Kammergericht:
Beschluss vom 12. September 2006
Aktenzeichen: 1 W 261/06

(KG: Beschluss v. 12.09.2006, Az.: 1 W 261/06)

Erwächst dem Prozesskostenhilfeempfänger etwa wegen der Beendigung des Rechtsstreits durch Vergleich ein Rückzahlungsanspruch in Bezug auf vor der Bewilligung eingezahlte Gerichtskosten, so ist die Staatskasse nur dann berechtigt, diesen Rückzahlungsanspruch mit dem nach § 59Abs. 1 RVG übergangenen Vergütungsanspruch des beigeordneten Rechtsanwalts zu verrechnen, wenn der Prozesskostenhilfebewilligungsbeschluss entsprechend § 120 Abs. 4 ZPO abgeändert ist oder nach § 124 ZPO aufgehoben wurde.

Tenor

Unter Abänderung des Beschlusses des Landgerichts Berlin vom 29. Mai 2006 wird der Kostenansatz vom 27. Januar 2006 aufgehoben, soweit dort eine Verrechnung des Überschussbetrages der vom Kläger gezahlten gerichtlichen Verfahrensgebühr mit dem auf die Landeskasse übergegangenen Vergütungsanspruch des beigeordneten Klägervertreters vorgenommen wurde.

Gründe

Die Beschwerde richtet sich gegen die Verrechnung der überbezahlten Gerichtsgebühren mit dem wegen der Bewilligung von Prozesskostenhilfe unter Beiordnung des Klägervertreters auf die Staatskasse übergegangenen Gebührenerstattungsanspruchs des beauftragten Rechtsanwalts und damit um ein Verfahren nach §§ 130 Abs. 2 BRAGO, 59 Abs. 2 RVG. Die Beschwerde, die nach § 61 RVG nach den Vorschriften der BRAGO zu beurteilen ist, weil der Klägervertreter bereits vor dem 1. Juli 2004 mit der Vertretung des Klägers beauftragt worden ist, ist nach §§ 130 Abs. 2 S. 4 BRAGO, 5 GKG a.F. zulässig. Sie hat auch in der Sache Erfolg. An Gerichtskosten, für deren Berechnung von dem Gerichtskostengesetz in der Fassung vor dem 1. Juli 2004 auszugehen ist, weil der Rechtsstreit durch die Einleitung des Mahnverfahrens und der Abgabe der Sache an das Streitgericht vor diesem Zeitpunkt anhängig geworden ist (vgl. § 71 GKG n.F.), ist durch die Beendigung des gesamten Verfahrens durch den Vergleich vom 5. Januar 2006 nach KV 1211 lit. c GKG a.F. lediglich eine Gebühr nach dem Gebührenstreitwert angefallen. Die danach zuviel eingezahlten weiteren zwei Gebühren sind danach an den Kläger zurückzuzahlen, weil die von der Justizkasse vorgenommene Verrechnung mit dem auf sie übergegangenen Anspruch nach § 130 Abs. 1 S. 1 BRAGO nach § 122 Abs. 1 Nr. 1 ZPO unzulässig ist.

2Mit der Bewilligung der Prozesskostenhilfe wird der armen Partei die Führung eines Rechtsstreits ermöglicht. Mit der Bewilligung der Prozesskostenhilfe wird sie entsprechend den Bewilligungsbedingungen so gestellt, als stünde ihr das Geld zur Finanzierung des Prozesses zur Verfügung. Wird demnach einem Kläger Prozesskostenhilfe ohne Ratenzahlung bewilligt, ist er von der Zahlung der Gerichtskosten befreit und hat auch die gesetzlichen Gebühren seines eigenen Anwalts nicht zu tragen, vgl. § 122 ZPO. Die Gerichtsgebühren werden insoweit nicht erhoben, der Anwalt wird aus der Staatskasse bezahlt, wobei der ihm zustehende Anspruch gemäß § 130 Abs. 1 S. 1 BRAGO zwar auf die Staatskasse übergeht, gegen den Prozesskostenhilfeempfänger aber nur nach Maßgabe der vom Gericht getroffenen Bestimmungen geltend gemacht werden kann, § 122 Abs. 1 Nr. 1 ZPO. Ist - wie hier - Prozesskostenhilfe ohne einschränkende Bestimmung bewilligt worden, so kommt, eine Inanspruchnahme des Prozesskostenhilfeempfängers nur dann in Betracht, wenn der Bewilligungsbeschluss nach Maßgabe des § 120 Abs. 4 ZPO geändert oder die Bewilligung nach § 124 ZPO aufgehoben wird. Diese Vorschriften sind dabei als abschließend anzusehen (vgl. OLG Hamm FamRZ 1986, 583; OLG Köln MDR 2003, 771; Zöller/Philippi, ZPO, 25. Aufl., § 124 Rn. 2).

Die Bewilligung der Prozesskostenhilfe wirkt allerdings lediglich auf den Zeitpunkt der Antragstellung zurück. Bereits geleistete Gerichtskosten werden daher nicht zurückerstattet, wenn der Antrag auf Bewilligung der Prozesskostenhilfe erst nach dem Zeitpunkt des Entstehens des Anspruchs und entsprechender Leistung gestellt wird.

Der vorliegende Fall liegt aber anders. Der Kläger hat hier aufgrund der Beendigung des Rechtsstreits durch Vergleich einen Anspruch auf Teilrückzahlung der bereits geleisteten Gerichtskosten erlangt. Die Verrechnung der insoweit eigentlich durch die Gerichtskasse zurückzuzahlenden Beträge auf die an den Rechtsanwalt des Klägers als beigeordnetem Rechtsanwalt von der Gerichtskasse gezahlten Gebühren entspricht damit einer Verwirklichung des auf die Staatskasse nach § 130 Abs. 1 S. 1 BRAGO übergegangenen Vergütungsanspruchs des Rechtsanwalts gegen den Prozesskostenhilfeempfänger. Die Durchsetzung dieses übergegangenen Vergütungsanspruchs gegenüber dem Prozesskostenhilfeempfänger ist nach § 122 Abs. 1 Nr. 1 lit. b ZPO aber ausgeschlossen. Als Geltendmachung im Sinne dieser Vorschrift ist jede Handlung anzusehen, die dem Anspruch zur Verwirklichung und damit zur Erfüllung verhilft. Mit der €Verrechnung€ findet eine Aufrechnung statt, die zum Erlöschen des übergegangenen Vergütungsanspruchs führt. Auch Sinn und Zweck der Vorschriften sprechen gegen die Zulässigkeit einer Verrechnung. Aufgrund dieser Vorschriften soll der Prozesskostenhilfeempfänger so gestellt werden, als hätte er die Aufwendungen geleistet, die auch vermögende Personen bei der Durchführung eines Rechtsstreit in jedem Fall treffen. Er muss daher nur unter den Voraussetzungen der §§ 120 Abs. 4, 124 ZPO mit einer Inanspruchnahme rechnen. Dieser Vertrauensschutz wirkt sich auch hinsichtlich der bereits vor Bewilligung der Prozesskostenhilfe aufgewandten Beträge aus, soweit nach dem Gesetz die Möglichkeit eines Rückzahlungsanspruchs im Falle einer günstigen Kostenentscheidung oder auch wegen einer Reduzierung der Gerichtskosten besteht. Ein solcher Rückzahlungsanspruch muss dem Prozesskostenhilfeempfänger in gleicher Weise wie der vermögenden Partei zu Gute kommen, wenn sie die entsprechenden Gebühren selbst aufgewandt hatte und die Voraussetzungen der §§ 120, 124 ZPO nicht vorliegen. Ob dies der Fall ist, ist in dem dort vorgesehenen Verfahren zu entscheiden.

Die Entscheidung ergeht gebührenfrei, eine Kostenerstattung findet nicht statt, § 5 Abs. 6 GKG a.F.






KG:
Beschluss v. 12.09.2006
Az: 1 W 261/06


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