlich erleichtert. Darüber hinaus weist die Widerspruchsmarke am Wortanfang den als "K" gesprochenen Buchstaben "C" auf und verfügt damit als einzige der beiden Marken über einen harten und klangstarken Konsonanten. Dies stellt gerade im Vergleich zum geläufigen Anfangsbestandteil "BIO" der jüngeren Marke einen deutlichen Unterschied dar, der im Gegensatz zur Auffassung der Widersprechenden selbst bei nachlässiger Sprechweise unüberhörbar ist und maßgebenden Einfluss auf den Gesamtklangcharakter der Widerspruchsmarke hat. Der Schlussbestandteil "SORB" ist zwar in beiden Marken identisch vorhanden, neben seiner nachgeordneten Stellung wird diese Gemeinsamkeit jedoch durch die Kennzeichnungsschwäche der erkennbar aus Begriffen wie "Adsorbens" bzw. "Asorbentien" entlehnten Schlusssilbe relativiert. Insgesamt lassen sich die Marken damit noch so deutlich auseinanderhalten, dass eine Gefahr klanglicher Verwechslungen nicht vorliegt.
Dagegen rechtfertigt der Hinweis der Widersprechenden auf die Entscheidung BPatG GRUR 1980, 855 keine andere Beurteilung. In dieser Entscheidung hatte der 25. Senat des Bundespatentgerichts bei Identität bzw. hochgradiger Gleichartigkeit der Waren eine Verwechslungsgefahr zwischen den Marken "Standapol" und ' "Stokopol" festgestellt. Dabei stellte er entscheidungserheblich darauf ab, dass im gewerblichen Bereich oft auch Hilfskräfte ohne besondere Ausbildung mit Warenbestellungen befasst und bei der Verarbeitung und Lagerhaltung der sich gegenüberstehenden Waren (im Wesentlichen chemische Erzeugnisse als Hilfsmittel für die Textilindustrie) häufig einfachste Hilfskräfte tätig seien. Zudem herrsche in den Produktionsräumen oft Lärm, der Hörfehler begünstige.
Ob es in der chemischen Industrie noch 1980 realen Betriebsabläufen entsprach, unter derartigen Bedingungen in beachtlichem Umfang einfachsten Hilfskräften die (mündliche) Auswahl unter verschiedenen chemischen Hilfsmitteln bzw. die Ausführung einer solchen Auswahl zu überlassen, mag dahinstehen. Dies gilt auch für die Frage, ob der 25. Senat seiner Entscheidung einen damals häufig zu beobachtenden Prüfungsmaßstab zugrunde gelegt hatte, der zu einer großzügigeren Bejahung der Verwechslungsgefahr führte (zur Entwicklung der Rechtsprechung vgl. Ströbele/Hacker, Markengesetz, 7. Aufl., § 9, Rdn. 41 ff.). Nach der inzwischen ergangenen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs beurteilt sich die Verwechslungsgefahr jedenfalls aus der Sicht eines durchschnittlich informierten, aufmerksamen und verständigen Durchschnittsverbrauchers im Bereich der einschlägigen Waren (vgl. EuGH GRUR Int 1999, 734, 736 - Lloyd; GRUR 2002, 804, 808 - Philips). Dieses Verbraucherleitbild lässt eine Berücksichtigung uninformierter und uninteressierter Personen nicht mehr zu. Auch die zunehmende Automatisierung der Abläufe in industriellen Betrieben schränkt die Bedeutung von einfachen Hilfskräften im Produktionsbereich für die Beurteilung der Verwechslungsgefahr weiter ein. Soweit daneben auch einfaches Büropersonal mit mündlichen Warenbestellungen befasst wird, ist von normalen akustischen Verhältnissen auszugehen, wobei insoweit auch der 25. Senat im og. Fall offenbar keine Gefahr klanglicher Verwechslungen mehr sah (vgl. BPatG, a.a.O., re. Sp. unten). Im Gegensatz zu diesem Fall war hier außerdem die Kennzeichnungsschwäche der Schlusssilben mit zu berücksichtigen.
Auch in schriftbildlicher Hinsicht kann eine Verwechslungsgefahr nicht festgestellt werden. Angesichts der schnellen begrifflichen Erfassbarkeit des Anfangsbestandteils "BIO" der jüngeren Marke und der Kennzeichnungsschwäche des gemeinsamen Bestandteils "SORB" sind die Unterschiede am Wortanfang zwischen den Buchstaben "I" bzw. "i" und "EC" bzw. "ec" sowohl in durchgängiger Großschrift als auch in Normalschrift ausreichend, um eine schriftbildliche Unterscheidbarkeit der Marken zu gewährleisten.
Schließlich kann auch keine assoziative Verwechslungsgefahr festgestellt werden. Einerseits spricht die Kennzeichnungsschwäche des Schlussbestandteils "SORB" (s.o.) dagegen, ihm einen Hinweischarakter auf den Betrieb der Widersprechenden zuzuerkennen. Andererseits hat die Widersprechende im Verfahren vor der Markenstelle vorgetragen, dass sie über zahlreiche Marken mit dem Bestandteil "BECO" verfüge. Für sie kommt daher allenfalls dieser Teil ihrer Marke als Stammbestandteil einer Zeichenserie in Betracht. Gerade hierin weichen die Marken jedoch voneinander ab.
Winkler Dr. Hock Kätker Cl
BPatG:
Beschluss v. 14.10.2003
Az: 33 W (pat) 155/02
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