Bundespatentgericht:
Beschluss vom 18. September 2000
Aktenzeichen: 30 W (pat) 97/00

(BPatG: Beschluss v. 18.09.2000, Az.: 30 W (pat) 97/00)

Tenor

Auf die Beschwerde der Markenanmelderin wird der Beschluß der Markenstelle für Klasse 5 des Deutschen Patent- und Markenamts vom 7. Januar 2000 aufgehoben, soweit der angegriffenen Marke wegen des Widerspruchs aus der Marke 2 105 623 die Eintragung versagt worden ist.

Der Widerspruch aus der Marke 2 105 623 wird zurückgewiesen.

Gründe

I.

Zur Eintragung in das Markenregister angemeldet ist für die Waren

"Arzneimittel, pharmazeutische und veterinärmedizinische Erzeugnisse sowie Präparate für die Gesundheitspflege; diätetische Erzeugnisse für Kinder und Kranke; Pflaster, Verbandmaterial; Desinfektionsmittel"

die Bezeichnungratiomed Widerspruch erhoben hat die Inhaberin der rangälteren Marke 2 105 623 Actiomeddie unter anderem für die Waren

"pharmazeutische und veterinärmedizinische Erzeugnisse sowie Präparate für die Gesundheitspflege diätetische Erzeugnisse für medizinische Zwecke, Babykost, Pflaster, Verbandmaterial, ... Desinfektionsmittel"

eingetragen ist.

Die Markenstelle für Klasse 5 des Deutschen Patent- und Markenamts hat eine Verwechslungsgefahr bejaht und der angemeldeten Marke die Eintragung versagt. Die Marken könnten sich auf identischen Waren begegnen, was zu hohen Anforderungen an den Markenabstand führe. Zwar sei die Übereinstimmung in der kennzeichnungsschwachen Zeichenendung "med" eher untergeordnet, die Zeichen würden aber auch im übrigen Annäherungen aufweisen. Diese seien so beträchtlich, daß auch bei einer Erfassung der abweichenden Sinngehalte der lateinischen Begriffe "actio" und "ratio" mit Verwechslungen in rechtserheblichem Ausmaß zu rechnen sei.

Die Anmelderin hat Beschwerde erhoben und darauf hingewiesen, daß bei Arzneimittelkennzeichnungen der Schutzbereich der jeweiligen Marken wegen häufig ähnlicher Wortbildungen gering sei. Da die Zeichenendung "med" markenrechtlich verbraucht sei, werde den übrigen Bestandteilen derart große Aufmerksamkeit zugewendet, daß die Unterschiede hier sowohl klanglich als auch in ihrem Bedeutungsinhalt auffallen werden.

Die Anmelderin beantragt, der Beschwerde stattzugeben und den Widerspruch zurückzuweisen.

Die Widersprechende beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen. Sie hält die Ausführungen der Markenstelle für zutreffend.

Ergänzend wird auf die Schriftsätze der Beteiligten sowie auf den patentamtlichen Beschluß Bezug genommen.

II.

Die Beschwerde ist zulässig und hat in der Sache Erfolg. Zwischen den Marken besteht keine Verwechslungsgefahr im Sinne von § 9 Abs 1 Nr 2 MarkenG.

Da Benutzungsfragen im vorliegenden Fall keine Rolle spielen, ist bei den Waren von der Registerlage auszugehen. Danach können sich die jeweiligen Marken auf identischen Produkten begegnen, was einen deutlichen Abstand der beiden Kennzeichnungen verlangt. Da weder eine Beschränkung auf Rezept- oder auf Apothekenpflicht vorliegt, handelt es sich bei den angesprochenen Verkehrskreisen um den durchschnittlich informierten, aufmerksamen und verständigen Verbraucher, der die betreffende Art der Waren erwirbt (vgl EuGH, MarkenR 1999, 236 - Lloyd/Loints, BGH MarkenR 2000, 140 - ATTACHÉ/TISSERAND). Je nach der Art der Waren kann die Aufmerksamkeit allerdings unterschiedlich hoch sein, was bei Produkten, die die Gesundheit betreffen, bedeutet, daß hier in aller Regel von einer etwas gesteigerten Beobachtung der jeweiligen Produkte und Kennzeichnungen ausgegangen werden kann. Gleichwohl muß auch berücksichtigt werden, daß Kennzeichnungen in aller Regel nicht nebeneinander gesehen, sondern häufig aus der Erinnerung heraus benannt werden und Übereinstimmungen eher im Gedächtnis bleiben als Unterschiede.

Dennoch ist im vorliegenden Fall eine Verwechslungsgefahr unter Berücksichtigung aller für die Beurteilung der Verwechslungsgefahr maßgebenden Gesichtspunkte zu verneinen. Die Kennzeichnungskraft der Widerspruchsmarke ist als zumindest leicht unterdurchschnittlich einzustufen. Der Markenbestandteil "med" ist für sämtliche Widerspruchswaren in hohem Maße beschreibend, denn alle können im medizinischen Bereich Verwendung finden. "Actio" bedeutet "Tätigkeit, Handeln" und weist im medizinischen Bereich auf die Aktion, die funktionelle Leistung eines Organs oder Körperteils hin. Insgesamt ist die Marke aber noch aussagekräftig genug, um zur Unterscheidung der damit gekennzeichneten Waren von Waren anderer Unternehmen zu dienen.

Wie die Markenstelle zutreffend ausgeführt hat, stehen sich "ratiomed" und "Actiomed" rein klanglich betrachtet nahe, denn sowohl Buchstabenzahl, Silbenzahl als auch Silbengliederung sind gleich. Zudem kann die Übereinstimmung in der kennzeichnungsschwachen Endung "med" nicht völlig unberücksichtigt bleiben, denn auch solche schwachen Bestandteile tragen zum Gesamteindruck - auf den bei der Beurteilung der Verwechslungsgefahr abzustellen ist - bei. Zwar können Rechte aus derartigen beschreibenden Zeichenteilen nicht hergeleitet werden, gibt es aber Übereinstimmungen in den übrigen Bereichen, können auch solche beschreibenden Bestandteile zur Begründung einer Verwechslungsgefahr beitragen. Im vorliegenden Fall aber ist eine Verwechslungsgefahr wegen des bei den Vergleichsmarken voneinander abweichenden und auch für den Durchschnittsverbraucher ohne weiteres erkennbaren unterschiedlichen Sinngehaltes nicht gegeben. Das lateinische Wort "actio" (Handlung, Klagerecht, Ausführung) findet sich in der "actio et reactio" (das von Newton formulierte Reaktionsprinzip der Wirkung und Gegenwirkung, vgl Brockhaus, Die Enzyklopädie in 24 Bänden, 20. Aufl, 1. Bd, S 120), sowie - weit weniger bekannt - in juristischen Fachbegriffen zB der "actio libera in causa" (die mit Strafe bedrohte Handlung im Zustand der Schuldunfähigkeit, Brockhaus aaO). Das deutsche Fremdwort "Actio" steht in der Philosophie für "Tätigkeit, Handlung". Geradezu ein Modewort aber ist die aus der englischen Sprache kommende "Action" (die ereignisreiche und spannende Handlung) geworden. Daraus haben sich zahlreiche Wortkombinationen gebildet, so zB der Actionfilm (Western, Abenteuer-, Horror- und Science-Fictionfilm, vgl hierzu Brockhaus, aaO), der Actionthriller, das Actionpainting usw. Das deutsche Wort "Aktion", als Ausdruck für Unternehmen, Vorgehen, Maßnahme udgl, ist ebenfalls in Wortverbindungen häufig anzutreffen, so zB in Aktionismus, Aktionsprogramm, Aktion Sorgenkind bzw Aktion Mensch. Aufgrund der Silbengliederung ist bei der Widerspruchsmarke der Bestandteil "Actio" leicht erkennbar, und er wird von den angesprochenen (durchschnittlich informierten, aufmerksamen und verständigen) Verkehrskreisen auch in seiner Bedeutung erkannt werden, so daß sich als Gedächtnishilfe der Begriff "Aktionsmedizin" anbietet. Ähnliches trifft zu für die angegriffene Marke "ratiomed", bei der auch der Bestandteil "ratio" klar erkennbar ist. Ratio ist ein deutsches Fremdwort und bezeichnet die Vernunft, den Verstand (Duden, Fremdwörterbuch, 6. Aufl, S 686). Auch wenn dieses Wort nicht zur Alltagssprache gehört, so sind dem Durchschnittsverbraucher doch davon abgeleitete Begriffe wie rational, Ration, rationell usw bekannt. In der jüngeren Marke wird der Verbraucher deshalb den Hinweis auf eine "vernünftige Medizin" oder "Vernunftmedizin" erkennen können, was sich vom Bedeutungsinhalt zur Widerspruchsmarke abhebt. Diese erkennbaren Anklänge auf die Art und Weise der angewendeten Medizin erleichtern die Unterscheidbarkeit der beiden Marken hinreichend, so daß - unter Mitberücksichtigung der eher geringeren Kennzeichnungskraft der Widerspruchsmarke deren Schutzbereich nicht mehr verletzt wird.

Die Beschwerde hat deshalb Erfolg.

Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlaßt (§ 71 Abs 1 MarkenG).

Dr. Buchetmann Winter Schwarz-Angele Mü/Hu






BPatG:
Beschluss v. 18.09.2000
Az: 30 W (pat) 97/00


Link zum Urteil:
https://www.admody.com/urteilsdatenbank/515b55e6c4ef/BPatG_Beschluss_vom_18-September-2000_Az_30-W-pat-97-00




Diese Seite teilen (soziale Medien):

LinkedIn+ Social Share Twitter Social Share Facebook Social Share