Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein:
Urteil vom 22. September 2015
Aktenzeichen: 1 Sa 48 a/15
(LAG Schleswig-Holstein: Urteil v. 22.09.2015, Az.: 1 Sa 48 a/15)
1. Ein vor Ausspruch einer krankheitsbedingten Kündigung unterbreitetes Angebot auf Durchführung eines betrieblichen Eingliederungsmanagement ist dann nicht ordnungsgemäß, wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer nicht mitteilt, welche Daten im Sinne von § 3 Abs. 9 BDSG erhoben und gespeichert werden und für welche Zwecke sie dem Arbeitgeber zugänglich gemacht werden (im Anschluss an BAG vom 20.11.2014 - 2 AZR 755/13).
2. Fehlt es an einem ordnungsgemäßen Angebot des BEM, ist der Arbeitgeber zur umfassenden Darlegung verpflichtet, warum die Durchführung eines BEM nicht erfolgversprechend gewesen wäre (std. Rspr.).
Tenor
Auf die Berufung des Klägers wird das Teil-Urteil des Arbeitsgerichts Neumünster vom 15.01.2015 - 4 Ca 704 c/14 - teilweise geändert:
Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung der Beklagten vom 22.05.2014 nicht beendet worden ist.
Die Beklagte wird verurteilt, den Kläger bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens zu unveränderten vertraglichen Bedingungen als Mitarbeiter im Lager am Standort K€ weiter zu beschäftigen.
Die Beklagte trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Rechtmäßigkeit einer krankheitsbedingten Kündigung.
Der 1963 geborene, verheiratete Kläger ist seit dem 07.09.1981 auf Grundlage eines schriftlichen Arbeitsvertrags (Anlage K1, Bl. 6 d. A.) als Lagerarbeiter bei der Beklagten tätig. Seit 01.09.2013 ist er in der Abteilung ET-Zentrallager Nord (VK-ELN/64001) in K. eingesetzt. Die Beklagte beschäftigt in ihrem Betrieb in N. ca. 80 Lagerarbeiter, an ihrem Standort in K. sind ca. 175 Angestellte mit kaufmännischen Tätigkeiten betraut. Ferner sind dort weitere ca. 80 Lagerarbeiter tätig.
Der Kläger war in der Vergangenheit wie folgt arbeitsunfähig erkrankt:
Jahreszahl: Fehlzeiten: mit Entgeltfortzahlung:2010 42 Arbeitstage32 Arbeitstage2011 63 Arbeitstage53 Arbeitstage2012 97 Arbeitstage22 Arbeitstage2013 53 Arbeitstage53 Arbeitstagebis 22.05.201450 Arbeitstage33 ArbeitstageUrsache der Erkrankungen waren im Wesentlichen Beeinträchtigungen des Bewegungsapparats (Schulter, Nacken, Rücken, Knie) sowie Infektionserkrankungen und zuletzt eine Lungenentzündung. Wegen der einzelnen Fehlzeiten und der diesbezüglichen Diagnose wird auf die Anlagen Bf 1 und Bf 2 (Bl. 178 f. d. A.) verwiesen.
Mit Schreiben vom 14.01. und 09.04.2014 (Anlagen B2 und B3), auf deren Inhalt Bezug genommen wird, bot die Beklagte dem Kläger die Durchführung eines betrieblichen Eingliederungsmanagements (BEM) an. Der Kläger gab am 13.04.2014 an, er wolle zurzeit kein BEM-Gespräch führen und komme bei Bedarf auf das Integrationsteam der Beklagten zu.
Am 27.02.2014 hatte der den Kläger behandelnde Arzt eine Bescheinigung ausgestellt, nach der der Kläger nicht mehr in der Lage sei, Arbeiten mit Zwangshaltungen der Wirbelsäule durchzuführen. Ebenso könnten keine Hebe- und Tragearbeiten ohne Hilfsmittel bei Gegenständen über 5 kg durchgeführt werden (Anlage B1, Bl. 30 d. A.). Bereits seit Anfang Januar 2014 war der Kläger im Kleinteilebereich (Pick und Pack) der Beklagten eingesetzt. Nach Wiedergenesung aufgrund der Arbeitsunfähigkeit vom 18.02. bis 23.04.2014 setzte die Beklagte den Kläger wegen der ärztlichen Bescheinigung innerhalb des Kleinteilebereichs an einem anderen Arbeitsplatz ein.
Mit Schreiben vom 15.05.2014 hörte die Beklagte den Betriebsrat zur beabsichtigten Kündigung des Arbeitsverhältnisses des Klägers an (Anlage B5, Bl. 35 - 45 d. A.). Mit Schreiben vom 22.05.2014 widersprach der Betriebsrat der beabsichtigten Kündigung u. a. unter Hinweis auf leidensgerechte Einsatzmöglichkeiten des Klägers als Staplerfahrer im Wareneingang, im Bereich Kommissionierung und Versand sowie im Sperrgutlager. Mit Schreiben vom 22.05.2014 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis des Klägers fristgemäß zum 31.12.2014 und stellte den Kläger bis zum Ablauf der Kündigungsfrist von der Verpflichtung zur Arbeitsleistung frei. Seit Mitte Juli 2014 zahlte sie keine weitere Vergütung an den Kläger. Gegen die Kündigung hat der Kläger fristgemäß die vorliegende Kündigungsschutzklage erhoben.
Er hat erstinstanzlich im Wesentlichen vorgetragen:
Die bisherigen Krankheitsursachen rechtfertigten nicht die Annahme einer negativen Gesundheitsprognose, er habe die Durchführung eines BEM nicht abgelehnt. Die von ihm vorgelegte ärztliche Bescheinigung sei auf Anregung seines Vorgesetzten erstellt worden. Es handele sich nur um eine Empfehlung, er sei nicht dauerhaft arbeitsunfähig. Auch gebe es zahlreiche Arbeitsplätze, an denen er eingesetzt werden könne, ohne dass er schwere Lasten heben müsse. Schließlich sei die Kündigung auch nach einer Interessenabwägung nicht gerechtfertigt.
Die Beklagte hat erwidert:
Nach dem vorgelegten Attest sei der Kläger dauerhaft nicht in der Lage, vertragsgemäß zu arbeiten. Arbeitsplätze, an denen nicht auch Gewichte über 5 kg gehoben werden müssten, gebe es bei ihr nicht. Das betreffe auch den Kleinteilebereich, in dem der Kläger zuletzt tätig gewesen sei. Dort sei der Kläger angewiesen worden, sich beim Heben von schweren Teilen helfen zu lassen. Das habe sich aber als unpraktikabel erwiesen. Ein BEM habe der Kläger ausdrücklich abgelehnt. Die Kündigung sei auch nach einer Interessenabwägung gerechtfertigt.
Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien in erster Instanz und der dort gestellten Anträge wird auf den Tatbestand des arbeitsgerichtlichen Urteils verwiesen.
Das Arbeitsgericht hat den Kündigungsschutzantrag des Klägers durch Teil-Urteil abgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, die Fehlzeiten des Klägers rechtfertigten die Prognose, er werde auch künftig mehr als 6 Wochen im Jahr arbeitsunfähig sein. Die betrieblichen Interessen der Beklagten seien durch die hieraus resultierende Verpflichtung zur Entgeltfortzahlung beeinträchtigt. Trotz des Lebensalters des Klägers und der Dauer des Arbeitsverhältnisses falle auch die Interessenabwägung zugunsten der Beklagten aus. Wegen der weiteren Einzelheiten der Begründung des Arbeitsgerichts wird auf die angefochtene Entscheidung verwiesen.
Gegen dieses am 22.01.2015 zugestellte Teil-Urteil hat der Kläger am 20.02.2015 Berufung eingelegt und diese nach Verlängerung der Begründungsfrist bis zum 23.04.2015 am 23.04.2015 begründet.
Er wiederholt, vertieft und ergänzt sein erstinstanzliches Vorbringen wie folgt:
Soweit in der Vergangenheit ein Magenproblem (06.04.2010), Zahnschmerzen (15.09.2010), Unwohlsein (03. - 07.01.2011), eine Läsion des Zeigefingers (20.05. - 03.06.2011), Rachenentzündung (11. - 14.11.2011), Bronchitis (22. - 30.01.2013), Kopfschmerzen (04.03.2013), ein Magenproblem (27.05.2013) sowie eine Virusinfektion (12. - 21.06.2013) aufgetreten seien, seien diese auf einmalige Ursachen zurückzuführen, ausgeheilt und über das normale Maß hinausgehende neue Erkrankungen nicht zu erwarten. Das belege auch die von ihm vorgelegte Bescheinigung seiner Hausärzte (Anlage Bf 3, Bl. 180 d. A.). Vom 14.04. bis 11.06.2010 sei er nach einer Schulteroperation arbeitsunfähig gewesen. Diese Verletzung sei ausgeheilt und werde ebenfalls nicht wieder auftreten, was auch die behandelnden Ärzte bescheinigt hätten (Anlage Bf 4, Bl. 181 d. A.). Vom 26.09. bis 03.11.2011 sowie vom 14.12.2011 bis 15.04.2012 sei er wegen eines Kreuzbandrisses/Innenbandrisses und Meniskusschadens operiert worden. Dieser sei auf einen unglücklichen Unfall bei einer Geburtstagsfeier zurückzuführen. Dieser Schaden sei nach der Operation ausweislich des vorgelegten Attestes ausgeheilt. Auch hinsichtlich des Cervicobrachialsyndroms/Schulterschmerzen vom 26.10. bis 23.11.2012 beurteilten die Ärzte die gesundheitliche Entwicklung positiv. Die bei ihm seit längerem vorliegende Spondylose, die für die Fehlzeit vom 13.09. bis 11.10.2013 verantwortlich sei, führe zwar zeitweise zu Rückenschmerzen aber nur äußerst selten zur Arbeitsunfähigkeit. Die Lungenentzündung in der Zeit vom 12.02. bis 23.04.2014 sei vollständig ausgeheilt. Sie sei im Übrigen auf die Bedingungen am Arbeitsplatz, an dem die Heizung ausgefallen gewesen sei, zurückzuführen.
Er habe auch nach Aufnahme der Arbeit im Kleinteilbereich sämtliche dort anfallenden Arbeiten ausgeführt. 99,5 % der Kleinteile wögen weniger als 5 kg. Im Übrigen seien ihm nunmehr nach entsprechendem Muskeltraining Hebe- und Tragearbeiten bis zu 30 kg möglich. Er habe im Kleinteilbereich auch 4 Wochen gänzlich ohne Hilfe gearbeitet. Schließlich könne ihm die Beklagte Trage- und Hebehilfsmittel zur Verfügung stellen.
Es läge auch keine hinreichende Beeinträchtigung betrieblicher Interessen der Beklagten vor. So gebe es zwei andere Mitarbeiter im Lager mit wesentlich höheren Fehlzeiten. Außerdem könne er leidensgerecht an anderen Arbeitsplätzen beschäftigt werden. Es gebe bei der Beklagten drei Arbeitnehmer, die ausschließlich als Staplerfahrer tätig seien und hierbei keine Lasten selbst heben oder bewegen müssten. Dies gelte auch für die Arbeitsplätze im Bereich des Warenannahmetresens, der Problemklärung für den Wareneingang oder im Exportbereich. Für den Arbeitsplatz am Clearingpoint-KF-Sonderprozesse hatte die Beklagte ihm bereits in der Vergangenheit eine SAP-Schulung angeboten. Er sei damals erkrankt gewesen.
Das BEM habe er nicht abgelehnt. Das Schreiben der Beklagten vom 14.01.2014 habe er nicht erhalten. Beide Schreiben der Beklagten erfüllten im Übrigen nicht die Anforderungen des Bundesarbeitsgerichts an ein ordnungsgemäßes Angebot zur Durchführung eines BEM. Schließlich müsse die Interessenabwägung zu seinen Gunsten ausfallen. Die Kündigung sei wegen des Widerspruchs des Betriebsrats auch absolut sozialwidrig und stelle sich als Maßregelung dar. Der im Berufungsverfahren geltend gemachte Weiterbeschäftigungsanspruch folge aus dem Obsiegen mit dem Kündigungsschutzantrag.
Der Kläger beantragt,
das Teil-Urteil des Arbeitsgerichts Neumünster vom 12.01.2015 - 4 Ca 704 /14 - abzuändern und
1. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung der Beklagten vom 22.05.2014 nicht zum 31.12.2014 endete,
2. die Beklagte zu verurteilen, den Kläger zu unveränderten vertraglichen Bedingungen als Mitarbeiter im Lager am Standort K€ weiter zu beschäftigen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie erwidert:
Der Kläger versuche mit der Berufungsbegründung seinen erstinstanzlich unsubstantiierten Vortrag zu substantiieren. Der Vortrag sei wegen Verspätung nicht zu berücksichtigen, da das Arbeitsgericht mit Beschluss vom 14.07.2014 dem Kläger aufgegeben habe, innerhalb einer bestimmten Frist vorzutragen, warum die Gesundheitsprognose nicht negativ sei und eine Bescheinigung der Krankenkasse vorzulegen. Dem sei der Kläger nicht nachgekommen.
Selbst bei Berücksichtigung des Vorbringens sei die Kündigung gerechtfertigt: Eine Prognose lasse weitere erhebliche Fehlzeiten des Klägers erwarten. So sei es nicht richtig, dass Infekte, bakterielle Erkrankungen sowie sonstige körperliche Beschwerden lediglich auf einmalige Ursachen zurückzuführen seien. Vielmehr belege die Häufigkeit der Erkrankungen eine besondere Krankheitsanfälligkeit. Eine solche Krankheitsanfälligkeit liege - wie hier beim Kläger - beim wiederholten Auftreten von Atemwegserkrankungen, Magenleiden oder Rückenbeschwerden vor. Etwas anderes folge auch nicht aus den vom Kläger beigebrachten Attesten. Es werde bestritten, dass die Schulterverletzung ausgeheilt sei. So sei der Kläger nachfolgend an einem Cervicobrachialsyndrom erkrankt, das häufig eine Folgeerkrankung anderer Erkrankungen der Wirbelsäule oder der Gelenke sei. Ein Kreuzbandriss/Innenriss sowie ein Meniskusschaden seien verschiedene schwere Knieverletzungen, die schon aufgrund der Art der Erkrankung nicht vollständig ausheilen könnten. Hinsichtlich der Spondylose räume der Kläger selbst ein, dass es sich um eine Dauererkrankung handele. Auch die Ausheilung der Lungenentzündung werde bestritten. Diese sei auch nicht auf von ihr zu vertretene Umstände zurückzuführen. Schließlich sei die negative Prognose auch wegen des eindeutigen ärztlichen Attests vom 27.02.2014 belegt.
Die Tätigkeiten eines Lagerarbeiters umfasse in allen denkbaren Arbeitsbereichen immer zwangsläufig ein Heben und Tragen von Gegenständen mit einer Masse von über 5 kg. Die Behauptung des Klägers, er habe 3 ½ Wochen unbeanstandet an einem Kleinteilarbeitsplatz gearbeitet, sei schlicht falsch.
Betriebliche Beeinträchtigungen ergäben sich schon aus den zu erwartenden Entgeltfortzahlungskosten. Einen anderen leidensgerechten Arbeitsplatz gebe es nicht. Sämtliche Arbeitsplätze im Lager brächten Belastungen mit sich, zu denen der Kläger ausweislich des von ihm vorgelegten Attests nicht in der Lage sei. Am Arbeitsplatz im Kleinteilbereich falle regelmäßig auch das Heben und Tragen von Gegenständen mit einem Gewicht von bis zu 20 kg an. Eine leidensgerechte Umgestaltung des Arbeitsplatzes sei nicht möglich. Ein Arbeitsplatz für Staplerfahrer im Wareneingang gebe es nicht. Im Bereich Export würden Pakete bis zu 20 kg von Hand bewegt; ebenso im Wareneingang und im Clearingpoint-KF. Für letzteren fehle dem Kläger auch die notwendige Qualifikation. Auch die Interessenabwägung falle zu ihren Gunsten aus. Sie habe dem Kläger wiederholt und ordnungsgemäß ein BEM angeboten. Dies habe der Kläger abgelehnt. Die Kündigung sei auch nicht aus sonstigen Gründen unwirksam. Daher bestehe auch kein Weiterbeschäftigungsanspruch.
Wegen des weiteren Sach- und Streitstands wird auf den Inhalt der gewechselten Schriftsätze sowie das Sitzungsprotokoll vom 22.09.2015 und die dort von den Parteien abgegebenen Erklärungen Bezug genommen.
Gründe
Die gemäß § 64 Abs. 2 lit. c ArbGG statthafte, form- und fristgemäß eingelegte und begründete und damit zulässige Berufung des Klägers ist begründet. Das Arbeitsgericht hat den Kündigungsschutzantrag des Klägers zu Unrecht abgewiesen. Die Beklagte ist auch zur Weiterbeschäftigung des Klägers verpflichtet.
I.
Der Kündigungsschutzantrag des Klägers ist begründet. Die Kündigung der Beklagten vom 22.05.2014 ist rechtsunwirksam, da sie sozial nicht gerechtfertigt ist, § 1 Abs. 1 KSchG. Sie ist insbesondere nicht durch krankheitsbedingte Gründe im Sinne des § 1 Abs. 2 S. 1 KSchG sozial gerechtfertigt.
1. Die Kündigung ist nicht wegen einer dauerhaften krankheitsbedingten Unmöglichkeit des Klägers, die von ihm vertraglich geschuldete Arbeitsleistung zu erbringen, sozial gerechtfertigt.
a) Allerdings führt die dauernde Unmöglichkeit, die geschuldete Arbeitsleistung zu erbringen, auf Dauer zu einer erheblichen Störung des Arbeitsverhältnisses. Eine weitergehende Prüfung einer negativen Prognose hinsichtlich künftiger Krankheitszeiten ist dann nicht erforderlich (ständige Rechtspr. des BAG, Nachw. bei KR-Griebeling, 10. Aufl., § 1 KSchG Rn 375).
b) Der Kläger ist nicht dauerhaft arbeitsunfähig erkrankt. Hierzu hat die Beklagte nicht ausreichend vorgetragen.
Selbst wenn man die vom Kläger der Beklagten vorgelegte ärztliche Bescheinigung vom 27.02.2014 mit der Beklagten nicht als bloße Empfehlung bewertet, rechtfertigt dies nicht die Annahme, der Kläger sei auf Dauer arbeitsunfähig erkrankt. Die ärztliche Bescheinigung gibt ein im Februar 2014 bestehendes Krankheitsbild wieder. Über die (zukünftige) Dauer der gesundheitlichen Einschränkungen, insbesondere über deren mangelnde Therapierbarkeit sagt das Attest nichts aus. Es wird - vergangenheitsbezogen - ausgeführt, dass der Kläger nicht mehr in der Lage sei, bestimmte Arbeiten durchzuführen. Dass er diese Arbeiten auch zukünftig nicht durchführen könne, dazu verhält sich das Attest nicht.
Gegen das Vorliegen einer dauerhaften Arbeitsunfähigkeit spricht auch, dass der Kläger zum Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung bereits mehr als 3 Wochen nicht arbeitsunfähig krankgeschrieben war. Ferner gab es auch in der Vergangenheit keine dermaßen langen Arbeitsunfähigkeitszeiträume, dass es Anhaltspunkte für eine dauerhafte Arbeitsunfähigkeit gäbe. Im Jahre 2014 war der Kläger an einer Lungenentzündung erkrankt, die mit der vorgelegten ärztlichen Bescheinigung nichts zu tun hat. Im Jahre 2013 gab es nur zwei längere Fehlzeiten, die auf orthopädische Beschwerden zurückzuführen sind, nämlich die Spondylose, die zur Arbeitsunfähigkeit vom 13.09. bis 11.10.2013 führte sowie eine Kniedistorsion, die zur Arbeitsunfähigkeit vom 04.11. bis 22.11.2013 führte. Die weiteren Krankschreibungen aufgrund orthopädischer Beschwerden liegen erheblich vor diesem Zeitraum.
2. Die Kündigung ist aber auch nicht wegen häufiger Kurzerkrankungen des Klägers sozial gerechtfertigt.
a) Auch bei häufigen Kurzerkrankungen ist, damit sie eine Kündigung sozial rechtfertigen können, zunächst eine negative Gesundheitsprognose erforderlich. Es müssen im Kündigungszeitpunkt objektive Tatsachen vorliegen, die die Besorgnis weiterer Erkrankungen im bisherigen Umfang befürchten lassen - erste Stufe -. Die prognostizierten Fehlzeiten müssen außerdem zu einer erheblichen Beeinträchtigung der betrieblichen Interessen führen, was als Teil des Kündigungsgrundes - zweite Stufe - festzustellen ist. Diese Beeinträchtigungen können sowohl in Betriebsablaufstörungen als auch in zu erwartenden Entgeltfortzahlungskosten liegen, sofern die Zahlungen in einem Umfang von 6 Wochen übersteigen. Im Rahmen der gebotenen Interessenabwägung - dritte Stufe - ist schließlich zu prüfen, ob die Beeinträchtigungen vom Arbeitgeber gleichwohl hingenommen werden müssen.
Treten während der letzten Jahre jährlich mehrere (Kurz-) Erkrankungen auf, spricht dies für eine entsprechende künftige Entwicklung des Krankheitsbildes, es sei denn, die Krankheiten sind ausgeheilt. Der Arbeitgeber darf sich deshalb auf der ersten Prüfungsstufe zunächst darauf beschränken, die Fehlzeiten der Vergangenheit darzustellen und zu behaupten, in Zukunft seien Krankheitszeiten in entsprechendem Umfang zu erwarten. Alsdann ist es Sache des Arbeitnehmers, gemäß § 138 Abs. 2 ZPO darzulegen, weshalb im Kündigungszeitpunkt mit einer baldigen Genesung zu rechnen war. Er genügt dieser prozessualen Mitwirkungspflicht schon dann, wenn er vorträgt, die behandelnden Ärzte hätten seine gesundheitliche Entwicklung positiv beurteilt, und wenn er diese von ihrer Schweigepflicht entbindet. Je nach Erheblichkeit des Vortrags ist es dann Sache des Arbeitgebers, den Beweis für die Berechtigung einer negativen Gesundheitsprognose zu führen (zuletzt BAG, Urt. v. 20.11.2014 - 2 AZR 755/13 - Juris, Rn 16 u. 17).
b) Aus diesen Grundsätzen folgt für den hier zu entscheidenden Fall Folgendes:
aa) Die Beklagte hat mit ihrem Vortrag zum Umfang der Fehlzeiten des Klägers in der Vergangenheit ausreichend zum Bestehen einer negativen Prognose vorgetragen. Der entsprechende Vortrag der Beklagten ist vom Kläger wirksam bestritten worden. Im Einzelnen gilt Folgendes:
(1) Die Darlegungen der Beklagten genügen den Anforderungen an den Vortrag des Arbeitgebers zur Darlegung einer negativen Prognose bei einer Kündigung wegen häufiger Kurzerkrankungen. Nach diesen Darlegungen war der Kläger im Jahr 2010 in vier Zeiträumen an 42 Arbeitstagen, im Jahr 2011 in sechs Zeiträumen an 63 Arbeitstagen, im Jahr 2012 in drei Zeiträumen an 97 Arbeitstagen, in 2013 in sechs Zeiträumen an 53 Arbeitstagen und bis zur Kündigung am 22.05.2014 in zwei Zeiträumen an 50 Arbeitstagen arbeitsunfähig erkrankt.
(2) Diesem Vortrag ist der Kläger jedenfalls im Berufungsrechtszug ausreichend entgegengetreten.
(a) Der Kläger hat in der Berufungsbegründung zu den einzelnen Fehlzeiten und ihren krankheitsbedingten Gründen Stellung genommen. Er hat die Ursachen der Erkrankung benannt, auf die Ausheilung und/oder auf die fehlende Wiederholungsgefahr nach zwei durchgeführten Operationen hingewiesen sowie darauf, dass einzig die Spondylose zukünftig zu Fehlzeiten, aber nur in geringem Umfang führen werde. Zur Substantiierung hat der Kläger entsprechende Bescheinigungen seiner behandelnden Ärzte vorgelegt und diese von der Schweigepflicht entbunden. Das genügt den Anforderungen der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts.
(b) Dieser Vortrag des Klägers aus der Berufungsbegründung bleibt auch nicht nach § 67 Abs. 2 ArbGG wegen Verspätung unberücksichtigt.
Gemäß § 67 Abs. 2 ArbGG sind neue Angriffs- und Verteidigungsmittel, die im ersten Rechtszug entgegen einer hierfür nach § 61 a Abs. 3 oder 4 gesetzten Frist nicht vorgebracht worden sind, nur zuzulassen, wenn nach der freien Überzeugung des Landesarbeitsgerichts ihre Zulassung die Erledigung des Rechtsstreits nicht verzögern würde oder wenn die Partei die Verspätung genügend entschuldigt.
Eine Verzögerung des Rechtsstreits ist dann gegeben, wenn die Entscheidungsfindung in der Berufungsinstanz durch das verspätete Vorbringen hinausgeschoben wird, wenn also bei Berücksichtigung des Vorbringens später entschieden werden würde. Eine Verzögerung ist beispielsweise gegeben, wenn die Anberaumung eines weiteren Termins notwendig würde. Im Rahmen seiner Verpflichtung zur Vorbereitung der streitigen Verhandlung muss allerdings der Vorsitzende ggf. prozessleitende Verfügungen erlassen, Zeugen vorsorglich laden, amtliche Auskünfte einholen und Ergänzungen und Erläuterungen des bisherigen Vorbringens verlangen. Nur soweit eine vorbereitende Maßnahme nicht möglich ist, kann die Verspätung des Vorbringens ursächlich für die Verzögerung der Erledigung des Rechtsstreits sein (Germelmann, ArbGG, 7. Aufl., § 67, Rn 9). Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts liegt eine Verzögerung der Erledigung des Rechtsstreits objektiv dann nicht vor, wenn das Landesarbeitsgericht dafür sorgen kann, dass die angebotenen Beweismittel bereits in der ersten Verhandlung verfügbar sind (BAG, Urt. v. 23.11.1988 - 4 AZR 393/88 - Juris, Rn 21).
Nach diesen Grundsätzen kann ein Vorbringen in der Berufungsbegründung regelmäßig nicht verspätet sein. Ein weiterer Termin zur Einholung eines Sachverständigengutachtens hätte nämlich bereits dadurch vermieden werden können, dass der Vorsitzende terminsvorbereitend ein entsprechendes Gutachten einholt. Hierzu ist er gemäß den §§ 64 Abs. 7, 55 Abs. 4 Nr. 5 ArbGG berechtigt.
(3) Auf die Einholung eines Sachverständigengutachtens kann aber im vorliegenden Fall verzichtet werden, da die Kündigung des Arbeitsverhältnisses des Klägers jedenfalls dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz nicht genügt und deswegen unwirksam ist.
bb) Zur Beeinträchtigung betrieblicher Interessen hat sich die Beklagte auf die zu erwartenden Entgeltfortzahlungskosten von mehr als 6 Wochen bezogen. Ob entsprechende Kosten zu erwarten wären, wäre ebenfalls nach Auswertung des Sachverständigengutachtens festzustellen.
cc) Die Kündigung ist aber jedenfalls deswegen unverhältnismäßig, weil die Beklagte nicht ausreichend dargelegt hat, dass durch eine leidensgerechte Beschäftigung des Klägers weitere Fehlzeiten nicht vermieden werden könnten und es damit zukünftig nicht zu Störungen im Betriebsablauf kommt.
(1) Eine aus Gründen in der Person des Arbeitnehmers ausgesprochene Kündigung ist unverhältnismäßig und damit rechtsunwirksam, wenn sie zur Beseitigung der eingetretenen Vertragsstörung nicht geeignet oder nicht erforderlich ist. Eine Kündigung ist durch Krankheit dann nicht €bedingt€, wenn es angemessene mildere Mittel zur Vermeidung oder Verringerung künftiger Fehlzeiten gibt. Mildere Mittel können insbesondere die Umgestaltung des bisherigen Arbeitsbereichs oder die Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers auf einem anderen - leidensgerechten - Arbeitsplatz sein. Darüber hinaus kann sich aus dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit die Verpflichtung des Arbeitgebers ergeben, dem Arbeitnehmer vor einer Kündigung die Chance zu bieten, ggf. spezifische Behandlungsmaßnahmen zu ergreifen, um dadurch die Wahrscheinlichkeit künftiger Fehlzeiten auszuschließen.
Grundsätzlich kann sich der Arbeitgeber, der für die Verhältnismäßigkeit der Kündigung nach § 1 Abs. 2 S. 4 KSchG die Darlegungs- und Beweislast trägt - wenn keine Verpflichtung zur Durchführung eines BEM besteht - zunächst darauf beschränken zu behaupten, für den Arbeitnehmer bestehe keine alternative Beschäftigungsmöglichkeit. Diese pauschale Erklärung umfasst den Vortrag, Möglichkeiten zur leidensgerechten Anpassung des Arbeitsplatzes seien nicht gegeben. Der Arbeitnehmer muss hierauf erwidern, insbesondere darlegen, wie er sich eine Änderung des bisherigen Arbeitsplatzes oder eine anderweitige Beschäftigung vorstellt, die er trotz seiner gesundheitlichen Beeinträchtigungen ausüben könne. Dann ist es Sache des Arbeitgebers, hierauf seinerseits zu erwidern und ggf. darzulegen, warum eine solche Beschäftigung nicht möglich sei (BAG, Urt. v. 20.11.2014 - 2 AZR 755/13 - Juris, Rn 24 u. 25).
(2) Vorliegend trifft die Beklagte indes eine gesteigerte Darlegungslast. Sie hat nämlich die Durchführung eines nach § 84 Abs. 2 SGB 9 erforderlichen BEM unterlassen.
§ 84 Abs. 2 SGB 9 stellt eine Konkretisierung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes dar. Das BEM ist zwar selbst kein milderes Mittel gegenüber einer Kündigung. Mit seiner Hilfe können aber solche milderen Mittel z. B. die Umgestaltung des Arbeitsplatzes oder die Weiterbeschäftigung zu geänderten Arbeitsbedingungen auf einem anderen - ggf. durch Umsetzung €freizumachenden€ - Arbeitsplatz erkannt und entwickelt werden. Möglich ist, dass auch ein BEM kein positives Ergebnis hätte erbringen können. Sofern dies der Fall ist, kann dem Arbeitgeber aus dem Unterlassen eines BEM kein Nachteil entstehen. Wäre ein positives Ergebnis dagegen möglich gewesen, darf sich der Arbeitgeber nicht darauf beschränken, pauschal vorzutragen, er kenne keine alternativen Einsatzmöglichkeiten für den erkrankten Arbeitnehmer und es gebe keine leidensgerechten Arbeitsplätze, die der erkrankte Arbeitnehmer trotz seiner Erkrankung ausfüllen könne. Er hat vielmehr von sich aus denkbare oder vom Arbeitnehmer (außergerichtlich) bereits genannte Alternativen zu würdigen und im Einzelnen darzulegen, aus welchen Gründen sowohl eine Anpassung des bisherigen Arbeitsplatzes an dem Arbeitnehmer zuträgliche Arbeitsbedingungen als auch die Beschäftigung auf einem anderen - leidensgerechten - Arbeitsplatz ausscheiden. Dies geht über die Darlegungslast des Arbeitgebers für das Nichtbestehen einer anderen Beschäftigungsmöglichkeit nach allgemeinen Grundsätzen hinaus. Der Arbeitgeber muss umfassend und konkret vortragen, warum weder der weitere Einsatz des Arbeitnehmers auf dem bisher innegehabten Arbeitsplatz noch dessen leidensgerechte Anpassung und Veränderung möglich war und der Arbeitnehmer auch nicht auf einem anderen Arbeitsplatz bei geänderter Tätigkeit hätte eingesetzt werden können (BAG, Urt. v. 30.09.2010 - 2 AZR 88/09 - Juris, Rn 35 f.).
(3) Die Voraussetzungen für die Durchführung eines BEM nach § 84 Abs. 2 SGB 9 liegen im Streitfall vor. Der Kläger war seit 2010 jedes Jahr länger als 6 Wochen arbeitsunfähig erkrankt.
(4) Ein regelkonformes BEM hat nicht stattgefunden.
(a) Es ist Sache des Arbeitgebers die Initiative zur Durchführung des BEM zu ergreifen. Kommt es darauf an, ob der Arbeitgeber eine solche Initiative ergriffen hat, kann davon nur ausgegangen werden, wenn er den Arbeitnehmer zuvor nach § 84 Abs. 2 S. 3 SGB 9 auf die Ziele des BEM sowie Art und Umfang der dabei erhobenen Daten hingewiesen hat. Der Hinweis erfordert eine Darstellung der Ziele, die inhaltlich über eine bloße Bezugnahme auf die Vorschrift des § 84 Abs. 2 S. 1 SGB 9 hinausgeht. Zu diesen Zielen rechnet die Klärung, wie die Arbeitsunfähigkeit möglichst überwunden, erneuter Arbeitsunfähigkeit vorgebeugt und wie das Arbeitsverhältnis erhalten werden kann. Dem Arbeitnehmer muss verdeutlicht werden, dass es um die Grundlagen seiner Weiterbeschäftigung geht und dazu ein ergebnisoffenes Verfahren durchgeführt werden soll, in das auch er Vorschläge einbringen kann. Daneben ist ein Hinweis zur Datenerhebung und Datenverwendung erforderlich, der klarstellt, dass nur solche Daten erhoben werden, deren Kenntnis erforderlich ist, um ein zielführendes, der Gesundung und Gesunderhaltung des Betroffenen dienendes BEM durchführen zu können. Dem Arbeitnehmer muss mitgeteilt werden, welche Krankheitsdaten als sensible Daten im Sinne von § 3 Abs. 9 BDSG erhoben und gespeichert und inwieweit und für welche Zwecke sie dem Arbeitgeber zugänglich gemacht werden. Nur bei entsprechender Unterrichtung kann vom Versuch der ordnungsgemäßen Durchführung eines BEM die Rede sein (BAG, Urt. v. 20.11.2014 - 2 AZR 755/13 - Juris, Rn 31 u. 32).
(b) Nach diesen Vorgaben der Rechtsprechung hat die Beklagte keine ordnungsgemäße Initiative zur Durchführung des BEM ergriffen. Das Schreiben vom 14.01.2014 (Anlage B2, Bl. 31 d. A.) genügt den Anforderungen der Rechtsprechung nicht. Es enthält keinen Hinweis zur Datenerhebung und Datenverwendung. Dem Kläger wird an keiner Stelle mitgeteilt, welche Krankheitsdaten erhoben und gespeichert und inwieweit und für welche Zwecke sie dem Arbeitgeber zugänglich gemacht werden.
(5) Die Durchführung des BEM war auch nicht ausnahmsweise deswegen entbehrlich, weil ein solches offensichtlich nicht erfolgsversprechend war.
Zwar ist es möglich, dass selbst ein BEM kein positives Ergebnis hätte erbringen können. In einem solchen Fall kann dem Arbeitgeber aus dem Unterlassen eines BEM kein Nachteil entstehen. Erscheint demgegenüber ein positives Ergebnis denkbar, darf er sich nicht auf den pauschalen Vortrag beschränken, er kenne keine alternativen Einsatzmöglichkeiten für den erkrankten Arbeitnehmer und es gebe keine leidensgerechten Arbeitsplätze, die der erkrankte Arbeitnehmer trotz seiner Erkrankung ausfüllen könne. Der Arbeitgeber hat vielmehr von sich aus denkbare oder vom Arbeitnehmer ggf. außergerichtlich genannte Alternativen zu würdigen und im Einzelfall darzulegen, aus welchen Gründen weder eine Anpassung des bisherigen Arbeitsplatzes an den Arbeitnehmer zuträgliche Arbeitsbedingungen noch die Beschäftigung auf einem anderen leidensgerechten Arbeitsplatz in Betracht kommen (BAG, Urt. v. 20.03.2014 - 2 AZR 565/12 - Juris, Rn 34).
Diesen strengen Anforderungen der Rechtsprechung genügt der Vortrag der Beklagten, auch unter Berücksichtigung der ergänzenden Erklärungen im Verhandlungstermin vor der Berufungskammer, nicht. Zunächst einmal ist bei den hier vorliegenden orthopädischen Einschränkungen des Klägers, von denen im Folgenden zugunsten der Beklagten ausgegangen wird, nicht nur denkbar, dass durch das BEM ein positives Ergebnis im Hinblick auf die zukünftige Einsatzfähigkeit des Klägers hätte erzielt werden können; nach Einschätzung der Kammer liegt ein solches positives Ergebnis sogar ausgesprochen nahe. Typischerweise lässt sich bei orthopädischen Beeinträchtigungen durch die Vermeidung der belastenden Tätigkeit, durch die Unterstützung durch Hilfs- oder Hebemittel sowie durch Veränderungen der Arbeitsorganisation, etwa dahin, dass der Betroffene vom Heben schwerer Lasten ausgenommen wird, ein positives Ergebnis erreichen. Das BEM lässt den Beteiligten insoweit jeden erdenklichen Spielraum. Es soll erreicht werden, dass keine vernünftiger Weise in Betracht kommende, zielführende Möglichkeit ausgeschlossen wird (vgl. BAG, Urt. v. 20.11.2014, a. a. O., Rn 48).
Der schriftsätzliche Vortrag der Beklagten (etwa S. 19 u. 20 der Berufungserwiderung, Bl. 206 f. d. A.) bezieht sich allein auf die Möglichkeit den Kläger zu unveränderten Bedingungen als Lagerarbeiter einsetzen zu können. Soweit die Beklagte etwa zum Arbeitsplatz des Klägers im Kleinteilebereich ausgeführt hat, eine leidensgerechte Umgestaltung sei nicht möglich, eine Anweisung an die Kollegen dem Kläger beim schweren Tragen zu helfen sei nicht umsetzbar oder entsprechende Maßnahmen seien €völlig unpraktikabel€, hat sie schriftsätzlich keine konkreten Tatsachen dargelegt, die ihre Bewertung belegen. Die Parteien haben im Berufungstermin übereinstimmend vorgetragen, dass der Kläger etwa ab Januar 2014, nach dem konkreteren Vortrag der Beklagten ab 06.01.2014, im Kleinteilbereich eingesetzt war. Dort war er bis zur Kündigung im Mai 2014 zu keiner Zeit wegen orthopädischer Leiden arbeitsunfähig erkrankt.
Ebenso wenig hat die Beklagte ausreichend dargelegt, dass die Organisation ihrer Abläufe im Lager nicht dahingehend möglich ist, dass der Kläger als Staplerfahrer ohne Heben schwerer Lasten eingesetzt werden kann. So ist die Beklagte nach den Erörterungen im Berufungstermin unstreitig dem Mitarbeiter K. dahingehend entgegengekommen, dass sie diesen als Staplerfahrer einsetzt, so dass dieser nur bei der Befestigung des Steckrahmens einmalig ein Gewicht von über 7,5 kg tragen muss. Dabei unterstellt das Berufungsgericht zugunsten der Beklagten das von ihr angegebene Gewicht dieses Steckrahmens, das der Kläger im Termin mit Nichtwissen bestritten hat. Ob ein entsprechendes Entgegenkommen gegenüber dem Kläger nicht auch möglich wäre und ob dieser dann tatsächlich noch weitere Entlastung benötigt hätte, hätte im Rahmen eines betrieblichen Eingliederungsmanagements geklärt werden können. Die Erfolglosigkeit eines solchen Versuchs steht jedenfalls nicht fest.
Zur Beschäftigung des Klägers zu veränderten arbeitsvertraglichen Bedingungen etwa hinsichtlich des Tätigkeitsbereichs (kaufmännische Tätigkeiten) oder auch im Hinblick auf die Arbeitszeit (Weiterbeschäftigung in Teilzeit) sowie zur Erfolglosigkeit etwaiger in Betracht kommender Rehamaßnahmen (vgl. BAG v. 20.11.2014, a. a. O., Rn 48) fehlt ebenfalls jeglicher Vortrag.
(6) Der Beklagten war auch kein Schriftsatznachlass in Bezug auf die Ergänzung ihres Vortrags zu fehlenden Weiterbeschäftigungsmöglichkeiten für den Kläger zu gewähren. Gemäß § 139 Abs. 2 ZPO darf das Gericht allerdings auf einen Gesichtspunkt, den eine Partei erkennbar übersehen oder für unerheblich gehalten hat, seine Entscheidung nur stützen, wenn es darauf hingewiesen und Gelegenheit zur Äußerung dazu gegeben hat. Dieser Verpflichtung ist das Gericht nachgekommen. Beide Parteien haben über die ordnungsgemäße Durchführung des BEM gestritten. Den Gesichtspunkt der mangelnden Einleitung des Verfahrens durch die Beklagte wegen des fehlenden Hinweises auf die Datenerhebung haben aber ersichtlich beide Parteien übersehen. Hierauf hat das Gericht die Parteien durch Verfügung vom 01.09.2015 und damit drei Wochen vor dem Berufungstermin hingewiesen. Damit blieb der Beklagten ausreichend Frist zur Stellungnahme und zur Ergänzung ihres Vorbringens. Der Kläger selbst ist dieser Möglichkeit ja auch nachgekommen, indem er nach dem Hinweis noch einen Schriftsatz bei Gericht eingereicht hat. Deutlich mehr als zwei Wochen Zeit ist aus Sicht der Berufungskammer ausreichend, um zu diesem einen Aspekt Stellung zu nehmen.
Schriftsatznachlass nach § 283 S. 2 ZPO auf den Schriftsatz des Klägers vom 14.09.2015 war der Beklagten nicht zu gewähren, da dieser Schriftsatz der Beklagten zu dem hier entscheidungserheblichen Punkt nichts erhebliches Neues enthält.
3. Die Kündigung ist schließlich auch nicht deswegen begründet, weil von einer häufigen Krankheitsanfälligkeit des Klägers bezogen auf andere als orthopädische Erkrankungen auszugehen ist. Insoweit reicht bereits die Anzahl der Fehltage, die auf anderen als orthopädischen Erkrankungen beruhen, nicht aus, um von einer Prognose erheblicher Fehlzeiten für die Zukunft auszugehen. So hat die Beklagte selbst diese Fehlzeiten auf insgesamt 34 Tage aufaddiert (S. 9 der Berufungserwiderung, Bl. 196 d. A.). Hierbei ist zu berücksichtigen, dass diese 34 Arbeitstage in insgesamt 4 1/2 Jahren entstanden sind. Selbst wenn man die längere Arbeitsunfähigkeit wegen der Lungenentzündung im Frühjahr 2014 hinzurechnet, ergeben sich aus Sicht des Berufungsgerichts keine Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger zukünftig im Umfang von mehr als 6 Wochen wegen einmaliger Infektionskrankheiten oder ähnlicher Beschwerden (Magenbeschwerden, Rachenentzündung etc.) fehlen wird.
4. Ob die Kündigung aus den weiteren von dem Kläger noch selbständig geltend gemachten Gründen unwirksam ist, ist damit unerheblich.
II.
Der Klagantrag zu 2. ist zulässig und begründet. Die Beklagte hat den Kläger als Lagerarbeiter weiter zu beschäftigen.
1. Die Klagerweiterung im Berufungsverfahren ist gemäß § 533 ZPO zulässig. Sie ist sachdienlich, im Übrigen hat sich die Beklagte auch auf die Klagerweiterung eingelassen. Neue Tatsachenfeststellungen sind nicht erforderlich.
2. Der Beschäftigungsanspruch des Klägers als Lagerarbeiter für die Dauer des Kündigungsschutzverfahrens besteht nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts in Folge des obsiegenden Urteils im Kündigungsschutzprozess bis zum rechtskräftigen Abschluss dieses Verfahrens.
3. Die von der Beklagten behauptete Arbeitsunfähigkeit des Klägers steht dem Anspruch nicht entgegen.
Für eine dauernde Arbeitsunfähigkeit des Klägers ist nichts ersichtlich. Auf die obigen Ausführungen wird verwiesen.
Die Beklagte hat dem Kläger vielmehr unter Berücksichtigung von dessen Leistungsvermögen (§ 241 Abs. 2 BGB) Arbeit im Rahmen des Arbeitsvertrags zuzuweisen. Ob der Kläger ggf. arbeitsunfähig ist, ist durch Vorlage einer ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung durch den Kläger nachzuweisen. Das ist aber eine Frage, die sich erst nach Zuweisung eines Arbeitsplatzes an den Kläger stellt und nicht Streitgegenstand bezogen auf den hier geltend gemachten Weiterbeschäftigungsanspruch.
III.
Die Beklagte trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
Über die Kosten erster Instanz wird das Arbeitsgericht im Schluss-Urteil zu entscheiden haben. Gründe für die Zulassung der Revision sind nicht ersichtlich.
LAG Schleswig-Holstein:
Urteil v. 22.09.2015
Az: 1 Sa 48 a/15
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