Landgericht Berlin:
Urteil vom 31. März 2009
Aktenzeichen: 27 S 14/08
(LG Berlin: Urteil v. 31.03.2009, Az.: 27 S 14/08)
Tenor
1.
Auf die Berufung der Klägerin wird das Teil- und Schlussurteil des Amtsgerichts Tempelhof-Kreuzberg vom 3. November 2008 -6 C 196/08- geändert und wie folgt neu gefasst:
Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin weitere 958,18 Euro nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 3. Mai 2008 zu zahlen.
2.
Der Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung des aus diesem Urteil vollstreckbaren Betrages zuzüglich 10 % abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe des jeweils beizutreibenden Betrages zuzüglich 10 % leistet.
4.
Die Revision wird zugelassen.
Gründe
I.
Die Klägerin verlangt vom Beklagten die Erstattung von Rechtsanwaltsgebühren, welche ihr im Zusammenhang mit der Abmahnung wegen eines vom Beklagten verfassten Artikels in der Zeitschrift €S... B...€ entstanden sind. Auf die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil wird gemäß § 540 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 ZPO Bezug genommen.
Das Amtsgericht Tempelhof-Kreuzberg hat die Klage, soweit ihr nicht auf das Teilanerkenntnis des Beklagten mit Teilanerkenntnisurteil vom 29. August 2008 stattgegeben worden war, mit Urteil vom 3. November 2008 abgewiesen.
Die Klägerin und Berufungsklägerin ist der Meinung, es handele sich bei der vorgerichtlichen Geltendmachung von Unterlassungsansprüchen gegen den beklagten Autor einerseits und den Verlag andererseits nicht um dieselbe Angelegenheit.
Die Klägerin beantragt,
wie im Urteilstenor zu 1. erkannt.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
II.
Die Berufung ist form- und fristgerecht eingelegt und begründet, mithin zulässig; auch in der Sache hat sie Erfolg.
Der Klägerin steht der geltend gemachte Schadensersatzanspruch dem Grunde und der Höhe nach gegen den Beklagten aus §§ 823, analog 1004 Abs. 1 S. 2 BGB, Art. 2 Abs. 1 GG zu.
Grundsätzlich gilt hinsichtlich der Ersatzfähigkeit von Rechtsanwaltskosten (vgl. BGH, Urteil vom 4.12.2007, Az.: VI ZR 277/06, AfP 2008, 189 zur getrennten Abrechnung von Unterlassungsansprüchen von Text und Bild eines Artikels nach § 118 BRAGO), €dass zu den wegen einer unerlaubten Handlung zu ersetzenden Kosten auch die Kosten der Rechtsverfolgung gehören und dass deshalb auch die Kosten eines mit der Sache befassten Rechtsanwalts ersatzfähig sein können, soweit sie zur Wahrnehmung der Rechte erforderlich und zweckmäßig waren (vgl. Senat, BGHZ 127, 348, 350; Urteile vom 10. Januar 2006 - VI ZR 43/05 - VersR 2006, 521; vom 12. Dezember 2006 - VI ZR 175/05 - VersR 2007, 505; vom 12. Dezember 2006 - VI ZR 188/05 - VersR 2007, 506; BGH, BGHZ 30, 154, 156; Urteile vom 30. April 1986 - VIII ZR 112/85 - NJW 1986, 2243, 2244; vom 23. Oktober 2003 - IX ZR 249/02 - NJW 2004, 444, 446). Auch ein möglicher Anspruch aus Geschäftsführung ohne Auftrag (vgl. dazu BGH, BGHZ 52, 393, 400; Urteil vom 6. Mai 2004 - I ZR 2/03 - NJW 2004, 2448) umfasst nur die Erstattung solcher Rechtsverfolgungskosten, die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendig, also erforderlich waren. Voraussetzung ist hierfür, dass der Geschädigte im Innenverhältnis zu dem für ihn tätigen Rechtsanwalt zur Zahlung der in Rechnung gestellten Kosten verpflichtet ist (was hier nach den Bestimmungen der Bundesrechtsanwaltsgebührenordnung zu beurteilen sein wird, § 61 Abs. 1 Satz 1 RVG) und dass diese Kosten ganz oder teilweise vom Schädiger zu erstatten sind (vgl. Senat, Urteil vom 1. Oktober 1968 - VI ZR 159/67 - VersR 1968, 1145; Jahnke VersR 1991, 264, 265 f.).
a) Im Innenverhältnis zwischen dem Geschädigten und seinem Rechtsanwalt setzt die Entstehung von zwei rechtlich eigenständigen, aus Gegenstandswerten von (...) zu berechnenden Ansprüchen auf Zahlung je einer Geschäftsgebühr nach §§ 11, 118 Abs. 1 Nr. 1 BRAGO nebst Auslagenpauschale und Mehrwertsteuer voraus, dass sich die anwaltliche Tätigkeit nicht auf dieselbe Angelegenheit (§§ 7 Abs. 2, 13 Abs. 2 Satz 1 BRAGO) bezogen hat, bei der mehrere Gegenstände zusammenzuzählen sind, die Gebühr aber nur einmal verlangt werden darf. Mehrere Aufträge betreffen regelmäßig dieselbe Angelegenheit, wenn zwischen ihnen ein innerer Zusammenhang besteht und sie sowohl inhaltlich als auch in der Zielrichtung so weitgehend übereinstimmen, dass von einem einheitlichen Rahmen der Tätigkeit gesprochen werden kann und insbesondere die innerlich zusammengehörenden Gegenstände von dem Rechtsanwalt einheitlich bearbeitet werden können (vgl. BGH, Urteil vom 4. Mai 1972 - III ZR 27/70 - JurBüro 1972, 684 f.; vom 29. Juni 1978 - III ZR 49/77 - JZ 1978, 760, 761; vom 17. November 1983 - III ZR 193/82 - MDR 1984, 561; vom 24. November 1994 - IX ZR 222/93 - NJW-RR 1995, 758, 761). (...)
Je nach Sachlage können die anwaltlichen Vertreter des Klägers schließlich Hinweispflichten getroffen haben (vgl. BGH, BGHZ 77, 27, 29 f.; Urteil vom 11. Dezember 2003 - IX ZR 109/00 - NJW 2004, 1043, 1045; Jahnke aaO 265 f.), bei deren Verletzung der Kläger seinen Anwälten nur zur Zahlung der Kosten verpflichtet wäre, die bei gemeinsamer Verfolgung der getrennt verfolgten Ansprüche entstanden wären.
(...)
Das Berufungsgericht wird für das Außenverhältnis des Geschädigten zum Schädiger zu beachten haben, dass ein Schädiger nach ständiger Rechtsprechung selbst dann nicht schlechthin alle durch das Schadensereignis adäquat verursachten Anwaltskosten zu ersetzen hat, wenn entsprechende Honoraransprüche des Anwalts gegen den von diesem vertretenen Geschädigten bestehen. Voraussetzung eines Erstattungsanspruchs ist vielmehr, dass die anwaltliche Tätigkeit aus der maßgeblichen Sicht des Geschädigten mit Rücksicht auf dessen spezielle Situation zur Wahrnehmung seiner Rechte erforderlich und zweckmäßig war (vgl. Senat, BGHZ 127, 348, 350; Urteile vom 10. Januar 2006 - VI ZR 43/05 - aaO; vom 12. Dezember 2006 - VI ZR 175/05 - aaO; vom 12. Dezember 2006 - VI ZR 188/05 - aaO; BGH, BGHZ 30, aaO; Urteile vom 30. April 1986 - VIII ZR 112/85 - aaO; vom 23. Oktober 2003 - IX ZR 249/02 - aaO).€
Diese Grundsätze sind auf den Begriff der Angelegenheit im Sinne des § 16 RVG übertragbar (vgl. zur €Angelegenheit€ im Sinne des § 16 RVG auch Gerold/Schmidt, RVG, 8. Aufl., § 15 Rn. 6).
Die Kammer hält in ständiger Rechtsprechung die getrennte Verfolgung der Unterlassungsansprüche, und zwar auch im streitgegenständlichen Fall, für zulässig. Bei der Verfolgung der Ansprüche einer Person wegen einer Textveröffentlichung gegen den Autor und den Verlag handelt es sich um zwei verschiedene Angelegenheiten. Auch wenn ein innerer Zusammenhang zwischen den Ansprüchen gegen den Verlag und den Autor eines Zeitschriftenartikels bestehen sollte, kommt es jedoch zusätzlich darauf an, ob die Überprüfung der Rechtmäßigkeit der jeweiligen Berichterstattung so weitgehend parallel läuft, dass nicht mehr von getrennten Prüfungsaufgaben des Rechtsanwalts gesprochen werden kann. Tatsächlich liegen jedoch unterschiedliche Prüfungsaufgaben bei unterschiedlichen Störern vor. Die Frage der Rechtmäßigkeit der Berichterstattung durch den Autor ist von der Prüfung der Verbreiterhaftung durch den Verlag zu trennen. Hierbei muss der Rechtsanwalt getrennte Überprüfungen anstellen, so dass mehrere Angelegenheiten vorliegen.
Aus der Sicht der Klägerin war es zweckmäßig, ihre Rechte mit getrennten Aufforderungsschreiben geltend zu machen. Hierfür ist es ausreichend, wenn für den eingeschlagenen Weg vertretbare sachliche Gründe sprechen. Für das vorgerichtliche Vorgehen spricht jedenfalls die größere Übersichtlichkeit als sachlicher Grund für eine getrennte Verfolgung (Kammergericht, Urteil vom 19. 1. 2007, 9 U 137/06).
Eine Obliegenheit, Abmahnungen bzw. Anspruchschreiben zusammenzufassen, um zugunsten des Schädigers Kosten zu reduzieren, besteht nicht (vgl. Kammergericht, a. a. O.).
Danach waren die vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten vorliegend zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendig und vom Geschädigten im Innenverhältnis an den für ihn tätigen Rechtsanwalt zu zahlen.
Der Beklagte schuldet bei dieser Sachlage Schadensersatz in der von der Klägerin begehrten Höhe.
Weder steht dem Kostenerstattungsanspruch der Einwand des Beklagten entgegen, die Klägerin habe in ihrer Berechnung der Anwaltskosten den Geschäftswert zu hoch angesetzt (so Kammergericht, Urteil vom 15. 6. 2007, 9 U 145/06), noch kann sich der Beklagte hier darauf berufen, der Prozessbevollmächtigte der Klägerin habe nicht ausreichend über die verschiedenen möglichen Vorgehensweisen, insbesondere die kostengünstigste belehrt.
In Anlehnung an die ständige Rechtsprechung des Kammergerichts ist davon auszugehen, dass ein Verletzter sich ein insoweit möglicherweise gegebenes Fehlverhalten des mit der Geltendmachung der Rechte beauftragten Rechtsanwaltes nicht zurechnen lassen. Ein solches Fehlverhalten unterbricht den Zurechnungszusammenhang zwischen schädigender Handlung und Schaden grundsätzlich nicht. Der Zurechnungszusammenhang entfällt nur bei ungewöhnlich grobem Fehlverhalten des Dritten, was hier jedenfalls zu verneinen ist. Es kommt allein darauf an, ob die Beauftragung des Rechtsanwalts aus der Sicht des Geschädigten zur Wahrnehmung seiner Rechte erforderlich und zweckmäßig war (BGH NJW 2006, 1065; NJW 1990, 2060), was vorliegend der Fall war.
Daran ändert auch nichts, dass dem Geschädigten wegen der Kosten u. U. Schadensersatz- und Bereicherungsansprüche gegenüber dem von ihm beauftragten Rechtsanwalt zustehen. Es ist ein allgemein anerkannter Grundsatz des Schadensersatzrechts, dass der Schädiger den Geschädigten nicht darauf verweisen kann, er habe gegen einen Dritten einen Anspruch, der zum Ausgleich seiner Vermögensbeeinträchtigung führen könne (BGH NJW 2001, 3190, 3192). Das Risiko einer fehlerhaften Beratung durch den beauftragten Rechtsanwalt und das Risiko einer gerichtlichen Auseinandersetzung über Honorar- und Schadensersatzansprüche des Rechtsanwalts muss der Geschädigte nicht tragen, wenn die Beauftragung des Rechtsanwalts adäquat-kausale Folge des Schadensereignisses war. Der Streit über die Frage, ob dem Rechtsanwalt des Geschädigten aufgrund einer pflichtwidrigen Durchführung des Auftrags ein Honorar zusteht sowie in welcher Höhe dies berechtigt ist, ist grundsätzlich zwischen dem Schädiger und dem Rechtsanwalt auszutragen; dies gilt auch für den Einwand, der Rechtsanwalt habe seiner Kostenberechnung einen unzutreffenden Geschäftswert bzw. eine zu hohe Rahmengebühr zugrunde gelegt. Der Geschädigte kann daher in einer derartigen Lage den Schädiger auf vollen Ersatz der Kosten in Anspruch nehmen und ist lediglich zur Abtretung seiner Ansprüche auf Rückgewähr einer etwaigen Zuvielzahlung verpflichtet (KG a. a. O. unter Hinweis auf BGH NJW 1990, 2060; KG, 10. Zivilsenat, Urteil vom 2. 3. 2006 € 10 U 102/05).
Die Nebenentscheidungen folgen aus §§ 286, 288 BGB, 97, 708 Nr. 10, 711 ZPO.
Die Revision war nach § 543 Abs. 2 Nr. 1 ZPO zuzulassen, da die in einer Vielzahl von Fällen klärungsbedürftige Frage der getrennten Geltendmachung von Unterlassungsansprüchen gegen Autor und Verlag von grundsätzlicher Bedeutung ist.
LG Berlin:
Urteil v. 31.03.2009
Az: 27 S 14/08
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