Bundespatentgericht:
Beschluss vom 4. Februar 2009
Aktenzeichen: 9 W (pat) 364/05
(BPatG: Beschluss v. 04.02.2009, Az.: 9 W (pat) 364/05)
Tenor
Das Patent wird widerrufen.
Gründe
I.
Gegen das am 22. November 2001 angemeldete und am 3. Februar 2005 veröffentlichte Patent mit der Bezeichnung
"Verfahren und Vorrichtung zur Regelung einer Temperatur eines Formzylinders"
ist von der m... AG Einspruch erhoben worden.
In der mündlichen Verhandlung macht die Einsprechende mangelnde Ausführbarkeit des Gegenstands des Streitpatents infolge unvollständiger Offenbarung sowie mangelnde Patentfähigkeit gegenüber dem Stand der Technik geltend. Zur Begründung der mangelnden Ausführbarkeit legt sie eine mit Ergänzungen versehene Kopie der Figur 2 der Streitpatentschrift vor, zum Stand der Technik verweist sie u. a. auf folgende Dokumente:
-DE-OS 1 953 590 -DE 197 36 339 A1.
Zum Beleg des Fachwissens verweist sie auf Abschnitte aus dem Buch von Walenski, W. "Der Rollenoffsetdruck", 1. Auflage 1995, u. a. die Seiten 148 bis 157 (im Folgenden bezeichnet mit "Druckfarben").
Die Einsprechende stellt den Antrag, das Patent zu widerrufen.
Die Patentinhaberin stellt den Antrag, das Patent aufrecht zu erhalten.
Sie widerspricht dem Vorbringen der Einsprechenden in allen Punkten und hält den beanspruchten Gegenstand für ausführbar sowie für patentfähig.
Patentanspruch 1 (erteilte Fassung) lautet:
"Verfahren zur Regelung einer Temperatur (T) mindestens eines Formzylinders (03) eines Druckwerks (01) für den wasserlosen Offsetdruck mittels einer Temperiereinrichtung (18, 19), wobei ein Sollwert (TSoll) oder ein Maximalwert (TMAX) für die Temperatur (T) des mindestens einen Zylinders (03; 07) in Abhängigkeit von einer von Null verschiedenen Produktionsgeschwindigkeit (V) eingestellt wird, dadurch gekennzeichnet, dass während des Betriebes für zwei voneinander verschiedene Produktionsgeschwindigkeiten (V) für die Temperatur (T) im oberflächennahen Bereich des mindestens einen Formzylinders (03) ein höherer Sollwert (TSoll) oder Maximalwert (TMAX) der Temperatur (T) für die höhere Produktionsgeschwindigkeit (V) und ein niedrigerer Sollwert (TSoll) oder Maximalwert (TMAX) der Temperatur (T) für die niedrigere der beiden Produktionsgeschwindigkeiten (V) vorgegeben wird, und dass für Produktionsgeschwindigkeiten (V) ab 6,5 m/s eine Temperatur (T) von mindestens 30¡C auf dem Formzylinder (03) eingestellt wird."
An den Patentanspruch 1 schließen sich der rückbezogene Patentanspruch 2 sowie der nebengeordnete Patentanspruch 3 mit rückbezogenen Patentansprüchen 4 und 5 an. Hierzu wird auf die Akte verwiesen.
II.
Die Zuständigkeit des Bundespatentgerichts ist durch § 147 Abs. 3 Satz 1 PatG a. F. begründet.
1.
Der Einspruch ist zulässig. Er hat Erfolg durch den Widerruf des Patents.
2.
Das Patent betrifft ein Verfahren und eine Vorrichtung zur Regelung einer Temperatur eines Formzylinders eines Druckwerks für den wasserlosen Offsetdruck.
Als gattungsbildend für die Gegenstände der erteilten Patentansprüche 1 und 3 sieht die Patentinhaberin den Stand der Technik nach DE-OS 1 953 590 (vgl. Eingabe der Patentinhaberin im DPMA-Prüfungsverfahren vom 11. November 2002, Seiten 1 und 4). In der Streitpatentschrift ist ausgeführt, dass diese Druckschrift eine Temperierung eines Druckwerks mittels einer Temperiereinrichtung offenbare, wobei ein Sollwert für die Temperatur vor Beginn des Druckvorgangs in Abhängigkeit von Einflussgrößen, z. B. der Druckgeschwindigkeit, eingestellt werden könne (Streitpatentschrift Absatz 0006).
Das dem Patent zugrundeliegende und mit der Aufgabe formulierte technische Problem besteht darin, ein Verfahren und eine Vorrichtung zur Regelung einer Temperatur eines Formzylinders zu schaffen, welches bzw. welche ein qualitativ hochwertiges Drucken mit einem Druckwerk für den wasserlosen Offsetdruck in einem großen Geschwindigkeitsbereich ermöglicht (Streitpatentschrift Absatz 0008).
Dieses Problem soll durch das Verfahren nach Patentanspruch 1 sowie durch die Vorrichtung nach Patentanspruch 3 gelöst werden.
3. Es kann dahingestellt bleiben, ob das Patent die Erfindung so deutlich und vollständig offenbart, dass ein Fachmann sie ausführen kann, und ob die Gegenstände der Patentansprüche 1 und 3 gegenüber dem Stand der Technik neu sind. Denn das Streitpatent kann jedenfalls deswegen keinen Bestand haben, weil, wie nachstehend ausgeführt, der Gegenstand des Patentanspruchs 1 dem Fachmann am Anmeldetag durch den Stand der Technik nahegelegt war.
Als Durchschnittsfachmann nimmt der Senat einen Ingenieur der Fachrichtung Druckereitechnik an, der bei einem Druckmaschinenhersteller mit der Entwicklung von Temperaturregelungen für die farbübertragenden Maschinenkomponenten befasst ist und auf diesem Gebiet über mehrjährige Berufserfahrung verfügt.
Zur Erleichterung von Bezugnahmen ist Patentanspruch 1 nachfolgend in Form einer Merkmalsgliederung wiedergegeben:
1.
Verfahren zur Regelung einer Temperatur (T) mindestens eines Formzylinders (03) eines Druckwerks (01), 2.
das Druckwerk ist für wasserlosen Offsetdruck konzipiert, 3.
die Regelung geschieht mittels einer Temperiereinrichtung (18, 19), 4.
dabei wird ein Sollwert (TSoll) oder ein Maximalwert (TMAX) für die Temperatur (T) des mindestens einen Zylinders (03, 07) eingestellt, 5.
die Einstellung des Sollwerts (TSoll) oder Maximalwerts (TMAX) wird in Abhängigkeit von einer von Null verschiedenen Produktionsgeschwindigkeit (V) vorgenommen,
-Oberbegriff 6.
der Sollwert (TSoll) oder Maximalwert (TMAX) betrifft die Temperatur (T) im oberflächennahen Bereich des mindestens einen Formzylinders (03), 7.
der Sollwert (TSoll) oder Maximalwert (TMAX) für die Temperatur (T) wird während des Betriebs vorgegeben, 8.
der Sollwert (TSoll) oder Maximalwert (TMAX) wird für zwei voneinander verschiedene Produktionsgeschwindigkeiten (V) vorgegeben, 8.1 für die höhere Produktionsgeschwindigkeit (V) wird ein höherer Sollwert (TSoll) oder Maximalwert (TMAX) der Temperatur (T) vorgegeben, 8.2 für die niedrigere Produktionsgeschwindigkeit (V) wird ein niedrigerer Sollwert (TSoll) oder Maximalwert (TMAX) der Temperatur (T) vorgegeben, 8.3 für Produktionsgeschwindigkeiten (V) ab 6.5 m/s wird eine Temperatur (T) von mindestens 30¡C auf dem Formzylinder (03) eingestellt.
-Kennzeichen -
Aus der DE 197 36 339 A1 ist eine Druckmaschine bekannt, bei der die Temperatur des Formzylinders 1 eines Druckwerks geregelt wird (Spalte 2, Zeilen 29 bis 39). Aus der Betriebsweise dieser Druckmaschine ist dabei ein Verfahren zur Regelung der Temperatur im Sinne des o. g. Merkmals 1 entnehmbar. Das Druckwerk ist für den Flachdruck im indirekten Druckverfahren, also für den Offsetdruck ausgelegt (Spalte 4, Zeilen 42 bis 46), und das Farbwerk ist ein zonenloses Kurzfarbwerk (vgl. Anspruch 1). Derartige Farbwerke werden u. a. bei Offsetdruckmaschinen für den wasserlosen Offsetdruck eingesetzt (vgl. auch streitpatentgemäße Figur 1, Pos. 02), so dass der Fachmann aus diesen Angaben und noch zusätzlich bestärkt durch das Fehlen eines Feuchtwerks in der Figur 1 dieser Druckschrift die Eignung des Druckwerks für den wasserlosen Offsetdruck unwillkürlich mitliest (Merkmal 2). Die Regelung wird mittels einer Temperiereinrichtung im Sinne des Merkmals 3 durchgeführt (Spalte 6, Zeilen 61 bis 63), für die entsprechend Merkmal 4 ein Sollwert für die Temperatur des Formzylinders eingestellt werden kann (Spalte 3, Zeilen 20 bis 23 und 32 bis 39). Dieser Sollwert betrifft die Temperatur im oberflächennahen Bereich des Formzylinders (Spalte 6, Zeilen 63 bis 67; Merkmal 6) und kann auch während des Betriebs vorgegeben werden (Spalte 5, Zeilen 25 bis 29; Merkmal 7). Die Regelung der Temperatur dient der Beeinflussung des Farbspaltungsverhaltens (Spalte 2, Zeilen 39 bis 48), wie es auch streitpatentgemäß -dort angesprochen über die Zügigkeit (Absätze 0027, 0028 und 0031) vorgesehen ist (Streitpatentschrift Absatz 0036, 1. Satz). Gemäß der hier wiedergegebenen Figur 5 der DE 197 36 339 A1 werden Temperatur-Sollwerte T0 bis T3 als Führungsgrößen für Regeleinrichtungen R0 bis R3 (nur R3 dargestellt) nach Art einer Steuerung aus Vorgabewerten V1 bis V3 über einen in Form einer Tabelle TAB hinterlegten Zusammenhang ermittelt. Die Regeleinrichtungen R erzeugen unter Verknüpfung der Sollwerte mit Temperatur-Istwerten iT0 bis iT3 Stellgrößen S0 bis S3 zur Temperierung der Temperiermittel (Spalte 5, Zeilen 13 bis 52). Die Temperatur T3 ist dabei dem Formzylinder zugeordnet (Spalte 3, Zeilen 32 bis 39). In Anspruch 1 dieser Druckschrift sind die unabhängigen Parameter zur Bildung der Temperatursollwerte, die Vorgabewerte V gemäß Figur 5, nicht näher spezifiziert. Damit beschränkt die DE 197 36 339 A1 diese Vorgabewerte V in offensichtlicher Weise nicht auf die in Anspruch 2 bezeichneten Werte für den Bedruckstoff (V1), für den Farbtyp (V2) und für die Farbflussmenge (V3), sondern schließt grundsätzlich auch andere, das Farbspaltungsverhalten der Druckfarbe beeinflussende Parameter für die Bildung der Temperatur-Sollwerte mit ein. Sie gibt dem Fachmann demnach gerade durch den Verzicht auf eine Spezifizierung der Vorgabewerte in Anspruch 1 Anregung, die in Anspruch 1 lediglich im Grundsatz geforderte Sollwertbildung aus Vorgabewerten auch mit anderen als die in Anspruch 2 bzw. im Ausführungsbeispiel genannten Parametern in Betracht zu ziehen.
Dass es solche, andere funktionale Abhängigkeiten bestimmende Parameter gibt, ist dem Fachmann indes bekannt. Der Fachmann wird dabei immer solche Parameter berücksichtigen, die aufgrund ihm vorgegebener Betriebsverhältnisse nennenswerten Einfluss nehmen. Auch dass einen solchen nennenswerten Einfluss auf die Zügigkeit der Druckfarbe die Produktionsgeschwindigkeit nehmen kann, ist dem Fachmann bekannt. Denn diese Tatsache hat bereits lange vor dem Anmeldetag des Streitpatents Berücksichtigung gefunden, indem Temperatur-Sollwerte in Abhängigkeit von der Druckgeschwindigkeit ermittelt und auch eingestellt wurden (DE-OS 1 953 590, Seite 4, 2. und 3. Absatz). Die Kenntnis des Standes der Technik gemäß DE-OS 1 953 590 muss dem Fachmann unterstellt werden, weil diese Druckschrift dem Fachgebiet des Offsetdrucks zuzuordnen ist (Anspruch 1), wozu auch das Streitpatent gehört. Mit der streitpatentgemäß gestellten Aufgabe des hochwertigen Druckens in einem großen Geschwindigkeitsbereich besteht angesichts dieser Sachlage für den Fachmann Anlass, besagten ihm bekannten funktionalen Zusammenhang bei der aus DE 197 36 339 A1 bekannten Regelung zur Anwendung zu bringen und als Vorgabewert für die Bestimmung der Temperatur-Sollwerte die Produktionsgeschwindigkeit in Betracht zu ziehen (Merkmal 5). Dabei ergibt sich ohne Weiteres auch die Vorgabe des Sollwerts für zwei verschiedene Geschwindigkeiten gemäß Merkmal 8. Denn bei der Geschwindigkeitsabhängigkeit des Temperatur-Sollwerts (Merkmal 5) ergeben sich zwangsläufig für unterschiedliche Geschwindigkeiten auch unterschiedliche Sollwerte. Es gehört ferner zum Fachwissen (repräsentiert durch "Druckfarben"), dass die Zügigkeit mit wachsender Geschwindigkeit steigt und mit wachsender Temperatur fällt (Seite 151, linke Spalte, Zeilen 13 bis 18; Seite 153, linke Spalte, Zeilen 4 bis 8; Seite 155, rechte Spalte, Zeilen 3 bis 6; Seite 156, rechte Spalte, Zeilen 17 bis 21). Wird nun die Produktionsgeschwindigkeit gesteigert und dadurch die Zügigkeit erhöht, kann dem demnach entgegengewirkt werden durch eine Erhöhung der Temperatur zur Herabsetzung der Zügigkeit. Die Erhöhung der Temperatur ist dabei nur möglich durch Heraufsetzen ihres Sollwerts. Daraus folgt unmittelbar die Maßnahme nach Merkmal 8.1 und -mit umgekehrtem Vorzeichen -die Maßnahme nach Merkmal 8.2. Nach Anregung zur geschwindigkeitsabhängigen Sollwert-Bestimmung und -Einstellung durch die DE-OS 1 953 590 konnte der Fachmann zu diesen beiden Merkmalen 8.1 und 8.2 schon aufgrund seines Fachwissens kommen. Schließlich liegt die Festsetzung der konkreten Mindest-Temperatur auf 30¡C bei Geschwindigkeiten ab 6.5 m/s (Merkmal 8.3) im Rahmen des fachmännischen Könnens. Zu dieser Festsetzung kann der Fachmann für jeweils konkrete Betriebsbedingungen entweder auf seine Erfahrung zurückgreifen oder entsprechende Versuche durchführen und die dabei als geeignet ermittelten Einstellwerte wieder verwendbar dokumentieren und hinterlegen. Diese Vorgehensweise mag einen gewissen Aufwand erfordern, ist aber im einschlägigen Fachgebiet gerade bei der Auffindung von Einstellwerten für die Farbführung gang und gäbe. Sie gehört deshalb zur typischen Alltagsarbeit des zuständigen Fachmanns und ist überdies mit dem Fachmann bekannten und zur Verfügung stehenden Methoden durchführbar. Dies wird bestätigt durch die DE-OS 1 953 590, die als Patentdokument das typische fachmännische Verständnis anspricht und dabei die Befähigung des Fachmanns zu entsprechender Versuchsdurchführung ausdrücklich unterstellt (Seite 4, 2. Absatz).
Vorstehende Ausführungen zeigen, dass der von der DE 197 36 339 A1 ausgehende Fachmann mit der Kenntnis der geschwindigkeitsabhängigen Ermittlung der Temperatur-Sollwerte und entsprechender Einstellung der Regeleinrichtungen gemäß DE-OS 1 953 590 ohne erfinderische Tätigkeit zum Gegenstand des Patent anspruchs 1 kommen konnte. Patentanspruch 1 kann deshalb keinen Bestand haben.
4. Mit dem auf einen nicht patentfähigen Gegenstand gerichteten Patentanspruch 1 war das Patent insgesamt zu widerrufen, da die Aufrechterhaltung des Streitpatents in vollem Umfang beantragt ist und über einen Antrag immer nur in seiner Gesamtheit entschieden werden kann (BGH GRUR 1997, 120 ff., "Elektrisches Speicherheizgerät"). Einer gesonderten Entscheidung über den nebengeordneten Patentanspruch 3 sowie über die abhängigen Patentansprüche 2, 4 und 5 bedurfte es deshalb nicht.
Pontzen Bülskämper Friehe Reinhardt Ko
BPatG:
Beschluss v. 04.02.2009
Az: 9 W (pat) 364/05
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