Oberlandesgericht Hamm:
Beschluss vom 30. März 2006
Aktenzeichen: 2 (s) Sbd. IX 43/06
(OLG Hamm: Beschluss v. 30.03.2006, Az.: 2 (s) Sbd. IX 43/06)
Tenor
Das Verfahren wird dem Senat in der Besetzung mit drei Richtern übertragen.
Dem Antragsteller wird anstelle seiner gesetzlichen Gebühren in Höhe von 264 EURO eine Pauschgebühr in Höhe von 500 EURO (in Worten: fünfhundert EURO) bewilligt.
Gründe
I. Gegen den ehemaligen Verfolgten war beim erkennenden Senat ein Auslieferungsverfahren anhängig. Der Senat hatte mit Beschluss vom 19. August 2004 zunächst die vorläufige und sodann mit Beschluss vom 20. Januar 2005 die förmliche Auslieferungshaft angeordnet. Durch weiteren Beschluss vom 11. August 2005 hatte der Senat über die Zulässigkeit der Auslieferung entschieden. Das Auslieferungsverfahren ist erledigt, nachdem der Verfolgte am 16. September 2005 den italienischen Behörden übergeben worden ist. Der Antragsteller ist dem ehemaligen Verfolgten durch Beschluss des Vorsitzenden des Senats vom 19. August 2004 gemäß § 40 Abs. 2 IRG als Beistand bestellt worden; erstmals aufgetreten ist er am 7. August 2004. Der Antragsteller beantragt nunmehr für seine für den ehemaligen Verfolgten erbrachten Tätigkeiten die Gewährung einer Pauschgebühr. Ausweislich der Akten hat der Antragsteller einige Schreiben und Anträge verfasst und Einsicht in die Akte genommen. Der Haftbefehl des Untersuchungsrichters in Caltanissetta vom 3. Juli 2004, auf den das Auslieferungsersuchen der italienischen Behörden gestützt worden war, umfasste über 300 Seiten. Am 7. August 2004 war der Antragsteller bei der Bekanntgabe des Auslieferungsersuchens und des Haftbefehls vor dem Amtsgericht Dortmund anwesend. Er hat außerdem am 28. Oktober 2004 an der Verkündung des vorläufigen Auslieferungshaftbefehls des Senats vom 19. August 2004 teilgenommen. Dieser Termin erstreckte sich über einen Zeitraum von 1,5 Stunden. Der Antragsteller hatte in diesem Termin Einwendungen gegen die Auslieferung des Verfolgten vorgebracht. Die gesetzlichen Gebühren des Antragstellers betragen 264 € (= Verrfahrensgebühr Nr. 6100 VV RVG). II. 1. Auf den Antrag des Antragstellers ist das am 1. Juli 2004 in Kraft getretene RVG anwendbar. Damit war gemäß § 51 Abs. 2 Satz 4 RVG in Verbindung mit § 42 Abs. 3 RVG über die Frage der Zuständigkeit zu entscheiden. Insoweit hat die mitentscheidende (zuständige) Einzelrichterin die Sache dem Senat in der Besetzung mit drei Richtern übertragen. Es handelt sich um das erste beim Senat anhängige Verfahren, in dem sich die Frage ergab, ob der Gebührentatbestand der Nr. 6101 VV (Terminsgebühr) erfüllt ist. Zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung des Senats ist daher die Entscheidung des Senats in der Besetzung mit drei Mitgliedern geboten. 2. Dem Antragsteller war eine Pauschgebühr gem. § 51 Abs. 1 RVG zu bewilligen. Nach Auffassung des Senats handelt es sich zum einen um ein "besonders schwieriges" Verfahren. Zum anderen war das Verfahren auch als "besonders umfangreich" einzustufen und die gesetzlichen Gebühren in Höhe von 264,00 Euro sind als Abgeltung für die erbrachten Tätigkeiten nicht zumutbar. Der Senat hat in der Vergangenheit bereits wiederholt entschieden, dass grundsätzlich die bisherige Rechtsprechung des Senats zum Kriterium des "besonderen Umfangs" auf § 51 RVG anwendbar bleibt, da die Formulierung des § 51 Abs. 1 RVG derjenigen des früheren § 99 Abs. 1 BRAGO entspricht (vgl. z.B. Senat im Beschluss vom 17. Januar 2006, 2 (s) Sbd. VIII - 237/05). Eine Strafsache ist danach dann "besonders umfangreich", wenn der von dem Verteidiger erbrachte zeitliche Aufwand erheblich über dem Zeitaufwand liegt, den er in einer "normalen" Sache zu erbringen hat (allgemeine Meinung zu § 99 BRAGO; vgl. die Nachweise bei Burhoff StraFo 1999, 261, 263 in Fn. 30 und die ständige Rechtsprechung des Senats; vgl. zu § 51 RVG Burhoff (Hrsg.), RVG Straf- und Bußgeldsachen, § 51 Rn. 13 ff. mit weiteren Nachweisen). Auf dieser Grundlage sind die vom Antragsteller für den ehemaligen Angeklagten erbrachten Tätigkeiten als "besonders umfangreich" anzusehen. Dabei ist darauf hinzuweisen, dass nach der inzwischen ständigen Rechtsprechung des Senats zu § 51 RVG sorgfältig zu prüfen ist, inwieweit Tätigkeiten, für die das RVG einen besonderen Gebührentatbestand geschaffen hat, jeweils früher für die Annahme des "besonderen Umfangs" mitbestimmend gewesen sind (vgl. o.a. Beschluss des Senats in StraFo 2005, 130; Beschluss des Senats vom 13. Januar 2006 in 2 (s) Sbd. VIII - 239/05 und o.a. Beschluss vom 17. Januar 2006) und diese nun, da das RVG dafür einen eigenen Gebührentatbestand vorsieht, bei der Frage der Gewährung einer Pauschgebühr eine jedenfalls maßgebliche Rolle nicht mehr spielen können (vgl. dazu OLG Hamm StraFo 2005, 263; OLG Karlsruhe RVGreport 2005, 420, www.burhoff.de; vgl. im Übrigen Burhoff, a.a.O., § 51 RVG Rn. 11). Der Antragsteller ist vorliegend für den ehemaligen Verfolgten in einem Verfahren nach dem Gesetz über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen (IRG; sog. Auslieferungsverfahren) tätig geworden. Hierbei handelt es sich nicht um ein Strafverfahren, sondern um ein Verfahren eigener Art, in dem zum einen der Strafrechtspflege ausländischer Staaten Rechtshilfe geleistet wird und zum anderen die Interessen des Verfolgten zu wahren sind (BGHSt 2, 44; 6, 236). Die Gebühren für die Tätigkeit des Rechtsanwalts in diesen Verfahren sind im RVG in Teil 6 Abschnitt 1 VV geregelt. Der Rechtsanwalt erhält danach wie in Strafsachen eine Verfahrensgebühr (Nr. 6100 VV) und ggf. eine Terminsgebühr "je Verhandlungstag" (Nr. 6101 VV). Eine Grundgebühr ist hingegen nicht vorgesehen. Vorliegend kann der Antragsteller allein die Verfahrensgebühr (Nr. 6100 VV) in Höhe von 264 € beanspruchen. Durch diese Gebühr werden alle Tätigkeiten des Beistands in dem Auslieferungsverfahren abgegolten, soweit dafür keine besonderen Gebühren vorgesehen sind. Als besondere Gebühr ist insoweit die Terminsgebühr Nr. 6101 VV vorgesehen, die nach Vorbemerkung 6 Abs. 3 Satz 1 RVG für die Teilnahme an gerichtlichen Terminen entsteht, soweit nicht anderes bestimmt ist. Nach Nr. 6101 VV fällt die Terminsgebühr aber nur "je Verhandlungstag" an. In erster Linie soll von diesem Gebührentatbestand demzufolge die Teilnahme an der mündlichen Verhandlung vor dem Oberlandesgericht nach §§ 30, 31 IRG (mündliche Verhandlung zur Entscheidung über die Zulässigkeit der Auslieferung) erfasst werden. Vorliegend hat der Antragsteller zwar auch an gerichtlichen Terminen - es handelte sich hierbei um den Termin vor dem Amtsgericht Dortmund am 7. August 2004 und vor dem Amtsgericht Münster am 28. Oktober 2004 - teilgenommen, in diesen fand jedoch keine Verhandlung statt, so dass die Terminsgebühr in Höhe von 356 € (gesetzliche Gebühr) nicht ausgelöst worden ist. Im Termin vom 7. August 2004 ist dem Verfolgten lediglich das Auslieferungsersuchen der italienischen Behörden bekannt gegeben worden und der Amtsrichter hat eine Festhalteanordnung gemäß § 22 Abs. 3 IRG erlassen; am 28. Oktober 2004 gab der Amtsrichter dem Verfolgten den vorläufigen Auslieferungshaftbefehl des erkennenden Senats bekannt. Er wurde zu seinen persönlichen Verhältnissen gehört und äußerte sich zum Tatvorwurf. Sodann erhob sein Beistand Einwendungen gegen die Auslieferung nach Italien. Eine Verhandlung über die Haftfortdauer fand in beiden Fällen nicht statt, zumal über diese Frage ohnehin allein der erkennende Senat zu entscheiden gehabt hätte. Über die vom Beistand des Verfolgten vorgebrachtren Einwendungen gegen die Auslieferung hatte gleichfalls der Senat zu befinden. Eine Verhandlung im Sinne der gebührenrechtlichen Vorschriften hat demzufolge nicht stattgefunden (vgl. zu ähnlich gelagerten Fällen: OLG Bremen, Beschluss vom 28. Juni 2005 in Ausl 8/2004; OLG Hamburg, Beschluss v. 21. Februar 2006 in Ausl 24/05, beide in www.burhoff.de). Dass die bloße Teilnahme des Beistands an dem Termin zur Verkündung des Auslieferungshaftbefehls und der damit einhergehenden Vernehmung des Verfolgten eine Gebühr nach Nr. 6101 VV RVG nicht auslösen kann, wird darüber hinaus deutlich bei einem Vergleich mit der Regelung der Vergütung eines Verteidigers für dessen Teilnahme an einem Termin zur Verkündung des die Untersuchungshaft anordnenden Haftbefehls. Nach VV 4102 Nr. 3 erhält der Verteidiger eine Terminsgebühr nur dann für die Teilnahme an einem Termin, in dem außerhalb der Hauptverhandlung über die Anordnung oder Fortdauer der Untersuchungshaft (§§ 115, 118 StPO) oder der einstweiligen Unterbringung (§ 126 a i.V.m. §§ 115, 118 StPO) verhandelt wird, wenn in diesem Termin auch tatsächlich "verhandelt" wird (vgl. hierzu auch den Beschluss des erkennenden Senats vom 18. Dezember 2005 in 2(s) Sbd. VIII 224/05, www.burhoff.de). Sinn und Zweck dieser einschränkenden Regelung ist es, die häufig nur sehr kurzen reinen Haftbefehlsverkündungstermine nicht mit einer Gebühr nach Ziffer 3 zu honorieren (vgl. BT-Drucksache 15/1971 S. 222 Li.Sp). Es besteht auch keine Veranlassung, den Beistand, der an dem Termin zur Verkündung des Auslieferungshaftbefehls teilnimmt, gebührenrechtlich zu bevorzugen, da dessen Tätigkeit keinen größeren Aufwand erfordert als die eines Verteidigers eines Angeklagten, bei dem die Untersuchungshaft angeordnet worden ist. Hinzu kommt, dass dem Amtsrichter, der den Auslieferungshaftbefehl des Oberlandesgericht bekannt zu geben hat, ohnehin nur eine sehr begrenzte Entscheidungsbefugnis zusteht (vgl. §§ 21 Abs. 3, 22 Abs. 3 IRG). Vom Verfolgten in diesem Termin vorgebrachte Einwendungen werden nämlich lediglich zu Protokoll genommen, darüber zu befinden hat jedoch nicht der Amtsrichter, sondern das zuständige Oberlandesgericht. Gemäß § 10 Abs. 2 IRG findet auch nur in ganz begrenztem Umfang eine Tatverdachtsprüfung statt, während im Haftbefehlsverfahren nach §§ 112 ff. StPO der Verteidiger sehr wohl gehalten ist, den dringenden Tatverdacht auszuräumen. Wenngleich die Tätigkeiten des Antragstellers in den beiden amtsgerichtlichen Terminen auch nicht geeignet sind, die Terminsgebühr nach Nr. 6101 VV auszulösen, so führte seine Teilnahme jedoch dazu, das Verfahren in der Gesamtschau im Sinne von § 51 Abs. 1 Satz 1 RVG als "besonders umfangreich" einzustufen. Auch sind die gesetzlichen Gebühren in Höhe von 264 € keinesfalls ausreichend, die von dem Antragsteller erbrachten Tätigkeiten angemessen zu vergüten. Nach allem war dem Antragsteller - auch unter Berücksichtigung der von ihm aufgewandten Fahrtzeiten von seiner Kanzlei in Dortmund zum Amtsgericht Münster - somit eine Pauschgebühr zu bewilligen. Diese ist unter Berücksichtigung der Höhe der gesetzlichen Gebühren und der Gesamtumstände auf 500,00 € festgesetzt worden. Eine Pauschgebühr in dieser Höhe erschien angemessen.
OLG Hamm:
Beschluss v. 30.03.2006
Az: 2 (s) Sbd. IX 43/06
Link zum Urteil:
https://www.admody.com/urteilsdatenbank/4d693171acab/OLG-Hamm_Beschluss_vom_30-Maerz-2006_Az_2-s-Sbd-IX-43-06