Bundespatentgericht:
Urteil vom 29. Mai 2008
Aktenzeichen: 2 Ni 26/06
(BPatG: Urteil v. 29.05.2008, Az.: 2 Ni 26/06)
Tenor
I. Das europäische Patent EP 0 717 001 wird mit Wirkung für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland für nichtig erklärt.
II. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.
III. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
Die Beklagte ist eingetragene Inhaberin des am 21. November 1995 unter Inanspruchnahme der Priorität der italienischen Patentanmeldung IT MI 942527 vom 15. Dezember 1994 in der Verfahrenssprache Englisch angemeldeten und u. a. mit Wirkung für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland erteilten europäischen Patents EP 0 717 001 (Streitpatent).
Das Patent mit der Bezeichnung: "Verfahren und Vorrichtung zur Durchführung eines flexiblen und modulierenden Wickelzyklus" umfasst fünf Patentansprüche.
Patentanspruch 1 lautet in der Verfahrenssprache:
"Process for carrying out a winding cycle by means of the continous automatic indication of data relating to the winding process in the operating sequences of the cycle, which activates the winding phases of interest each time the cycle is necessary at the single collecting station of an automatic winder, said process comprising the following phases:
- indicating, at each moment, the operational execution of each successive phase of the whole winding cycle of the thread onto the bobbin in formation;
- allowing continuation to any of the subsequent phases upon indication of the completion of a phase of the cycle activated in the case of an acceptable result;
- blocking the subsequent phase upon indication of the completion of an operating phase having a negative result, or not suitable for the acceptable result of a correct winding cycle;
- repeating, one or more times, if necessary, the noneffected operating phase, or effected with an unacceptable result;
- repositioning, with partial retroaction of the cycle, to a preceding phase to continue with the subsequent phases of the same winding cycle of the thraed onto the bobbin in formation;
- repositioning, with partial retroaction of the cycle, to a preceding phase to activate the noneffected phase, or effected in a way which is not acceptable for the physical functional parameters, or kinetics, or other parameters suitably modified in accordance with a preset diagnostic program to facilitate and permit execution with an acceptable result.
In der deutschen Übersetzung lautet Patentanspruch 1:
"Verfahren zur Durchführung eines Wickelzyklus mittels der kontinuierlichen, automatischen Anzeige von Daten, die das Wickelverfahren betreffen, in den Betriebssequenzen des Zyklus, welcher die Wickelphasen, die von Interesse sind, jedes Mal aktiviert, wenn der Zyklus an der einzigen Sammelstation eines automatischen Wicklers benötigt wird, wobei das Verfahren die folgenden Phasen aufweist:
- Anzeigen der Betriebstätigkeit jeder abfolgenden Phase des gesamten Zyklus zum Wickeln des Fadens auf die in Ausbildung befindliche Spule, zu jedem Zeitpunkt;
- Gestatten der Fortführung einer jedweden der abfolgenden Phasen auf die Anzeige hin, dass eine Phase des aktivierten Zyklus abgeschlossen wurde im Falle eines akzeptablen Resultats;
- Blockieren der nachfolgenden Phase auf die Anzeige hin, dass eine Betriebsphase mit einem negativen Resultat abgeschlossen wurde, oder für das akzeptable Resultat eines korrekten Wickelzyklus nicht geeignet ist;
- Falls notwendig, ein- oder mehrmaliges Wiederholen der nicht durchgeführten Betriebsphase, oder derjenigen, die mit einem unaktzeptablen Resultat durchgeführt wurde;
- Repositionieren, mit teilweiser Nachaktivierung des Zyklus zu einer vorhergehenden Phase, um mit den abfolgenden Phasen desselben Zyklus zum Wickeln des Fadens auf die Spule in Ausbildung fortzufahren;
- Repositionieren, mit teilweiser Nachaktivierung des Zyklus, zu einer vorhergehenden Phase, zur Aktivierung der nicht durchgeführten Phase oder derjenigen, die in einer Weise durchgeführt wurde, welche nicht für die physikalischen Funktionsparameter oder die Kinetik akzeptabel ist, oder für andere Parameter, die geeignet in Übereinstimmung mit einem voreingestellten Diagnoseprogramm modifiziert wurden, um die Durchführung mit einem akzeptablen Resultat zu vereinfachen und zu gestatten."
Wegen des Wortlauts der mittelbar oder unmittelbar auf Patentanspruch 1 zurückbezogenen Patentansprüche 2 und 3, des nebengeordneten Patentanspruchs 4 und des darauf zurückbezogenen Patentanspruchs 5 sowohl in der Verfahrenssprache als auch in der deutschen Übersetzung wird auf die Streitpatentschrift verwiesen.
Die Klägerin macht geltend, das Streitpatent sei nicht patentfähig, weil es weder neu sei noch auf erfinderischer Tätigkeit beruhe; auch offenbare das Streitpatent die Erfindung nicht so deutlich und vollständig, dass ein Fachmann sie ausführen könne. Zur Begründung bezieht sie sich auf die Druckschriften NK1: EP 0 427 990 A2 NK2: US 5 082 194 A.
Die Klägerin beantragt, das europäische Patent EP 0 717 001 mit Wirkung für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland für nichtig zu erklären.
Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.
Sie tritt dem Vorbringen der Klägerin entgegen und hält das Streitpatent für patentfähig.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Akten Bezug genommen.
Gründe
Die zulässige Klage erweist sich als begründet.
Der geltend gemachte Nichtigkeitsgrund der fehlenden Patentfähigkeit (Art. II § 6 Abs. 1 Nr. 1 IntPatÜG, Art. 138 Abs. 1 lit a EPÜ i. V. m. Art. 52, 54 EPÜ) führt zur Nichtigerklärung des Streitpatents, so dass der weiterhin geltend gemachte Nichtigkeitsgrund der mangelnden Offenbarung (Art. II § 6 Nr. 2 IntPatÜG, Art. 138 Abs. 1 lit b EPÜ) dahinstehen kann.
I.
1. Das Streitpatent betrifft nach Anspruch 1 ein Verfahren zur Durchführung eines Wickelzyklus sinngemäß zum Fadenverbinden beim Fortsetzen eines Spulvorgangs und nach Anspruch 4 eine Einrichtung zur Ausführung dieses Verfahrens. Dabei werden bekanntermaßen die von Spinnmaschinen gesponnenen, auf Kopsen aufgewickelten Fäden von diesen abgezogen und der Spulstelle einer üblicherweise Kreuzspulen herstellenden Wickelmaschine zugeführt, wobei die Kreuzspulen die Garne für die nachfolgende Verarbeitung in Web- oder Strickmaschinen liefern. Vor der Herstellung der Kreuzspule sollen Fadenfehler beseitigt werden, wie z. B. eine zum Fadenbruch führende Schwachstelle oder Dicken- und Strukturschwankungen. Außerdem enthält ein Kops nur eine im Vergleich zur Kreuzspule geringe Fadenlänge. All dies erfordert ein häufiges und schnelles Verbinden von Fadenenden, um die hohe Wickelleistung der viele solche Spulstellen aufweisenden Wickelmaschine beizubehalten. Pro Spulstelle ist eine derartige Wickelmaschine bekanntermaßen ausgerüstet unter anderem mit Haltern für die den Unterfaden aufnehmenden Kopse mit Ballonöffner, einem unteren Sauger zum Erfassen des Unterfadens, Fadenüberwachungseinrichtungen, Fadenspanner, Fadenreiniger, Fadenschneider, einem oberen Sauger zum Erfassen des Oberfadens, Changierwalze und schließlich Kreuzspule.
Nach den Ausführungen der Druckschrift DE 36 44 433 A1 in Spalte 1, Zeile 17 der Streitpatentschrift ist bereits ein Verfahren bekannt, wonach der gesamte Fadenwickelzyklus erfasst wird, bei normalem Ablauf eine Phase des Wickelvorgangs nach der anderen erfolgt, aber bei Auftreten einer Störung der Zyklus der betroffenen Spulstelle unterbrochen wird, die Störung durch Verbinden der Fadenenden beseitigt wird, wozu ein oder mehrere Versuche gestattet werden.
Die Störung kann ein leerer Kops, ein Fadenbruch oder ein das Zerschneiden des Fadens erfordernder Defekt sein. In jedem Fall sind die Fadenenden miteinander zu verbinden, wozu die Sauger die Enden des Unter- und des Oberfadens einfangen müssen, wobei erst nach mehren erfolglosen Versuchen weitere Maßnahmen wie das Einschreiten einer Bedienperson erfolgt. Nachteilig ist bei den bekannten Wickelverfahren das aufwändige und gegebenenfalls nicht zu verlässige Eingreifen einer Bedienperson (Sp. 2, Z. 38-40 Streitpatentschrift).
2. Aufgabe des Streitpatents ist es daher, die Produktion von Spulen mit gewickeltem Faden merklich zu steigern und die korrekte Betriebsfunktion eines automatischen Wickelns sicher zu stellen (Sp. 2, Z. 50-53 Streitpatentschrift).
3. Zur Lösung legt Patentanspruch 1 in wörtlicher Übersetzung gemäß folgender Merkmalgliederung fest ein:
M1 Verfahren zur Durchführung eines Wickelzyklus mittels der kontinuierlichen automatischen Anzeige von Daten, die das Wickelverfahren betreffen, M2 in den Betriebssequenzen des Zyklus, welcher die Wickelphasen, die von Interesse sind, jedes Mal aktiviert, M3 wenn der Zyklus an der einzigen Sammelstation eines automatischen Wicklers benötigt wird, wobei das Verfahren die folgenden Phasen aufweist:
M4 Anzeigen der Betriebstätigkeit jeder abfolgenden Phase des gesamten Zyklus zum Wickeln des Fadens auf die in Ausbildung befindliche Spule, zu jedem Zeitpunkt;
M5 Gestatten der Fortführung einer jedweden der abfolgenden Phasen auf die Anzeige hin, dass eine Phase des aktivierten Zyklus abgeschlossen wurde im Falle eines akzeptablen Resultats;
M6 Blockieren der nachfolgenden Phase auf die Anzeige hin, dass eine Betriebsphase mit einem negativen Resultat abgeschlossen wurde, oder für das akzeptable Resultat eines korrekten Wickelzyklus nicht geeignet ist;
M7 Falls notwendig, ein- oder mehrmaliges Wiederholen der nicht durchgeführten Betriebsphase, oder derjenigen, die mit einem unakzeptablen Resultat durchgeführt wurde;
M8 Repositionieren, mit teilweiser Nachaktivierung des Zyklus zu einer vorhergehenden Phase, um mit den abfolgenden Phasen desselben Zyklus zum Wickeln des Fadens auf die Spule in Ausbildung fortzufahren;
M9 a. Repositionieren, mit teilweiser Nachaktivierung des Zyklus, zu einer vorhergehenden Phase, b. zur Aktivierung der nicht durchgeführten Phase oder derjenigen, die in einer Weise durchgeführt wurde, welche nicht für die physikalischen Funktionsparameter oder die Kinetik akzeptabel ist, c. oder für andere Parameter, die geeignet in Übereinstimmung mit einem voreingestellten Diagnoseprogramm modifiziert wurden, d. um die Durchführung mit einem akzeptablen Resultat zu vereinfachen und zu gestatten.
II.
Nach Auffassung des Senats versteht der maßgebliche Fachmann, ein FH-Ingenieur für Textilmaschinen oder Maschinenbau mit speziellen Kenntnissen und Erfahren im Herstellen von Wickelspulen und von Spulmaschinen, nach ausführlicher Erörterung in der mündlichen Verhandlung in Übereinstimmung mit den Parteien diese Merkmalsgliederung wie folgt:
M1 Verfahren zum Durchführen eines Zyklus zum Fadenverbinden beim Wiederaufnehmen und Fortsetzen eines Spulvorgangs, bei welchem kontinuierlich und automatisch die Daten der Phasen dieses Zyklus erfasst werden, M2 dass mittels des Erfassens der Daten die Phasen des Zyklus aufeinander folgend aktiviert werden, M3 dass der Zyklus jedes Mal dann aktiviert (durchgeführt) wird, wenn er an einer einzelnen Spulstelle (einer Spulmaschine mit vielen Spulstellen) notwendig ist, M4 dass jede Phase des Zyklus bei dem Fadenverbinden bei der Wiederaufnahme des Spulvorgangs erfasst (überwacht) wird, M5 dass die Fortsetzung (des Zyklus) mit irgendeiner (der nächsten) Phase gestartet wird, nachdem erfasst wurde, dass die letzte Phase mit einem akzeptierbaren Ergebnis ausgeführt wurde, M6 dass die nächste Phase verhindert wird, wenn (nachdem) angezeigt (festgestellt) wird, dass eine Arbeitsphase ein negatives Ergebnis hat oder ein Ergebnis, das nicht akzeptierbar für einen korrekten Zyklus ist, M7 dass die nicht wirksam ausgeführte oder mit einem nicht akzeptierbaren Ergebnis ausgeführte Arbeitsphase, wenn notwendig, ein- oder mehrere Male wiederholt wird, M8 dass nach einem (ein- oder mehrmaligem) Zurücksetzen mit einer Teilrückwirkung einer vorher nicht erfolgreich ausgeführten, aber jetzt erfolgreichen Phase der Zyklus fortgesetzt wird, M9 a. dass ein Zurücksetzen mit einer Teilrückwirkung (einem Teilrückgängigmachen) des Zyklus zu einer vorausgehenden Phase erfolgt, b. um (dann) die nicht ausgeführte oder in nicht akzeptierbarer Weise (wegen physikalischen, funktionalen Parametern oder Kinematiken oder anderen Parametern nicht akzeptierte) ausgeführte Phase erneut zu aktivieren, c. wobei diese Phase nach einem vorbestimmten Diagnoseprogramm modifiziert worden ist, d. um die Durchführung mit einem akzeptierbaren Ergebnis zu erleichtern oder zu gestatten.
Aufgrund dieses übereinstimmenden Verständnisses des Anspruchs 1 kann der geltend gemachte Nichtigkeitsgrund der unzureichenden Offenbarung dahinstehen. Dagegen ist der weitere geltend gemachte Nichtigkeitsgrund der fehlenden Patentfähigkeit begründet. Dabei kann die Neuheit des Verfahrens nach Anspruch 1 unterstellt werden, weil es gegenüber dem aus der Entgegenhaltung EP 0 427 990 A2 (NK1) bekannten Wickelverfahren in Verbindung mit dem Fachwissen des hier zuständigen Fachmannes jedenfalls nicht auf erfinderischer Tätigkeit beruht.
Ebenso wie das Verständnis des Anspruchs 1 gemäß vorstehender Merkmalsgliederung ist es auch unstreitig, dass dessen Merkmale M1 bis M8 vom Fachmann ohne weiteres aus der Druckschrift NK1 entnehmbar sind, vgl. insbesondere Sp. 3, Z. 10 - Sp. 5, Z. 19 sowie die Fig. 3 i. V. m. Sp. 8, Z. 41 - Sp. 12, Z. 19. Sie zeigt - wie das Streitpatent - bereits eine Spulmaschine mit einzelnen Spulstellen, bei denen das Verbinden der auf einer Ringspinnmaschine hergestellten und auf Kopsen aufgewickelten Fäden zur Erzeugung von Kreuzspulen automatisch durchgeführt wird. Der auf einem Kops aufgewickelte Faden enthält eine - verglichen mit der Kreuzspule - geringe Menge an Faden, weshalb die Fäden einer Vielzahl von Kopsen nacheinander durch "Umspulen" zu einer Kreuzspule aufgewickelt werden. Während dieses Umspulens werden Fehler wie Dünn- und Dickstellen oder dgl. aus dem Faden herausgeschnitten. Dazu durchläuft der Faden bei der Spulmaschine nach NK1 den elektronischen Fadenreiniger 27, der den Faden auf Fehler überprüft. Bei Feststellen eines Fehlers wird von der Steuereinrichtung die Klemm- und Schneideinrichtung 28 aktiviert, die den Faden durchtrennt. Daraufhin ist das Fadenlaufsignal im elektronischen Fadenreiniger 27 nicht mehr vorhanden, weil der Faden nicht mehr vom Kops abläuft, was die Spulstelle durch Abschalten des Kreuzspulenantriebs stillsetzt. Das schadhafte Fadenstück des auf die Kreuzspule aufgewickelten Fadenendes wird zurückgeholt, herausgeschnitten und als Abfall abgeführt. Zur Fortsetzung des Spulvorgangs wird das vom Kops kommende Fadenende mit dem Fadenende der Kreuzspule wieder verbunden, wozu ein "Fadenverbindungszyklus" durchgeführt wird (s. Sp. 11, Z. 42-56). Dieser wird auch durchgeführt, wenn der Fadenvorrat eines Kopses aufgebracht ist und nach einem Kopswechsel das Umspulen mit dem Faden des nächsten Kopses weitergeführt wird (s. Sp. 9, Z. 47 - Sp. 10, Z. 31) oder bei Brechen des Fadens während des Umspulens (s. Sp. 3, Z. 47-50).
Das Fadenverbinden besteht aus den Schritten: Suchen und Aufnehmen des vom Kops kommenden Fadenendes (Unterfadenerfassung, s. Sp. 8, Z. 50 - Sp. 9, Z. 31) sowie des mit der Kreuzspule verbundenen Fadenendes (Oberfadenerfassung, s. Sp. 11, Z. 4-41) und das Einlegen von Ober- und Unterfaden in eine Fadenverbindungseinrichtung (i. d. R. eine Spleißvorrichtung), in der die Fadenenden verbunden werden, so dass der Umspulvorgang durch Antrieb der Kreuzspule fortgesetzt werden kann (s. Sp. 11, Z. 42 - Sp. 12, Z. 8). Die einzelnen Phasen des Fadenverbindungszyklus werden dabei von Sensoren überwacht, und zwar sowohl die Position als auch der Erfolg des Vorgangs, was jeweils an die Steuereinheit 42 weitergegeben wird. Die jeweils nächste Phase wird nur gestartet, wenn der vorausgehende Vorgang erfolgreich war. Erkennt der Sensor 45, dass der Unterfaden nicht erfasst ist, erfolgt das ein- oder mehrmalige Wiederholen dieser Phase durch Zurückbringen des Fadenzubringers 24 in die Suchposition. Entsprechend ist das Vorgehen bei der Erfassung des Oberfadens. Auch der Erfolg des Fadenverbindens in der Spleißvorrichtung wird vom Fadenreiniger 27 überprüft, der bei mangelhafter Verbindung die Fortsetzung des Spulvorgangs verhindert.
Mit der bekannten Spulmaschine wird somit entsprechend dem Verständnis der Merkmale M1 bis M8 des Anspruchs 1 gemäß vorstehender Merkmalsgliederung der Spulvorgang nur bei erfolgreicher vorhergehender Phase fortgesetzt, die dazu vollständig oder teilweise ein- oder mehrmals wiederholt werden kann, wobei einerseits unnötige Wiederholungen von Phasen vermieden und andererseits auch nur Teilrücksetzungen von Phasen ermöglicht werden.
Zwischen den Parteien strittig ist aber auch das Merkmal M9, insbesondere M9 c, mit Modifikation "der erneut aktivierten, vorher nicht ausgeführten oder nicht akzeptierten Phase nach einem vorbestimmten Diagnoseprogramm", das der Fachmann jedoch ohne weiteres der NK1 entnimmt.
So wird nach NK1, Fig. 4 i. V. m. Sp. 14, Z. 5-29, nach einer nicht ausgeführten Phase, hier der Oberfadenerfassung, die Position der Saugdüse 34 durch die Steuereinheit 42 mittels der Kurvenscheibenanordnung derart verschoben (von Position 58 zu 58' in Fig. 4), dass sich die Fadensuchzeit verlängert, also die Möglichkeit zur Oberfadenerfassung verbessert. Damit ist - entsprechend dem Merkmal 9 des Anspruchs 1 - mittels eines vorbestimmten Diagnoseprogramms die Phase der Oberfadenerfassung gegenüber der vorausgehenden modifiziert worden. Weitere Modifikationen ei nicht ausgeführter vorheriger Phase sind nach Sp. 14, Z. 30-39, mittels der Steuereinheit 42 durch Verringerung der Rücklaufgeschwindigkeit des Kreuzspulenantriebs (Kehrgewindewalze 37) oder durch kurzes Verharren der Kurvenscheibenanordnung, ebenfalls mit dem Ergebnis der Verlängerung der Fadensuchzeit für den Oberfaden, möglich.
Abgesehen davon, dass die Anwendung derartiger Modifikationen auch bei den anderen Phasen des Spulvorgangs nur eine im konstruktiven Ermessen des Fachmannes liegende Maßnahme darstellt, die er im Bedarfsfall ohne erfinderisches Zutun ausführt, gibt die Druckschrift NK1 auch für Modifikationen bei der Erfassung des Unterfadens entsprechende Hinweise, s. Sp. 4, Z. 1-5 und Z. 53-57.
Die Beklagte wendet ein, dass wegen des Hinweises auf ein Wartungssignal eine Bedienperson zur Fehlerbehebung bei mehrmaliger vergeblicher Oberfadenerfassung nötig sei, s. NK1, Sp. 12, Z. 16-19, wogegen dies erfindungsgemäß automatisch behoben werde. Doch auch nach NK1 wird dies mittels der Steuereinheit automatisch erledigt. Lediglich bei Überschreiten der vorgegebenen Zahl der vergeblichen Versuche der Oberfadenerfassung mit "üblicherweise 2 bzw. 3", s. Sp. 12, Z. 10-16, wird ein Wartungssignal für die Bedienperson ausgelöst, was zur Vermeidung unnötig häufiger Wiederholungen dieser Phase für den Fachmann sinnvoll erscheint.
Die Beklagte wendet ferner ein, für den Fachmann sei es nicht naheliegend, trotz Kenntnis der NK1 zum erfindungsgemäßen Verfahren nach Anspruch 1 mit erfindungsgemäß "voneinander unabhängigen (mechanisch nicht miteinander verbundenen) Antriebsvorrichtungen für die Betriebseinrichtungen der einzelnen Phasen" zu gelangen, wogegen sich die Spulmaschine nach NK1 einer gemeinsamen Kurvenscheibe bediene.
Dem kann sich der Senat nicht anschließen, da - abgesehen davon, dass dies nicht Merkmal des Anspruchs 1 ist, sondern nur aus dem rückbezogenen Anspruch 5 hervorgeht -, auch die Spulmaschine nach NK1 einen jeweils eigenen Antrieb für die Kehrgewindewalze 37 und für die Kurvenscheibenanordnung aufweist. Letztere entsteht aus einzelnen, den anzutreibenden Elementen zugeordneten Kurvenscheiben, deren Gestaltung den alleinigen oder verbundenen Antrieb der anzutreibenden Elemente erlaubt.
Im Übrigen gibt es nach NK1, Sp. 12, Z. 26-41, eine Vielzahl von Betätigungseinrichtungen für die "Betriebseinrichtungen der einzelnen Phasen", wovon sich die Kurvenscheibenanordnungen nach NK1 als zweckmäßig erwiesen haben. Demzufolge liegt es lediglich im konstruktiven Ermessen des Fachmannes, ohne erfinderisches Zutun eine ihm geeignet erscheinende Antriebsvorrichtung für die verschiedenen Betriebseinrichtungen auszuwählen.
Somit liegt für den Fachmann weder in den Merkmalen 1 - 9 des Anspruchs 1 jeweils für sich, noch - mangels einer überraschenden Wirkung - in ihrer Kombination miteinander etwas, das übe fachübliche Tätigkeit hinaus geht und erfinderischer Überlegungen bedarf. Patentanspruch 1 erweist sich daher als nicht patentfähig.
Dies trifft auch auf den Gegenstand des nebengeordneten Anspruchs 4 zu, da er auf den erteilten Anspruch 1 und dessen Verfahrensmerkmale Bezug nimmt und sich dafür üblicher Vorrichtungskomponenten bedient wie Antriebselementen, Steuereinheit mit Miniprozessoren, Sensoren, Wandler usw., so dass auch Patentanspruch 4 keinen Bestand haben kann.
Zu den rückbezogenen Ansprüchen Da die Gegenstände der auf die nebengeordneten Ansprüche 1 und 4 rückbezogenen Unteransprüche nicht als eigenständig erfinderisch verteidigt werden und in ihnen auch nichts erkennbar ist, was eine erfinderische Tätigkeit begründen könnte, fallen sie mit den nebengeordneten Ansprüchen.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 84 Abs. 2 PatG i. V. m. § 91 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf § 99 Abs. 1 PatG i. V. m. § 709 ZPO.
Sredl Henkel Klante Harrer Rothe Be
BPatG:
Urteil v. 29.05.2008
Az: 2 Ni 26/06
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