Oberlandesgericht Hamm:
Beschluss vom 6. September 2004
Aktenzeichen: 23 W 14/04
(OLG Hamm: Beschluss v. 06.09.2004, Az.: 23 W 14/04)
Der Senat hält an seiner bisherigen Rechtsprechung fest, dass bei unterschiedlichem Prozessausgang für gemeinsam vertreten gewesene Streitgenossen derjenige mit der günstigeren Erstattungsquote gegenüber dem Prozessgegner grundsätzlich den vollen Haftungsanteil ansetzen kann, den der Streitgenosse gemäß § 6 Abs. 2 BRAGO dem gemeinsamen Anwalt schuldet (gegen BGH MDR 2003, 1140 = NJW-RR 2003, 1217 und NJW-RR 2003, 1507)
Tenor
Die Beschwerde wird nach einem Gegenstandswert von 600,36 kostenpflichtig zurückgewiesen.
Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.
Gründe
I.
Durch Urteil des Landgerichts Siegen vom 13. März 2003 wurden die außergerichtlichen Kosten der als Gesamtschuldner verklagt und gemeinsam vertreten gewesenen Beklagten unterschiedlich aufgeteilt. Während die Beklagte zu 1) ihre außergerichtlichen Kosten selbst zu tragen hat, weil die Klage ihr gegenüber im Wesentlichen Erfolg hatte, sind die außergerichtlichen Kosten des obsiegenden Beklagten zu 2) dem Kläger auferlegt worden.
Mit Schriftsatz vom 10. Juni 2003 haben die Beklagten ihre gesamten Anwaltskosten in Höhe von 1.462,28 Euro zur "Festsetzung und Ausgleichung" angemeldet (Bl. 150 d.A.). Die Rechtspflegerin hat hiervon den Haftungsbetrag des Beklagten zu 2) nach § 6 Abs. 2 Satz 1 BRAGO dem gemeinsamen Anwalt gegenüber mit 1.331,50 Euro errechnet und diesen nebst Zinsen durch den angefochtenen Beschluss gegen den Kläger festgesetzt. Mit seiner Beschwerde vertritt der Kläger die Auffassung, der Beklagte zu 2) könne nur die Hälfte der gemeinsamen Anwaltskosten erstattet verlangen.
II.
Die Beschwerde ist unbegründet.
1.
Der Senat vertritt in ständiger Rechtsprechung die Auffassung, dass bei unterschiedlichem Prozessausgang für gemeinsam vertreten gewesene Streitgenossen derjenige mit der günstigeren Erstattungsquote gegenüber dem Prozessgegner grundsätzlich den vollen Haftungsanteil ansetzen kann, den der Streitgenosse dem gemeinsamen Anwalt schuldet (§ 6 Abs. 2 BRAGO). Er hat sich wiederholt mit der Gegenmeinung auseinandergesetzt, die einer Aufteilung der für die Vertretung aller Streitgenossen insgesamt entstandenen Anwaltskosten nach Kopfteilen oder nach Wertanteilen (bei unechten Streitgenossen) für geboten hält, und diese Art der Kostenzurechnung als unvereinbar mit § 91 Abs. 1 S. 1 ZPO abgelehnt.
Die Gegenmeinung ist allerdings im Ansatzpunkt zutreffend, dass von den gemeinsamen Anwaltskosten aller Streitgenossen für einen erstattungsberechtigten Streitgenossen nur derjenige Anteil notwendig im Sinne des § 91 Abs. 1 S. 1 ZPO ist, der ihn letztlich auch belastet. Es widerspräche den tragenden Grundlagen des Kostenrechts, würde der erstattungsberechtigte Streitgenosse mehr Kosten in Ansatz bringen können, als er tatsächlich zu tragen hat. An der Kostenverteilung nach Abschluss eines Verfahrens soll keine Partei verdienen. Daraus folgt indes nicht, dass die Kostenlast der Streitgenossen unter diesen gleichmäßig aufzuteilen wäre. Insbesondere ergibt sich das nicht ohne weiteres aus § 426 Abs. 1 S. 1 BGB, wonach Gesamtschuldner hier also die Streitgenossen im Verhältnis zueinander zu gleichen Anteilen verpflichtet sind, soweit nicht ein anderes bestimmt ist.
Bereits mit Beschluss vom 4. März 1993 (JurBüro 1994, 420) hat der Senat dazu ausgeführt, dass die Zuordnung nach § 426 Abs. 1 S. 1 BGB nur Anwendung finde, wenn jeder andere Verteilungsmaßstab fehle. Es handele sich um eine bloße Hilfsregel, die bei Streitgenossen dadurch verdrängt werde, dass diese im Innenverhältnis selbstverständlich eine Regelung treffen wollten, die ihren Interessen am Besten gerecht werde. Das sei die unter Erstattungsgesichtspunkten ihnen günstigste Kostenverteilung. An einer solchen Aufteilung seien sie nicht gehindert, insbesondere nicht durch § 426 Abs. 1 S. 1 BGB, aber auch nicht durch den Grundsatz der Gerechtigkeit (§ 242 BGB). Der Prozessgegner sei insoweit nicht schutzbedürftig, weil er hierdurch nicht schlechter gestellt werde, als er stünde, wenn der erstattungsberechtigte Streitgenosse einen eigenen Anwalt genommen hätte. Damit sei die gem. § 6 Abs. 2 BRAGO auch im Außenverhältnis zum Prozessgegner mögliche Kostenverteilung die Grundlage seiner Erstattungspflicht nach § 91 Abs. 1 S. 1 ZPO. Es reiche hin, dass diese Anwaltskosten zur Vertretung des erstattungsberechtigten Streitgenossen notwendig gewesen seien. Dafür, dass sie auch noch "zwangsläufig" notwendig gewesen sein müssten, was teilweise vertreten werde, finde sich kein Anhaltspunkt.
2.
Nachdem nunmehr auch der BGH die Gegenmeinung vertritt (MDR 2003, 1140 = NJW-RR 2003, 1217 und NJW-RR 2003, 1507), hat sich der Senat abermals mit der Problematik auseinandergesetzt. Er sieht jedoch keine Veranlassung, von seiner bisherigen Rechtsprechung abzuweichen, weil neue Gesichtspunkte nicht hinzugekommen sind und der BGH sich mit der Argumentation des Senats nicht befasst hat. Vielmehr folgt der BGH ohne erkennbare Diskussion der vom Senat mit ausführlicher Begründung abgelehnten Ansicht, dass die Zuordnung der gemeinsamen Anwaltskosten entsprechend den Beteiligungen der Streitgenossen an dem Rechtsstreit (§ 426 Abs. 1 S. 1 BGB) "den für den Regelfall gesetzlich vorgeschriebenen Ausgleich im Innenverhältnis der Gesamtschuldner" darstelle (MDR a.a.O., S. 1142) und dass eine andere Verteilung "im Verhältnis zum Prozessgegner nicht als notwendig anzuerkennen" sei (MDR a.a.O., S. 1141).
a)
Der Senat vermag nach wie vor keinen Anhaltspunkt dafür zu erkennen, warum die Streitgenossen gehindert sein sollten, ihre gemeinsamen Anwaltskosten im Eigeninteresse bestmöglich zu verteilen. Derartige Hinderungsgründe zeigt auch der BGH nicht auf. Haben die Streitgenossen wie im vorliegenden Fall keine Vereinbarung zur internen Verteilung der gemeinsamen Anwaltskosten getroffen, ist ihr Wille nach allgemeinen Auslegungsgrundsätzen (§§ 133, 157 BGB) aus den Umständen zu ermitteln. Unter Berücksichtigung insbesondere des zivilprozessualen Kostenrechts folgt daraus, dass hier die Beklagten intern die Kostenaufteilung wollen, wie sie von der Rechtspflegerin angenommen worden ist.
Finden mehrere Auftraggeber zusammen, um gemeinsam einen Anwalt mit der Wahrnehmung ihrer Rechte zu betrauen, so bilden sie eine Zweckgemeinschaft, die in aller Regel bedacht ist, ihre Geschäftsbesorgungskosten möglichst gering zu halten. Geht es um eine Angelegenheit, wo Kostenerstattung in Betracht kommt, besteht zwischen ihnen auch eine Risikogemeinschaft (siehe dazu AnwK-RVG/Schnapp, § 7 Rn 43 f). Ihre endgültige Kostenlast im Verhältnis zum eigenen Anwalt hängt letztlich davon ab, inwieweit ihnen Erstattungsansprüche zustehen, um die Vergütung des Anwalts damit abdecken zu können. Aus dieser Interessenverknüpfung resultiert die (stillschweigende) Übereinstimmung, dass intern in erster Linie derjenige Auftraggeber dem gemeinsamen Anwalt gegenüber verpflichtet sein soll, dessen Haftungsanteil nach § 6 Abs. 2 BRAGO durch einen Erstattungsanspruch gedeckt ist. Eine solche Ausgleichung ergibt sich jedenfalls aus der Natur der Sache (BGH NJW 1992, 2286 ff., unter II 3 b).
b)
Bei einer interessengerechten Aufteilung der gemeinsamen Anwaltskosten, die im Außenverhältnis Geltung beanspruchen kann, bleibt der Streitgenosse mit der günstigsten Erstattungsquote auf seinem Haftungsanteil nach § 6 Abs. 2 BRAGO hängen. Hierbei handelt es sich nicht um eine lediglich vorübergehende Belastung, sondern um eine endgültige Kostenzuordnung. Mithin stellt sein Haftungsanteil dem gemeinsamen Anwalt gegenüber die ihm "erwachsenen Kosten" im Sinne des § 91 Abs. 1 S. 1 ZPO dar. Diese erweisen sich auch als notwendig, weil es um die gesetzlichen Gebühren und Auslagen des Rechtsanwalts für seine Rechtsverteidigung geht, die in allen Prozessen erstattungsfähig sind (§ 91 Abs. 2 S. 1 ZPO).
Gleichwohl lehnt der BGH die Notwendigkeit dieser Kosten ab, weil er meint, dass der erstattungsberechtigte Streitgenosse sich hinsichtlich des Anteils, der seine wertmäßige Beteiligung übersteigt, an seine Mitstreiter zu halten habe. Auf diese Weise könne der erstattungsberechtigte Streitgenosse seine Kostenlast reduzieren, weshalb jede Belastung über den wertmäßigen Anteil hinaus nicht als notwendig anzuerkennen sei.
(1)
Diese Auffassung postuliert eine Pflicht des einzelnen Streitgenossen, den eigenen Interessen zuwider handelnd sich dafür einzusetzen, dass der Prozessgegner bestmöglich abrechnen kann. Bestünde keine derartige Verpflichtung im Verhältnis zum Prozessgegner, käme eine Reduzierung des Kostenanteils, der nach interessengerechter Aufteilung im Innenverhältnis auf ihn entfällt, nicht in Betracht. Der BGH scheint diese Pflicht damit begründen zu wollen, dass jede Kostenverteilung im Innenverhältnis der Streitgenossen, die von ihrer wertmäßigen Beteiligung abweiche, eine "Leistung" darstelle, "die im Innenverhältnis zwischen den Streitgenossen "freiwillig", d.h. ohne rechtliche Verpflichtung, erfolgt" (MDR a.a.O.). Indes lässt sich eine den Umständen entsprechende Regelung des Gesamtschuldnerausgleichs nicht als Leistung des einzelnen Gesamtschuldners qualifizieren. Wohl erbrächte der erstattungsberechtigte Streitgenosse eine Leistung zugunsten des Prozessgegners, wenn er sich über die gemeinsamen Interessen aller Streitgenossen hinwegsetzen und versuchen würde, von den anderen einen wertanteiligen Ausgleich zu erlangen. Es mag dahinstehen, ob dieses Vorgehen im Einzelfall erfolgversprechend wäre, da die anderen Streitgenossen gute Gründe anführen können, die zugunsten des Prozessgegners erstrebte Ausgleichung zu verweigern. Nur wenn tatsächlich eine solche Leistungspflicht bestünde, wäre der auf den erstattungsberechtigten Streitgenossen nach allgemeinen Grundsätzen des Gesamtschuldnerausgleichs entfallende Haftungsanteil (§ 6 Abs. 2 BRAGO) keine notwendige Kostenlast. Daran fehlt es aber.
(2)
Eine im Außenverhältnis zum Prozessgegner bestehende Pflicht des erstattungsberechtigten Streitgenossen, den Innenausgleich zu seinen Mitstreitern entgegen der Rechtslage im Innenverhältnis auf eine wertanteilige Kostenlast zu reduzieren, ließe sich allein aus dem Gebot von Treu und Glauben herleiten und würde deshalb eine besondere Schutzbedürftigkeit des Prozessgegners voraussetzen. Dafür lässt sich aber nach wie vor nichts aufzeigen. Vielmehr führt die vom BGH vertretene Ansicht dazu, dass in erster Linie dem Prozessgegner die Vorteile der gemeinsamen Vertretung der Streitgenossen zugute käme, obwohl diese die damit verbundenen Einschränkungen und Nachteile im Verhältnis zu jeweiligen Einzelvertretungen wie etwa einen Verlust an Vertraulichkeit oder die personelle "Einsparung" weiterer Berater (haben) hinnehmen müssen.
Entgegen der nunmehr auch vom BGH (MDR a.a.O.) vertretenen Ansicht verlangt eine Kostengrundentscheidung nach der Baumbachschen Formel keine wertanteilige Aufteilung von gemeinsamen Anwaltskosten. Durch den Kostenausspruch findet nur eine Kostenzuordnung nach der jeweiligen Beteiligung am Gegenstandswert lediglich dem Grunde nach statt. Ob bei dem einzelnen überhaupt Kosten und ggf. in welcher Höhe angefallen sind, hat keinen Einfluss auf die Kostengrundentscheidung. Sie ergeht unabhängig davon, ob nur Einzelvertretungen oder auch Mehrfachvertretungen oder womöglich teilweise überhaupt keine anwaltlichen Vertretungen vorliegen. Zudem kann keine Partei erwarten oder gar darauf vertrauen, auf der aus mehreren Streitgenossen bestehenden Gegenseite außergerichtliche Kosten vorzufinden, die personenbezogen im Verhältnis zu den jeweiligen Wertanteilen vergleichbar hoch sind. Soweit es um Anwaltskosten geht, muss sie stets damit rechnen, dass die gesetzlichen Gebühren und Auslagen Gegenstand einer Kostenerstattung sein können. Das räumt auch der BGH ein, wenn er dem obsiegenden Streitgenossen den vollen Haftungsanteil nach § 6 Abs. 2 BRAGO als Erstattungsforderung zugesteht, falls der andere Streitgenosse ausfällt (MDR a.a.O., S. 1142).
Der BGH berücksichtigt jedoch das Regulierungsinteresse des erstattungsberechtigten Streitgenossen mit der "Ausfallbürgschaft" des Gegners nur unzureichend. Bei einer Einzelvertretung würde der obsiegende Streitgenosse von dem Risiko der Eigenhaftung bei zureichendem Leistungsvermögen des Prozessgegners ohne weiteres gänzlich freigestellt. Warum er im Fall einer Mehrfachvertretung als Kostengläubiger mit diesem Risiko und der Darlegungslast des § 104 Abs. 2 S. 1 ZPO bis hin zur Zahlungsunfähigkeit eines Streitgenossen soll leben müssen (vgl. dazu Schütt in MDR 2004, 137), vermag nicht einzuleuchten. Dazu fehlt auch jedwede Begründung. Andererseits ist nichts dafür ersichtlich, warum der Streitgenosse des Kostengläubigers nur dann von den wirtschaftlichen Vorteilen der Mehrfachvertretung bestmöglich soll profitieren können, wenn er zahlungsunfähig ist. Schließlich hat er ungeachtet seines Leistungsvermögens durch seinen Verzicht auf eine individuelle anwaltliche Vertretung selbst die Voraussetzungen dafür geschaffen, sein Kostenrisiko zu minimieren, während der Gegner nichts dazu beigetragen hat, was Veranlassung geben könnte, ihn im Falle seines Unterliegens von Kosten in Höhe der gesetzlichen Gebühren des Anwalts der obsiegenden Partei zu befreien. Insgesamt belastet die Ansicht des BGH sowohl den obsiegenden als auch den unterlegenen Streitgenossen unbillig, während der Prozessgegner eine Hilfestellung erfährt, für die eine rechtliche Grundlage nicht ersichtlich ist.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO, der Gegenstandswert folgt aus dem Abänderungsbegehren.
Der Senat hat die Rechtsbeschwerde zugelassen, weil er in einer Rechtssache mit grundsätzlicher Bedeutung von der Rechtsprechung des BGH abweicht (§ 574 Abs. 2 Nr. 1 und 2 ZPO).
OLG Hamm:
Beschluss v. 06.09.2004
Az: 23 W 14/04
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