Bundesgerichtshof:
Beschluss vom 29. Juli 2004
Aktenzeichen: III ZB 71/03

(BGH: Beschluss v. 29.07.2004, Az.: III ZB 71/03)

Tenor

Die Rechtsbeschwerde der Beklagten gegen den Beschluß des 13. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Karlsruhe vom 15. September 2003 wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens hat die Beklagte zu tragen.

Der Gegenstandswert wird auf 2.320,82 € festgesetzt.

Gründe

I.

Die klagende Gemeinde nahm den früheren Beklagten zu 1 als Bauleiter und die Beklagte zu 2 (künftig: die Beklagte) als Erbin ihres als Bodengutachter tätig gewesenen verstorbenen Ehemannes auf Schadensersatz in Anspruch. Die Beklagte verteidigte sich unter anderem damit, sie sei nicht Erbin ihres Ehemannes geworden. Das Landgericht ließ die Passivlegitimation der Beklagten offen und wies die gegen sie gerichteten Schadensersatzansprüche wegen Verjährung ab. In dem nur gegen die Beklagte durchgeführten Berufungsverfahren zog das Oberlandesgericht "vorsorglich zu Informationszwecken" die Nachlaßakten bei. Im Verhandlungstermin wies das Berufungsgericht die Parteien darauf hin, daß unabhängig von der Frage, ob die Beklagte Erbin ihres Ehemannes geworden sei, grundsätzlich eine Eintrittspflicht der hinter dem Ehemann stehenden Versicherung in Betracht komme. Auf dieser Grundlage schlossen die Parteien und der zu diesem Zweck dem Rechtsstreit auf seiten der Beklagten beigetretene B. G. -V. auf Vorschlag des Gerichts einen Vergleich. Danach verpflichtete sich der Streithelfer zur Zahlung von 65.000 € an die Klägerin bei einer Kostenverteilung von 75 % zu 25 % zu deren Lasten.

Im Kostenfestsetzungsverfahren hat die Beklagte beantragt, gegen die Klägerin eine Beweisgebühr festzusetzen. Die Nachlaßakten seien, da der Berufungssenat die Passivlegitimation der Beklagten als höchst fraglich angesehen habe, als Beweis verwertet worden. Das Landgericht hat nach Einholung einer dienstlichen Stellungnahme des Berufungsgerichts den Antrag abgelehnt, das Oberlandesgericht hat die sofortige Beschwerde der Beklagten zurückgewiesen. Es hat angenommen, eine Beweisgebühr sei jedenfalls deshalb nicht angefallen, weil es an einer gerichtlichen Sachentscheidung fehle. Eine vorläufige Aussage des Gerichts über seine Überzeugung stelle schon deshalb keine Beweisverwertung dar, weil es an diese Äußerung nicht gebunden sei. Es handele sich nicht um eine Verwertung von Beweisen, sondern um eine Prognose. Auch wenn sich die Parteien auf dieser Grundlage verglichen und damit die vorläufige Würdigung akzeptierten, könne dies einer gerichtlichen Beweiswürdigung, auf die durch den Vergleich verzichtet werde, nicht gleichgestellt werden.

Hiergegen wendet sich die Beklagte mit der vom Beschwerdegericht zugelassenen Rechtsbeschwerde.

II.

Das Rechtsmittel hat keinen Erfolg. Die Ausführungen des Oberlandesgerichts (veröffentlicht in NJW-RR 2004, 357 = OLG-Report Karlsruhe 2004, 67, 68) sind zutreffend.

1.

Rechtsgrundlage der Entscheidung ist weiterhin § 34 Abs. 2 BRAGO. Die Bundesgebührenordnung für Rechtsanwälte ist zwar inzwischen aufgehoben und mit Wirkung vom 1. Juli 2004 durch das Rechtsanwaltsvergütungsgesetz ersetzt worden (Art. 3, 6 Nr. 4 und Art. 8 des Kostenrechtsmodernisierungsgesetzes vom 5. Mai 2004, BGBl. I S. 718), das keine Beweisgebühr mehr kennt. Im Streitfall ist die Vergütung der Prozeßbevollmächtigten aber gemäß § 60 Abs. 1, § 61 Abs. 1 RVG noch nach bisherigem Recht zu bemessen.

2.

Werden Akten oder Urkunden beigezogen, so erhält der Rechtsanwalt nach § 34 Abs. 2 BRAGO die Beweisgebühr nur dann, wenn die Akten oder Urkunden durch Beweisbeschluß oder sonst erkennbar zum Beweis beigezogen oder als Beweis verwertet werden. Von den darin geregelten drei Gebührentatbeständen scheiden die beiden ersten im Streitfall ersichtlich aus. Das Berufungsgericht hat die Nachlaßakten ausdrücklich nur "zu Informationszwekken" beigezogen und daran ausweislich des Protokolls auch in der mündlichen Verhandlung festgehalten. Fraglich kann deswegen nur sein, ob die beigezogenen Akten dessen ungeachtet "als Beweis verwertet" worden sind, obwohldas Oberlandesgericht auch keine Sachentscheidung mehr gefällt hat, weil die Parteien sich aufgrund des von ihm unterbreiteten Vergleichsvorschlags anschließend verglichen haben. Die Frage ist mit dem Beschwerdegericht und der von ihm herangezogenen neueren Rechtsprechung und einem Teil der Fachliteratur zu verneinen (so OLG Hamburg MDR 2000, 234, 235 = JurBüro 2000, 138; OLG München Rpfleger 1996, 215 f. = MDR 1996, 644 = OLG-Report 1996, 71 f.; Rpfleger 2001, 98, 99 = OLG-Report 2001, 91, 92; Hartmann, Kostengesetze, 33. Aufl., § 34 BRAGO Rn. 29; Riedel/Sußbauer/Keller, BRAGO, 8. Aufl., § 34 Rn. 19 m.w.N.; s. auch OLG Schleswig JurBüro 1987, 1188, 1189; a.A. OLG Hamburg JurBüro 1983, 1524, 1525; OLG Karlsruhe AnwBl. 1982, 438; OLG Koblenz AnwBl. 1989, 293; Gebauer, BRAGO, § 34 Rn. 39; Gerold/Schmidt/v. Eicken, BRAGO, 15. Aufl., § 34 Rn. 17 m.w.N.; Hansens, BRAGO, 8. Aufl., § 34 Rn. 13; ders., JurBüro 1996, 359). Nach Wortlaut und Zweck der Vorschrift reicht es nicht aus, daß das Gericht die von ihm beigezogenen Urkunden oder Akten zur Erläuterung und zum besseren Verständnis des Parteivortrags oder zu dessen Ergänzung verwendet hat, die Urkunden müssen vielmehr in der dritten Tatbestandsvariante gerade zum Beweis einer für die Entscheidung des Rechtsstreits bedeutsamen Tatsache verwendet worden sein. Das setzt ihre Würdigung in einer gerichtlichen Entscheidung voraus. Jede vorausgehende Einschätzung des Gerichts ist selbst dann, wenn sie den Parteien mit dem Ziel einer gütlichen Erledigung des Rechtsstreits mitgeteilt wird und dadurch zur Grundlage für deren eigene Disposition über den Streitgegenstand (Prozeßvergleich, Anerkenntnis, Klageoder Rechtsmittelrücknahme) wird, nur vorläufig und enthält noch keine endgültige gerichtliche Beweiswürdigung, sondern lediglich eine darauf hinweisende, letzten Endes aber unverbindliche Prognose. Davon abgesehen müssen Gebührentatbestände schon aus Gründen der Rechtssicherheit und Praktikabilität regelmäßig an formale, leicht zu handhabende Kriterien anknüpfen. Dem würde es widersprechen, auf eine in vielen Fällen -und so auch hier -nicht einmal protokollierte und für die Kostenfestsetzung daher mit allen weiteren Unsicherheiten erst zu ermittelnde Äußerung einer Rechtsauffassung seitens des vorher mit der Sache befaßten Spruchkörpers abzustellen. Auch die beiden übrigen Fallvarianten des § 34 Abs. 2 BRAGO machen die Beweisgebühr von einer aus den Akten feststellbaren Entscheidung des Gerichts -hier über die Durchführung einer Beweisaufnahme -abhängig. Infolgedessen ist vorliegend ohne Belang, ob es für das Berufungsgericht in der mündlichen Verhandlung auf den Inhalt der beigezogenen Nachlaßakten ankam, was die beteiligten Richter in ihrer dienstlichen Stellungnahme ohnehin verneint haben, und ob der Bearbeitungsaufwand für die Anwälte in beiden Fällen gleich groß gewesen ist, worauf die Rechtsbeschwerde hinweist.

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BGH:
Beschluss v. 29.07.2004
Az: III ZB 71/03


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