Bundespatentgericht:
Beschluss vom 26. Juli 2001
Aktenzeichen: 9 W (pat) 76/00

(BPatG: Beschluss v. 26.07.2001, Az.: 9 W (pat) 76/00)

Tenor

Die Beschwerde des Anmelders gegen den Zurückweisungsbeschluß der Prüfungsstelle 11.13 vom 21. Juni 2000 wird zurückgewiesen.

Gründe

I.

Die Prüfungsstelle 11.13 des Deutschen Patent- und Markenamtes hat die am 7. Dezember 1999 eingegangene Patentanmeldung mit der Bezeichnung

"Verfahren zur Änderung des Bewegungsimpulses eines geschlossenen Systems"

im Rahmen der Offensichtlichkeitsprüfung mit Beschluß vom 21. Juni 2000 zurückgewiesen. Zur Begründung führt sie unter Bezugnahme auf ihren Prüfungsbescheid vom 9. März 2000 aus, daß die beanspruchte Vorrichtung offensichtlich vom Patentschutz ausgeschlossen sei. Denn mit dem in der Anmeldung beschriebenen Verfahren sei die angestrebte Wirkung nicht erreichbar, eine Impulsänderung eines Systems zu erzielen, ohne daß irgendeine Kraft von außen auf das System einwirke. Dies stehe nämlich im Widerspruch zu der physikalischen Gesetzmäßigkeit, daß sich der Impuls eines Systems nur dann ändere, wenn äußere Kräfte auf das System einwirkten.

Gegen den Zurückweisungsbeschluß hat der Anmelder Beschwerde eingelegt. Er führt zur Begründung aus, daß beim anmeldungsgemäßen Gegenstand zur Änderung des Bewegungsimpulses Energie eingesetzt werde, so daß es sich nicht um ein Perpetuum mobile handele. Der Impulssatz gelte hier nicht, da eine Rakete in der Relativitätstheorie kein geschlossenes System darstelle. Außerdem verlange er entsprechend seinem Antrag vom 20. Dezember 1999 die Durchführung einer Recherche zu seinem Anmeldungsgegenstand.

Der Anmelder beantragt in Auslegung seines Vorbringens, den angefochtenen Beschluß aufzuheben und das Patent mit den geltenden Unterlagen zu erteilen.

Der geltende, mit Eingabe vom 18. März 2000 eingereichte Patentanspruch lautet:

Verfahren, dadurch gekennzeichnet, dass ein System, beispielsweise ein Auto, ein Schiff, ein Flugzeug oder eine Rakete, mit einer Einrichtung versehen ist, die es ihm ermöglicht, den eigenen Bewegungsimpuls durch Flieh- oder Massenträgheitskräfte zu ändern, ohne dabei direkt durch mechanische Kräfte auf die Umwelt oder ein zweites Massesystem einzuwirken, z.B. durch formschlüssige Verbindungen, Reibungs- oder Rückstoßkräfte;

dass die Impulsänderung ausschließlich von der zur Impulsänderung eingesetzten Kraft F = m * a abhängt und nicht davon, welche Geschwindigkeit das System bereits erreicht hat, d.h., die Geschwindigkeitssteigerung wird lediglich durch die relativistische Massezunahme und die verfügbare Energie begrenzt, nicht aber durch die bei mechanischen Antriebssystemen üblichen Grenzen, die sich dadurch ergeben, dass es mit zunehmender Geschwindigkeit immer schwieriger wird, eine Kraft auf die Umwelt einwirken zu lassen, welche eine Impulsänderung bewirkt.

Hinsichtlich der Einzelheiten wird auf den Akteninhalt verwiesen.

II.

Die statthafte Beschwerde ist frist- und formgerecht eingelegt worden und auch im übrigen zulässig. In der Sache hat sie jedoch keinen Erfolg.

1. Der geltende Patentanspruch enthält lediglich eine Reihe von aufgabenhaften Verfahrensmerkmalen, ohne daß für den zuständigen Fachmann erkennbar ist, mit welchen Mitteln diese aufgabenhaften Verfahrensschritte realisiert werden könnten. Im Patentanspruch bleibt beispielsweise für den Fachmann offen, mit welchen Mitteln Flieh- oder Massenträgheitskräfte erzeugt werden, die eine Änderung des Bewegungsimpulses des Systems ermöglichen. Derartige Mittel sind ihm nämlich aus seinem Fachwissen nicht bekannt. Zur Auslegung des Patentanspruchs sind daher die Beschreibung und die darin beschriebenen Ausführungsbeispiele mit heranzuziehen.

Aus der Beschreibung und den Figuren sind vom Anmelder als "Fliehkraftantrieb" und als "Massenträgheitsantrieb" bezeichnete Antriebe zu entnehmen.

Der "Fliehkraftantrieb" weist eine in einem Antriebssystem gelagerte Scheibe S1 auf, die - von einem Motor M1 angetrieben - um die Achse A1 rotiert. Auf der Scheibe S1 rollt eine weitere Scheibe S2 mit der Masse m2, die über eine Stange K mit der Achse A1 verbunden ist.

Die zweite Scheibe wird auf der ersten Scheibe S1 - vom Motor M2 angetrieben - zwischen den Positionen X und Y hin- und herbewegt. Der Anmelder ist der Auffassung, daß durch die damit verbundene laufende Bahnänderung der Scheibe S2 mit der Masse m2 gerichtete Zentrifugalkräfte aufträten, die zu einer Beschleunigung des Gesamtsystems führten.

Der "Massenträgheitsantrieb" besteht aus einer mit einem Gewinde versehenen Achse A1, auf der ein Rotor eines Motors M1 angeordnet ist. Mit dem Rotor sind zwei Massen m1, m1' jeweils über Stangen verbunden.

Bei Betätigung des Motors M1 bewegt sich sein Rotor auf dem Gewinde nach links. Gleichzeitig werden die Massen m1, m1' nach außen geschleudert. Nach Auffassung des Anmelders wirke der axialen und radialen Bewegung der Massen m1, m1' die Massenträgheitskraft entgegen, die auf das Gehäuse der Einrichtung und damit auf die Achse C-C übertragen werde, die mit dem Gesamtsystem verbunden sei. Sobald der Rotor am Ende der Bahn angekommen sei, werde der Motor M1 abgeschaltet und die Massen würden durch die Federn wieder in ihre Ruhelage zurückgezogen. Anschließend werde das Gesamtsystem um die Achse C-C gedreht und der Vorgang werde in entgegengesetzter Drehrichtung des Rotors wiederholt. Im Unterschied zum bisher bei Raketen verwendeten Rückstoßprinzip werde auf diese Weise ein Antrieb realisiert, dessen Masse nicht mehr abgestoßen werde, sondern im System verbleibe.

2. Mit den angemeldeten Antriebsvorrichtungen kann die angestrebte Wirkung nicht erreicht werden, die Fliehkraft oder Massenträgheitskräfte als Vortriebskräfte zum Antrieb von Autos, Schiffen, Flugzeugen oder Raketen zu nutzen. Die Antriebsvorrichtungen sind folglich technisch nicht brauchbar (vgl BGH BlPMZ, 1985, S 117, 118). Die Erfindung ist im Hinblick auf die angestrebte Wirkung nicht ausführbar und somit dem Patentschutz nicht zugänglich.

Die mit dem Anmeldungsgegenstand beabsichtigte Nutzung der Fliehkraft oder der Massenträgheitskräfte zur Erzeugung einer Vortriebskraft steht nämlich im Widerspruch zum Erhaltungssatz für den linearen Impuls eines Systems von Teilchen, der inhaltlich zum Ausdruck bringt, daß der Gesamtimpuls eines Systems konstant bleibt, wenn die resultierende, am System angreifende äußere Kraft Null ist. Durch innere Kräfte des Systems kann dessen Gesamtimpuls nicht geändert werden. Dieser Satz von der Erhaltung des Gesamtimpulses hat sich bei allen überprüften Fällen immer wieder als richtig erwiesen und wird deshalb von der Fachwelt allgemein anerkannt.

Beim ersten Ausführungsbeispiel der Anmeldung bildet der Rahmen, in dem die Welle A1 gelagert ist, ein in sich geschlossenes System von Bauteilen, da alle Teile direkt oder indirekt in diesem Rahmen gelagert sind. Im zweiten Ausführungsbeispiel sind alle Teile des Systems direkt oder indirekt an der Achse C-C gelagert. In solchen Systemen sind alle darin auftretenden Kräfte - auch die bei der Rotation des Systems auftretenden Fliehkräfte oder die bei einer Beschleunigung von Massen auftretenden Massenträgheitskräfte - als innere Kräfte anzusehen, die jeweils zu ebenfalls ausschließlich innerhalb des Systems wirkenden Reaktionskräften führen. Dies gilt auch für die durch diese Kräfte hervorgerufenen Impulsänderungen der bewegten Teile dieses Systems, die entsprechend zu entgegengesetzt gerichteten Impulsänderungen wiederum nur innerhalb des Systems führen. Der Gesamtimpuls des Systems bleibt durch das Auftreten innerer Kräfte unverändert, so daß eine Nutzung der allein innerhalb des Systems auftretenden Fliehkräfte oder Massenträgheitskräfte als Vortriebskräfte nicht möglich ist.

Entgegen der Auffassung des Anmelders können an diesem Sachverhalt die Erdanziehungskräfte nichts ändern. Dies ergibt sich bereits daraus, daß in den vom Anmelder in seiner Anmeldung angegebenen Formeln keine Größe enthalten ist, die die jeweils wirkende Erdanziehungskraft berücksichtigt. Zwar greift die Erdanziehungskraft an den Antriebssystemen an; diese ermöglicht jedoch lediglich eine einmalige Beschleunigung des Systems in Richtung Erdoberfläche und keine (wiederholte) Beschleunigung des Systems in beliebige Richtungen. Da weitere äußere Kräfte an dem System offensichtlich nicht angreifen, bleiben nach dem Impulserhaltungssatz der Gesamtimpuls des Systems und damit dessen Geschwindigkeit konstant.

Da die Allgemeingültigkeit des Impulserhaltungssatzes auch durch die Vorführung eines Modells nicht widerlegt werden kann, sieht der Senat die vom Anmelder angebotene Vorführung eines Funktionsmodells nicht als sachdienlich an.

3. Die Vorgehensweise der Prüfungsstelle, trotz Vorliegens eines Rechercheantrages keine Recherche durchzuführen, entspricht der ständigen Rechtsprechung. Denn danach geht die Offensichtlichkeitsprüfung einer Patentanmeldung nach § 42 PatG, die unmittelbar nach Eingang einer rechtswirksamen Anmeldung beginnt, der Durchführung einer Recherche nach § 43 PatG voraus. Erst nach Abschluß der Offensichtlichkeitsprüfung und der Beseitigung der in der Offensichtlichkeitsprüfung festgestellten Mängel beginnt die sachliche Prüfung der Anmeldung und die Durchführung der Recherche (Schulte: Patentgesetz, 6. Auflage, § 42, Rdn 27 und § 43, Rdn 23). Die Prüfungsstelle hat im Rahmen der Offensichtlichkeitsprüfung die technische Brauchbarkeit des angemeldeten Gegenstandes verneint. Dieser Mangel wurde nicht behoben, so daß seitens der Prüfungsstelle keine weitere sachliche Prüfung der Anmeldung erfolgen konnte.

Eine Rückzahlung der Recherchegebühr kommt nicht in Betracht (Schulte, aaO, § 43, Rdn 12; BPatGE 16, 33, 34). Denn die Recherchegebühr wird grundsätzlich bereits mit der Stellung eines Rechercheantrages und nicht erst bei Durchführung einer Recherche fällig (§ 43, Abs 2 S 4 PatG).

Petzold Dr. Fuchs-Wissemann Bork Bülskämperprö






BPatG:
Beschluss v. 26.07.2001
Az: 9 W (pat) 76/00


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