Oberlandesgericht Köln:
Urteil vom 15. September 2006
Aktenzeichen: 6 U 46/06
(OLG Köln: Urteil v. 15.09.2006, Az.: 6 U 46/06)
Tenor
Auf die Berufung der Antragsgegnerin wird das am 19. Januar 2006 verkündete Urteil der 31. Zivilkammer des Landgerichts Köln (31 O 787/05) abgeändert.
Die einstweilige Verfügung der Kammer vom 10. November 2005 wird aufgehoben, soweit sie sich gegen die Antragsgegnerin zu 1. richtet, und der auf ihren Erlass gerichtete Antrag zurückgewiesen.
Der Antragstellerin werden die Kosten des Verfahrens auferlegt.
Gründe
I.
Die Antragstellerin, die im Bundesgebiet Elektrowerkzeuge im Wege des Versandhandels veräußert, wendet sich gegen den Vertrieb einer Tauchkreissäge (F.-XXX), die von der Antragsgegnerin zu 1. hergestellt und mit einem CE-Zeichen versehen wird. Sie hat am 10.11.2005 eine einstweilige Verfügung erwirkt, durch die es der Antragsgegnerin zu 1. - den auch gegen die Antragsgegnerin zu 2. gerichteten und zunächst ebenfalls erfolgreichen Antrag hat sie später zurückgenommen - unter Androhung von Ordnungsmitteln untersagt wurde, eine Tauchkreissäge mit CE-Kennzeichen zu bewerben, anzubieten, zu verkaufen oder sonst in den Verkehr zu bringen, bei der sich die obere Schutzhaube nicht automatisch in der das Sägeblatt umschließenden Stellung verriegelt, wenn die Führungsplatte keinen Kontakt mit dem Werkstück hat und die Maschine in jeder beliebigen Lage gehalten wird, die in bestimmungsgemäßem Gebrauch vorkommen kann, wie nachstehend wiedergegeben.
pp.
Auf den Widerspruch der Antragsgegnerin zu 1. hin hat das Landgericht den Verfügungsbeschluss mit dem angefochtenen Urteil bestätigt. Der tenorierte Anspruch folge aus Artikel 5, 8 der Maschinen-Richtlinie i.V.m. § 3, 4 Nr. 11, 8 UWG. Die in Rede stehende Tauchkreissäge dürfe nach den Bestimmungen der Maschinenrichtlinie nicht in den Verkehr gebracht werden, weil sie gegen Ziffer 19.101.3 EN 60745-2-5:2003 verstoße. Diese Norm verlangt eine Schutzabdeckung, die automatisch verriegelt, wenn das Sägeblatt nicht benutzt wird und die Führungsplatte keinen Kontakt mit dem Werkstück hat. Zwischen den Parteien ist unstreitig, dass die Tauchkreissäge der Antragsgegnerin zu 1. diese Anforderung nicht erfüllt.
Mit ihrer Berufung erstrebt die Antragsgegnerin weiterhin die Aufhebung der einstweiligen Verfügung und die Zurückweisung des Verfügungsantrages. Sie macht insbesondere geltend, dass die vom Landgericht herangezogene EN-Norm keine unabdingbar einzuhaltenden Forderungen aufstelle, sondern lediglich die Grundlage für einen Vermutungstatbestand abgebe, dass ein Produkt, welches der EN-Norm entspreche, auch die erforderliche Sicherheit gewährleiste. Das notwendige Maß an Sicherheit könne daneben aber auch - wie es bei ihrer Tauchkreissäge der Fall sei - auf technisch andere Weise erreicht werden. Die Konformität der Säge mit der Maschinenrichtlinie sei von der T. V. L. unter dem 01.12.2005 bescheinigt worden. Die T. habe in einer - an sich nicht erforderlichen - Baumusterprüfung nach Anhang VI der Maschinenrichtlinie die Konformität im Januar 2006 abermals bestätigt.
Die Antragstellerin verteidigt das angefochtene Urteil und legt unter Verweis auf ein von ihr eingeholtes und von Prof. G. erstelltes Gutachten im Einzelnen dar, dass eine seriöse Zertifizierungsstelle niemals Konformitätsbescheinigungen hätte ausstellen dürfen, weil die fragliche Tauchkreissäge an einer Fülle schwerwiegender Mängel im Sicherheitsbereich leide.
Wegen sämtlicher weiteren Einzelheiten beiderseitigen Sachvorbringens nimmt der Senat auf die zahlreichen von beiden Parteien überreichten Gutachten und Zertifikate Bezug.
II.
Die Berufung der Antragsgegnerin hat Erfolg. Sie führt zur Abänderung des angefochtenen Urteils und zur Aufhebung der vom Landgericht erlassenen einstweiligen Verfügung.
1.
Das Landgericht hat die weitere Bewerbung bzw. den weiteren Vertrieb der Tauchkreissäge für wettbewerbswidrig erachtet, weil Ziffer 19.101. 3 EN 60745-2-5:2003 nicht eingehalten sei. Über die nach dieser Norm erforderliche Schutzabdeckung, die zu einer automatischen Verriegelung führt, wenn das Sägeblatt nicht benutzt wird und die Führungsplatte keinen Kontakt mit dem Werkstück hat, verfügt die angegriffene Säge der Antragsgegnerin zu 1. in der Tat nicht. Daraus allein kann indessen ein Verstoß gegen die Maschinenrichtlinie 98/37 EG oder das Geräte- und Produktsicherheitsgesetz (GPSG) vom 06.01.2004 oder die 9. Verordnung zum Geräte- und Produktsicherheitsgesetz (MaschinenVO) vom 12.05.1993 nicht unmittelbar abgeleitet werden. Die harmonisierten Industrienormen geben nämlich keinen allgemein verbindlichen Standard vor, dessen Nichteinhaltung dazu führen würde, dass entsprechende Produkte nicht auf den Markt gebracht werden dürften. Dementsprechend heißt es im Erwägungsgrund 17 der Maschinenbau-Richtlinie, harmonisierte Normen auf europäischer Ebene über die Verhütung von Gefahren, die durch die Entwicklung und den Bau für Maschinen entstehen könnten, seien wünschenswert, um den Herstellern den Nachweis zu erleichtern, ihre Maschinen befänden sich in Übereinstimmung mit den grundliegenden Sicherheits- und Gesundheitsanforderungen. Diese auf europäischer Ebene harmonisierten Normen würden von privatrechtlichen Institutionen entwickelt und müssten daher unverbindliche Bestimmungen bleiben. Ausweislich des Erwägungsgrundes 20 der Richtlinie sollten die Hersteller dafür verantwortlich bleiben, die Übereinstimmung mit den Maschinen mit den grundlegenden Anforderungen zu bescheinigen. Die Übereinstimmung mit harmonisierten Normen lasse die Übereinstimmung mit den grundlegenden Anforderungen vermuten. Dementsprechend heißt es in Art. 5 Abs. 2 der Richtlinie, dass bei einer nach einer harmonisierten Norm hergestellten Maschine oder einem danach hergestellten Sicherheitsbauteil davon ausgegangen werde, dass sie den grundlegenden Sicherheitsanforderungen genügt. Entspricht eine Maschine nicht der einschlägigen harmonisierten Norm, so streitet kein Vermutungstatbestand dafür, dass den maßgeblichen Sicherheitsforderungen entsprochen ist. Es steht aber nicht auch umgekehrt fest, dass die Sicherheitsvorkehrungen deswegen untauglich sind. Über diese (eingeschränkte) rechtliche Bedeutung, die den harmonisierten Industrienormen zukommt, haben die Parteien in der zweiten Instanz keine unterschiedlichen Auffassungen mehr vertreten.
2.
Es war daher im vorliegenden Verfahren Aufgabe der Antragstellerin, im einzelnen darzulegen und glaubhaft zu machen, dass die Tauchkreissäge den maßgeblichen Sicherheitsvorschriften nicht entspricht. Nachdem allerdings das Gerät der Antragsgegnerin zu 1. die in der harmonisierten EN-Norm vorgesehenen Vorrichtungen nicht enthält, traf die Antragsgegnerin eine prozessuale Erklärungspflicht, wie denn die drohenden Gesundheitsgefahren anders als durch die automatische Verriegelung der oberen Schutzhaube bei ihrer Säge ausgeschlossen werden (vgl. zu der sich im Wettbewerbsrecht oft ergänzenden Verteilung der Darlegungs- und Beweislast Köhler in Hefermehl/Köhler/Bornkamm, 24. Aufl., § 12 UWG 2. 89 ff.). Dem ist die Antragsgegnerin zu 1. nachgekommen, in dem sie dargelegt hat, dass die Schutzhaube ihrer Tauchkreissäge durch eine starke Feder über dem Sägeblatt gehalten werde, die in Anbetracht des geringen Gewichts der Säge das Risiko ausschließe, dass durch eine unbeabsichtigte Bewegung der Säge das Sägeblatt freigelegt werde. In dieser Situation war es jetzt die Aufgabe der Antragstellerin, glaubhaft zu machen, dass damit die Gefahr relevanter Gesundheitsrisiken nicht ausgeschlossen war. Das ist ihr nicht gelungen. Eine Klärung dieser Frage kann nach Auffassung des Senats nur in einem Hauptsacheverfahren erfolgen.
Die Antragstellerin hat eine eingehende Stellungnahme des Universitätsprofessors Dr. G. vom Lehrstuhl und Institut für allgemeine Konstruktionstechnik des Maschinenbaus an der Technischen Hochschule B. vorgelegt, die zu dem eindeutigen Ergebnis gelangt ist, dass die Tauchkreissäge F.-XXX erhebliche Sicherheitsprobleme aufwirft. Dabei sind etliche Mängel (Vorspannkraft, Verliersicherung, Rändelschraube, ungünstiger Werkstoff) angeführt worden, die angesichts des konkreten Unterlassungsantrages im Streitfall nicht streitgegenständlich sind. Er hat aber auch die eindeutige Feststellung getroffen, dass der im Verfügungsantrag bemängelte fehlende Verriegelungsmechanismus durch die "Feder-Lösung" der Antragsgegnerin zu 1. nicht gleichwertig ersetzt ist. Das Gutachten hat den Senat beeindruckt. Auf der anderen Seite steht fest, dass die T. V. L. Ltd. als anerkannte Zertifizierungsstelle das Gerät, wie aus dem Schreiben des Testingenieurs I. vom 01.12.2005 hervorgeht, getestet hat und zu dem Ergebnis gekommen ist, dass sie den Sicherheitsanforderungen der Maschinenrichtlinie genüge. Die T. hat darüber hinaus zwischen dem 04. und 06.01.2006 die Tauchkreissäge einer Baumusterprüfung unterzogen und auch dabei den fehlenden Verriegelungsmechanismus der Schutzhaube nicht beanstandet. Darüber hinaus hat die Zertifizierungsstelle der TÜV Rheinland Q. T. GmbH in L. am 30.08.2004 für die Tauchkreissäge F.-XXX eine Konformitätsbescheinigung ausgestellt, nachdem das Vorgängermodell D. XXXX, das ebenfalls eine automatische Verriegelung nicht enthielt, eine entsprechende Bescheinigung bereits unter dem 26.09.2002 ausgestellt erhalten hatte. die von der Antragstellerin als Anlage B 13 und B 14 vorgelegten Mitteilungen der TÜV Rheinland Group vom 22. und 23.08.2006, wonach die seinerzeit ausgesprochenen Zertifizierungen inzwischen keine Gültigkeit mehr besäßen, ändert nichts daran, dass seinerzeit durch eine maßgebliche Zertifizierungsstelle die Tauchkreissäge geprüft und für einwandfrei befunden worden ist. Das Staatliche Amt für Arbeitsschutz Dortmund hat ausweislich des als Anlage B 15 überreichten Schreibens an die Antragstellerin vom 23.08.2006 hingegen die Auffassung gewonnen, dass die Säge F.-XXX erhebliche sicherheitstechnische Mängel aufweist, die einen Weiterverkauf der Säge nicht gestatteten. Offenkundig bestehen unter den mit der Materie betrauten Fachleuten, den Zertifizierungsstellen und Sicherheitsämtern grundlegende Meinungsverschiedenheiten, die nur in einem Hauptsacheverfahren mit Hilfe eines unabhängigen Sachverständigen vom Gericht geklärt werden könnten. Die im Verfügungsverfahren verbleibenden Zweifel gehen zu Lasten der Antragstellerin, die die Glaubhaftmachungslast trägt.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO.
OLG Köln:
Urteil v. 15.09.2006
Az: 6 U 46/06
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