Verwaltungsgericht Aachen:
Urteil vom 27. Mai 2010
Aktenzeichen: 4 K 90/10
(VG Aachen: Urteil v. 27.05.2010, Az.: 4 K 90/10)
Tenor
1) Soweit der Kläger die gegen den Beklagten zu 1) gerichtete Klage zurückgenommen hat, wird das Verfahren eingestellt. Insoweit hat der Kläger 1/4 der Gerichtskosten und seiner eigenen außergerichtlichen Kosten und die außergerichtlichen Kosten des Beklagten zu 1) zu tragen. Der Beigeladene trägt seine außergerichtlichen Kosten selbst.
2) Der Beklagte zu 2) wird unter Aufhebung seines Beschlusses vom 16. Dezember 2009 verpflichtet, die Feststellung des Ergebnisses der Wahl zum Rat der Stadt Erkelenz vom 1. September 2009 für ungültig zu erklären und eine Neufeststellung anzuordnen.
Der Beklagte zu 2) trägt 3/4 der Gerichtskosten und der außergerichtlichen Kosten des Klägers. Der Beklagte und der Beigeladene tragen ihre außergerichtlichen Kosten selbst.
Ziffer 2) des Urteils ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Dem Beklagten zu 2) wird nachgelassen, die vorläufige Vollstreckung durch Leistung einer Sicherheit in Höhe von 110 % des auf Grund des Urteils für den Kläger vollstreckbaren Betrages abzuwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Die Berufung wird zugelassen.
Tatbestand
Der Kläger ficht als Vorstand des eingetragenen Vereins "Demokratische Initiative Heinsberg" (DIHS) die Feststellung des Ergebnisses der Wahl zum Rat der Stadt Erkelenz an, die im Jahr 2009 stattgefunden und an der die DIHS teilgenommen hat . Er begehrt eine Neufeststellung des Wahlergebnisses, mit der der DIHS ein Sitz im Rat der Stadt Erkelenz zugesprochen wird. Beklagter zu 1) ist der Hauptverwaltungsbeamte, Beklagter zu 2) ist die Vertretungskörperschaft der Stadt Erkelenz.
Nach den Vorschriften des Kommunalwahlgesetzes (KommwahlG) und der Kommunalwahlordnung (KommwahlO) waren in Erkelenz angesichts einer Zahl von über 30.000 und unter 50.000 Einwohnern 44 Vertreter, davon 22 in Wahlbezirken zu wählen.
Nach Durchführung der Ratswahl am 30. August 2009 stellte der Wahlausschuss am 1. September 2009 das Wahlergebnis fest, das der Wahlleiter am 4. September 2009 im Amtsblatt der Stadt Erkelenz wie folgt bekannt gab:
A Wahlberechtigte 36.487 B Wähler 19.600 C Ungültige Stimmen 265 D Gültige Stimmen insgesamt 19.335
Von den gültigen Stimmen entfielen auf
1 Christlich Demokratische Union Deutschlands C D U 8.103 2 Sozialdemokratische Partei Deutschlands S P D 2.941 3 BÜNDNIS 90 / DIE GRÜNEN GRÜNE 3.026 4 Freie Demokratische Partei F D P 1.899 5 DIE LINKE DIE LINKE 441 6 Bürgerpartei Erkelenz 1.483 7 Freie Wähler - UWG Erkelenz 757 8 NPD 220 9 DIHS 219 10 REP 134 11 Für Erkelenz 112
Nach dem amtlichen Endergebnis folgt aus diesen Stimmenzahlen folgende Sitzverteilung:
SITZVERTEILUNG Partei Sitze aus den Wahlbezirken aus den Reservelisten insgesamt C D U 21 0 21 S P D 0 8 8 GRÜNE 1 7 8 F D P 0 5 5 DIE LINKE 0 1 1 Bürgerpartei Erkelenz 0 4 4 Freie Wähler - UWG Erkelenz 0 2 2 NPD 0 1 1 DIHS 0 0 0 REP 0 0 0 Für Erkelenz 0 0 0 --------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------
Zusammen 22 28 50
Gegen diese Feststellung des amtlichen Endergebnisses erhob der Kläger am 8. September 2009 mit einem auf den 9. September 2009 datierten Schreiben Einspruch, mit dem er sinngemäß geltend machte, dass bei ordnungsgemäßer Anwendung des § 33 KommwahlG der DIHS ein Sitz zugesprochen werden müsse. In der Einspruchsschrift bezeichnete Anlagen waren dem Schreiben nicht beigefügt, worauf der Wahlleiter den Kläger mit Schreiben vom 9. September 2009 hinwies.
Mit Anwaltsschriftsatz vom 16. Oktober 2009 ließ der Kläger vortragen, die Sitzzahl der DIHS sei entgegen den zunächst ausgewiesenen Berechnungen ersichtlich rechtsfehlerhaft mit Null anstatt mit Eins festgestellt worden. Daneben bestünden weitere Beanstandungspunkte. Das Losverfahren sei verfrüht erfolgt. Weiter müsse eine erneute Auszählung der Stimmen erfolgen, da Anhaltspunkte für Unregelmäßigkeiten bei der Stimmenauszählung bestünden.
Der Wahlprüfungsausschuss des Beklagten zu 2) beschloss in seiner Sitzung vom 14. Dezember 2009, dem Beklagten zu 2) die Zurückweisung der Einsprüche sowie die Gültigerklärung des am 1. September 2009 festgestellten und am 4. September 2009 amtlich bekannt gemachten Wahlergebnisses zu empfehlen.
Der Beklagte zu 2) wies in seiner Sitzung vom 16. Dezember 2009 den Einspruch des Klägers zurück und stellte fest, dass keiner der in § 40 Abs. 1 lit. a) bis c) KommwahlG genannten Fälle vorliege. Der Ratsbeschluss wurde am 18. Dezember 2009 bekannt gemacht.
Der Kläger hat am 15. Januar 2010 Klage erhoben. Der Losentscheid schaffe eine erhebliche Zugangshürde und stelle eine den Wählerwillen der Minderheitswähler ignorierende demokratiewidrige Zufallsentscheidung dar. Darüber hinaus sei nachfolgend das Divisorverfahren fehlerhaft angewendet worden. Nach der Ausgleichsmandatsverteilung sei es zu einer Erhöhung der Anzahl der zu vergebenden Sitze gekommen, von denen einer der DIHS zustehe. Weiter bestünden Anhaltspunkte für Unregelmäßigkeiten bei der Stimmenauszählung. Der Beklagte zu 1) sei richtiger Klagegegner, da er dem Wahlamt vorstehe, welches die falschen Sitzberechnungen durchgeführt habe.
Nachdem der Kläger in der mündlichen Verhandlung die Klage zurückgenommen hat, soweit sie gegen den Beklagten zu 1) gerichtet war, beantragt er nunmehr,
unter Aufhebung des Beschlusses des Beklagten vom 16. Dezember 2009 den Beklagten zu 2) zu verpflichten, die Feststellung des Ergebnisses der Wahl zum Rat der Stadt Erkelenz vom 1. September 2009 für ungültig zu erklären und eine Neufeststellung anzuordnen.
Der Beklagte zu 2) beantragt,
die Klage abzuweisen.
Eine erneute Auszählung der Stimmen könne der Kläger schon deshalb nicht verlangen, weil er dies nach Ablauf der Einspruchsfrist erstmalig geltend gemacht habe. Der Losentscheid sei ordnungsgemäß durchgeführt worden. Die Berechnung der Sitzverteilung sei ordnungsgemäß nach § 33 KommwahlG in Verbindung mit § 61 KommwahlO erfolgt. § 33 Abs. 3 KommwahlG bezwecke allein die Aufstockung bereits errungener Sitze zum Ausgleich von erzielten Überhangmandaten. Es sei daher korrekt, dass die DIHS, die bei der zunächst nach § 33 Abs. 2 KommwahlG erfolgten Berechnung keinen Sitz erlangt habe, bei der erneuten Berechnung nach Absatz 3 unberücksichtigt geblieben sei. Dies folge eindeutig und verbindlich aus § 61 Abs. 5 KommwahlO. Nach Auffassung der Beklagten und des Innenministeriums NRW scheide aber eine Berücksichtigung der nach § 33 Abs. 2 KommwahlG ausgeschiedenen kleinen Parteien / Wählergruppen und der zu ihren Gunsten abgegebenen Stimmen im Zuteilungsverfahren nach § 33 Abs. 3 KommwahlG auch unabhängig von § 61 Abs. 5 KommwahlO aus. Der heutigen Regelung des § 33 Abs. 4 Satz 3 KommwahlG lasse sich der Wille des Gesetzgebers entnehmen, dass Parteien und Wählergruppen, die im ersten Zuteilungsverfahren nach § 33 Abs. 2 KommwahlG ausgeschieden seien, an späteren Zuteilungsverfahren nicht mehr zu beteiligen seien. Dort werde "für die erneute Berechnung nach Absatz 2" ausdrücklich nur auf "die verbleibenden Parteien" und ihre Stimmenzahl Bezug genommen.
Die Kammer hat mit Beschluss vom 25. März 2010 das Ratsmitglied (Herr ) beigeladen, das im Falle der erstrebten Neufeststellung des Wahlergebnisses sein Mandat zu Gunsten der DIHS verlieren würde.
Der Beigeladene stellt keinen Antrag.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte und den beigezogenen Verwaltungsvorgang des Beklagten Bezug genommen.
Gründe
1. Soweit der Kläger die gegen den Beklagten zu 1) gerichtete Klage zurückgenommen hat, ist das Verfahren gemäß § 92 Abs. 3 Satz 1 VwGO einzustellen; insoweit hat der Kläger gemäß §§ 155 Abs. 2, 162 Abs. 3 VwGO im tenorierten Umfang die Kosten des Verfahrens zu tragen. Es entspricht nicht der Billigkeit, die außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen insoweit für erstattungsfähig zu erklären, weil sich der Beigeladene mangels eigenen Sachantrags keinem eigenen Kostenrisiko ausgesetzt hat.
2. Die Klage hat im aufrecht erhaltenen Umfang Erfolg.
Insoweit ist sie zulässig.
Der Kläger ist für die vorliegende Wahlprüfungsklage aktivlegitimiert, da er zuvor gegen die Feststellung des Wahlergebnisses wirksam Einspruch erhoben hat, §§ 39, 41 des Gesetzes über die Kommunalwahlen im Lande Nordrhein-Westfalen (KommwahlG),
vgl. eingehend Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen (OVG NRW), Urteil vom 8. September 1965 - III A 650/65 - OVGE MüLü 21, 332; seitdem ständige Rechtsprechung.
Die Klage ist als Verpflichtungsklage statthaft, weil sie auf Verpflichtung zum Erlass eines rechtsgestaltenden Verwaltungsakts in Form der Wahlprüfungsentscheidung gerichtet ist,
vgl. OVG NRW, Urteile vom 22. Februar 1991 - 15 A 1518/90 - OVGE MüLü 42, 152 und vom 28. November 1980 - 15 A 1660/80 - OVGE MüLü 35, 144 -; VG Aachen, Urteil vom 16. Juni 2005 - 4 K 4462/04 -.
Ein Vorverfahren hat nach § 41 Abs.1 Satz 3 KommwahlG zutreffend nicht stattgefunden; die Klagefrist des § 41 Abs. 1 Satz 1 KommwahlG wurde eingehalten.
Die Klage ist auch begründet. Die Ablehnung des Beklagten, die Feststellung des Ergebnisses der Wahl zum Rat der Stadt Erkelenz vom 1. September 2009 für ungültig zu erklären und eine Neufeststellung anzuordnen, ist rechtswidrig. Der Kläger hat einen Anspruch auf die vorgenannte Erklärung und Anordnung des Beklagten, § 113 Abs. 5 Satz 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO).
Der Anspruch des Klägers ergibt sich aus §§ 39 Abs. 1 Satz 1, 40 Abs. 1 lit. c) KommwahlG. Danach kann die für das Wahlgebiet zuständige Leitung solcher Parteien und Wählergruppen, die an der Wahl teilgenommen haben, verlangen, dass die neue Vertretung die Feststellung des Wahlergebnisses für ungültig erklärt und eine Neufeststellung anordnet. Dies setzt voraus, dass die Feststellung des Wahlergebnisses nicht gemäß den verbindlichen - weil wirksamen - Vorgaben des nordrheinwestfälischen Kommunalwahlrechts erfolgt ist. Ob darüber hinaus eine Mandatsrelevanz zu fordern ist,
vgl. verneinend: Kallerhoff / von Lennep u. a., Handbuch zum Kommunalwahlrecht in Nordrhein-Westfalen, 2008, Seite 318,
kann vorliegend dahinstehen, weil eine solche gegeben ist.
Allerdings überprüft die Kammer im Rahmen des gerichtlichen Wahlprüfungsverfahrens nicht umfassend alle denkbaren Mängel des festgestellten Wahlergebnisses. Vielmehr ist die gerichtliche Prüfung auf die im Einspruchsverfahren wirksam und substantiiert dargelegten Ungültigkeitsgründe beschränkt,
vgl. eingehend: OVG NRW, Urteil vom 30. April 1991 - 15 A 2036/90 - OVGE MüLü 42, 181 mit zahlreichen weiteren Nachweisen.
Soweit der Kläger mit Schreiben seiner Prozessbevollmächtigten vom 16. Oktober 2009 über die fehlerhafte Anwendung des § 33 KommwahlG hinaus Einwände gegen die Stimmenauszählung geltend gemacht hat, ist das Gericht an deren Überprüfung gehindert, weil diese Einwände erst nach Ablauf der in § 39 Abs. 1 KommwahlG geregelten einmonatigen Einspruchsfrist beim Wahlleiter eingegangen sind.
Die angegriffene Feststellung des Wahlergebnisses ist rechtswidrig, weil sie den Bestimmungen des § 33 KommwahlG insoweit nicht entspricht, als bei der Berechnung der Sitzzuteilung nach § 33 Abs. 3 in Verbindung mit Abs. 2 KommwahlG die Parteien oder Wählergruppen (und die für diese abgegebenen Stimmen) unberücksichtigt geblieben sind, die ohne Vorliegen von Überhang- und Ausgleichsmandaten keinen Ratssitz erlangen würden.
Allerdings ist die Berechnung und Vorgehensweise des Wahlleiters bis zum Losentscheid - einschließlich - zutreffend erfolgt. Die bereinigte Gesamtstimmenzahl im Sinne von § 33 Abs. 1 KommwahlG betrug 19.335. Diese Gesamtstimmenzahl war gemäß § 33 Abs. 2 Satz 7 KommwahlG durch die (erste) Ausgangszahl 44 (= reguläre Gesamtsitzzahl des Rates) zu dividieren, um den (ersten) Zuteilungsdivisor 439,4318 zu erhalten.
Bei Anwendung dieses Divisors ergab sich folgende Sitzverteilung:
Partei Stimmen Divisor ungerundet gerundet
1 C D U 8.103 : 439,4318 = 18,4397 18 2 S P D 2.941 : 439,4318 = 6,6927 7 3 GRÜNE 3.026 : 439,4318 = 6,8861 7 4 F D P 1.899 : 439,4318 = 4,3214 4 5 DIE LINKE 441 : 439,4318 = 1,0035 1 6 Bürgerpartei 1.483 : 439,4318 = 3,3748 3 Erkelenz 7 Freie Wähler 757 : 439,4318 = 1,7226 2 UWG Erkelenz 8 NPD 220 : 439,4318 = 0,5006 1 9 DIHS 219 : 439,4318 = 0,4983 0 10 REP 134 : 439,4318 = 0,3049 0 11 Für Erkelenz 112 : 439,4318 = 0,2548 0 ------------------------------------------------------- 43 Sitze
Da die gerundete Anzahl der zu vergebenden Sitze der Ausgangszahl nicht entsprach, musste der Ausgangsdivisor abgeändert werden (§ 33 Abs. 2 Satz 8 KommwahlG). Der Divisor war auf den nächstfolgenden Divisor herunterzusetzen, bei dessen Anwendung sich eine Gesamtsitzzahl ergibt, die der Ausgangszahl entspricht. Dies ist dann der Fall, wenn derjenige nächstniedrige Divisor gewählt wird, bei dessen Anwendung bei einer Partei oder Wählergruppe die bislang erzielte Zuteilungszahl die nächsthöhere Rundungsgrenze (x,5) erreicht:
1 C D U 8.103 : 18,5 = 438,0000 2 S P D 2.941 : 7,5 = 392,1333 3 GRÜNE 3.026 : 7,5 = 403,4666 4 F D P 1.899 : 4,5 = 422,0000 5 DIE LINKE 441 : 1,5 = 294,0000 6 Bürgerpartei 1.483 : 3,5 = 423,7142 Erkelenz 7 Freie Wähler 757 : 2,5 = 302,8000 UWG Erkelenz 8 NPD 220 : 1,5 = 146,6666 9 DIHS 219 : 0,5 = 438,0000 10 REP 134 : 0,5 = 268,0000 11 Für Erkelenz 112 : 0,5 = 224,0000
Dieser Fall tritt bei den Listen der CDU und der DIHS mit dem exakt identischen nächstniedrigen Divisor von 438,0000 ein.
Die Berechnung mit dem heruntergesetzten Divisor ergab:
Partei Stimmen Divisor ungerundet gerundet
1 C D U 8.103 : 438,0000 = 18,5000 19 2 S P D 2.941 : 438,0000 = 6,7146 7 3 GRÜNE 3.026 : 438,0000 = 6,9086 7 4 F D P 1.899 : 438,0000 = 4,3356 4 5 DIE LINKE 441 : 438,0000 = 1,0068 1 6 Bürgerpartei 1.483 : 438,0000 = 3,3858 3 Erkelenz 7. Freie Wähler 757 : 438,0000 = 1,7283 2 UWG Erkelenz 8 NPD 220 : 438,0000 = 0,5022 1 9 DIHS 219 : 438,0000 = 0,5000 1 10 REP 134 : 438,0000 = 0,3059 0 11 Für Erkelenz 112 : 438,0000 = 0,2557 0 ------------------------------------------------------- 45 Sitze
Da die Ausgangszahl nicht erreicht wurde, war durch Los zwischen den Listen zu entscheiden, die unter Berücksichtigung von 4 Stellen nach dem Komma über gleiche Zahlenbruchteile verfügten (§ 33 Abs. 2 Satz 6 KommwahlG NRW). Hier die CDU (18,5000) und die DIHS (0,5000). Nach Durchführung des von der CDU gewonnenen Losentscheids standen der CDU - grundsätzlich - 19 Sitze im Rat zu.
Die Einwände des Klägers gegen den Losentscheid greifen nicht durch. Im seltenen Falle des Auftretens exakt gleicher Zuteilungszahlen - hier dadurch verursacht, dass die CDU exakt die 37fache Stimmenzahl der DIHS erzielt hat - ist die gesetzliche Regelung, durch Los über die Vergabe des Sitzes zu entscheiden, nicht zu beanstanden. Eine kleinere Parteien oder Wählergruppen stärker belastende Wirkung kommt der Regelung nicht zu, wie auch der vorliegende Fall zeigt, in dem die CDU bei 18 Sitzen je Sitz knapp über 450 Wählerstimmen benötigte, während die DIHS insgesamt nur 219 Stimmen erhalten hat. Der Losentscheid ist gemäß den gesetzlichen Vorgaben durchgeführt worden. Dem Kläger ist allerdings zuzugestehen, dass - ausgehend von seinem Rechtsverständnis - dem Losentscheid letztlich keine Bedeutung zukommen konnte, weil infolge der Überhangmandate der CDU ohnehin eine Sitzverteilung nach § 33 Abs. 3 KommwahlG vorzunehmen war. Die gesetzlichen Regelungen sind jedoch nicht auf bestimmte Wahlergebnisse hin konzipiert, sondern sehen ein allgemeines Berechnungsverfahren vor, das sämtliche Wahlergebnisse erfassen soll. Hätte die CDU bei der Kommunalwahl 19 statt 21 Direktmandate errungen, wäre der Losentscheid für die Frage entscheidungserheblich gewesen, ob es überhaupt zu Überhangmandaten und damit zu einer Berechnung nach § 33 Abs. 3 KommwahlG kommt.
Die Berechnung nach § 33 Abs. 3 KommwahlG ist allerdings fehlerhaft vorgenommen worden. § 33 Abs. 3 KommwahlG trifft Regelungen für den Fall, dass Parteien oder Wählergruppen (durch erfolgreiche Wahlkreisbewerber) mehr Sitze in den Wahlbezirken errungen haben, als ihnen nach dem Verhältnis der Summe der für sie in allen Wahlbezirken zusammen abgegebenen Stimmen zur Gesamtzahl der Stimmen für alle diejenigen Parteien oder Wählergruppen, die jeweils eine Reserveliste gebildet haben, zustehen. § 33 Abs. 3 KommwahlG will diese Überhangmandate ausgleichen. Zu diesem Zweck wird das grundsätzlich in § 33 Abs. 1 und 2 KommwahlG geregelte Sitzzuteilungsverfahren abgeändert. Zunächst wird die sogenannte Ausgangszahl erhöht. Diese Zahl gibt die Anzahl der im Sitzzuteilungsverfahren zu verteilenden Ratssitze an. Nach § 33 Abs. 3 Satz 1 KommwahlG soll die Ausgangszahl um so viele Sitze erhöht werden wie notwendig sind, um auch unter Berücksichtigung der erzielten Mehrsitze (Überhangmandate) eine Sitzverteilung nach dem Verhältnis der Stimmenzahlen zu erreichen. § 33 Abs. 3 Satz 2 KommwahlG bestimmt präzise, wie diese Erhöhung vorzunehmen ist. Es ist zu ermitteln, welche Partei oder Wählergruppe das günstigste Verhältnis zwischen gewonnenen Sitzen einerseits zu den nach dem Verhältnis der erlangten Wählerstimmen zur Gesamtstimmenzahl zustehenden Sitzen (erste Zuteilungszahl) andererseits aufweist. Die Vorschrift bezieht sich bei diesen Rechenvorgaben ausdrücklich auf die Gesamtstimmenzahl nach § 33 Absatz 1 KommwahlG und damit auf die dort definierte bereinigte Gesamtstimmenzahl. § 33 Abs. 3 Satz 2 KommwahlG bestimmt weiter, dass die Anzahl der gewonnenen Sitze (dieser Partei oder Wählergruppe mit dem vorgenannten günstigsten Verhältnis) mit der bereinigten Gesamtstimmenzahl multipliziert und durch die Stimmenzahl dieser Partei oder Wählergruppe dividiert werden soll. Damit wird nach dem Gesetz die zweite Ausgangszahl ermittelt, für die § 33 Abs. 3 Sätze 3 und 4 KommwahlG weitere Rechenregeln vorsehen, die sicherstellen, dass eine ganze und gerade (zweite) Ausgangszahl ermittelt wird. Hieraus ergibt sich folgende Berechnung: 21 (errungene Sitze der CDU) x 19.935 (bereinigte Gesamtstimmenzahl) : 8.103 (Stimmen für CDU) = 50,1 => 50 = Zweite Ausgangszahl. Um die Verteilung der Gesamtsitze auf die Parteien und Wählergruppen vornehmen zu können, muss ein Zuteilungsdivisor bestimmt werden, durch den die jeweils erlangten Wählerstimmen zu dividieren sind. Die Ermittlung dieses Zuteilungsdivisors regelt § 33 Abs. 2 Satz 7 KommwahlG, wonach die Gesamtstimmenzahl durch die Ausgangszahl zu teilen ist. Also ist zu rechnen: 19.935 : 50 mit 386,7000 als neuem Zuteilungsdivisor. Heraus ergibt sich:
Partei Stimmen Divisor ungerundet gerundet
1 C D U 8.103 : 386,7000 = 20,9542 21
2 S P D 2.941 : 386,7000 = 7,6053 8
3 GRÜNE 3.026 : 386,7000 = 7,825 8
4 F D P 1.899 : 386,7000 = 4,9107 5 5 DIE LINKE 441 : 386,7000 = 1,1404 1
6 Bürgerpartei 1.483 : 386,7000 = 3,8350 4 Erkelenz
7 Freie Wähler 757 : 386,7000 = 1,9575 2 UWG Erkelenz
8 NPD 220 : 386,7000 = 0,5689 1
9 DIHS 219 : 386,7000 = 0,5663 1
10 REP 134 : 386,7000 = 0,3465 0
11 Für Erkelenz 112 : 386,7000 = 0,2896 0 ---------------------------------------------------------------------------------------------- 51
Da bei Anwendung dieses Divisors mehr Sitze vergeben würden, als die Ausgangszahl vorgibt, ist nach § 33 Abs. 2 Satz 8 Halbsatz 2 KommwahlG der Divisor soweit zu vergrößern, dass sich bei seiner Anwendung eine Gesamtsitzzahl ergibt, die der Ausgangszahl entspricht. Dies ist dann der Fall, wenn derjenige nächsthöhere Divisor gewählt wird, der bei einer Partei oder Wählergruppe die bislang erzielte Zuteilungszahl unter die Rundungsgrenze von x,5 fallen lässt:
1 C D U 8.103 :20,5 = 395,2682 => 395,2683 2 S P D 2.941 : 7,5 = 392,1333 => 392,1334 3 GRÜNE 3.026 : 7,5 = 403,4666 => 403,4667 4 F D P 1.899 : 4,5 = 422,0000 => 422,0001 5 DIE LINKE 441 : 0,5 = 882,0000 => 882,0001 6 Bürgerpartei 1.483 : 3,5 = 423,7142 => 423,7143 Erkelenz 7 Freie Wähler 757 : 1,5 = 504,6666 => 504,6667 UWG Erkelenz 8 NPD 220 : 0,5 = 440,0000 => 440,0001 9 DIHS 219 : 0,5 = 438,0000 => 438,0001
Hieraus folgt, dass dies bei einem nächsthöheren Divisor von 392,1334 geschieht.
Unter Anwendung dieses Divisors ergibt sich folgende Sitzzuteilung:
Partei Stimmen Divisor ungerundet gerundet 1 C D U 8.103 : 392,1334 = 20,6638 21 2 S P D 2.941 : 392,1334 = 7,4999 7 3 GRÜNE 3.026 : 392,1334 = 7,7167 8 4 F D P 1.899 : 392,1334 = 4,8427 5 5 DIE LINKE 441 : 392,1334 = 1,1246 1 6 Bürgerpartei 1.483 : 392,1334 = 3,7818 4 Erkelenz 7 Freie Wähler 757 : 392,1334 = 1,9304 2 UWG Erkelenz 8 NPD 220 : 392,1334 = 0,5632 1 9 DIHS 219 : 392,1334 = 0,5610 1 10 REP 134 : 392,1334 = 0,3417 0 11 Für Erkelenz 112 : 392,1334 = 0,2856 0 ------------------------------------------------------------------------------------------- 50
Dieses Wahlergebnis ist mit Blick auf die der Partei SPD und der Wählergruppe DIHS zustehenden Sitze nicht zutreffend festgestellt worden.
Entgegen der Auffassung des Beklagten und des Beigeladenen lässt sich das festgestellte Wahlergebnis nicht auf § 61 Abs. 5 Sätze 2 und 3 KommwahlO stützen, die ausdrücklich bei einer durch Überhang- und Ausgleichsmandate erforderlich werdenden Sitzverteilung nach § 33 Abs. 3 KommwahlG die Nichtberücksichtigung von Parteien oder Wählergruppen vorsehen, die bei einer Sitzverteilung ausschließlich nach § 33 Abs. 2 KommwahlG keinen Sitz erlangen würden.
Diese Bestimmungen sind nichtig und daher unanwendbar, weil sie nicht durch die Ermächtigungsgrundlage des § 51 KommwahlG gedeckt sind und auch sonst gegen höherrangiges Recht verstoßen. Eine Rechtsverordnung, die den Rahmen ihrer Ermächtigungsnorm überschreitet, ist insoweit nichtig,
vgl. Geller-Kleinrahm, Die Verfassung des Landes Nordrhein-Westfalen, Kommentar (Loseblattausgabe), Art. 70 Anm. 10. m.w.N.
In § 51 Abs. 1 KommwahlG ist keine ausdrückliche Ermächtigung für den Verordnungsgeber enthalten, zu § 33 KommwahlG sitzverteilungsrelevante Vorschriften zu erlassen, da die letztere Bestimmung nicht in der Liste der Normen des § 51 Abs. 1 KommwahlG aufgeführt ist, zu denen der Innenminister im Wege einer Rechtsverordnung weitere Vorschriften erlassen kann. Eine Ermächtigung lässt sich auch nicht daraus herleiten, dass der Auflistung kein abschließender Charakter zukommt ("insbesondere"). Angesichts der zentralen Bedeutung, die den Regelungen über die Umsetzung von Wählerstimmen in eine Sitzverteilung in jedem Wahlrecht zukommt, bedürfte es jedenfalls einer dem Verordnungsgeber ausdrücklich eingeräumten Ermächtigung zur Modifizierung des in § 33 Kommunalwahlgesetz vorgegebenen Berechnungsverfahrens. Eine solche Ermächtigung an den Verordnungsgeber, eigenständige sitzverteilungsrelevante Bestimmungen zu erlassen, wäre auch nicht zulässig. Denn dies dürfte weder mit der Landesverfassung Nordrhein-Westfalen (Verf NRW) noch mit dem Grundgesetz (GG) in Einklang zu bringen sein. Art. 70 Verf NRW lässt unter Berücksichtigung des auch im Bereich des Wahlrechts geltenden Parlamentsvorbehalts eine solche landesgesetzliche Ermächtigungsgrundlage nicht zu,
vgl. zum Gesetzesvorbehalt im Wahlrecht: BVerfG, Urteil vom 3. März 2009 - 2 BvC 3/07 und 2 BvC 4/07 - BVerfGE 123, 39.
Darüber hinaus ist der Gesetzgeber nach dem in Art. 20 Abs. 3 GG verankerten Gebot der Rechtsstaatlichkeit verpflichtet, die wesentlichen Grundzüge des Wahlrechts, zu denen zentral die Vorschriften über die Umsetzung der Wählerstimmen in eine Sitzverteilung gehören, selbst zu bestimmen,
vgl. grundlegend: Kommentar zum Bonner Grundgesetz (Loseblattausgabe), Art. 80 Rz. 96ff mit zahlreichen Nachweisen zur Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts.
Demzufolge enthält § 51 Abs. 1 KommwahlG auch nur die Ermächtigung an den Innenminister, die zur Ausführung dieses Gesetzes erforderlichen Vorschriften zu erlassen. § 61 Abs. 5 Sätze 2 und 3 KommwahlO führen aber die Bestimmungen des § 33 KommwahlG nicht aus, sondern ändern diese ab. In der Vergangenheit hat der Landesgesetzgeber seine Selbstentscheidungspflicht im Hinblick auf Klauseln, die eine Nichtberücksichtigung von Parteien oder Wählergruppen und der für diese abgegebenen Stimmen vorsehen, auch regelmäßig beachtet und diese Entscheidungen im jeweiligen Kommunalwahlgesetz selbst geregelt,
vgl. § 31 Abs. 6 Kommunalwahlgesetz vom 21. Juni 1960 (GV NW 187); § 31 Abs. 6 Kommunalwahlgesetz vom 5. März 1964 (GV NW 53); § 32 Abs. 6 Kommunalwahlgesetz vom 12. Dezember 1968 (GV NW 480); § 33 Abs. 6 Kommunalwahlgesetz vom 22. Juli 1974 (GV NW 665); § 33 Abs. 1 Kommunalwahlgesetz vom 8. Januar 1979 (GV NW 2); § 33 Abs. 1 Kommunalwahlgesetz vom 15. August 1993 (GV NW 521); § 33 Abs. 1 Kommunalwahlgesetz vom 30. Juni 1998 (GV NW 454); § 33 Abs. 3 Kommunalwahlgesetz in der Fassung des Gesetzes zur Änderung des Kommunalwahlgesetzes vom 9. Oktober 2007 (GV NW 374) - KommwahlG 2007.
Auch die letzte Änderung des Kommunalwahlgesetzes,
vgl. Gesetz zur Änderung des Kommunalwahlgesetzes vom 30. Juni 2009 (GV NW 372),
lässt keine Anhaltspunkte für eine abweichende Handhabung erkennen. Von der Selbstentscheidungspflicht ist der Gesetzgeber nicht abgewichen, indem er die einzige im Gesetz geregelte Nichtberücksichtigungsklausel des § 33 Abs. 3 KommwahlG 2007 ersatzlos gestrichen hat. Unzutreffend ist der Einwand des Beklagten, bei der infolge des Urteils des Verfassungsgerichtshofs vom 16. Dezember 2008,
vgl. Verfassungsgerichtshof NRW, Urteil vom 16. Dezember 2008 - VerfGH 12/08 - www.nrwe.de,
erforderlich gewordenen Änderung des Kommunalwahlgesetzes,
vgl. Gesetz zur Änderung des Kommunalwahlgesetzes vom 30. Juni 2009 (GV NW 372),
seien über den vom Verfassungsgerichtshof für verfassungswidrig erklärten § 33 Abs. 3 Satz 1 KommwahlG 2007 hinaus nur versehentlich auch die Sätze 2 und 3 des Absatzes 3 gestrichen worden, weil - so der Einwand weiter - der Gesetzgeber nicht erkannt habe, dass diese nicht nur Folgeregelungen des § 33 Abs. 3 Satz 1 KommwahlG 2007 gewesen, sondern auch Grundlage für die in § 61 Abs. 5 Sätze 2 und 3 KommwahlO neu vorgesehenen Ausschlussklauseln seien. Schon der Wortlaut des § 33 Abs. 3 Sätze 2 und 3 KommwahlG 2007 ("In diesem Fall..." und "Dabei...") spricht eindeutig gegen einen Anwendungsbereich, der über den Fall des § 33 Abs. 3 Satz 1 KommwahlG 2007 hinausgehen sollte. Der seinerzeitige Anwendungsbereich des § 33 Abs. 3 Satz 1 war nur eröffnet, wenn Parteien oder Wählergruppen eine niedrigere Zuteilungszahl als 1,0 erzielt hatten. Eine Regelung etwa über die Nichtberücksichtigung von Parteien oder Wählergruppen bei der Sitzverteilung in einem infolge von Überhang- und Ausgleichsmandaten vergrößerten Rat hat es in § 33 Abs. 3 Satz 1 KommwahlG nicht gegeben. Dementsprechend würde es § 61 Abs. 5 Sätze 2 und 3 KommwahlO selbst dann an der erforderlichen Ermächtigungsgrundlage fehlen, wenn der Gesetzgeber § 33 Abs. 3 Sätze 2 und 3 KommwahlG 2007 nicht gestrichen hätte.
Wollte man den Verordnungsgeber zu den Regelungen des § 61 Abs. 5 Sätze 2 und 3 KommwahlO für ermächtigt halten, wären diese deshalb nichtig, weil sie mit der gesetzlichen Regelung des § 33 Abs. 3 KommwahlG nicht in Übereinstimmung zu bringen sind. Sie widersprechen dem in § 33 Abs. 3 in Verbindung mit Abs. 1 und 2 KommwahlG schon ihrem Wortlaut nach gesetzlich vorgegebenen Berechnungsverfahren und sind auch mit dem von diesen Vorschriften angestrebten Zweck nicht in Einklang zu bringen. Durch Ausgleichsmandate soll auch unter Berücksichtigung der erzielten Mehrsitze (Überhangmandate) eine Sitzverteilung erreicht werden, die dem Verhältnis der Stimmenzahlen entspricht. Der Gesetzgeber geht hierbei von der bereinigten Gesamtstimmenzahl des § 33 Abs. 1 KommwahlG aus und will daher die Stimmen für die Parteien oder Wählergruppen, die auf der Grundlage der regulären Sitzzahl des Rates nicht zumindest für einen Sitz gereicht haben, nicht unberücksichtigt lassen. Eine den Stimmenanteilen an dieser Gesamtstimmenzahl entsprechende Sitzverteilung kann aber nur erzielt werden, wenn alle Parteien oder Wählergruppen, die eine Reserveliste aufgestellt haben, berücksichtigt werden. Folglich sind die Parteien oder Wählergruppen und die für sie abgegebenen Stimmen auch bei einer Sitzverteilung im vergrößerten Rat einzubeziehen.
§ 61 Abs. 5 Sätze 2 und 3 KommwahlO wären im Falle ihrer Anwendbarkeit schließlich auch deshalb nichtig, weil sie unter Verstoß gegen das Gebot der Gleichheit der Wahl Wählerstimmen unterschiedliche Erfolgswerte beimessen würden, ohne dass hierfür eine erforderliche verfassungsrechtlich relevante Rechtfertigung besteht. Allerdings steht dem Gesetzgeber grundsätzlich eine Gestaltungsfreiheit bei der Wahl des Verfahrens zu, wie Wählerstimmen in Sitze einer Vertretungskörperschaft umgerechnet werden sollen. Systembedingte Differenzierungen im Erfolgswert von Stimmen sind hinzunehmen. Eine Modifizierung, die eine zusätzliche Erfolgswertungleichheit bewirkt, ist aber nur dann verfassungsrechtlich unbedenklich, wenn dafür ein zwingender Grund besteht,
vgl. Verfassungsgerichtshof NRW, Urteil vom 16. Dezember 2008 - VerfGH 12/08 - www.nrwe.de.
Die Regeln des § 61 Abs. 5 Sätze 2 und 3 KommwahlO führen - wie dargestellt - zu anderen Ergebnissen in der Sitzzuteilung als die Berechnung auf der Grundlage des Kommunalwahlgesetzes und sind nicht "systembedingt" im obigen Sinne. Sie wirken der Sache nach wie eine Sperrklausel bei der Sitzverteilung im vergrößerten Rat für diejenigen Parteien und Wählergruppen, die bei einer Berechnung ausschließlich nach § 33 Absatz 2 KommwahlG ohne Sitz bleiben würden. Hierfür fehlt es an einer ausreichenden Rechtfertigung. Das Argument des Beklagten, einer Partei oder Wählergruppe dürfe im Berechnungsverfahren nach § 33 Abs. 3 KommwahlG nicht ein Sitz entzogen werden, weil nach diesem Verfahren nur Sitze "aufgestockt" werden dürften, ist unzutreffend. Das Verteilungsverfahren nach § 33 Abs. 3 KommwahlG sieht keine Aufstockung von Sitzen in dem Sinne vor, dass etwa die nach § 33 Abs. 2 KommwahlG im ersten Schritt errechneten Mandate als feststehend anzusehen wären und diesen allenfalls weitere Sitze hinzugefügt werden könnten, sondern ordnet eine entsprechend dem ersten Rechenschritt vorzunehmende Neuverteilung aller Sitze, nunmehr unter Berücksichtigung der Überhang- und Ausgleichsmandate an. § 33 Abs. 3 Satz 5 KommwahlG macht dies deutlich. Hiernach nehmen ausdrücklich an der weiteren Berechnung und Verteilung auch diejenigen Parteien teil, die mit ihren Überhangmandaten das weitere Berechnungsverfahren gemäß § 33 Abs. 3 KommwahlG ausgelöst haben.
Die nach § 33 Abs. 3 KommwahlG vorzunehmende Berechnung führt auch nicht - wie der Beklagte meint - zu einem Verlust von im ersten Rechenschritt nach § 33 Abs. 2 KommwahlG, also ohne Berücksichtigung von Überhang- und Ausgleichsmandaten, errechneten Sitzen. Zur Ermittlung der Zuteilungszahl werden die Wählerstimmen jeder Partei bzw. Wählergruppe grundsätzlich gleichmäßig durch einen Zuteilungsdivisor dividiert, der bei der Berechnung nach § 33 Abs. 3 KommwahlG gegenüber der nach § 33 Abs. 2 KommwahlG aber verkleinert ist. Die (ungerundete) Zuteilungszahl muss hiernach zwingend höher ausfallen als bei dem Rechenwerk nach § 33 Abs. 2 KommwahlG. Für die SPD bedeutet dies vorliegend, dass sie infolge des Verfahrens nach § 33 Abs. 3 KommwahlG gegenüber der Verteilung nach § 33 Abs. 2 KommwahlG zwar keinen Sitz hinzugewinnt, aber auch keinen Sitz verliert.
Die Meinung des Beklagten und des Beigeladenen, das Verhältnis der Sitzverteilung im Rat zwischen den Parteien und Wählergruppen, wie es sich nach dem ersten Rechenschritt gemäß § 33 Abs. 2 KommwahlG ergebe, müsse gewahrt bleiben und dies zwinge bei der weiteren Berechnung zu einer Nichtberücksichtigung der Parteien und Wählergruppen, denen nach dem ersten Rechenschritt kein Sitz zustünde, hält die Kammer für nicht zutreffend. Die erneute Berechnung nach § 33 Abs. 3 KommwahlG bezweckt eine Veränderung / Anpassung des Verhältnisses der zunächst nach Abs. 2 berechneten Sitzverteilung, um die überhangmandatsbedingte Verzerrung in der Mandatsverteilung auszugleichen. Dieser Zweck ist durch das System des Verhältniswahlrechts vorgegeben, das den für eine Partei oder Wählergruppe abgegebenen Anteil der Stimmen in einem entsprechenden Verhältnis der Ratssitze zur Gesamtsitzzahl des Rates abbilden will.
Schließlich kann entgegen der Auffassung der Prozessbevollmächtigten des Beklagten § 33 Abs. 4 Satz 3 KommwahlG nicht der gesetzgeberische Wille entnommen werden, Parteien oder Wählergruppen, die im ersten Berechnungsschritt nach § 33 Abs. 2 KommwahlG keinen Sitz erhalten haben, sollten im weiteren Zuteilungsverfahren nicht mehr berücksichtigt werden. Die Bestimmungen des § 33 Abs. 4 KommwahlG stehen vielmehr in einem völlig anderen Regelungszusammenhang als die des § 33 Abs. 3 KommwahlG. § 33 Abs. 4 KommwahlG betrifft ausschließlich den Ausnahmefall, dass eine Partei bzw. Wählergruppe, obwohl sie die absolute Mehrheit der Wählerstimmen erhalten hat, nach dem allgemeinen Berechnungsverfahren nicht über die absolute Mehrheit der Sitze verfügt. Durch Absatz 4 soll sichergestellt werden, dass dieser Partei ein Zusatzmandat zugesprochen wird, ohne dass es zu einer Vergrößerung des Rates kommt. Die Verwendung der Formulierung "verbleibenden Parteien und Wählergruppen" ist dabei vor dem Hintergrund zu sehen, dass mit dem Gesetz zur Änderung des Kommunalwahlgesetzes vom 9. Oktober 2007 (GV NRW 374) neben dem § 33 Abs. 5 KommwahlG 2007 (heute: § 33 Abs. 4 KommwahlG) auch die Sperrklausel des § 33 Abs. 3 KommwahlG 2007 neu eingeführt wurde. Der Gesetzgeber wollte offenbar auch für den Fall, dass es zur Anwendung dieser Sperrklausel kommen sollte, die Ermittlung derjenigen Partei oder Wählergruppe eindeutig regeln, die ein Mandat abgeben muss. Dass der Gesetzgeber nach Streichung der Sperrklausel des § 33 Abs. 3 KommwahlG 2007 § 33 Abs. 5 KommwahlG 2007 nicht an die neue Gesetzesfassung angepasst hat, lässt nicht den Schluss zu, dass der ursprünglich an die Sperrklausel anknüpfenden Regelung nunmehr eine eigenständige Bedeutung in einem grundsätzlich anderen Regelungszusammenhang zukommen soll.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 1, 159 Satz 1, 162 Abs. 3 VwGO in Verbindung mit § 100 Abs. 1 ZPO.
Der Ausspruch zur Vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 167 Abs. 1 und 2 VwGO in Verbindung mit §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.
Die Kammer hat die Berufung gemäß §§ 124a Abs. 1 Satz 1, 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO zugelassen, weil die Rechtssache im Hinblick auf die Frage, wie eine Sitzverteilung in den Fällen des § 33 Abs. 3 KommwahlG zu berechnen ist, grundsätzliche Bedeutung hat.
VG Aachen:
Urteil v. 27.05.2010
Az: 4 K 90/10
Link zum Urteil:
https://www.admody.com/urteilsdatenbank/5199baa172ff/VG-Aachen_Urteil_vom_27-Mai-2010_Az_4-K-90-10