Bundesfinanzhof:
Beschluss vom 24. März 2011
Aktenzeichen: VII B 154/10
(BFH: Beschluss v. 24.03.2011, Az.: VII B 154/10)
Tatbestand
I. Die Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) betreibt eine Brauerei in der Rechtsform einer GmbH. An ihrem Stammkapital waren neben zwei natürlichen Personen die X-AG mit 48 % der Geschäftsanteile und die A-GmbH mit 3 % der Geschäftsanteile beteiligt. Die X-AG fungierte nur noch als Holding ohne eigene Brautätigkeit. An den Geschäftsanteilen der X-AG waren u.a. eine Brauerei AG Y-AG mit 49 % und die A-GmbH mit 30,7 % der Geschäftsanteile beteiligt. Vorstandsvorsitzender der Y-AG war Herr A, der zugleich geschäftsführender Gesellschafter der A-GmbH war. Konzernmutter und beherrschende Gesellschafterin der Y-AG war eine Holding, die zu etwa 81 % im Besitz einer Familie (ca. 65 %) und Hr. A (ca. 16 %) stand. Die restlichen Geschäftsanteile hielten zwei weitere Familien. Nach der Satzung der Y-AG zählte bei Stimmengleichheit der zwei Vorstandsmitglieder Frau K und Herr A die Stimme des Vorstandsvorsitzenden.
Ausgehend von den Beteiligungsverhältnissen und der Abstimmungsregelung ging das Finanzgericht (FG) München in seinem Urteil vom 6. April 2006 14 K 4578/04 (nicht veröffentlicht) von einem über die X-AG vermittelten beherrschenden Einfluss der Y-AG auf die X-GmbH aus. Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in diesem Urteil hat der Senat mit Beschluss vom 19. Januar 2007 VII B 142/06 (BFH/NV 2007, 873) als unzulässig verworfen.
Zunächst sah der Beklagte und Beschwerdegegner (das Hauptzollamt --HZA--) die Klägerin als unabhängige Brauerei an. Dann gelangte er jedoch zu der Erkenntnis, dass die Klägerin über die X-AG von der Y-AG wirtschaftlich abhängig sei. Mit Biersteueränderungsbescheid vom 4. Dezember 2006 erhob das HZA für das Jahr 2005 den Differenzbetrag zum Regeltarif nach. Einspruch und Klage hatten keinen Erfolg.
Das FG setzte zunächst das Verfahren aus und richtete an den Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) ein Vorabentscheidungsersuchen zur Auslegung von Art. 4 Abs. 2 der Richtlinie des Rates vom 19. Oktober 1992 zur Harmonisierung der Struktur der Verbrauchsteuern auf Alkohol und alkoholische Getränke (RL 92/83/EWG). Der EuGH entschied (Urteil vom 2. April 2009 C-83/08, Slg. 2009, I-2857, Zeitschrift für Zölle und Verbrauchsteuern --ZfZ-- 2009, 191), dass diese Bestimmung dahin zu verstehen sei, dass eine Situation, die dadurch gekennzeichnet sei, dass strukturelle Verflechtungen bei Beteiligungen und Stimmrechten beständen, und die ein und derselben Person, die in mehreren Brauereien Geschäftsführungsaufgaben wahrnehme, unabhängig von ihrem tatsächlichen Verhalten die Möglichkeit biete, auf geschäftliche Entscheidungen dieser Brauereien Einfluss zu nehmen, es ausschließe, diese Brauereien als voneinander wirtschaftlich unabhängig anzusehen.
Aufgrund dessen entschied das FG, dass der Klägerin die für die Biersteuervergünstigung erforderliche wirtschaftliche Unabhängigkeit fehle. Der Begriff der Geschäftsführungsbefugnisse sei allgemein zu verstehen und dürfe nicht allein aus § 35 des Gesetzes betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung (GmbHG) oder § 76 des Aktiengesetzes (AktG) abgeleitet werden. Ungeachtet etwaiger aktienrechtlicher Beschränkungen stehe im Streitfall fest, dass Herr A Mehrheitsentscheidungen auf der Ebene der Anteilseigner nach seinen Interessen herstellen könne. Dies habe er dadurch bestätigt, dass für den Fall einer den Geschäftsinteressen zuwiderlaufenden Geschäftspolitik der Klägerin die Beteiligung notfalls veräußert würde. Damit sei es ihm möglich, faktisch Einfluss auf die Geschäftstätigkeit der Klägerin zu nehmen. Dies reiche zum Verlust des Merkmals der Unabhängigkeit i.S. des § 2 Abs. 2 des Biersteuergesetzes (BierStG) aus. Auf die konkrete Möglichkeit zur Einflussnahme komme es folglich nicht an.
Mit ihrer Beschwerde begehrt die Klägerin die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--) und Divergenz (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO). Grundsätzlich bedeutsam seien die Rechtsfragen, ob die gesellschaftsrechtlichen Regelungen zu Organbefugnissen und die hierzu ergangene höchstrichterliche Rechtsprechung bei der Beurteilung der Einflussmöglichkeiten auf geschäftliche Entscheidungen einer Brauerei im Hinblick auf eine mögliche wirtschaftliche Abhängigkeit i.S. des § 2 Abs. 3 BierStG zu beachten seien und ob die zusätzlich zum Bestehen struktureller Verflechtungen gebotene Beurteilung von hiermit einhergehenden gesellschaftsrechtlich fundierten Einflussmöglichkeiten in Bezug auf alle betroffenen Brauereien vorzunehmen sei.
Im Streitfall hätte das FG den Sachverhalt detaillierter unter die vom EuGH aufgestellten Kriterien subsumieren müssen. Entgegen der Ansicht des FG nehme Herr A keine Geschäftsführungsaufgaben der Klägerin wahr. Er habe auch keine Möglichkeit der Einflussnahme auf die Geschäftspolitik. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH) könne nur der Vorstand einer AG über deren Geschäftspolitik befinden. Das BGH-Urteil vom 5. Mai 2008 II ZR 108/07 (Wertpapier-Mitteilungen/Zeitschrift für Wirtschafts- und Bankrecht --WM-- 2008, 1164) müsse auch bei der Anwendung von § 2 Abs. 3 BierStG Beachtung finden. Trotz der bestehenden strukturellen Verflechtungen könne die Y-AG auf geschäftliche Entscheidungen der Klägerin, die nicht in einen Konzern eingebunden sei, keinen Einfluss nehmen. Allein die Veräußerung eines Geschäftsanteils stelle keine Möglichkeit der Einflussnahme dar. Zu Unrecht habe das FG im Rahmen seiner Entscheidungsfindung Bestimmungen des AktG nicht herangezogen.
Schließlich weiche das Urteil des FG von der Entscheidung des EuGH in Slg. 2009, I-2875, ZfZ 2009, 191 und vom Urteil des BGH in WM 2008, 1164 ab. Die vom EuGH aufgestellten Kriterien für eine Abhängigkeit seien im Hinblick auf alle betroffenen Brauereien zu beurteilen.
Das HZA ist der Beschwerde unter ausdrücklicher Bezugnahme auf den Senatsbeschluss vom 5. Juli 2010 VII B 257/09 (BFH/NV 2010, 2030) entgegengetreten.
Gründe
II. Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Den aufgeworfenen Fragen kommt keine grundsätzliche Bedeutung zu. Die behaupteten Divergenzen liegen nicht vor.
1. An der zu fordernden Klärungsbedürftigkeit einer Rechtsfrage fehlt es, wenn sich ihre Beantwortung ohne weiteres aus dem klaren Wortlaut und Sinngehalt des Gesetzes ergibt oder die Rechtsfrage offensichtlich so zu beantworten ist, wie es das FG in seiner Entscheidung getan hat, wenn die Rechtslage also eindeutig ist (ständige Rechtsprechung, vgl. Beschlüsse des Bundesfinanzhofs vom 18. Dezember 1998 VI B 215/98, BFHE 187, 559, BStBl II 1999, 231, und vom 31. Mai 2000 X B 111/99, BFH/NV 2000, 1461).
a) Zu der von der Beschwerde aufgeworfenen Frage, ob gesellschaftsrechtliche Regelungen zu Organbefugnissen und hierzu ergangene höchstrichterliche Rechtsprechung bei der Beurteilung der Einflussmöglichkeiten auf geschäftliche Entscheidungen einer Brauerei im Hinblick auf eine wirtschaftliche Abhängigkeit i.S. des § 2 Abs. 3 BierStG zu beachten sind, hat der beschließende Senat bereits in seinem Beschluss in BFH/NV 2010, 2030 ausführlich Stellung genommen. Wie der Senat in dieser Entscheidung ausgeführt hat, stünde eine starre Ausrichtung an den in Deutschland geltenden gesellschaftsrechtlichen Bestimmungen mit der Maßgabe, dass diesen allein ausschlaggebende Bedeutung bei der Beurteilung des Vorliegens einer wirtschaftlichen Abhängigkeit zukomme, in Widerspruch zu Art. 4 Abs. 2 RL 92/83/EWG. Diese Regelung hat der Gesetzgeber nahezu wörtlich nach § 2 Abs. 3 BierStG übernommen. Eine Bezugnahme auf das Gesellschaftsrecht der einzelnen Mitgliedstaaten hat auch der Gemeinschaftsgesetzgeber vermieden. Offensichtlich hat er sich von der Vorstellung leiten lassen, dass das Merkmal der wirtschaftlichen Abhängigkeit unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und der besonderen Zielsetzung des Art. 4 Abs. 2 RL 92/83/EWG zu beurteilen ist. Hierzu hat der EuGH in seiner Entscheidung in Slg. 2009, I-2857, ZfZ 2009, 191, ausgeführt, dass verhindert werden soll, dass Brauereinen in den Genuss der Verbrauchsteuerermäßigung kommen, deren Größe und Produktionskapazität eine Verzerrung des Binnenmarkts hervorrufen könnten; die Begünstigung solle den wegen ihrer geringen Größe benachteiligten Brauereien und nicht Brauereien zugute kommen, die einem Konzern angehören. Maßgeblich ist somit nicht das unterschiedlich ausgestaltete Gesellschaftsrecht der einzelnen Mitgliedstaaten; vielmehr ist der Begriff der wirtschaftlichen Abhängigkeit unter Berücksichtigung von Sinn und Zweck dieses Ausschlusskriteriums aus den Richtlinienbestimmungen selbst auszulegen. Bereits aus diesem Grund verbietet sich eine unbesehene Übernahme von Bestimmungen des AktG oder des GmbHG und der zu diesen Gesetzen ergangenen Rechtsprechung des BGH in das Biersteuerrecht.
Darüber hinaus ist zu berücksichtigen, dass die genannten Gesetze keine Bestimmungen enthalten, aus denen sich verbindliche Kriterien für das Vorliegen einer wirtschaftlichen Abhängigkeit entnehmen lassen. So wird z.B. in § 17 AktG nicht zwischen einer rechtlichen und wirtschaftlichen Abhängigkeit unterschieden. Im Übrigen hat das FG den mit der Frage unterstellten Rechtssatz, dass gesellschaftsrechtliche Regelungen zu Organbefugnissen bei der Beurteilung einer wirtschaftlichen Abhängigkeit keine Beachtung finden können, in dieser Stringenz nicht aufgestellt. Vielmehr hat es zu Recht darauf hingewiesen, dass sich das Kriterium der unabhängigen Entscheidungsfindung bei geschäftlichen Entscheidungen begrifflich nicht ausschließlich aus der rechtsgeschäftlichen Vertretung bzw. Geschäftsführung einer Gesellschaft nach § 35 GmbHG oder § 76 AktG herleiten lässt.
b) Auch die zweite Frage, die mit der im Verfahren VII B 257/09 gestellten Frage wörtlich übereinstimmt, bedarf keiner grundsätzlichen Klärung. Wie der beschließende Senat in seiner Entscheidung in BFH/NV 2010, 2030 ausgeführt hat, beruht sie offensichtlich auf einer Fehlinterpretation des von der Beschwerde in Bezug genommenen EuGH-Urteils in Slg. 2009, I-2857, ZfZ 2009, 191. Einen allgemeinen Rechtssatz, dass bei der Beurteilung von Abhängigkeitsverhältnissen die mit einer strukturellen Verflechtung einhergehenden Einflussmöglichkeiten in Bezug auf alle betroffenen Brauereien zu untersuchen sind, hat der EuGH nicht aufgestellt. Die im Tenor beschriebene Situation bezieht sich auf die Besonderheiten des Streitfalls. Eine Übertragung des im Einzelfall gefundenen Ergebnisses auf alle denkbaren Konstellationen ist daher nicht veranlasst.
Im Übrigen ist es eine Frage des jeweiligen Einzelfalls, welche konkreten Umstände in die Prüfung auf Abhängigkeitsanzeichen einzubeziehen sind. Wie die Klägerin selbst ausführt, gibt es im europäischen Wirtschaftsraum eine Vielzahl von Unternehmensformen mit unterschiedlichen Befugnissen der Unternehmensorgane und Sonderstellungen, wie etwa Prokura und Handlungsvollmacht. Aufgrund der Vielzahl an möglichen Fallkonstellationen lassen sich allgemeingültige Kriterien nicht aufstellen (Senatsbeschluss in BFH/NV 2007, 873).
2. Soweit die Beschwerde eine Divergenz zum EuGH-Urteil in Slg. 2009, I-2857, ZfZ 2009, 191 rügt, liegt die behauptete Abweichung nicht vor. Dem Urteil des FG ist kein Rechtssatz zu entnehmen, der von einem Rechtssatz des EuGH-Urteils abweicht. Entgegen der Auffassung der Beschwerde hat der EuGH einen Rechtssatz mit dem Inhalt, dass bei der Beurteilung von Abhängigkeitsverhältnissen i.S. des Art. 4 Abs. 2 RL 92/83/EWG den gesellschaftsrechtlichen Regelungen der Mitgliedstaaten --wie z.B. Regelungen des deutschen AktG oder GmbHG-- maßgebliche Bedeutung zukommt, nicht aufgestellt. Schließlich hat der EuGH keinen Rechtssatz aufgestellt, nach dem Geschäftsführungsaufgaben und die Möglichkeit der Einflussnahme in Bezug auf alle beteiligten Brauereien zu untersuchen sind.
Auch hinsichtlich des BGH-Urteils in WM 2008, 1164 liegt die von der Beschwerde behauptete Divergenz nicht vor. Das FG hat keinen Rechtssatz zur Auslegung und Anwendung von § 76 AktG aufgestellt. Den mit dieser Vorschrift aufgestellten Grundsatz, dass die Geschäfte einer Aktiengesellschaft von ihrem --nicht an Weisungen anderer Gesellschaftsorgane gebundenen-- Vorstand unter eigener Verantwortung geleitet werden, hat das FG nicht in Frage gestellt. Aktienrechtliche Restriktionen hat das FG ausdrücklich unbeachtet gelassen. Aufgrund der Beweisaufnahme ist es zu dem Schluss gekommen, dass Herr A Mehrheitsentscheidungen auf der Ebene der Anteilseigner beeinflussen kann. Die faktische Einflussmöglichkeit --ungeachtet aktienrechtlicher Regelungen-- hat das FG dazu veranlasst, eine wirtschaftliche Unabhängigkeit der Klägerin zu verneinen. Auch der BGH hat sich in der vermeintlichen Divergenzentscheidung nicht zu den Voraussetzungen einer wirtschaftlichen Abhängigkeit im Biersteuerrecht geäußert, sondern seine Entscheidung über das Bestehen gesellschaftsrechtlich fundierter Weisungsbefugnisse ausschließlich unter gesellschaftsrechtlichen Gesichtspunkten getroffen.
BFH:
Beschluss v. 24.03.2011
Az: VII B 154/10
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