Bundesverfassungsgericht:
Beschluss vom 20. September 2002
Aktenzeichen: 1 BvR 1691/02

(BVerfG: Beschluss v. 20.09.2002, Az.: 1 BvR 1691/02)

Tenor

Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.

Damit erledigt sich der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung.

Gründe

I.

Die mit einem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung verbundene Verfassungsbeschwerde richtet sich unmittelbar gegen die durch das Gesetz zur Regelung von öffentlichen Angeboten zum Erwerb von Wertpapieren und von Unternehmensübernahmen vom 20. Dezember 2001 (BGBl I S. 3822) in das Aktiengesetz (im Folgenden: AktG) eingefügten §§ 327 a ff., die den Ausschluss von Minderheitsaktionären aus Aktiengesellschaften regeln und am 1. Januar 2002 in Kraft getreten sind. Nach § 327a Abs. 1 Satz 1 AktG kann die Hauptversammlung der Gesellschaft dazu auf Verlangen des Hauptaktionärs, eines Aktionärs, dem Aktien in Höhe von 95 vom Hundert des Grundkapitals gehören, die Übertragung der Aktien der übrigen Aktionäre auf den Hauptaktionär gegen Gewährung einer angemessenen Barabfindung beschließen. § 327 f AktG ergänzt und modifiziert die Regelung über den Rechtsschutz der Minderheitsaktionäre (vgl. BTDrucks 14/7034, S. 32 vor III., S. 73 zu § 327 f).

II.

Der Beschwerdeführer ist nach seinem Vorbringen Aktionär einer Aktiengesellschaft, deren Hauptversammlung am 20. Juni 2002 mit den Stimmen des Hauptaktionärs beschlossen hat, die Kleinaktionäre, zu denen auch er gehört, auszuschließen. Er hält die angegriffenen Regelungen über den Ausschluss der Minderheitsaktionäre für verfassungswidrig, weil durch diese Regelungen Art. 14 GG verletzt werde, der auch das Aktieneigentum schütze. Kleinaktionäre wie er seien besonders schutzwürdig. Dem würden die angegriffenen Vorschriften nicht gerecht.

III.

1. Die Verfassungsbeschwerde ist nicht zur Entscheidung anzunehmen. Die Annahmevoraussetzungen des § 93 a Abs. 2 BVerfGG liegen nicht vor, weil die Verfassungsbeschwerde unzulässig ist. Der Zulässigkeit steht der in § 90 Abs. 2 BVerfGG zum Ausdruck kommende Grundsatz der Subsidiarität entgegen.

a) Dieser verpflichtet den Beschwerdeführer, vor einer Anrufung des Bundesverfassungsgerichts grundsätzlich die allgemein zuständigen Gerichte mit seinem Anliegen zu befassen. Dadurch wird sichergestellt, dass dem Bundesverfassungsgericht in der Regel nicht nur eine abstrakte Rechtsfrage und der Sachvortrag des Beschwerdeführers, sondern auch die Beurteilung der Sach- und Rechtslage durch ein für die jeweilige Materie zuständiges Gericht unterbreitet werden. Das ist insbesondere dort von Bedeutung, wo die Beurteilung der mit der Verfassungsbeschwerde erhobenen Rügen die Prüfung tatsächlicher und einfachrechtlicher Fragen voraussetzt, für die das Verfahren vor den Fachgerichten besser geeignet ist. Hier wird durch den Subsidiaritätsgrundsatz gewährleistet, dass dem Bundesverfassungsgericht infolge der fachgerichtlichen Vorprüfung der Beschwerdepunkte ein bereits eingehend geprüftes Tatsachenmaterial vorliegt und ihm auch die Fallanschauung und die Rechtsauffassung der sachnäheren Fachgerichte vermittelt werden (vgl. BVerfGE 79, 1 <20>; 86, 382 <386 f.> m.w.N.).

Die Pflicht zur Anrufung der allgemein zuständigen Gerichte besteht allerdings ausnahmsweise dann nicht, wenn die angegriffene Regelung den Beschwerdeführer zu Dispositionen zwingt, die später nicht mehr korrigiert werden können, oder wenn die Anrufung dem Beschwerdeführer nicht zuzumuten ist. Kann der mit dem Subsidiaritätsgrundsatz verfolgte Zweck, eine fachgerichtliche Klärung der verfassungsrechtlich relevanten Sach- und Rechtslage herbeizuführen, nicht erreicht werden, ist die vorherige Anrufung der Fachgerichte ebenfalls entbehrlich (vgl. BVerfGE 79, 1 <20> m.w.N.).

b) Nach diesen Grundsätzen ist der Beschwerdeführer auf den Rechtsweg zu den zuständigen Fachgerichten zu verweisen. Ihm stehen in Verfahren vor diesen Gerichten zur Geltendmachung der verfassungsrechtlichen Bedenken, die er zum Gegenstand seiner Verfassungsbeschwerde gemacht hat, zwei Wege zur Verfügung: Er kann diese Bedenken in der Weise den zuständigen Gerichten unterbreiten, dass er schon den Hauptversammlungsbeschluss, nach dem die Aktien der Minderheitsaktionäre der Aktiengesellschaft, an welcher der Beschwerdeführer beteiligt ist, auf den Hauptaktionär übertragen werden sollen, mit der Anfechtungsklage nach den §§ 243 ff. AktG angreift und diese darauf stützt, dass der Beschluss deshalb das Gesetz verletze (vgl. § 243 Abs. 1 AktG), weil er infolge Verfassungswidrigkeit der §§ 327 a ff. AktG ohne gesetzliche Grundlage sei. Oder er kann, wenn es ihm vor allem um die Sicherung einer ausreichenden Barabfindung geht, gegen deren Festlegung vorgehen, dazu das Spruchverfahren nach § 327 f Abs. 1 Satz 2 in Verbindung mit § 306 AktG durchführen und in diesem Zusammenhang die Verfassungsmäßigkeit der §§ 327 a ff. AktG geltend machen.

Dass im einen wie im anderen Fall die für die verfassungsrechtliche Prüfung wesentlichen Sach- und Rechtsfragen, auf deren Aufbereitung nicht verzichtet werden kann, durch die zuständigen Gerichte nicht vorgeklärt werden könnten, ist nicht ersichtlich. Der Beschwerdeführer hat auch nicht vorgebracht, dass ihm deren Anrufung unzumutbar sei. Auch auf Dispositionen, die nicht mehr rückgängig gemacht werden können, hat er sich nicht berufen. Sie sind auch sonst nicht erkennbar. Dem Beschwerdeführer entstehen demnach durch die Verweisung auf den vorrangigen Rechtsschutz durch die allgemein zuständigen Gerichte keine unvertretbaren Nachteile.

Von einer weiteren Begründung wird gemäß § 93 d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.

2. Mit der Nichtannahme der Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung erledigt sich der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung (vgl. § 40 Abs. 3 GOBVerfG).

Diese Entscheidung ist unanfechtbar (§ 93 d Abs. 1 Satz 2 BVerfGG).






BVerfG:
Beschluss v. 20.09.2002
Az: 1 BvR 1691/02


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