Finanzgericht München:
Urteil vom 8. Juli 2009
Aktenzeichen: 4 K 705/09

(FG München: Urteil v. 08.07.2009, Az.: 4 K 705/09)

Tatbestand

Zwischen den Parteien ist streitig, ob der Beklagte (das Finanzamt - FA -) zu Recht die Steuerbefreiung gem. § 5 Abs. 2 des Grunderwerbsteuergesetzes (GrEStG) versagt hat oder ob diese in Höhe von 94 % des vereinbarten Kaufpreises zu gewähren ist.

I.

Mit notariell beurkundetem Vertrag vom 29. Dezember 1986 erwarb die Klägerin von der A AG (A-AG) Grundstücke in B, C, D, E und F. Der Kaufpreis betrug 24.221.974 DM inklusive Umsatzsteuer. In § 5 des Kaufvertrages wurde Antrag auf Befreiung von der Grunderwerbsteuer nach § 5 Abs. 2 GrEStG gestellt. Gleichzeitig veräußerten in ganz Deutschland Gesellschaften der G-Gruppe weitere Grundstücke an andere XY-Objektgesellschaften.

An der Klägerin waren beteiligt die XY Vermietungsgesellschaft mbH als persönlich haftende Gesellschafterin mit einem Kapitalanteil von 1.200 DM und die A-AG als Kommanditistin mit einem Kapitalanteil von 18.800 DM. Der Anteil der A-AG betrug daher 94 %.

Am Stammkapital der A-AG von 133.000.000 DM waren i.H.v. 103.913.600 DM die G S.A. Schweiz, i.H.v 22.235.100 DM zwei der G S.A. Schweiz nahestehende Gesellschaften und i.H.v. 6.851.300 DM fremde Minderheitsgesellschafter beteiligt.

Die G S.A. Schweiz hielt neben den 78 % der Anteile an der A-AG in Deutschland zu 100 % die Anteile der H GmbH, der I Vermögensverwaltungs GmbH, der G I GmbH und der J XZ GmbH. Die verschiedenen G Gesellschaften in Deutschland hatten gewisse Verwaltungstätigkeiten zusammengelegt. Hierzu gehörte auch die Rechts- und Steuerabteilung. In diesen Abteilungen wurden im Jahr 1986 Planungen aufgenommen, die rechtlich selbständigen Gesellschaften zu einer Einheitsgesellschaft zu fusionieren. Im Jahre 1986 erklärten sich die deutschen Führungsgremien mit den Planungen der Rechts- und Steuerabteilung einverstanden. Die Verschmelzungsaktion wurde mit der Abteilung für Beteiligungsverwaltung der Mehrheitsaktionärin G S.A. diskutiert. Im Herbst 1986 fand die Entscheidung durch die Gremien der G Gesellschaften in Deutschland statt, die Zusammenlegung der Gesellschaften anzugehen.

Spätestens im Januar 1987 wurde der Auftrag an die K L Treuhand-Aktiengesellschaft, M, zur Feststellung der Unternehmenswerte der zu verschmelzenden Firmen A-AG, H GmbH und J XZ GmbH erteilt. Bezüglich der Feststellung der Unternehmenswerte der G I GmbH und der I Vermögensverwaltungs GmbH wurde die Treuhand-Vereinigung Aktiengesellschaft in M beauftragt.

Am 6. Februar 1987 wurden Arbeitnehmervertreter der G I GmbH in einer gemeinsamen Sitzung der Arbeitnehmervertretung, des Aufsichtsrates und der Betriebsratsvorsitzenden über den Plan der Verschmelzung informiert.

Das Gutachten der für die A-AG tätigen Abschlussprüfer datiert vom 19. März 1987.

Die A-AG und die weiteren zu verschmelzenden Firmen der G S.A. Schweiz beantragten mit Schreiben vom 26. März 1987 beim zuständigen Amtsgericht die Bestellung eines Verschmelzungsprüfers.

Am 8. Mai 1987 wurde der Entwurf des Verschmelzungsvertrages aufgestellt.

Mit Bescheid vom 25. Mai 1987 führte das FA wegen des Grundstückskaufs der Klägerin mit notariell beurkundetem Vertrag vom 29. Dezember 1986 gem. § 17 GrEStG eine gesonderte Feststellung der Besteuerungsgrundlagen für die Grunderwerbsteuer durch, ohne dabei § 5 Abs. 2 GrEStG zu berücksichtigen. Den für die Besteuerung maßgeblichen Wert der Grundstücke legte es mit 24.221.974 DM fest. Der Bescheid erging unter dem Vorbehalt der Nachprüfung.

Zur Begründung des Einspruchs vom 29. Mai 1987 führte die Klägerin an, die Veräußerin des Grundstücks, die A-AG, sei an der erwerbenden Gesellschaft, der Klägerin, zu 94 % beteiligt. Die Bemessungsgrundlage sei deshalb gem. § 5 Abs. 2 GrEStG um diesen Anteil zu mindern. Gleichzeitig teilte die Klägerin die Erhöhung des Kaufpreises um 417.805 DM (netto) mit.

Einem Zeitungsbericht vom 5. Juni 1987 entnahm das FA, dass die A-AG in Kürze auf die G Deutschland AG (N-AG) verschmolzen wird.

Durch Beschluss der Hauptversammlung vom 16. Juli 1987 wurde die A-AG zusammen mit der H GmbH, der I Vermögensverwaltungs GmbH, der G I GmbH und der J XZ GmbH zur N-AG verschmolzen. Die Verschmelzung erfolgte durch Neugründung der N-AG. In der Hauptversammlung war durch die erschienenen Aktionäre und Aktionärsvertreter von dem insgesamt 133.000.000 DM betragenden Stammkapital der Gesellschaft ein Aktienkapital i.H.v. 129.757.900 DM ordnungsgemäß vertreten. Die Eintragung der Gesellschaft im Handelsregister erfolgte am 17. September 1987. Damit ging auch die Gesellschafterstellung der A-AG an der Klägerin bei unveränderten Beteiligungsverhältnissen auf die N-AG über. Im Innenverhältnis wurde die Verschmelzung zum 1. Januar 1987 auf Grundlage der Bilanzen zum 31. Dezember 1986 vorgenommen.

In der Hauptversammlung am 16. Juli 1987 widersprachen Aktionäre der geplanten Verschmelzung und erhoben am 14. August 1987 Klage beim Landgericht wegen Anfechtung und Nichtigkeit der Hauptversammlungsbeschlüsse. Der Klage wegen der Feststellung der Nichtigkeit der Hauptversammlungsbeschlüsse wurde nicht stattgegeben.

Mit Änderungsbescheid vom 18. Dezember 1990 über die gesonderte Feststellung der Besteuerungsgrundlagen für die Grunderwerbsteuer erhöhte das FA wegen der Kaufpreiserhöhung den Wert der Grundstücke, der der Besteuerung zugrunde zu legen ist, auf 24.698.271 DM und hob den Vorbehalt der Nachprüfung auf.

Mit Einspruchsentscheidung vom 14. November 2001 wies das FA den Einspruch vom 29. Mai 1987 als unbegründet zurück.

Zur Begründung der Klage vom 12. Dezember 2001 trägt die Klägerin vor, dass der Gesetzeswortlaut des § 5 Abs. 2 GrEStG die von der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) formulierte Einschränkung der Vorschrift nicht rechtfertige. Es handle sich um eine extensive, über den Wortlaut hinausgehende Interpretation, die unzulässig sei.

Darüber hinaus wendet die Klägerin ein, dass es keinen vorgefassten Plan gegeben habe, die Grundstücksübertragung und die Verschmelzung gemeinsam durchzuführen. Es sei lediglich Zufall, dass die Zeitpunkte der beide Rechtsakte so nahe beieinander gelegen hätten. Im Übrigen seien die Grundstücksübertragung und die Verschmelzung, die isoliert voneinander wirtschaftlich sinnvoll seien, auch unabhängig voneinander geplant und durchgeführt worden. So sollte der Grundbesitz der G Gruppe in Deutschland zusammengelegt werden, um eine rationellere Verwaltung zu gewährleisten. Hierfür seien die "XY-Gesellschaften" gegründet worden. Ferner sollten die Kernaktivitäten der G-Gruppe in Deutschland in der N-AG zusammengefasst werden. Ein sachlicher Zusammenhang zwischen beiden Planungen habe nicht bestanden.

Da die Aktionäre der A-AG der geplanten und in der Hauptversammlung vom 16. Juli 1987 beschlossenen Verschmelzung zuerst widersprochen hätten und gegen den Verschmelzungsbeschluss auch Klage erhoben hätten, habe zum Zeitpunkt der Grundstücksübertragung am 29. Dezember 1986 die Neugründung der N-AG und damit die Verschmelzung noch nicht festgestanden. Weder der Vorstand der A-AG, noch der Aufsichtsrat der A-AG, noch der Mehrheitsaktionär der A-AG hätten im Zeitpunkt der Einbringung eine Verschmelzungsabsicht gefasst gehabt. Im Streitfall hätten die entsprechenden Fachabteilungen die Vorbereitungen zur Einbringung vorgenommen. Dass entsprechende Fachabteilungen Überlegungen anstellen würden, wie ein Konzern zu strukturieren sei, könne nicht dazu führen, dass die Gesellschaft entsprechende rechtlich bedeutsame Verschmelzungsabsichten habe. Der Sachverhalt, der dem Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 15. Dezember 2004 II R 37/01 (BStBl II 2005, 303) zugrunde liege, sei mit dem Sachverhalt des Streitfalles nicht identisch. Dort habe die grundstückseinbringende Gesellschaft die Verschmelzungsabsicht bereits einige Monate vor dem Einbringungsfall öffentlich angekündigt. Die Verschmelzungsplanungen hätten dort in der Presse verfolgt werden können. Auch sei im vom BFH entschiedenen Fall die Verschmelzung nicht wie im Streitfall durch Neugründung, sondern auf eine bestehende Gesellschaft erfolgt.

Die Klägerin beantragt,

unter Änderung des Bescheides über die gesonderte Feststellung der Besteuerungsgrundlagen für die Grunderwerbsteuer vom 18. Dezember 1990 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 14. November 2001 die Bemessungsgrundlage für die Grunderwerbsteuer auf 1.482.125 DM festzusetzen, hilfsweise die Revision zuzulassen.

Das FA beantragt,

die Klage abzuweisen.

Nach der Rechtsprechung des BFH finde § 5 Abs. 2 GrEStG im Streitfall keine Anwendung, da entsprechend einem vorgefassten Plan mit einer Grundstücksübertragung ein Gesellschafterwechsel erfolgt sei.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird gem. § 105 Abs. 3 Satz 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) auf die Schriftsätze der Beteiligten, die Grunderwerbsteuer- bzw. Rechtsbehelfsakte des FA, die Gerichtsakte und die Niederschrift der mündlichen Verhandlung vom 22. Januar 2009 Bezug genommen.

Das Gericht hat die Herren NO, PR, Dr. ST und Dr. UV in der mündlichen Verhandlung als Zeugen vernommen. Zum Sachvortrag der Zeugen wird auf das Protokoll zur mündlichen Verhandlung verwiesen.

Gründe

II.

Die Klage ist unbegründet.

Zu Recht hat das FA der Klägerin die Vergünstigung nach § 5 Abs. 2 GrEStG nicht gewährt und mit Änderungsbescheid vom 18. Dezember 1990 über die gesonderte Feststellung der Besteuerungsgrundlagen für die Grunderwerbsteuer den Wert der Grundstücke, der der Besteuerung zu Grunde zu legen ist, auf 24.698.271 DM festgesetzt.

1. Nach § 5 Abs. 2 GrEStG wird beim Übergang eines Grundstücks von einem Alleineigentümer auf eine Gesamthand die Steuer in Höhe des Anteils nicht erhoben, zu dem der Veräußerer am Vermögen der Gesamthand beteiligt ist.

Die Steuervergünstigung beruht auf der Erwägung, dass trotz des durch den Einbringungsvorgang herbeigeführten Rechtsträgerwechsels eine Besteuerung in dem Umfang unterbleiben soll, in dem sich die Berechtigung des einbringenden Gesamthänders an dem Grundstück fortsetzt, weil die Änderung der Rechtszuständigkeit wirtschaftlich zu keiner Veränderung führt, soweit der bisherige (das Grundstück in die Gesamthand einbringende) Gesamthänder über seine Gesamthandsberechtigung auch weiterhin am Grundstückswert beteiligt bleibt.

§ 5 Abs. 2 GrEStG ist deshalb nicht anwendbar, wenn trotz (formal bestehender) gesamthänderischer Mitberechtigung des grundstückseinbringenden Gesamthänders im maßgeblichen Zeitpunkt der Einbringung des Grundstücks in wirtschaftlicher Hinsicht eine weitere Beteiligung des Gesamthänders am Grundstückswert nicht besteht.

Dies ist nach der Rechtsprechung des BFH u.a. dann nicht der Fall, wenn die Grundstücksübertragung auf die Gesamthand zu einem Zeitpunkt erfolgt, zu dem die Veränderung der Gesellschafterstellung des bisherigen Alleineigentümers bereits zwischen den Gesamthändern abgesprochen worden war (vgl. BFH-Urteil vom 4. August 1999 II B 3/99, BStBl II 1999, 834, BFH-Urteil vom 4. Juni 2003 II R 20/02, BStBl II 2004, 193). Eines in seinen einzelnen Elementen aufeinander abgestimmten (Gesamt-)Plans bedarf es nicht (vgl. z.B. BFH-Urteil vom 15. Dezember 2004 II R 37/01, BStBl II 2005, 303).

Das Erfordernis der "Absprache" zwischen den an der Gesamthand beteiligten Gesamthändern beruht darauf, dass ein Gesamthänder nach § 719 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) über sein Mitgliedschaftsrecht nur mit Zustimmung der übrigen Gesamthänder verfügen kann. Deshalb entfällt dieses Merkmal u.a. in den Fällen, in denen die Veränderung der Gesellschafterstellung einer Zustimmung der übrigen Gesamthänder ausnahmsweise - z.B. bei einer Verschmelzung - nicht bedarf (BFH-Urteil vom 15. Dezember 2004 II R 37/01, aaO.).

36Ist danach eine "Absprache" nicht erforderlich, reicht zur Versagung der Vergünstigung nach § 5 Abs. 2 GrEStG allein die bereits im Zeitpunkt der Grundstückseinbringung bestehende Absicht des bisherigen Alleineigentümers, seine gesamthänderische Mitberechtigung kurzfristig aufzugeben (BFH-Urteil vom 15. Dezember 2004 II R 37/01, aaO.).

2. Unter Berücksichtigung dieser rechtlichen Grundlagen kann im Streitfall die Vergünstigung nach § 5 Abs. 2 GrEStG nicht gewährt werden.

a) Einer "Absprache" zwischen den an der Klägerin beteiligten Gesamthändern, der XY Vermietungsgesellschaft mbH und der A-AG bedurfte es im Streitfall nicht, weil für den Verlust der gesamthänderischen Mitberechtigung der A-AG im Wege der Verschmelzung auf die N-AG die Zustimmung der XY Vermietungsgesellschaft mbH nicht erforderlich gewesen ist (BFH-Urteil vom 15. Dezember 2004 II R 37/01, aaO.).

b) Auch hatte die grundstückseinbringende Gesamthänderin, die A-AG, bereits im Zeitpunkt der Grundstückseinbringung am 29. Dezember 1986 die Absicht der Verschmelzung auf die N-AG und damit der Aufgabe ihrer gesamthänderischen Mitberechtigung.

Handelt es sich - wie im Streitfall - bei dem grundstückseinbringenden Gesamthänder nicht um eine natürliche Person, sondern um eine Kapitalgesellschaft, die als solche keine Absichten und Vorstellungen haben kann, kommt es auf die Absichten und Vorstellungen derjenigen natürlichen Personen an, die rechtlich oder aber auch nur faktisch über die Aufrechterhaltung der gesamthänderischen Mitberechtigung befinden können. Zu diesen Personen gehören zum einen die GmbH-Geschäftsführer und Vorstandsmitglieder als gesetzliche Vertreter der Kapitalgesellschaft, zum anderen aber auch solche Gesellschafter (Aktionäre), die wegen ihrer Einflussmöglichkeiten auf die Geschäftsführung solche Entscheidungen durchsetzen können (BFH-Urteil vom 15. Dezember 2004 II R 37/01, aaO.).

Im Streitfall ist deshalb entscheidend auf die "Absichten" der Mehrheitsgesellschafterin der A-AG, nämlich der G S.A. Schweiz abzustellen. Da diese zu 78 % am Stammkapital der A-AG und zu 100 % am Stammkapital der weiteren zu verschmelzenden Firmen beteiligt gewesen ist und zwischen der A-AG und der G S.A. Schweiz ein Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag bestanden hat, hätten weder die zuständigen Organe der A-AG, noch der Geschäftsleitungsausschuss, der die Aufgabe hatte, die einzelnen Gesellschaften der deutschen G Gruppe zu koordinieren, eine von den Organen der G S.A. Schweiz geplante Verschmelzung der A-AG verhindern können. Auch nach Aussage des Zeugen Dr. V ist zur Durchführung der Verschmelzung der deutschen G Gesellschaften die Zustimmung der G S.A. Schweiz erforderlich gewesen. Innerhalb der deutschen G Firmen ist nach Aussage des Zeugen Dr. V die Verschmelzung durch den Geschäftsleitungsausschuss, dessen Vorsitzender der Zeuge gewesen ist, entschieden worden.

42Es steht zur Überzeugung des Gerichts fest, dass sowohl bei den Vertretungsorganen der G S.A. Schweiz, als auch beim Geschäftsleitungsausschuss am 29. Dezember 1986 - dem Tag der Unterzeichnung des Grundstückskaufvertrages - die Absicht bestanden hat, die A-AG auf die N-AG zu verschmelzen. Diese Überzeugung gewinnt das Gericht unter Würdigung aller erkennbaren Umstände des Streitfalles, auch unter Berücksichtigung der Zeugeneinvernahme, aus Folgendem:

43aa) Der Zeuge O hat am 19. Januar 2005 in einem Parallelverfahren vor dem Finanzgericht Münster (Az. 8 K 5701/03) ausgesagt: "zum Jahresende 1986 waren und wurden die Dinge vorbereitet, die für eine Verschmelzung notwendig waren, u.a. die Bewertung der Gesellschaften, die im Januar erfolgte." Der Zeuge O hat seine Aussage vor dem Finanzgericht Münster in der mündlichen Verhandlung vor dem erkennenden Senat vollinhaltlich bestätigt.

Die Bewertung der zu verschmelzenden Unternehmen ist eine wesentliche Voraussetzung für die nachfolgende Verschmelzung der deutschen G Firmen zur N-AG und die Herbeiführung des hierzu nötigen Verschmelzungsbeschlusses. Das Gericht ist der Überzeugung, dass die Bewertung der zu verschmelzenden Unternehmen zum Jahresende 1986 noch nicht vorbereitet worden wäre - insbesondere im Hinblick auf die dadurch entstehenden Kosten -, wenn die Absicht, die G Firmen in Deutschland zu verschmelzen, bei den zuständigen Organen der G S.A. Schweiz und des Geschäftsleitungsausschusses nicht bereits zum Jahresende 1986, mithin vor dem 29. Dezember 1986, bestanden hätte.

bb) Die Aussage des Zeugen O, dass bereits zum Jahresende 1986 die Unternehmensbewertung vorbereitet worden ist, wird gestützt durch das Schreiben vom 9. Januar 1987, in dem sich ein Mitarbeiter der Treuhand-Vereinigung AG bei der G-I GmbH bedankt: "... für den uns erteilten Auftrag, eine Bewertung der G-I GmbH W, und der I Vermögensverwaltungsgesellschaft mbH, ..., zum 31. Dezember 1986 durchzuführen. Die Bewertung soll insbesondere der Feststellung eines angemessenen Austauschverhältnisses mit Aktien der A AG, W, und Geschäftsanteilen der J XZwerke GmbH, ..., im Zuge einer geplanten gesellschaftsrechtlichen Strukturveränderung (Verschmelzung durch Neubildung nach § 353 AktG) dienen ... Wir nehmen diesen Auftrag an, den wir termingerecht bis zum 31. Januar 1987 erledigen werden". Der Auftrag für die Bewertung eines der zu verschmelzenden Unternehmen, der G-I GmbH ist daher jedenfalls vor dem 9. Januar 1987 und damit zeitnah zu den, in Anbetracht der vorerwähnten Zeugenaussagen vor dem 29. Dezember 1989 durchgeführten, "Vorbereitungen der Unternehmensbewertung" erteilt worden. Auch der Zeuge R hat vor dem Finanzgericht Münster am 19. Januar 2005 ausgesagt, dass der Auftrag zur Durchführung der Unternehmensbewertung im Rahmen der Verschmelzung an die bisherigen Abschlussprüfer der zu verschmelzenden Firmen Ende 1986/Anfang 1987 erteilt worden ist. Der Zeuge R hat seine Aussage vor dem Finanzgericht Münster in der mündlichen Verhandlung vor dem erkennenden Senat vollinhaltlich bestätigt.

Dass das Schreiben der Treuhand-Vereinigung AG vom 9. Januar 1987 den Auftrag zur Bewertung der I GmbH und nicht der A-AG betrifft, ist entgegen der Auffassung der Klägerin unbeachtlich, da die Absicht der Verschmelzung für die A-AG, H GmbH, der I Vermögensverwaltungs GmbH, der G I GmbH und der J XZ GmbH zur N-AG durch Neugründung von den zuständigen Organen der G S.A. Schweiz und dem Geschäftsleitungsausschuss zum selben Zeitpunkt gefasst worden ist.

cc) Dafür, dass die Absicht der Verschmelzung bei den zuständigen Organen bereits am 29. Dezember 1986 vorgelegen hat, spricht auch folgende Darstellung der Klägerin im Schriftsatz vom 22. April 2009, der auf Aufforderung des Gerichts gem. § 79 b Abs. 2 FGO vom 16. März 2009, den zeitlichen Ablauf der Verschmelzung darzustellen, eingereicht worden ist: "Sobald sich im Jahr 1986 die deutschen Führungsgremien mit den Planungen der Rechts- und Steuerabteilung einverstanden erklärten, wurde, weil für die Verschmelzungsaktion die Zustimmung der Gesellschafter/Aktionäre erforderlich war, Kontakt mit der Mehrheitsgesellschafterin/Mehrheitsaktionärin S.A. aufgenommen und mit der dortigen Beteiligungsverwaltung diskutiert. Im Herbst 1986 fand dann die Entscheidung durch die Gremien der G Gesellschaften in Deutschland statt, die Zusammenlegung der Gesellschaften anzugehen."

Die Klägerin hat hier selbst vorgetragen, dass die Absicht der Verschmelzung bei den zuständigen Gremien der zu verschmelzenden G Gesellschaften in Deutschland bereits im Herbst 1986 bestanden hat. Der Zeuge Dr. V hat ausgesagt, dass für die Verschmelzung der G Firmen in Deutschland die Zustimmung der G S.A. Schweiz notwendig gewesen ist. Nach dem glaubhaften Vortrag des Dr. V war nicht zu bezweifeln, dass die Zustimmung erteilt wird, da der Zeuge die Vorstellungen der Schweizer Zentrale im Hinblick auf die zu komplizierte Struktur der deutschen Gesellschaften gekannt hat. Die Zustimmung ist nach Aussage des Zeugen auch erteilt worden. Das Gericht ist der Überzeugung, dass die zuständigen Gremien der G Gesellschaften in Deutschland im Herbst 1986 nicht beschlossen hätten, die Zusammenlegung der Gesellschaften jetzt anzugehen, wenn ihnen nicht bereits vorher die zuständigen Organe der G S.A. Schweiz die Zustimmung zur Verschmelzung erteilt hätten.

Zwar hält die Klägerin in der mündlichen Verhandlung ihr Vorbringen im Schriftsatz vom 22. April 2009, dass die Entscheidungsgremien der A-AG bereits im Jahr 1986 entsprechende Entscheidungen getroffen haben, so nicht mehr aufrecht. Der Senat hält jedoch die Sachverhaltsschilderung im Schriftsatz der Klägerin vom 22. April 2009 für glaubhaft. Die Klägerin hat für den Widerruf des Sachvortrags weder einen Grund angegeben, noch dargestellt, wie der Ablauf abweichend von der bisherigen Sachverhaltsschilderung gewesen sein soll. Auch wird der im Schriftsatz vom 22. April 2009 von der Klägerin geschilderte Sachverhalt durch die Ausführungen unter Pkt. ll.2.b)aa) des Urteils nach Ansicht des Gerichts bestätigt.

dd) Ein weiteres Indiz dafür, dass die Absicht der Verschmelzung bereits am 29. Dezember 1986 bestanden hat, ist die Tatsache, dass bereits am 6. Februar 1987 in einer Sitzung die Arbeitnehmervertreter der I GmbH über die Verschmelzung informiert worden sind. Der Zeuge R hat vor dem Finanzgericht Münster ausgesagt, dass es bis zu einem gewissen Zeitraum ein Verbot gegeben hat, über die Verschmelzung zu berichten, weil es sich, im Hinblick auf die Minderheitsaktionäre der A-AG, um börsenrelevante Informationen mit Auswirkung auf den Aktienkurs gehandelt hat. Auch der Zeuge O hat ausgesagt, dass wegen der Minderheitsaktionäre der A-AG der Kreis der Personen, die mit den Fragen der Verschmelzung befasst wurden, eng gefasst war. Daraus schließt das Gericht, dass die Arbeitnehmervertreter erst geraume Zeit nach dem Bestehen der Verschmelzungsabsicht und dem Beginn der Vorbereitungen zur Durchführung der Verschmelzung informiert worden sind.

ee) Zwar hat der Zeuge Dr. V ausgesagt, dass der Geschäftsleitungsausschuss das Thema der Verschmelzung seiner Erinnerung nach Ende Februar/Anfang März 1987 entschieden hat. Der weitere Verlauf seiner Zeugenaussage hat jedoch ergeben, dass der Zeuge sich an den Zeitpunkt der Beschlussfassung nicht mehr wirklich hat erinnern können. So antwortete er auf den Vorhalt, dass bereits am 6. Februar 1987 Arbeitnehmervertreter der I AG über die Verschmelzung informiert worden seien, dass er nicht mehr sagen könne, wann der Verschmelzungsbeschluss genau gefasst worden sei. Dies könne auch Anfang Februar 1987 gewesen sein. Auf den weiteren Vorhalt, dass die Aufträge an die Prüfungsgesellschaften zur Unternehmensbewertung bereits Ende 1986 bzw. Anfang Januar 1987 erteilt worden seinen, antwortete er, dass er sich dazu nicht mehr erinnern könne.

ff) Der Zeuge Dr. T war mit dem Themenbereich der Verschmelzung nur am Rande befasst und hat die Vorgänge zeitlich nicht mehr genau einordnen können.

53Da sowohl die Vertretungsorgane der G S.A., als auch der Geschäftsleitungsausschuss zum Zeitpunkt der Grundstücksübertragungen am 29. Dezember 1986 den Entschluss gefasst hatten, die A-AG auf die N-AG zu verschmelzen, bestand im maßgeblichen Zeitpunkt der Grundstückseinbringung bei der A-AG die Absicht, als Folge der kurzfristig geplanten Verschmelzung auf die N-AG die gesamthänderische Mitberechtigung aufzugeben. Dieser Umstand steht der Gewährung der Steuervergünstigung nach § 5 Abs. 2 GrEStG entgegen.

54c) Der hier vertretenen Rechtsauffassung steht auch nicht entgegen, dass nach § 65 Abs. 1 des Umwandlungsgesetzes (UmwG) der Verschmelzungsbeschluss der Hauptversammlung einer Mehrheit bedarf, die mindestens drei Viertel des bei der Beschlussfassung vertretenen Grundkapitals umfasst. Denn die Verschmelzungsabsicht setzt nicht voraus, dass deren Verwirklichung bereits im Einbringungszeitpunkt rechtlich sichergestellt sein muss. Die sich in Verfolgung dieser Absicht ergebenden Schwierigkeiten betreffen allein die Ausführung, rechtfertigen jedoch nicht die Annahme, eine solche Absicht habe nicht bestanden (BFH-Urteil vom 15. Dezember 2004 II R 37/01, aaO.). Da die G S.A. Schweiz mit 78 % am Stammkapital der A-AG beteiligt gewesen ist, hätte die Verschmelzung von den Minderheitsaktionären auch nicht verhindert werden können, sobald bei der Mehrheitsgesellschafterin die Absicht zur Verschmelzung vorgelegen hat.

55d) Das Gericht schließt sich der Rechtsprechung des BFH zur einschränkenden Anwendung des § 5 Abs. 2 GrEStG an. Die Argumente des Klägers greifen nicht durch.

56Die Entwicklung von Rechtsgrundsätzen gehört auch im Steuerrecht zu den herkömmlichen Aufgaben des Richters (vgl. Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts - BVerfG - vom 24. Januar 1964 1 BvR 232/60, BVerfGE 13, 318; vom 11. November 1964 1 BvR 488/62, BVerfGE 18, 224). Ebenso anerkannt ist allerdings, daß einer solchen schöpferischen Rechtsfindung von Rechts wegen mit Rücksicht auf die Gesetzesbindung der Rechtsprechung Grenzen gezogen sind. Diese lassen sich jedoch nicht anhand einer allgemein gültigen Formel feststellen, sondern nur im Blick auf das konkrete Rechtsgebiet (vgl. Entscheidung des BVerfG vom 14. Februar 1973 1 BvR 112/65, BVerfGE 34, 269). Für das Steuerrecht hat das Bundesverfassungsgericht einerseits entschieden, dass es bei Beachtung des Rechtsstaatsprinzips (Art. 20 Abs. 3 des Grundgesetzes - GG -) in Verbindung mit Art. 2 Abs. 1 GG bedenklich ist, wenn der Richter einen neuen Steuertatbestand schafft oder einen bestehenden ausweitet (vgl. Entscheidungen des BVerfG vom 24. Januar 1964 1 BvR 232/60 aaO.; vom 13. Dezember 1966 1 BvR 512/65, BVerfGE 21, 1). Andererseits gilt, dass die Steuergesetze, die die Steuerpflicht an bestimmte wirtschaftliche Lebenssachverhalte knüpfen, ihrer Struktur nach der Vielfalt wirtschaftlicher Gestaltungsmöglichkeiten Rechnung zu tragen suchen. Diese deshalb weit gefassten Normen können das Gebot materieller Gerechtigkeit nur dann erfüllen, wenn der Richter die notwendigerweise bestehenden Lücken ausfüllt (vgl. Entscheidung des BVerfG vom 3. Oktober 1961 2 BvR 4/60, BVerfGE 13, 153). Nicht jede richterliche Lückenausfüllung rückt somit in den Bereich verfassungsrechtlich bedenklicher Neuschaffung oder Erweiterung eines Steuertatbestandes. Die Grenzen zulässiger richterlicher Rechtsfortbildung sind erst dann überschritten, wenn die einschlägigen gesetzlichen Regelungen nach ihrem auslegungsfähigen und auslegungsbedürftigen Wortlaut, ihrer Systematik und ihrem erkennbaren Sinn so ausgestaltet sind, dass die von der Rechtsprechung ausgesprochene Rechtsfolge hierzu in Widerspruch gerät (vgl. Entscheidung des BVerfG vom 12. März 1985 1 BvR 571/81, BVerfGE 69, 188); denn nur in einem solchen Fall kommt in Betracht, dass sich die Rechtsprechung in rechtsstaatswidriger Weise an die Stelle des Gesetzgebers setzt (vgl. Entscheidung des BVerfG vom 19. Oktober 1983 2 BvR 485/80, BVerfGE 65, 182).

57Der Senat sieht in der Einschränkung des Wortlauts des § 5 Abs. 2 GrEStG durch die Rechtsprechung des BFH keine extensive über den Wortlaut des Gesetzes hinausgehende Interpretation, sondern eine aus dem Gesetzeszweck hergeleitete Konkretisierung des gesetzgeberischen Willens, wonach wirtschaftliche Gesichtspunkte eine Grunderwerbsbesteuerung in den Fällen des § 5 GrEStG nicht rechtfertigen. Wenn aber wirtschaftliche Gründe Grundlage des § 5 GrEStG sind, ist es zwingend, diese Gründe auch bei der Auslegung des § 5 Abs. 2 GrEStG zugrunde zu legen. Dies bedeutet bei der Auslegung des § 5 Abs. 2 GrEStG, dass nicht nur auf den formalen Akt des Grunderwerbs abzustellen ist, sondern auch die Ereignisse und Planungen mit zu berücksichtigen sind, die der Übertragung ihre wirtschaftliche Qualität geben.

58e) Auch ist nach Ansicht des Senats nicht zwischen Verschmelzung durch Neugründung und aufnehmender Verschmelzung zu unterscheiden. Entscheidend für die von der Rechtsprechung erfolgte Begrenzung des § 5 Abs. 2 GrEStG ist, dass auf der Grundlage rechtsgeschäftlicher Vereinbarungen der Grundstückseinbringende nach einem bereits im Einbringungszeitpunkt gefassten Plan seine Beteiligung aufgibt. Diese Grundsätze gelten auch für Verschmelzungsvorgänge. Denn es macht keinen Unterschied, ob die Beteiligung an der Gesamthand durch rechtsgeschäftliche Einzelübertragung auf einen Dritten übergeht oder durch eine Umwandlung aufgrund von Umwandlungsverträgen übertragen wird (Viskorf in Boruttau, GrEStG, 16. Auflage, § 5 Rz. 65). Wenn es aber entscheidend auf die Aufgabe der Rechtsposition des Grundstückseinbringenden ankommt, ist eine Differenzierung zwischen aufnehmender Verschmelzung und Verschmelzung durch Neugründung nicht gerechtfertigt.

3.Die Revision zum BFH wird nicht zugelassen, da die Voraussetzungen hierfür nicht vorliegen. Die Streitsache hat weder grundsätzliche Bedeutung i.S.d. § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO, noch sind die tatbestandlichen Merkmale des § 115 Abs. 2 Nr. 2 bis 3 FGO erfüllt.

4.Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.






FG München:
Urteil v. 08.07.2009
Az: 4 K 705/09


Link zum Urteil:
https://www.admody.com/urteilsdatenbank/4fbd4979f749/FG-Muenchen_Urteil_vom_8-Juli-2009_Az_4-K-705-09




Diese Seite teilen (soziale Medien):

LinkedIn+ Social Share Twitter Social Share Facebook Social Share