Oberlandesgericht Frankfurt am Main:
Urteil vom 16. September 2011
Aktenzeichen: 10 U 176/10
(OLG Frankfurt am Main: Urteil v. 16.09.2011, Az.: 10 U 176/10)
Tenor
Auf die Berufung der Klägerin wird das am 15.07.2010 verkündete Urteil des Landgerichts Frankfurt am Main, Az.: 2-26 O 379/09, über den bereits rechtskräftig zuerkannten Betrag hinaus teilweise abgeändert und zur Klarstellung wie folgt neu gefasst:
Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin weitere EUR 123.393,26 nebst Zinsen in Höhe von 5 %-Punkten über dem Basiszinssatz seit dem 05.08.2011 zu zahlen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die weitergehende Berufung wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits erster Instanz hat der Beklagte zu tragen. Von den Kosten des Rechtsstreits zweiter Instanz haben die Klägerin 15 % und der Beklagte 85 % zu tragen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte und die Klägerin können die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des jeweils nach dem Urteil vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die jeweils andere Partei vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
I.
Die Klägerin nimmt den Beklagten auf Schadensersatz und € dies ist Gegenstand der Berufung € auf Rückzahlung geleisteter Anwaltsvergütung in Anspruch.
Die Klägerin hatte eine Firma A beauftragt, für die Erweiterung einer Produktionshalle eine Stahlkonstruktion nebst Hallenwänden herzustellen und zu errichten. Die Firma A nahm die Klägerin vor dem Landgericht Münster auf Werklohnzahlung in Anspruch. Die Klägerin wandte ein, dass die Firma A keine abnahmefähige Leistung erbracht habe, insbesondere die gelieferte Stahlkonstruktion eine bereits vorher in der Halle vorhandene €-Anlage nicht tragen könne und die Halle nicht standsicher sei. Nach umfangreicher Beweisaufnahme verurteilte das Landgericht Münster die Klägerin zur Zahlung von insgesamt nahezu EUR 67.000,-, teilweise Zug um Zug gegen Beseitigung bestimmter Mängel. Dagegen legte die Klägerin Berufung zum Oberlandesgericht Hamm ein. Nachdem die Berufungsbegründung vom Mai 2003 bereits vorlag, beauftragte die bis dahin anderweitig anwaltlich vertretene Klägerin den Beklagten mit ihrer weiteren Vertretung in dem Berufungsverfahren. Die in dem Verfahren eingeholten Gutachten hatten bereits erstinstanzlich ergeben, dass die streitigen Mängel von Dritten (Betonbau, Architekten) zu vertreten waren. Eine entsprechende Streitverkündung seitens des Beklagten erfolgte jedoch nicht. Des Weiteren erhob der Beklagte namens der Klägerin Widerklage auf Zahlung von EUR 2.167.202,91 mit der Begründung, in dieser Höhe seien wegen der Mängel der Halle Betriebsausfallschäden sowie Kosten der Mängelbeseitigung entstanden. Nachdem der Senat auf die Unzulässigkeit der Widerklage hingewiesen hatte, nahm der Beklagte diese im Termin vom 08.01.2004 zurück. Des Weiteren sah der Senat sich aus prozessualer Fürsorgepflicht für die von dem Beklagten vertretene Partei veranlasst, unter dem 19.02.2004 umfangreiche Hinweise zu erteilen (Bl. 58 ff.). Im November 2007 wurde das Mandatsverhältnis der Parteien beendet, nachdem beide Parteien jeweils wechselseitig die fristlose Kündigung des Vertrages erklärt hatten. Am 19.02.2008 erging ein Urteil des OLG Hamm, wonach die (hiesige) Klägerin Restwerklohn Zug um Zug gegen Beseitigung von Mängeln zu zahlen hatte.
Die Klägerin erhielt von dem Beklagten die folgenden Honorarrechnungen, die sie alle beglich:
1) Kostennote vom 19.04.2004 (Bl. 245 f.), in welcher der Beklagte insgesamt 420 Zeitstunden à EUR 160,- mit einem Gesamtbetrag in Höhe von EUR 77.952,- in Rechnung stellte. Ein Tätigkeitsnachweis über die erbrachte Stundenzahl fehlt. 2) Kostennote vom 08.06.2004 (Bl. 247) über EUR 16.704,- für erbrachte 90 Stunden à EUR 160,-. Ein Tätigkeitsnachweis über die erbrachte Stundenzahl fehlt. 3) Kostennote vom 13.09.2004 (Bl. 248 ff.) über EUR 18.188,80 für erbrachte 98 Zeitstunden à 160,-. Ein Tätigkeitsnachweis über die erbrachte Stundenzahl fehlt. 4) Kostennote vom 23.12.2004 (Bl. 251) über EUR 11.878,40 für erbrachte 64 Zeitstunden à EUR 160,-. Ein Tätigkeitsnachweis über die erbrachte Stundenzahl fehlt. 5) Kostennote vom 10.06.2005 (Bl. 252 f.) über EUR 5.939,20 für erbrachte 32 Zeitstunden à EUR 160,-. Ein Tätigkeitsnachweis über die erbrachte Stundenzahl fehlt. 6) Kostennote vom 24.08.2005 (Bl. 254 f.) über EUR 5.011,20 für erbrachte 27 Zeitstunden à EUR 160,- erstmals unter Darlegung der erbrachten Arbeiten. 7) Kostennote vom 28.11.2005 (Bl. 257 f.) über EUR 1.856,- für erbrachte 10 Stunden à EUR 160,-. Ein Tätigkeitsnachweis über die erbrachte Stundenzahl fehlt. 8) Kostennote vom 30.03.2007 (Bl. 259 ff.) über EUR 6.854,40 für 36 Zeitstunden à EUR 160,- unter Darlegung der erbrachten Arbeiten. 9) Kostennote vom 27.06.2007 (Bl. 263 ff.) über EUR 5.712,- für 30 Zeitstunden à EUR 160,- unter Darlegung der erbrachten Arbeiten.
Die weitere Kostennote vom 15.11.2007 über EUR 11.804,80 hat die Klägerin nicht gezahlt.
Gegenstand der vorliegenden Klage sind die durch Erhebung der zurückgenommenen Widerklage verursachten Kosten, die Erstattung von der Klägerin entstandenen Kosten eines Rechtsstreits, den diese € auf Rat des Beklagten € gegen den vorherigen Prozessvertreter geführt hat, sowie € was nunmehr Gegenstand der Berufung ist € die Rückzahlung des an den Beklagten gezahlten Honorars in Höhe von EUR 144.503,-, hilfsweise eine Reduzierung der gezahlten Vergütung, soweit diese die Grenze der Angemessenheit gemäß § 3 Abs. 3 BRAGO übersteigt (Bl. 637 f.).
Die Klägerin hat behauptet, das seitens des Beklagten insgesamt vereinnahmte Honorar in Höhe von insgesamt EUR 150.096,- sei unangemessen hoch. Denn das seitens des Beklagten vereinnahmte Anwaltshonorar betrage mehr als das Doppelte des Streitwertes. Das Missverhältnis habe er offensichtlich dadurch zu kaschieren versucht, dass er eine € unzulässige € Widerklage im Wert von EUR 2.239.500,- erhoben habe. Bei einem Gegenstandswert von DM 141.402,67 hätte der Beklagte gesetzliche Gebühren von rund EUR 3.600,- brutto beanspruchen können. Selbst wenn man im Rahmen des Streitwerts denjenigen der unzulässigen Widerklage berücksichtigen würde, ergäben sich gesetzliche Gebühren von rund EUR 24.900,-. Auch sei zu berücksichtigen, dass der Beklagte noch nicht einmal die Berufungsbegründung habe anfertigen müssen. Die Klägerin hat die Rechtsansicht vertreten, dass die geltend gemachten Honorarrückzahlungsansprüche nicht verjährt seien und insoweit sowohl auf ungerechtfertigte Bereicherung und unerlaubte Handlung gestützt werden könnten. Die Klägerin hat behauptet, sie habe frühestens im Zuge der Mandatskündigung und Beauftragung ihres jetzigen Bevollmächtigten im Jahr 2007 erkennen können, dass der Beklagte nicht ordnungsgemäß abrechne. Die hier streitgegenständlichen Kostennoten beträfen auch ausschließlich das Verfahren vor dem Oberlandesgericht Hamm. Andere Tätigkeiten habe er gesondert abgerechnet (vgl. insoweit Bl. 290 ff.).
Die Klägerin hat beantragt,
1. den Beklagten zu verurteilen, an sie EUR 34.692,85 nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen; 2. den Beklagten zu verurteilen, an sie einen weiteren Betrag in der Höhe zu bezahlen, in der die vom Beklagten erhaltene Vergütung von EUR 150.096,- die Grenze der Angemessenheit gemäß § 3 Abs. 3 BRAGO übersteigt nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentspunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit der Klageerweiterung.
Der Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Der Beklagte hat behauptet, das Volumen der Akten betreffend das Hallenbauvorhaben habe sich auf etwa 4.000 Seiten belaufen. Gegenstand der erfolgten Honorarrechnungen seien eine Vielzahl von rechtlichen Auseinandersetzungen gewesen (Bl. 267). Die Stundenhonorarvereinbarung zwischen ihm und der Klägerin habe sich erheblich unterhalb der Mittelgebühr bewegt, er hätte €gut und gerne€ ein Stundenhonorar von EUR 230,- plus Mehrwertsteuer verlangen können. Der jetzige Prozessbevollmächtigte der Klägerin habe im Übrigen das Verfahren vor dem Oberlandesgericht Hamm fehlerhaft geführt. Im Übrigen hat er die Rechtsansicht vertreten, ihm stehe ein Anspruch auf Zahlung der weiteren Kostennote vom 15.11.2007 über EUR 11.804,80 zu, mit dem er hilfsweise aufrechnet.
Das Landgericht hat den Beklagten verurteilt, an die Klägerin EUR 34.692,85 nebst Zinsen zu zahlen, und im Übrigen die Klage abgewiesen. Es hat ausgeführt, der Klägerin stehe der geltend gemachte Schadensersatzanspruch wegen der Kosten der unzulässigen Widerklage und wegen der Kosten der Honorarklage des früheren Bevollmächtigten gegen den Beklagten zu. Der von der Klägerin geltend gemachte Anspruch auf teilweise Herabsetzung und Rückzahlung des von dem Beklagten vereinnahmten Honorars sei überwiegend verjährt und hinsichtlich des im nicht verjährten Zeitraum 2007 vereinnahmten Betrages unbegründet. Aufgrund des unstreitigen Vortrages stehe zunächst fest, dass der Beklagte aufgrund einer wirksam vereinbarten Stundenhonorarabrede (Stundensatz EUR 160,-) im Zeitraum November 2003 bis November 2007 insgesamt EUR 150.096,- vereinnahmt habe. Sein Vortrag, auch andere Leistungen seien von diesem Honorar umfasst gewesen, sei unsubstantiiert, widerspreche den von der Klägerin vorgelegten Rechnungen und sei daher unerheblich. Etwaige Ansprüche auf Herabsetzung gemäß § 4 Abs. 3 RVG wegen der bis einschließlich 28.05.2005 in Rechnung gestellten Leistungen seien verjährt (§§ 196, 199 BGB). Die Klägerin habe mit Rechnungsstellung Kenntnis vom Umfang und dem fehlenden Nachweis der abgerechneten Stunden gehabt. Somit habe sie jeweils mit Erhalt der Rechnungen Kenntnis von den tatsächlichen Voraussetzungen eines bestehenden Anspruchs gehabt, so dass etwaige Rückforderungsansprüche zum Ende des Jahres 2008 verjährt seien. Die Klägerin könne sich nicht darauf berufen, Kenntnis erst durch ihren Bevollmächtigten erlangt zu haben. Zwar übersteige die Honorarforderung die gesetzliche Vergütung um ein Mehrfaches, hierauf komme es jedoch nicht an. Im Hinblick auf die getroffenen Stundenhonorarabrede, bei der eine Abrechnung nach tatsächlichem Aufwand erfolge, könne ein Rückzahlungsanspruch nur bestehen, wenn hinsichtlich des abgerechneten Zeitraums die berechnete Stundenzahl nicht angefallen oder nicht erforderlich gewesen sei. Dies habe die Klägerin aber bereits bei Erhalt der Rechnung einschätzen können. Ein auf Freistellung von der Honorarforderung gerichteter Schadensersatzanspruch aus unerlaubter Handlung sei von der Klägerin nicht geltend gemacht worden. Hinsichtlich der Rechnungen aus dem Jahr 2007 sei zwar keine Verjährung eingetreten, jedoch habe es die Klägerin unterlassen darzulegen, in welchem Umfang die berechneten Stunden tatsächlich nicht angefallen und/oder überflüssigerweise aufgewandt worden seien. Die hilfsweise Aufrechnung sei unbegründet, da die zur Aufrechnung gestellte Rechnung jedenfalls nicht fällig sei.
Mit der Berufung der Klägerin wird das Urteil erster Instanz in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht zur Überprüfung durch das Berufungsgericht gestellt, soweit die Klage abgewiesen worden ist. In der mündlichen Verhandlung vom 10.06.2010 (Bl. 282 f.) habe das Landgericht die geltend gemachten Rückforderungsansprüche dem Grunde nach für begründet und insbesondere als nicht verjährt erachtet. Das Urteil des Landgerichts stelle daher bereits eine Überraschungsentscheidung dar. Im Übrigen überzeuge auch die Begründung nicht. Entgegen den Ausführungen des Landgerichts sei das Zustandekommen einer wirksamen Honorarvereinbarung nicht zwischen den Parteien unstreitig. Denn die Klägerin könne sich an eine Schriftlichkeit gemäß § 3 Abs. 1 Satz 1 BRAGO nicht erinnern. Des Weiteren seien die geltend gemachten Rückforderungsansprüche nicht verjährt. Der Erhalt € und damit die abstrakte Tatsachenkenntnis über die abgerechneten Stunden € sei jedoch keineswegs ausreichend, die mit der jeweiligen Rechnungsbegleichung entstandenen Bereicherungsansprüche zu erkennen. So habe der Gläubiger eines Bereicherungsanspruches erst dann die erforderliche Kenntnis im Sinne des § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB, wenn er die Leistung und die Tatsachen kennt, aus denen sich das Fehlen des Rechtsgrundes ergebe. Dies sei aber erst nach anwaltlicher Beratung durch den jetzigen Prozessbevollmächtigten der Fall gewesen. Im Übrigen hänge die Frage eines unangemessen hohen oder gar sittenwidrigen und damit nichtigen Honorars von einer Vielzahl von Umständen ab, die sich erst nach Erledigung der Angelegenheit bzw. Beendigung des Mandats beurteilen ließen. Auch insofern das Landgericht ausgeführt habe, die Klägerin habe das Bestehen eines Rückforderungsanspruches nicht schlüssig vorgetragen, sei dies nicht überzeugend. Der Beklagte habe mit dem 26,8fachen Betrag der gesetzlichen Gebühren abgerechnet. Bereits hieraus ergebe sich ohne Weiteres eine Sittenwidrigkeit des Abrechnungsverhaltens, zumindest aber die Unangemessenheit des vereinnahmten Honorars. Im Übrigen habe die Klägerin ihren Rückzahlungsanspruch sehr wohl auch unter dem Gesichtspunkt des Schadensersatzes geltend gemacht.
Der Senatsvorsitzende hat mit Terminsverfügung vom 28.03.2011 die Parteien darauf hingewiesen, dass Bedenken an der Wirksamkeit der Stundenhonorarabrede gemäß § 3 Abs. 1 Satz 1 BRAGO bestehen, da der Stundensatz von EUR 160,- offensichtlich nur mündlich zwischen den Parteien vereinbart worden ist. Des Weiteren hat er den Beklagten darauf hingewiesen, dass der von ihm abgerechnete Stundenzeitaufwand von insgesamt 807 Stunden im Einzelnen darzulegen ist. Hierzu ist eine Frist zur Stellungnahme von 6 Wochen gesetzt worden (Bl. 539). Die Terminsverfügung ist der Klägerin am 30.03.2011 (Bl. 541) und dem Beklagten am 06.04.2011 (Bl. 545) zugestellt worden (EB). Mit Schriftsatz vom 26.04.2010 (Bl. 562 ff.; richtig 2011) hat der Beklagte Terminsverlegung beantragt.
Der Senat hat die Klägerin mit Verfügung des Senatsvorsitzenden vom 08.08.2011 (Bl. 631) darauf hingewiesen, dass es sinnvoll erscheint, den mit Schriftsatz vom 04.08.2011 angekündigten Antrag als Hauptantrag zu stellen. Des Weiteren hat der Senatsvorsitzende den Beklagten darauf hingewiesen, dass die von ihm behauptete schriftliche Stundenhonorarvereinbarung ihrem genauen Inhalt nach vorzutragen ist, da ansonsten ihre Rechtswirksamkeit nicht beurteilt werden kann. Im Übrigen hat der Senat dem Beklagten Gelegenheit gegeben, die Überschreitung der mit Verfügung vom 28.03.2011 gesetzten Stellungnahmefrist zu entschuldigen. Mit Schriftsatz vom 07.09.2011 (Bl. 647) hat der Beklagte mitgeteilt, dass er wegen Krankheit gehindert gewesen sei, die Auflagen vom 28.03.2011 zu erfüllen.
Die Klägerin beantragt nunmehr,
1. unter Abänderung des am 15.07.2010 verkündeten Urteils den Beklagten zur Zahlung weiterer EUR 144.503,- nebst Zinsen in Höhe von 5 %-Punkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit der Klageerweiterung vom 15.04.2010 zu verurteilen; hilfsweise 2. unter Abänderung des am 15.07.2010 verkündeten Urteils den Beklagten zur Zahlung eines weiteren Betrages an die Klägerin in der Höhe zu verurteilen, in der die vom Beklagten erhaltene Vergütung von insgesamt EUR 150.096,- die Grenze der Angemessenheit gemäß § 3 Abs. 3 BRAGO übersteigt nebst Zinsen in Höhe von 5 %-Punkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit der Klageerweiterung vom 15.04.2010.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen
Der Beklagte verteidigt das angefochtene Urteil. Er behauptet, zwischen ihm und der Klägerin sei am 25.08.2003 gegen 18:00 Uhr eine schriftliche Honorarvereinbarung in Stadt1 in Gegenwart von Frau B geschlossen worden. Die Honorarvereinbarung sei aber derzeit nicht auffindbar. Im Übrigen seien die Rechnungen durch den extra dafür beauftragten Bausachverständigen und Ing. C erst nach ausführlicher und sorgfältiger Prüfung schriftlich freigegeben worden. Er sehe daher den Nachweis der Stundenzahl als erbracht an.
Mit Schriftsatz vom 07.07.2011 (eingegangen bei Gericht am 26.07.2011; Bl. 580 ff.) wiederholt der Beklagte das Procedere der Rechnungslegung und legt erneut pauschal den Umfang seiner Tätigkeiten dar, ohne aber € nach wie vor - den Stundenaufwand im Einzelnen aufzuschlüsseln.
II.
A. Die Berufung der Klägerin ist zulässig. Die Einlegungs- und die Begründungsfrist sind gewahrt. Das Rechtsmittel ist nach § 511 Abs. 2 Ziffer 1 ZPO statthaft.
B. Die Berufung der Klägerin ist zum überwiegenden Teil begründet.
Die Klägerin hat gegen den Beklagten einen Anspruch auf teilweise Rückzahlung der geleisteten Vergütung in Höhe von EUR 123.393,26 (§ 812 Abs. 1 Satz 1 1. Alt. BGB).
Dem Beklagten steht kein Anspruch aus der behaupteten Stundenhonorarvereinbarung zu, weil er - trotz des gerichtlichen Hinweises in der Terminsverfügung des Vorsitzenden 08.08.2011 (Bl. 631) € eine wirksame Stundenhonorarabrede gemäß § 3 Abs. 1 Satz 1 BRAGO nicht substantiiert dargelegt hat. Ein Verstoß gegen die Formvorschrift des § 3 Abs. 1 Satz 1 BRAGO zielt nicht auf Nichtigkeit des Anwaltsvertrages von Anfang an; sie führt zum Schutz des Auftraggebers und im Interesse einer klaren Sach- und Beweislage lediglich zur Unwirksamkeit der Honorarvereinbarung zu Gunsten der gesetzlichen Vergütung (BGH NJW 2004, 2818).
Gemäß § 3 Abs. 1 Satz 1 BRAGO kann der Rechtsanwalt aus einer Vereinbarung eine höhere als die gesetzliche Vergütung nur fordern, wenn die Erklärung des Auftraggebers schriftlich abgegeben und nicht in der Vollmacht oder in einem Vordruck, der auch andere Erklärungen umfasst, enthalten ist.
Zwar behauptet der Beklagte nunmehr nach dem gerichtlichen Hinweis vom 28.03.2011 das Zustandekommen einer € nicht mehr auffindbaren € schriftlichen Honorarvereinbarung unter Antritt von Zeugenbeweis (Zeugin B). Es fehlen aber € trotz des gerichtlichen Hinweises vom 08.08.2011 - jegliche Darlegungen zur äußeren Form, so dass nicht ersichtlich ist, inwieweit der Beklagte die sonstigen Erfordernisse der Formvorschrift des § 3 Abs. 1 Satz 1 BRAGO eingehalten hat. Es ist daher nicht prüfbar, ob die angeblich schriftlich geschlossene Honorarvereinbarung €auch andere Erklärungen€ im Sinne des § 3 Abs. 1 Satz 1 BRAGO umfasst. Hierzu hätte der Beklagte im Rahmen seiner sekundären Darlegungs- und Beweislast hingegen substantiiert vortragen müssen. Denn es ist grundsätzlich Sache des Anwalts, der eine Honorarvereinbarung abschließt, durch die Einhaltung der in § 3 Abs. 1 Satz 1 BRAGO vorgesehenen Form von vornherein für eine tatsächlich und rechtlich eindeutige Vertragsgrundlage zu sorgen.
Einem Rückforderungsanspruch der Klägerin steht auch nicht § 3 Abs. 1 Satz 2 BRAGO entgegen, wonach die Verletzung der Formvorschrift des Satz 1 €geheilt€ wird, wenn der Auftraggeber freiwillig und ohne Vorbehalt leistet. Freiwilligkeit liegt vor, wenn der Auftraggeber mehr zahlen will, als er nach dem Gesetz ohne Vereinbarung zu zahlen hätte. Er muss also wissen, dass seine Zahlungen die gesetzliche Vergütung übersteigen. Für die Voraussetzungen des § 3 Abs. 1 Satz 2 BRAGO trägt der Anwalt die Darlegungs- und Beweislast. Denn insoweit handelt es sich nicht um eine Voraussetzung des Bereicherungsanspruchs. Vielmehr sieht das Gesetz in § 3 Abs. 1 Satz 2 BRAGO eine Ausnahme für den Fall freiwilliger und vorbehaltloser Leistung vor, die nach allgemeinen Grundsätzen der in Anspruch Genommene € hier der auf Rückzahlung bereits gezahlten Anwaltshonorars verklagte Anwalt € darzulegen und zu beweisen hat (BGH NJW 2004, 2818; 2010, 1364 ff.). Anhaltspunkte dafür, dass die Klägerin das Anwaltshonorar freiwillig geleistet hat - mithin gewusst hat, dass ihre Zahlung die gesetzliche Vergütung übersteigt € sind nicht ersichtlich.
Im Übrigen ist das abgerechnete Zeithonorar jedenfalls mangels substantiierter Darlegung des abgerechneten Stundenzeitaufwandes von insgesamt 807 Stunden (832 Stunden, vgl. Bl. 598) gemäß § 138 Abs. 1 BGB sittenwidrig mit der Folge, dass die Vergütungsvereinbarung als solche nichtig ist, dagegen der Anwaltsvertrag fortbesteht und die gesetzlichen Gebühren geschuldet werden (Teubel in: Mayer/Kroiß, RVG, § 4, Rn. 78).
Ein wucherähnliches Geschäft gemäß § 138 Abs. 1 BGB liegt allerdings erst dann vor, wenn schon bei Vertragsschluss Leistung und Gegenleistung in einem auffälligen Missverhältnis stehen (objektive Seite) und weitere sittenwidrige Umstände hinzutreten, z.B. eine verwerfliche Gesinnung des Begünstigten. Zur objektiven Seite können € bezogen auf den Vertragsschluss € vorliegend keine sittenwidrigen Umstände festgestellt werden. Der vereinbarte Stundensatz in Höhe von EUR 160,- ist als solcher in feststellbarer Weise nicht überhöht; das macht die Klägerin auch nicht geltend. Im Übrigen kann eine Zeithonorarvereinbarung zu Beginn der anwaltlichen Tätigkeit nicht schlechthin sittenwidrig sein (OLG Düsseldorf, BeckRS 2007, 10385 m.w.N.).
Ein Rechtsanwalt handelt im Rahmen einer Zeithonorarvereinbarung aber auch dann sittenwidrig, wenn er seinen Aufwand in grober Weise eigensüchtig aufbläht, indem er bei den berechneten Einzeltätigkeiten und ihrer Dauer die objektiv gebotene Konzentration und Beschleunigung der Mandatswahrnehmung (Wirtschaftlichkeit im Mandanteninteresse) wissentlich außer Acht lässt und dadurch zu einem Honorar gelangt, welches in einem auffälligen Missverhältnis zur Dienstleistung steht. Ob durch dieses Verhalten des Rechtsanwalts die Stundensatzvereinbarung sittenwidrig wurde (§ 138 Abs. 1 BGB), mag zweifelhaft sein. Jedenfalls kann sich der Rechtsanwalt unter den genannten Voraussetzungen gemäß § 242 BGB nicht auf die Vereinbarung berufen, weil sein Mandant sonst sittenwidrig geschädigt würde (§ 826 BGB; OLG Düsseldorf, BeckRS 2007, 10385 m.w.N.).
So liegt es hier.
Mit Kostennoten vom 19.04.2004 (Bl. 245 f.), 08.06.2004 (Bl. 247), 13.09.2004 (Bl. 248 ff.), 23.12.2004 (Bl. 251), 10.06.2005 (Bl. 252 f.) und 28.11.2005 (Bl. 257 f.) rechnet der Beklagte gegenüber der Klägerin insgesamt 714 Stunden à EUR 160,- ab, ohne überhaupt ansatzweise darzulegen, wofür diese extrem hohe Anzahl an Stunden angefallen sein soll.
Mit Kostennoten vom 24.08.2005 (Bl. 254 f.), 30.03.2007 (Bl. 259 ff.) und 27.06.2007 (Bl. 263 ff.) rechnet der Beklagte insgesamt nochmals 93 Stunden unter Darlegung erbrachter Arbeiten ab. Bei den seitens des Beklagten aufgeführten Tätigkeiten fällt insbesondere die hohe angesetzte Stundenanzahl für die Vorbereitung von Besprechungsterminen sowie die Aktenbearbeitung ins Auge. Gerade im Hinblick auf die bereits bis zum 28.11.2005 abgerechneten 714 Stunden erscheint die Abrechnung von zeitaufwändigem Aktenstudium und ebensolcher Vorbereitung - jenseits der Anfangsphase bei Mandatsbeginn € unangemessen, da der konzentriert und ökonomisch arbeitende Rechtsanwalt die Akte alsbald kennen sollte. Auch die sonstige seitens des Beklagten angesetzte Stundenanzahl erscheint weit überhöht. Unzulässig ist im Übrigen eine Abrechnung im Stundentakt (OLG Düsseldorf NJW 2007, 129).
Soweit der Beklagte Ansprüche aus seiner € angeblich wirksam geschlossenen € Honorarvereinbarung herleiten möchte, trägt er vorliegend die sekundäre Darlegungs- und Beweislast dafür, dass die berechnete Vergütung tatsächlich entstanden ist. Mithin hat er grundsätzlich den Nachweis zu führen, dass der geltend gemachte zeitliche Arbeitsaufwand überhaupt angefallen ist. Bei der Vereinbarung eines Zeithonorars muss die nahe liegende Gefahr ins Auge gefasst werden, dass dem Mandanten der tatsächliche zeitliche Aufwand seines Anwalts verborgen bleibt und ein unredlicher Anwalt deshalb ihm nicht zustehende Zahlungen beansprucht. Deshalb erfordert eine schlüssige Darlegung der geltend gemachten Stunden, dass über pauschale Angaben hinaus die während des abgerechneten Zeitintervalls getroffenen Maßnahmen konkret und in nachprüfbarer Weise dargelegt werden. Eine nähere Substantiierung ist unverzichtbar, weil die für ein Mandat aufgewendete Arbeitszeit der tatsächlichen Kontrolle nicht oder allenfalls in geringem Rahmen zugänglich ist. Dies bedeutet für den Anwalt keinen unzumutbaren Aufwand. Er kann ohne Weiteres stichwortartig in einer auch im Nachhinein verständlichen Weise niederlegen, welche konkreten Tätigkeiten er innerhalb eines bestimmten Zeitraums verrichtet hat. Nicht genügend sind hingegen allgemeine Hinweise über Aktenbearbeitung, Literaturrecherche und Telefongespräche, weil sei jedenfalls bei wiederholter Verwendung inhaltsleer und ohne die Möglichkeit einer wirklichen Kontrolle geradezu beliebig ausgeweitet werden können (BGH NJW 2010, 1364). Trotz des gerichtlichen Hinweises vom 28.03.2011 hat der Beklagte weder mit Schriftsatz vom 26.04.2010 (der hierzu gar keine näheren Ausführungen enthält, Bl. 562 ff.) noch mit Schriftsatz vom 07.07.2011 (Bl. 580 ff.) substantiiert und nachvollziehbar dargelegt, wann er mit genau welchem Stundenaufwand die einzelnen in den Rechnungen abgerechneten Tätigkeiten erbracht haben will. Vielmehr lassen - unverändert - die seitens des Beklagten dargelegten Tätigkeiten die objektiv gebotene Konzentration und Beschleunigung der Mandatswahrnehmung in grober Weise vermissen, so dass der Beklagte unter Zugrundelegung der 807 Stunden zu einem Honorar gelangt, welches in einem auffälligen Missverhältnis zur Dienstleistung steht.
Im Übrigen ist der Beklagte hinsichtlich der erst mit Schriftsatz vom 07.07.2011 (Bl. 580 ff.) vorgebrachten Angriffs- und Verteidigungsmittel gemäß §§ 525, 296 Abs. 1 und 4 ZPO präkludiert, da er sie erst nach Ablauf der vom Senat mit der Terminsverfügung nach § 273 Abs. 2 Nr. 1 ZPO gesetzten 6-wöchigen Frist vorgebracht hat (Ball in: Musielak, ZPO, 8. Aufl., § 530, Rn. 5). Die Terminsverfügung ist dem Beklagten am 06.04.2011 (Bl. 545) zugestellt worden (EB). Der Schriftsatz vom 07.07.2011 ist hingegen erst am 26.07.2011 (Bl. 580) vorab per Fax eingegangen € und damit etwa 3 ½ Monate nach Zustellung der Terminsverfügung. Die mit Schriftsatz vom 07.07.2011 vorgebrachten Angriffs- und Verteidigungsmittel sind auch nicht zuzulassen, da hierdurch die Erledigung des Rechtstreits verzögert würde. Nach ständiger Rechtsprechung gilt der absolute Verzögerungsbegriff. Danach kommt es ausschließlich darauf an, ob der Rechtsstreit bei Zulassung des verspäteten Vorbringens länger dauern würde als bei dessen Zurückweisung (Huber in: Musielak, a.a.O., § 296, Rn. 13). So liegt es hier. Darüber hinaus hat der Beklagte die Verspätung auch nicht entschuldigt. Zwar hat er mit Schriftsatz vom 07.09.2011 ausgeführt, wegen Krankheit gehindert gewesen zu sein, die Verfügung vom 28.03.2011 zu erfüllen. Allerdings war der Beklagte ausweislich des Schriftsatzes vom 26.04.2011 (Bl. 562, Jahreszahl ist ein Schreibfehler) offensichtlich nicht arbeitsunfähig, so dass es ihm in jedem Fall möglich gewesen, neben der Terminsverlegung und den sonstigen Ausführungen im Schriftsatz auch die Verlängerung der Stellungnahmefrist zu beantragen.
Die gesetzlichen Gebühren errechnen sich daher unter Berücksichtigung der Tatsache, dass der Beklagte das Mandat erst nach der Berufungsbegründung übernommen hat und der - unzulässigen € Widerklage wie folgt:
zwei 13/10-Gebühren aus EUR 2.233.927,42(66.724,51 + EUR 2.167.202,91 (unzul. Widerkl.)): EUR 21.439,60eine 13/10-Gebühr aus EUR 66.724,51: EUR 1.560,00Pauschale für Post und Telekommunikation: EUR 20,00Mehrwertsteuer: EUR 3.683,14Gesamt: EUR 26.702,74Bei Ermittlung der gesetzlichen Gebühren ist auch die € unzulässige € Widerklage mit zu berücksichtigen. Da der Auftraggeber eines Rechtsanwalts den anwaltlichen Vergütungsanspruch nicht kraft Gesetzes wegen mangelhafter Dienstleistung kürzen kann, da das Dienstvertragsrecht keine Gewährleistung kennt, hat der Bundesgerichtshof den Ausschluss von Gebührenforderungen nur für Fallgestaltungen anerkannt, in denen der Rechtsanwalt über einen grob fahrlässigen Pflichtenverstoß hinaus einen nach § 356 StGB strafbaren Parteiverrat begangen hat (BGH NJW 2004, 2817). Dies ist vorliegend € trotz aller im Raum stehender Schadensersatzansprüche wegen Schlechtleistung € nicht ersichtlich.
Im Hinblick auf das vereinnahmte Honorar in Höhe von EUR 150.096,- steht der Klägerin daher ein Rückzahlungsanspruch in Höhe von EUR 123.393,26 zu.
Aus oben genannten Gründen greift daher auch die Hilfsaufrechnung des Beklagten gemäß Kostennote vom 15.11.2007 nicht.
Der seitens der Klägerin geltend gemachte Anspruch ist nicht verjährt. Für den Fristbeginn der dreijährige Regelverjährung nach § 195 BGB müssen zusätzlich die subjektiven Voraussetzungen nach § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB vorliegen. Der Gläubiger eines Bereicherungsanspruchs aus § 812 Abs. 1 Satz 1 1. Alt. BGB hat Kenntnis von den anspruchsbegründenden Umständen, wenn er von der Leistung und den Tatsachen weiß, aus denen sich das Fehlen des Rechtsgrundes ergibt (Palandt-Ellenberger, BGB, 70. Aufl., § 199, Rn. 33). Dies war vorliegend jedoch erst mit der anwaltlichen Beratung im Jahr 2007 der Fall.
Die geltend gemachten Zinsen sind erst ab dem 05.08.2011 begründet, da die Klägerin erstmals mit Schriftsatz vom 04.08.2011 (Bl. 625 ff.) den jetzigen Klageantrag hilfsweise gestellt hat (§§ 288, 286 Abs. 1 Satz 2 BGB). Die Abschrift dieses Schriftsatzes ist dem Beklagten in der mündlichen Verhandlung vom 05.08.2011 übergeben worden (Bl. 629).
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 97 Abs. 1, 92 Abs. 1 ZPO. Der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
Die Revision ist nicht zuzulassen, da weder die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat noch zur Fortbildung des Rechts oder der Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Bundesgerichtshofes erforderlich ist (§ 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 ZPO).
OLG Frankfurt am Main:
Urteil v. 16.09.2011
Az: 10 U 176/10
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