Oberlandesgericht Stuttgart:
Beschluss vom 23. September 2011
Aktenzeichen: 2 W 40/11

(OLG Stuttgart: Beschluss v. 23.09.2011, Az.: 2 W 40/11)

Tenor

1. Auf die Anschlussbeschwerde der Gläubigerin vom 22.08.2011 wird unter Aufhebung auch des Tenors II. und III. der Beschluss des Vorsitzenden der 39. Kammer für Handelssachen des Landgerichts Stuttgart vom 03. Juni 2011

g e ä n d e r t .

2. Gegen die Schuldnerin wird wegen Verstoßes gegen das Unterlassungsgebot/ Urteilstenor Ziff. 1. c) des Urteils des Landgerichts Stuttgart vom 25.06.2008 - 39 O 148/07 KfH, in der Fassung des Urteils des Oberlandesgerichts Stuttgart vom 26.03.2009 - 2 U 87/08, ein (weiteres) Ordnungsgeld in Höhe von 7.000,00 EUR verhängt.

3. Die Schuldnerin trägt auch die durch die Anschlussbeschwerde verursachten Kosten des Beschwerdeverfahrens.

4. Die Schuldnerin trägt auch die Kosten des erstinstanzlichen Vollstreckungsverfahrens.

5. Die Rechtsbeschwerde wird in Bezug auf diesen Beschluss (Anschlussbeschwerde) zugelassen.

(Weiterer) Beschwerdewert (Anschlussbeschwerde): 7.000,00 EUR

Gesamtbeschwerdewert: 28.000,00 EUR

Gründe

I.

Die Anschlussbeschwerde ist zulässig, sie hat der Sache nach auch Erfolg.

A

Hinsichtlich des Sachverhaltes wird auf den Beschluss des Senats vom 26.08.2011 verwiesen, durch welchen die sofortige Beschwerde der Schuldnerin vom 15.07.2011 gegen den Ordnungsgeldbeschluss des Vorsitzenden der 39. Kammer für Handelssachen des Landgerichts Stuttgart vom 03.06.2011 zurückgewiesen worden ist (Bl. 452 bis 455).

Die Gläubigerin hatte am 23.08.2011 (der Eingangsstempel vom 23.09.2011 ist ersichtlich falsch) eingehend nicht nur Verwerfung der Beschwerde der Schuldnerin als unzulässig, hilfsweise als unbegründet beantragt, sondern für den Fall der Zulässigkeit des Schuldnerrechtsmittels Anschlussbeschwerde eingelegt, soweit das Landgericht in seinem Beschluss vom 03.06.2011 den Ordnungsgeldantrag (Umsatzangabe) zurückgewiesen hatte, und beantragt:

Der Beschluss des Landgerichts Stuttgart vom 03.06.2011 wird, soweit der Vollstreckungsantrag der Gläubigerin vom 14.01.2011 zurückgewiesen wurde (Tenor II) aufgehoben und gegen die Schuldnerin wird wegen eines Verstoßes gegen das Unterlassungsgebot aus dem Urteil des Landgerichts Stuttgart, AZ: 39 O 148/07 KfH vom 25.06.2008 in der Fassung des Urteils des Oberlandesgerichts Stuttgart vom 26.03.2009, AZ: 2 U 87/08 im Tenor Ziffer 1 lit. c) (in den ersten 10 Jahren mit einem Gesamtumsatz von 129 Millionen DM) ein Ordnungsgeld in Höhe von EUR 7.000,00 verhängt.

Am 23.08.2011 legte das Landgericht die Anschlussbeschwerde dem OLG, hier eingehend am 30.08.2011, vor.

B1.

Die Anschlussbeschwerde (§ 567 Abs. 3 ZPO) ist zulässig.

a)

Ihrer Zulässigkeit steht nicht entgegen, dass sie trotz bereits am 09.08.2011 erfolgter Vorlage der Hauptbeschwerde noch beim Erstgericht eingelegt worden ist (vgl. Lohmann in Prütting/Gehrlein, ZPO [2010], § 567, 16; Jänich in Wieczorek/Schütze, ZPO, 3. Aufl. [2005], § 567, 28; vgl. ferner Ball in Musielak, ZPO, 8. Aufl. [2011], § 567, 24; Heßler in Zöller, ZPO, 28. Aufl. [2011], § 567, 61; Kayser in Hk-ZPO, 2. Aufl. [2007], § 567, 18; anders [dann nur noch Einlegung beim Beschwerdegericht:]: OLG Köln FamRZ 2000, 1027 [zur vormaligen Rechtslage nach § 577 a ZPO]; Reichold in Thomas/Putzo, ZPO, 32. Aufl. [2011], § 567, 21; Wulf in BeckOK-ZPO, § 567 [Stand 01.06.2011], 36; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 69. Aufl. [2011], § 567, 22; Lipp in MünchKomm-ZPO, 3. Aufl. [2007], § 567, 38; Grunsky in Stein/Jonas, ZPO, 21. Aufl. [1994], § 577 a, 6).

b)

Nach der Entscheidung durch das Beschwerdegericht über die Hauptbeschwerde ist eine Anschlussbeschwerde jedoch nicht mehr zulässig (herrschend: OLG Köln a.a.O.; Lohmann a.a.O. § 567, 16; Heßler a.a.O. § 567, 61; Reichold a.a.O. § 567, 22; Wulf a.a.O. § 567, 36; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann a.a.O. § 567, 22; Jänich a.a.O. § 567, 29).

c)aa)

Vorliegend hat der Senat zwar erst nach Einlegung der Anschlussbeschwerde beim Erstgericht, aber vor ihrer Vorlage an ihn entschieden. Zwar wird die Ansicht vertreten, dass die Anschließung erst mit dem Eingang beim Beschwerdegericht wirksam werde (Lipp a.a.O. § 567, 38). Dies gründet jedoch auf der Sicht, dass nach Vorlage der Hauptbeschwerde die Anschlussbeschwerde nur noch beim Beschwerdegericht eingelegt werden könne.

bb)

Hat aber - wie hier - das Beschwerdegericht bei Einlegung der Anschlussbeschwerde noch nicht, aber bei Vorlage an ihn bereits über die Hauptbeschwerde entschieden, ist die Verfahrenslage nicht unähnlich der, dass ein Gericht nicht über alle Anträge entschieden hat und deshalb eine Sachbehandlung gemäß § 321 ZPO (vgl. allg. hierzu BGH NJW 2010, 1148 [Tz. 11]; GRUR 2008, 433 [Tz. 28] - Saugeinlagen; NJW 2006, 1351 [Tz. 9]) geboten ist. Dieses Verfahren auf eine ergänzungsbedürftige Teilentscheidung anzuwenden, kann vorliegend umso eher geschehen, als die Anschlussbeschwerde ohnehin nicht in einem mit der Hauptbeschwerde einheitlichen Beschluss, wenngleich mit einheitlicher Kostenentscheidung, beschieden werden muss (vgl. Wulf a.a.O. 36; Reichold a.a.O. 23; Heßler a.a.O. 61; Lipp a.a.O. 39; Jänich a.a.O. 31).

cc)

Danach kann der Senat über die ihm erst jetzt, zudem in der Frist des § 321 Abs. 2 ZPO zugänglich gemachte Anschlussbeschwerde entscheiden.

Denn auch ihre Bedingtheit macht sie nicht unzulässig, da sie insoweit abhängig gemacht ist von einer verfahrensinternen Bedingung (vgl. hierzu BGH NJW 2011, 1453 [Tz. 21]).

2.

Die Anschlussbeschwerde ist begründet.

a)aa)

Durch Urteil des Landgerichts vom 25.06.2008 (K 1 = Bl. 424) war der Schuldnerin unter Androhung von Ordnungsmitteln u.a. verboten,

im geschäftlichen Verkehr zu Zwecken des Wettbewerbs wie folgt zu werben: ...c) in den ersten zehn Jahren mit einem Gesamtumsatz von 129 Millionen DM

(Tenor Ziff. 1 c), weil die Umsatzangabe im Erstreckungszeitraum von zehn Jahren falsch, und damit irreführend [war], da die Beklagte erst seit 2005 besteht (vgl. Berufungsurteil des Senats [K 2 = Bl. 424 US 12]).

bb)

Die Gläubigerin hatte eine Verletzungshandlung gegen das gerichtliche Verbot in einem späteren Internetauftritt der Schuldnerin dahin gesehen:

129.000.000,00 DM Umsatz wurden von der vormaligen Gewerbegruppe G. M. unter gleicher Geschäftsführung wie heute in den Jahren 1981 bis 1991 erzielt.

Denn es werde damit Rechtsnachfolgeschaft und damit Firmenkontinuität vorgespiegelt. So werde zu Unrecht die Umsatzleistung jenes Unternehmens dem Unternehmen der Schuldnerin zugeschrieben. Dies aber genau sei der Schuldnerin bereits verboten.

cc)

Das Landgericht verneinte in seinem anderweitig stattgebenden Beschluss insoweit die Kerngleichheit, da es im Titel um die Irreführung über die eigene Umsatzgeschichte gegangen sei, hier um den offenen Transfer (Bl. 431 bis 435 [BS 7 bis 8]).

dd)

Mit ihrer Anschlussbeschwerde verfolgt die Gläubigerin die Verhängung eines Ordnungsgeldes in Höhe von 7.000,00 EUR auch insoweit, da eine kerngleiche Abwandlung vorliege, da Prüfungs- und Verbotsgegenstand des Erkenntnisverfahrens die Alterswerbung der Schuldnerin mit Angabe zu geschäftlichen Verhältnissen gewesen sei, die sich nicht auf ihr Unternehmen, sondern ein anderes bezogen hatten. Die neue Werbung behaupte Kontinuität nach bloßer Firmenänderung im Wege der Rechtsnachfolge, zumal die Firmenbezeichnungen identisch seien.

ee)

Die Schuldnerin hatte rechtliches Gehör. Auch ihr war der die Anschlussbeschwerde betreffende Vorlagebeschluss des Landgerichts am 30.08.2011 übersandt worden. Die inzwischen verstrichene Zeit wahrt deren Teilhabemöglichkeit am Verfahren hinreichend (vgl. OLG Celle Nds.Ppfl. 1982, 51; Heßler in Zöller, ZPO, 28. Aufl. [2010], § 572, 9).

b)aa)

Ein Verbotsurteil erfasst auch den kerngleichen Verstoß. Deshalb kann der Antrag von vornherein auch auf kerngleiche Verstöße erstreckt werden. So können nach der Rechtsprechung des BGH Ansprüche auf Unterlassung über die konkrete Verletzungshandlung hinaus gegeben sein, soweit in der erweiterten Form das Charakteristische der Verletzungshandlung noch zum Ausdruck kommt. Dies hat seinen Grund darin, dass eine Verletzungshandlung die Vermutung der Wiederholungsgefahr nicht nur für die identische Verletzungsform, sondern für alle im Kern gleichartigen Verletzungshandlungen begründet (BGH GRUR 2011, 433 [Tz. 27] - Verbotsantrag bei Telefonwerbung; 2010, 855 [Tz. 17] - Folienrollos; 2010, 253 [Tz. 10] - Fischdosendeckel; WM 2010, 1950 [Tz. 51] - GSM-Wandler; Köhler in Köhler/Bornkamm, UWG, 29. Aufl. [2011], § 12, 6.4; Büscher in Fezer, UWG, 2. Aufl. [2010], § 12, 390). Ist das begehrte Verbot aber eng auf die konkrete Verletzungshandlung beschränkt, sind einer erweiternden Auslegung des Unterlassungsantrags und dementsprechend auch der Urteilsformel im Hinblick auf den Sanktionscharakter der Ordnungsmittel des § 890 ZPO ebenfalls enge Grenzen gezogen (BGH GRUR 2010, 454 [Tz. 12] - Klassenlotterie; BGHZ 107, 136 = NJW 1989, 2327 [juris Tz. 24] - Bioäquivalenz-Werbung; Köhler a.a.O. § 12, 6.4; Ahrens in Ahrens, Der Wettbewerbsprozess, 6. Aufl. [2009], Kap. 36, 55; Teplitzky, Wettbewerbsrechtliche Ansprüche und Verfahren, 9. Aufl. [2007], Kap. 57, 12). Zweifel gehen ohnehin zu Lasten des Titelinhabers, da er durch entsprechende Antragsformulierungen die notwendige Verallgemeinerung des Verbots hätte herbeiführen können (Köhler a.a.O. 6.4; vgl. zum engen Kernbereich bei Verbot der konkreten Verletzungsform BGH a.a.O. [Tz. 3, 4, 13 bis 16] - Klassenlotterie; Ahrens a.a.O. 55).

bb)

Der Wertung des Landgerichts vermag der Senat im Ergebnis vorliegend nicht beizutreten. Verboten worden ist vorliegend zwar eine konkrete Verlautbarung ohne verallgemeinernde Wendungen, die Benennung eines Umsatzaufkommens im ersten Jahrzehnt, welches sich nach dem gebotenen Verkehrsverständnis die Beklagte selbst attestierte, was unzutreffend und irreführend war, da sie selbst gerade 3 Jahre bestand. Verboten war die Berühmung mit jenem fremden Umsatzaufkommen als eigenes. So war denn dort auch der Angriff der Klägerin, jetzigen Gläubigerin, die Angaben bezögen sich auf die Beklagte selbst und nicht auf Verhältnisse in Bezug auf deren Geschäftsführer (Bl. 79). Die jetzige werbliche Verlautbarung ist in ihrer Verständnismöglichkeit aber ambivalent gehalten. Ein Teil des angesprochenen Verkehrs wird darin die Angabe des Kompetenztransfers nur vermittelt in der Person des Geschäftsführers sehen. Ein erheblicher Teil wird aber durch diese Mitteilung zur Annahme verleitet werden, dass eine Kompetenzkontinuität im Unternehmen selbst vorliege. Dies geschieht dadurch, dass die ausdrücklich genannte Firmierung weitgehend identisch ist, ebenso der Geschäftsführer, und dass das Adjektiv vormaligen als Umschreibung eines abgeschlossenen, aber auch eines nur gewandelten Unternehmensvorgangs verstanden werden kann; im letzteren Falle als Information über eine Rechtsnachfolge, was durch die Angabe der Kontinuität auf der Führungsebene verstärkt wird. Danach wird jedenfalls auch eine Unternehmenskontinuität werblich transportiert. Damit geschieht aber nichts anderes als das, was in dem vom Titel verbotenen werblichen Ausspruch geschehen war. Hier wird die Unternehmensleistung dem jetzigen Unternehmen nur unter konkreter Benennung von Umständen zugeschrieben, früher (Sachverhalt des Titels) ist sie nur einfach still-schweigend vereinnahmt worden. Heute sagt die Gläubigerin, jener Unternehmenserfolg ist unserer, vormals (Titel): dies ist unser Unternehmenserfolg. Auch bei einem auf die konkrete Verletzungshandlung beschränkten Tenor verbleibt ein, wenngleich enger Verbotskern, der über den konkreten Verstoß hinausgeht. Näher an den durch das Urteil erfassten Verbotskern heranreichen als die vorliegende kann nur eine vollkommen identische Wiederholung jener Werbeaussage. Dem steht auch nicht das Argument des Landgerichts entgegen, dass Streitpunkt im Ordnungsverfahren auch gewesen sei, ob jenes andere Unternehmen tatsächlich jene Umsatzleistung erbracht habe, und der Umstand, dass darüber kein Beweis erhoben worden sei, belege, dass die Vorgänge im fremden Unternehmen nicht Streitgegenstand geworden seien und mithin auch nicht zum Titelinhalt erhoben worden sein können. Der Vorwurf war damals aber nicht, ob vereinnahmte Fremdzahlen richtig waren, sondern dass Fremdzahlen zu Unrecht vereinnahmt worden sind. Dies ist Verbotskern. Dieser ist vorliegend in nahezu identischer Weise betroffen.

c)

Da praktisch eine Wiederholung im Bereich des Verbotskerns vorliegt und damit ein Titelverstoß, ist die Festsetzung eines Ordnungsgeldes geboten.

Insofern gelten ungebrochen die Erwägungen des Landgerichtes zum Verschulden (Fahrlässigkeit) und zur Höhe des Ordnungsmittels im Rahmen der anderen Verstoß-beurteilungen auch hier. Deshalb hat die Gläubigerin in ihrem Antrag auch den vom Landgericht für jeden Verstoß festgesetzten Ordnungsgeldbetrag übernommen.

Dem vermag der Senat ebenfalls zu folgen.

Dies führt zum Erfolg der Anschlussbeschwerde.

II.

Die Kostenentscheidung im Beschluss des Senats zur Hauptbeschwerde bedarf keiner Änderung hinsichtlich des Beschwerdeverfahrens. Die Schuldnerin hat gleichgerichtet nur ergänzend auch die durch die Anschlussbeschwerde verursachten Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.

Da die Gläubigerin in allen vier Ordnungsgeldantragspunkten erstinstanzlich nun obsiegt hat, sind der Schuldnerin die gesamten Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens aufzuerlegen. Insofern ist auch eine Änderung des landgerichtliche Kostenausspruchs geboten.

Der Beschwerdewert erhöht sich durch die Anschlussbeschwerde um weitere 7.000,00 EUR.

Die Rechtsbeschwerde ist statthaft (vgl. Lackmann in Musielak a.a.O. § 890, 20; Seiler in Thomas/Putzo a.a.O. § 891, 4) und wird in Bezug auf die Anschlussbeschwerde zugelassen. Nur in Bezug auf sie ergeben sich die rechtsgrundsätzlichen Fragen, etwa im Zusammenhang mit ihrer Zulässigkeit, und ferner auch mit der Bewertung der Kerntheorie. Die Teilzulassung ist zulässig (vgl. hierzu allg. Ball in Musielak a.a.O. § 543, 11 bis 13; Heßler in Zöller a.a.O. § 543, 19). Angesichts der allgemeinen Vergleichbarkeit der Anschlussbeschwerde mit der Anschlussberufung (Kayser in Hk-ZPO a.a.O. § 567, 18 f) können die dortigen Wertungen zu Zulassungsbeschränkungen übertragen werden.






OLG Stuttgart:
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