Bundespatentgericht:
Beschluss vom 15. März 2001
Aktenzeichen: 25 W (pat) 137/00

(BPatG: Beschluss v. 15.03.2001, Az.: 25 W (pat) 137/00)

Tenor

Auf die Beschwerde der Widersprechenden werden die Beschlüsse der Markenstelle für Klasse 5 des Deutschen Patent- und Markenamts vom 16. Juni 1999 und vom 6. Juli 2000 aufgehoben, soweit der Widerspruch aus der Marke 283 700 zurückgewiesen worden ist.

Wegen dieses Widerspruchs wird die Löschung der angegriffenen Marke angeordnet.

Gründe

I.

Die am 9. Januar 1996 angemeldete Bezeichnung Desilinist nach Teillöschung noch für die Waren "Arzneimittel gegen Erkrankungen im Zusammenhang mit dem Zentralen Nervensystem" im Markenregister eingetragen. Die Veröffentlichung der Eintragung erfolgte am 10. September 1996.

Widerspruch erhoben hat die Inhaberin der am 4. April 1922 für "Arzneimittel für Menschen und Tiere, Desinfektionsmittel" eingetragenen Marke 283 700, Develin.

Die Markenstelle für Klasse 5 des Deutschen Patent- und Markenamts hat in zwei Beschlüssen, von denen einer im Erinnerungsverfahren ergangen ist, eine Verwechslungsgefahr zwischen den Marken verneint und den Widerspruch zurückgewiesen. Ausgehend von einer normalen Kennzeichnungskraft der Widerspruchsmarke, möglicher Warenidentität und der zu berücksichtigenden allgemeinen Verkehrskreise sei die Einhaltung eines deutlichen Markenabstands zu fordern. Diesen Anforderungen werde die jüngere Marke in klanglicher Hinsicht gerecht, da die übereinstimmende Endung "lin" "verbraucht" sei und der Verkehr den anderen Wortteil deshalb auf jeden Fall beachten werde. Trotz der übereinstimmenden Silbenanzahl und einem ähnlichen Sprech- und Betonungsrhythmus reichten deshalb die Unterschiede der jeweiligen Mittellaute aus, eine Verwechslungsgefahr ausschließen zu können, zumal der sich in der jüngeren Marke auf "Desinfektion" hinweisende Sinngehalt verwechslungsmindernd auswirke. Im Schriftbild bestehe gleichfalls wegen der abweichenden, jeweils typischen Umrißcharakteristik der Mittelbuchstaben keine Verwechslungsgefahr, wobei eine handschriftliche Wiedergabe heutzutage kaum noch eine Rolle spiele.

Hiergegen richtet sich die Beschwerde der Widersprechenden mit dem Antrag, die angefochtenen Beschlüsse aufzuheben und die Löschung der angegriffenen Marke anzuordnen.

Im Hinblick auf die mögliche Übereinstimmung der sich gegenüberstehenden Waren sei von der jüngeren Marke in jeder Hinsicht ein deutlicher Markenabstand zu fordern. Dieser sei weder im Vergleich der äußerst ähnlichen Schriftbilder noch klanglich eingehalten, da die jeweils dreisilbigen, denselben Silbenaufbau, Sprech- und Betonungsrhythmus aufweisenden Markenwörter sich einzig durch jeweils zwei abweichende Laute im jeweiligen Wortinnern unterschieden. Diese wiesen zudem noch eine große klangliche Ähnlichkeit auf, wobei sich die Verwechslungsgefahr auch nicht dadurch verringere, daß andere Markenwörter dieselbe Buchstabenfolge "DE" und "Endsilbe "LIN" aufwiesen, da insoweit weder eine Benutzung festgestellt werden könne noch Marken zu finden seien, die den vorliegenden Ähnlichkeitsgrad wie die angegriffenen Marke aufwiesen.

Die Inhaberin der angegriffenen Marke beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen.

Sie verweist auf die Begründung der angefochtenen Beschlüsse und führt aus, daß dem wegen seiner häufigen Verwendung schwach kennzeichnenden Anfangs- und Endbestandteil der Widerspruchsmarke nur eine geringere Bedeutung zukomme. Dem Verkehr sei aufgrund der vokalischen und konsonantischen Abweichung im Wortinnern eine sichere Unterscheidung der Markenwörter auch in klanglicher Hinsicht möglich, zumal im Hinblick auf die vorliegend maßgeblichen Waren von einer besonderen Aufmerksamkeit des Verkehrs auszugehen sei.

Wegen der Einzelheiten wird auf die angefochtenen Beschlüsse sowie auf die Schriftsätze der Beteiligten Bezug genommen.

II.

Die Beschwerde der Widersprechenden ist zulässig, insbesondere statthaft sowie form- und fristgerecht eingelegt (§ 66 Abs 1 Satz 1, Abs 2 MarkenG).

Die Beschwerde hat auch in der Sache Erfolg, da nach Auffassung des Senats zwischen den Marken Verwechslungsgefahr im Sinne von § 9 Abs 1 Nr 2 MarkenG besteht. Der angefochtenen Beschlüsse waren deshalb insoweit aufzuheben und die Löschung der angegriffenen Marke anzuordnen (§ 43 Abs 2 Satz 1 MarkenG).

Bei seiner Entscheidung geht der Senat mangels entgegenstehender Anhaltspunkte von einer durchschnittlichen Kennzeichnungskraft und einem normalen Schutzumfang der Widerspruchsmarke aus.

Nach der vorliegend maßgeblichen Registerlage können die Marken sich auch auf identischen Waren begegnen, wobei sich zusätzlich verwechslungsfördernd auswirkt, daß in den Warenverzeichnissen eine Rezeptpflicht nicht festgeschrieben ist und deshalb die allgemeinen Verkehrskreise uneingeschränkt für die Beurteilung der Verwechslungsgefahr zu berücksichtigen sind. Allerdings ist auch insoweit grundsätzlich auf einen durchschnittlich informierten, aufmerksamen und verständigen Verbraucher abzustellen, dessen Aufmerksamkeit je nach Art der Ware oder Dienstleistung unterschiedlich hoch sein kann (vgl BGH MarkenR 2000, 140, 144 ATTACHÉ / TISSERAND; BGH GRUR 1998, 942, 943 li Spalte - ALKA-SELTZER; EuGH MarkenR 1999, 236, 239 unter 24. - Lloyd / Loints) und der insbesondere allem, was mit der Gesundheit zusammenhängt eine gesteigerte Aufmerksamkeit beizumessen pflegt (vgl BGH GRUR 1995, 50, 53 - Indorektal/Indohexal).

Die danach an den von der jüngeren Marke einzuhaltenden Markenabstand zu stellenden strengen Anforderungen hält diese nach Auffassung des Senats jedenfalls in klanglicher Hinsicht nicht ein, so daß Verwechslungsgefahr im Sinne von § 9 Abs 1 Nr 2 MarkenG besteht. Diese ist dadurch begründet, daß die beiden jeweils dreisilbigen Wörter mit Ausnahme der sich gegenüberstehenden Mittelsilben "si" und "ve" einen identischen Lautbestand aufweisen und zudem auch im Sprechrhythmus und in der Betonung der jeweils identischen Anfangs- und Endsilben übereinstimmen. Hierbei ist zu berücksichtigen, daß die unterschiedlichen Mittelsilben bereits bei isolierter Betrachtung keine markanten Lautunterschiede aufweisen und zudem wegen ihrer Stellung in der jeweiligen Wortmitte sowie wegen der betonten Artikulation der übereinstimmenden Anfangs- und Endsilben der Wörter um so weniger auffallen. Die nach dem jeweiligen Gesamteindruck der Markenwörter verbleibenden geringen klanglichen Unterschiede können deshalb den weit überwiegenden Gemeinsamkeiten, insbesondere auch im erfahrungsgemäß stärker beachteten Wortanfang (vgl hierzu Althammer/Ströbele MarkenG, 6. Aufl, § 9 Rdn 97) sowie der jeweils deutlich nachklingenden Endsilbe nicht hinreichend entgegenwirken, zumal die Auffassung des Verkehrs eher von einem undeutlichen Erinnerungsbild bestimmt wird (st Rspr vgl EuGH MarkenR 1999, 236, 239 - Lloyd / Loints) und auch ungünstigere Übermittlungsbedingungen oder eine wenig artikulierte Aussprache in die Betrachtung einzubeziehen sind.

Sonstige Anhaltspunkte dafür, daß sich vorliegend der Verkehr trotz der insbesondere für das Erinnerungsbild klanglich dominierenden Gemeinsamkeiten der Eckbestandteile weniger hieran orientieren wird als an dem im jeweiligen Gesamteindruck eher unauffälligen und zudem nicht deutlich abweichenden Klang der Mittelsilben, bestehen nicht. Dies gilt auch, soweit sich die Inhaberin der angegriffenen Marke darauf beruft, daß es sich bei den jeweiligen Anfangs- und Endsilben um schwach kennzeichnende Wortbestandteile handele, da sie häufig auch in eingetragenen oder benutzten Arzneimittelkennzeichnungen anderer Unternehmen verwendet würden (vgl auch zur Bedeutung der Registerlage Althammer/Ströbele MarkenG, 6. Aufl, § 9 Rdn 144; BGH GRUR 1999, 241; 243 - Lions; BGH GRUR 1967, 246, 250 und 251 - Vitapur) und der Verkehr die abweichende Mittelsilbe deshalb auf jeden Fall beachten werde. Unabhängig davon, daß sich vorliegend weder aus dem Sachvortrag der Inhaberin der angegriffenen Marke noch aus sonstigen Umständen - wie den im Markenregister und in dem Arzneimittelverzeichnis "Rote Liste" verzeichneten Marken - für die von ihr getroffene Annahme tatsächliche Anhaltspunkte ergeben, darf nämlich nicht unberücksichtigt bleiben, daß auch kennzeichnungsschwache Markenbestandteile zur Gestaltung des Gesamteindrucks beitragen. Dabei ist auch von Bedeutung, daß der Verkehr Marken regelmäßig in der Form aufnimmt, in der sie ihm entgegentreten, ohne eine analysierende, zergliedernde, möglichen Bestandteilen nachgehende Betrachtungsweise anzustellen (vgl Althammer/Ströbele MarkenG, § 9 Rdn 184 mit weiteren Hinweisen auf die ständige Rechtsprechung). Dies gilt um so eher als es sich hier um Anfangs- und Endsilben eingliedriger Wörter handelt, die nicht warenbeschreibend sind. Bei diesen werden insbesondere die angesprochenen allgemeinen Verkehrskreise um so weniger Veranlassung haben, eine zergliedernde Betrachtung der Wörter anzustellen und sich im wesentlichen an einem einzelnen, zudem noch in der Wortmitte befindlichen Bestandteil zur Unterscheidung im übrigen identischer Marken zu orientieren.

Auch im Vergleich der Schriftbilder weisen die Marken in der Kontur der Buchstaben und ihrer Umrißcharakteristik in jeder üblichen Schreibweise sehr deutliche Parallelen auf, so daß auch insoweit die Annahme eine Verwechslungsgefahr nahe liegt. Dies kann jedoch letztlich im Hinblick auf die bereits festgestellte klangliche Verwechslungsgefahr dahingestellt bleiben (vgl BGH MarkenR 1999, 57, 59 - Lions).

Nach alledem erweist sich die Beschwerde der Widersprechenden als begründet.

Zu einer Kostenauferlegung aus Billigkeitsgründen bot der Streitfall keinen Anlaß, § 71 Abs 1 MarkenG.

Kliems Knoll Engels Pü






BPatG:
Beschluss v. 15.03.2001
Az: 25 W (pat) 137/00


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