Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen:
Urteil vom 10. Juni 1997
Aktenzeichen: 8 A 3853/95
(OVG Nordrhein-Westfalen: Urteil v. 10.06.1997, Az.: 8 A 3853/95)
Tenor
Das angefochtene Urteil wird geändert.
Der Beklagte wird unter entsprechender Ànderung seines Bescheides vom 27. Oktober 1992 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides des Oberkreisdirektors des Kreises P. vom 17. Mai 1993 verpflichtet, die Zuziehung von Rechtsanwalt M. aus P. im Widerspruchsverfahren gegen den Bescheid des Beklagten vom 25. Juni 1992 für notwendig zu erklären und den Betrag der zu erstattenden Gebühren und Auslagen für Rechtsanwalt M. auf 324,90 DM festzusetzen.
Im übrigen werden die Klage abgewiesen und die Berufung zurückgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens beider Rechtszüge werden der Klägerin zu 4/5 und dem Beklagten zu 1/5 auferlegt. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Dem jeweiligen Kostenschuldner wird nachgelassen, die vorläufige Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des jeweils beizutreibenden Betrages abwenden, sofern nicht der jeweilige Kostengläubiger seinerseits vor der Vollstreckung entsprechend Sicherheit leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die 1960 geborene ledige Klägerin ist gelernte
Kinderpflegerin und zur Zeit Hausfrau. Sie hat sechs in den
Jahren 1983, 1986 (Zwillinge), 1988, 1990 und 1992 geborene
Kinder. Die Klägerin lebte mit ihrer Familie bis 1986 in
B. und erhielt dort Hilfe zum Lebensunterhalt. Im Mai 1986
zog die Familie von B. nach P. und erhält seitdem
ebenfalls Hilfe zum Lebensunterhalt.
Nachdem der Beklagte erfahren hatte, daß die Klägerin
Eigentümerin eines Kraftfahrzeuges war, forderte er sie mit
Schreiben vom 18. März 1992 auf, den Kraftfahrzeugbrief, den
Kaufvertrag und einen Versicherungsnachweis vorzulegen, um
prüfen zu können, ob die Klägerin den Lebensunterhalt für sich
und ihre Familie aus eigenem Einkommen und Vermögen beschaffen
könne.
Daraufhin sprach die Klägerin persönlich am 23. März 1992
im Sozialamt des Beklagten vor und reichte den Kreditvertrag
für den Erwerb des Autos, den Abzahlungsplan für den von ihr
aufgenommenen Kredit sowie den Fahrzeugschein und die
Unterlagen über die Kraftfahrzeugversicherung ein. Außerdem
legte sie eine handschriftliche Erklärung über die Gründe für
den Kauf des Autos vor.
Am 20. Mai 1992 wurde dem Sozialamt des Beklagten bekannt,
daß der Vater der sechs Kinder der Klägerin anläßlich eines
beim Arbeitsamt P. am 15. Mai 1992 gestellten Antrages
auf Leistungen nach dem Arbeitsförderungsgesetz mitgeteilt
hatte, er wohne bei der Klägerin.
Daraufhin kürzte der Beklagte in seinem Bescheid vom
25. Mai 1992 die laufende Hilfe zum Lebensunterhalt für die
Monat Juni 1992 um den Regelsatz für die Klägerin in Höhe von
473,- DM und um den Mehrbedarf für Alleinerziehende in Höhe
von 189,20 DM.
Mit Schreiben vom 26. Mai 1992 bat der Beklagte die
Klägerin, "zur Klärung einer Sozialhilfeangelegenheit" bis
spätestens 5. Juni 1992 vorzusprechen. Zugleich wies er sie
darauf hin, daß die Weiterzahlung der Sozialhilfe gefährdet
sei, falls der vorgenannte Termin nicht eingehalten werde.
Am 29. Mai 1992 fragte die Klägerin telefonisch bei dem
Sozialamt des Beklagten an, aus welchem Grund sie mit Datum
vom 26. Mai 1992 angeschrieben worden sei. In dem über das
Telefongespräch unter dem 1. Juni 1992 gefertigten
Aktenvermerk heißt es u.a., der Klägerin sei erklärt worden,
daß stichhaltige Hinweise dafür vorlägen, daß sie in
eheähnlicher Gemeinschaft mit dem Vater ihrer Kinder lebe. Die
Klägerin habe dies bestritten und darauf hingewiesen, daß der
Kindesvater nicht bei ihr wohne.
Am 4. Juni 1992 sprach der Kindesvater persönlich bei dem
Sozialamt des Beklagten vor und gab an, daß er gegenüber dem
Arbeitsamt P. die Adresse der Klägerin nur benutzt
habe, weil der Briefkasten in seiner eigenen Wohnung wegen
eines Umbaus nicht benutzbar gewesen sei. Dieser Umbau sei
jetzt vorbei und der Briefkasten stehe wieder zur
Verfügung.
Ebenfalls am 4. Juni 1992 wandte sich die Klägerin
telefonisch an das Sozialamt des Beklagten und fragte an, ob
sich in ihrer Angelegenheit etwas ergeben habe. Außerdem
erklärte sie, daß ihr der im Juni 1992 einbehaltene Betrag zum
Lebensunterhalt fehle. In dem über dieses Telefongespräch
gefertigten Aktenvermerk vom 10. Juni 1992 heißt es u.a., die
Klägerin sei darauf hingewiesen worden, daß sie ja bisher
genug Geld gehabt habe, um ihr Auto abzuzahlen; da dieses Auto
nicht zum notwendigen Lebensunterhalt gehöre, könne sie das
Geld nun zu ihrem Lebensunterhalt verwenden; die Frage nach
der Bewilligung von Sozialhilfe für den Monat Juli 1992 könne
nicht beantwortet werden, weil hierüber erst Ende Juni 1992 zu
entscheiden sei.
Durch Bescheid vom 25. Juni 1992 stellte der Beklagte die
Bewilligung laufender Hilfe für die Klägerin und ihre Kinder
mit der Begründung ein, daß die Klägerin ihren und den
Lebensunterhalt ihrer Kinder durch eigenes bzw. ihr
zurechenbares Einkommen Dritter sowie durch eigenes Vermögen
sicherstellen könne, weil sie mit dem Kindesvater in
eheähnlicher Gemeinschaft lebe und zu ihrem Vermögen ein
Personenkraftwagen gehöre, der einen Wert von ca. 28.400,- DM
habe.
Die Klägerin beauftragte am 3. Juli 1992 Rechtsanwalt
M. aus P. , ihre Interessen gegenüber dem Sozialamt
des Beklagten wahrzunehmen.
Rechtsanwalt M. legte mit Schriftsatz vom 6. Juli 1992
am 8. Juli 1992 Widerspruch gegen den Bescheid vom 25. Juni
1992 ein und forderte den Beklagten auf, die Einstellung der
Hilfe rückgängig zu machen und die fälligen Sozialhilfebeträge
sofort zu zahlen mit dem Hinweis darauf, daß er hierfür eine
Frist bis zum 10. Juli 1992 notiert habe. Zur weiteren
Begründung führte Rechtsanwalt M. aus, daß die Klägerin
nicht in eheähnlicher Gemeinschaft mit dem Vater ihrer Kinder
zusammenlebe und daß sie auf das Auto angewiesen sei, um ihre
sechs Kinder versorgen zu können.
Am 6. Juli 1992 sprach die Klägerin erneut persönlich bei
dem Sozialamt des Beklagten vor und reichte für den Vater
ihrer Kinder einen Bewilligungsbescheid des Arbeitsamtes
P. , ein Schreiben der Landesversicherungsanstalt über
einen Rentenantrag und einen Mietvertrag über eine Wohnung in
Borchen ein. In dem über die Vorsprache der Klägerin
gefertigten Aktenvermerk vom 8. Juli 1992 heißt es u.a., die
Klägerin habe erklärt, daß der Kindesvater seine Wohnung in
der Bahnhofstraße in P. habe aufgeben müssen, weil der
Vermieter die Zimmer für eigene Angestellte benötigt habe;
daher habe der Vermieter ihm ein entsprechendes Zimmer in
Borchen vermittelt. Im Anschluß an diese Erklärungen der
Klägerin heißt es in dem Aktenvermerk weiter, aufgrund dieses
Mietvertrages könne nicht mehr davon ausgegangen werden, daß
die Klägerin und der Kindesvater in eheähnlicher Gemeinschaft
leben. Der Klägerin sei jedoch dargelegt worden, daß die
Einstellung der Sozialhilfe auch aufgrund ihres Vermögens
geschehen sei und daher eine Wiederaufnahme der Zahlung zur
Zeit nicht möglich sei. Die Klägerin sei aufgefordert worden,
bei der Bank, die den Kredit für das Auto gegeben habe,
nachzufragen, ob eine Entlassung aus dem Vertrag möglich sei.
Aufgrund dieser Aufforderung legte das Autohaus, bei dem
die Klägerin ihren Personenkraftwagen erworben hatte, am
9. Juli 1992 ein Schreiben vor, in dem es u.a. heißt, daß der
Verkauf des Autos wirtschaftlich gegenwärtig nicht zu
empfehlen sei.
Am 12. August 1992 besprach Rechtsanwalt M. die
Angelegenheit telefonisch mit einem Sachbearbeiter des
Sozialamtes des Beklagten.
Durch Bescheid vom 24. August 1992 bewilligte der Beklagte
für die Monate Juli und August 1992 Hilfe zum Lebensunterhalt
in Höhe von insgesamt 2.894,65 DM.
In einem Aktenvermerk des Sozialamtes des Beklagten vom
2. September 1992 heißt es u.a., es könne nicht mehr davon
ausgegangen werden, daß die Klägerin mit dem Vater ihrer
Kinder in eheähnlicher Gemeinschaft lebe. Die Óberprüfung, ob
es sich bei dem Auto der Klägerin um geschütztes Vermögen
handele, habe ergeben, daß unter Berücksichtigung des
Zeitwertes und des Kredites nur ein Erlös von etwa 6.000,- DM
erzielt werden könne und gemäß § 88 Abs. 3 BSHG von einer
Verwertung dieses Vermögens abgesehen werde, zumal die
Klägerin angegeben habe, die Unterhaltungskosten für das Auto
aus dem Erziehungsgeld für die jüngste Tochter und dem
Mehrbedarfszuschlag für Alleinerziehende zu finanzieren.
Durch weiteren Bescheid vom 24. August 1992 bewilligte der
Beklagte für den Monat September 1992 laufende Hilfe zum
Lebensunterhalt in Höhe von 2.143,60 DM.
Durch Bescheid vom 18. September 1992 hob der Beklagte den
Bescheid vom 25. Juni 1992 auf und teilte dies zugleich dem
Verfahrensbevollmächtigten der Klägerin mit.
Dieser beantragte daraufhin unter dem 25. September 1992,
seine Zuziehung im Vorverfahren für notwendig zu erklären
sowie Gebühren und Auslagen in Höhe von 1.608,54 DM auf der
Grundlage eines Jahreswertes für die Hilfe zum Lebensunterhalt
in Höhe von 21.667,80 DM zu erstatten. Der Betrag von
1.608,54 DM setzt sich wie folgt zusammen:
Gebühr § 118 Abs. 1 Nr. 1 BRAGO 7,5/10 685,50 DM
Gebühr § 118 Abs. 1 Nr. 2 BRAGO 7,5/10 685,50 DM
Gebühr § 26 BRAGO 40,00 DM
14 % MWSt 197,54 DM.
Zur Erläuterung der Gebühr nach § 118 Abs. 1 Nr. 2 BRAGO
wies Rechtsanwalt M. darauf hin, daß am 12. August 1992
eine Besprechung mit einem Sachbearbeiter des Sozialamtes
stattgefunden habe.
Der Beklagte lehnte den Antrag vom 25. September 1992 durch
Bescheid vom 27. Oktober 1992 mit der Begründung ab, die
Zuziehung eines Rechtsanwaltes im Vorverfahren sei nicht
notwendig gewesen, denn der am 8. Juli 1992 eingelegte
Widerspruch habe keine rechtlichen Ausführungen enthalten,
sondern lediglich zur weiteren Aufklärung des Sachverhaltes
beigetragen. Diese Aufklärung habe auch durch die Klägerin
persönlich erfolgen können.
Den Widerspruch der Klägerin vom 2. November 1992 wies der
Oberkreisdirektor des Kreises P. durch Bescheid vom
17. Mai 1993 zurück.
Die Klägerin hat am 9. Juni 1993 Klage erhoben und die
Ansicht vertreten, daß es notwendig gewesen sei, nach Erhalt
des Bescheides vom 25. Juni 1992 einen Rechtsanwalt mit der
Wahrnehmung ihrer Interessen zu beauftragen, weil es nach
Einstellung der Sozialhilfe zum 1. Juli 1992 um die Existenz
der gesamten Familie gegangen und sie, die Klägerin, nicht in
der Lage gewesen sei, zu den Rechtsauführungen des Beklagten
in dem Bescheid vom 25. Juni 1992 aus eigener Sachkunde
Stellung zu nehmen.
Die Klägerin hat beantragt,
den Beklagten unter Aufhebung seines
Bescheides vom 27. Oktober 1992 in der
Gestalt des Widerspruchsbescheides des
Oberkreisdirektors des Kreises
P. vom 17. Mai 1993 zu
verpflichten, die Hinzuziehung des
Rechtsanwaltes M. durch die
Klägerin in dem Widerspruchsverfahren
gegen den Bescheid des Beklagten vom
25. Juni 1992 für notwendig zu erklären
und die mit dem Antrag des
Rechtsanwaltes M. vom 23. Oktober
1992 bei dem Beklagten angemeldeten
Kosten des Widerspruchsverfahrens auf
1.608,54 DM festzusetzen.
Der Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er hat die Auffassung vertreten, daß es aus der Sicht der
Klägerin nicht notwendig gewesen sei, einen Rechtsanwalt mit
der Wahrnehmung ihrer Interessen zu beauftragen. Die von ihrem
Anwalt in seinem Widerspruchsschreiben vom 6. Juli 1992
gemachten Angaben seien schon vorher von ihr anläßlich ihrer
persönlichen Vorsprachen vorgetragen worden, so daß es des
Einsatzes eines Anwaltes nicht bedurft habe. Vielmehr habe von
der Klägerin erwartet werden können, daß sie wie bisher auch
ihr Anliegen persönlich bei dem Sozialamt vorgebracht und
gegebenenfalls auch persönlich Widerspruch eingelegt
hätte.
Das Verwaltungsgericht hat die Klage durch Urteil vom
9. Mai 1995 abgewiesen. Auf den Inhalt der Entscheidungsgründe
wird Bezug genommen.
Gegen das ihr am 24. Mai 1995 zugestellte Urteil hat die
Klägerin am 13. Juni 1995 Berufung eingelegt.
Sie wiederholt und vertieft ihr bisheriges Vorbringen zur
Notwendigkeit der Zuziehung ihres Rechtsanwaltes im
Vorverfahren und führt ergänzend aus, daß die Höhe der ihrem
Rechtsanwalt zu erstattenden Gebühren und Auslagen danach
bemessen werden müsse, daß der Beklagte mit seinem Bescheid
vom 25. Juni 1992 die Weiterbewilligung von Hilfe zum
Lebensunterhalt mit Wirkung vom 1. Juli 1992 auf Dauer
abgelehnt habe. Dies rechtfertige es, zumindest den
Jahresbetrag der Sozialhilfeleistungen als Berechnungsmaßstab
für die Höhe der Gebühren und Auslagen zugrunde zu legen.
Dagegen könne nicht darauf abgestellt werden, daß der Beklagte
die Bewilligung laufender Hilfe zum Lebensunterhalt zum
1. September 1992 wieder aufgenommen und die zunächst nicht
geleisteten Zahlungen für die Monate Juli und August 1992
nachbewilligt habe.
Die Klägerin beantragt sinngemäß,
das angefochtene Urteil zu ändern und
nach ihrem in erster Instanz gestellten
Antrag zu erkennen.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er hält die Zuziehung eines Rechtsanwaltes für das
Widerspruchsverfahren im Anschluß an die Begründung des
angefochtenen Urteils nicht für notwendig und vertritt
hilfsweise zur Höhe der von der Klägerin geltend gemachten
Aufwendungen die Ansicht, daß die Klägerin und ihre Kinder nur
in den Monaten Juli und August 1992 zunächst einmal keine
Hilfe erhalten hätten, so daß sich die Höhe des Honorars für
den beauftragten Anwalt an der Höhe der zunächst nicht
erbrachten Leistungen orientieren müsse.
Der Senat hat der Klägerin durch Beschluß vom 7. Mai 1996
für das Berufungsverfahren Prozeßkostenhilfe ohne Ratenzahlung
bewilligt, soweit es um die Festsetzung von Gebühren und
Auslagen in Höhe von 437,58 DM geht. Auf die Gründe des
Beschlusses wird Bezug genommen.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne
mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des
Vorbringens der Beteiligten wird Bezug genommen auf den Inhalt
der Gerichtsakten und der Verwaltungsvorgänge des Beklagten.
Gründe
Der Senat entscheidet über die Berufung der Klägerin mit
Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung
(§ 125 Abs. 1 Satz 1 iVm § 101 Abs. 2 VwGO).
Die Berufung hat in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang
Erfolg.
Die Klage ist nur teilweise begründet. Die Zuziehung von
Rechtsanwalt M. aus P. im Widerspruchsverfahren
gegen den Bescheid des Beklagten vom 25. Juni 1992 war
notwendig. Seine Gebühren und Auslagen sind allerdings nicht
in der von ihm beantragten Höhe von 1.608,54 DM, sondern nur
in Höhe von 324,90 DM festzusetzen.
Soweit ein Widerspruch erfolgreich ist, hat der
Rechtsträger, dessen Behörde den angefochtenen Verwaltungsakt
erlassen hat, demjenigen, der Widerspruch erhoben hat, gemäß
§ 63 Abs. 1 Satz 1 des Zehnten Buches des Sozialgesetzbuches
(SGB X) die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder
Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen zu erstatten. Die
Gebühren und Auslagen eines Rechtsanwaltes im Vorverfahren
sind gemäß § 63 Abs. 2 SGB X erstattungsfähig, wenn die
Zuziehung eines Bevollmächtigten notwendig war. Die Behörde,
die die Kostenentscheidung getroffen hat, setzt auf Antrag
gemäß § 63 Abs. 3 Satz 1 Halbsatz 1 SGB X den Betrag der zu
erstattenden Aufwendung fest. Die Kostenentscheidung bestimmt
nach § 63 Abs. 3 Satz 2 SGB X auch, ob die Zuziehung eines
Rechtsanwaltes notwendig war.
Die Zuziehung eines Bevollmächtigten im Vorverfahren ist
notwendig, wenn es der Partei nach ihren persönlichen
Verhältnissen und der Schwierigkeit der Sache nicht zuzumuten
ist, das Vorverfahren selbst zu führen.
BVerwG, Urteil vom 26. Februar 1993
- 8 C 68.91 -, Buchholz,
Gliederungsnummer 316 § 80 VwVfG
Nr. 34, und Urteil vom 22. Januar 1997
- 8 C 39.95 -.
Maßgebend ist, ob sich ein vernünftiger Bürger mit gleichem
Bildungs- und Erfahrungsstand bei der gegebenen Sachlage eines
Rechtsanwaltes bedient hätte.
Vgl. BVerwG, Urteil vom 14. August
1987 - 8 C 129.84 -, Buchholz, aaO.,
Nr. 25; Urteil vom 26. Januar 1996
- 8 C 15.95 -, Buchholz, aaO., Nr. 36;
OVG NW, Urteil vom 7. August 1990
- 8 A 1571/88 -, Nordrhein-Westfälische
Verwaltungsblätter (NW VBl) 1991, 96,
und Urteil vom 28. November 1995
- 8 A 5370/94 -.
Maßgebender Zeitpunkt für die Beurteilung der Frage, ob es
für den Bürger zumutbar ist, das Vorverfahren selbst zu
führen, ist der der Hinzuziehung des Rechtsanwaltes, d.h.
seine förmliche Bevollmächtigung.
Vgl. BVerwG, Urteil vom 18. April
1988 - 6 C 41.85 -, Buchholz, aaO.,
Nr. 26; Urteil vom 26. Januar 1996
- 8 C 15.95 -, Buchholz, aaO., Nr. 36
und Urteil vom 22. Januar 1997
- 8 C 39.95 -.
Nach diesen Maßstäben war es für die Klägerin notwendig,
Rechtsanwalt M. am 3. Juli 1992 im Widerspruchsverfahren
gegen den Bescheid des Beklagten vom 25. Juni 1992 zu
beauftragen, ihre und die Interessen ihrer Kinder gegenüber
dem Beklagten wahrzunehmen.
Aus der Sicht der Klägerin stellte sich die Sachlage nach
Erhalt dieses Bescheides so dar, daß alle bisherigen
persönlichen Vorsprachen und Telefongespräche sowie die aus
Anlaß der Vorsprachen eingereichten Unterlagen den Beklagten
nicht davon abgehalten hatten, die bisher bewilligten
Leistungen in vollem Umfang einzustellen. Auch hatte der
Beklagte in seinem Bescheid vom 25. Juni 1992
Rechtsausführungen unter Angabe der einschlägigen Vorschriften
des Bundessozialhilfegesetzes gemacht. Es war für die Klägerin
schon in tatsächlicher Hinsicht schwierig zu beurteilen, wie
sie sich zur Sache einlassen sollte, um den vom Beklagten für
entscheidungserheblich gehaltenen Gesichtspunkten der
eheähnlichen Gemeinschaft mit dem Kindesvater und der Nutzung
eines Autos mit Erfolg entgegentreten zu können. Zudem konnte
die rechtsunkundige Klägerin die rechtliche Bedeutung und
Tragweite der Angelegenheit nicht einschätzen. Auch hatte sie
keine Zeit, persönlich Widerspruch einzulegen und diesen
ausführlich zu begründen, weil sie sich um ihre sechs Kinder
kümmern mußte, wobei für die Klägerin erschwerend hinzu kam,
daß das sechste Kind gerade erst, am 14. Mai 1992, geboren
worden war. Aus ihrer Sicht ergab sich die besondere Bedeutung
des Bescheides vom 25. Juni 1992 vor allem daraus, daß der
Beklagte alle Leistungen zum 1. Juli 1992 einstellen wollte
und mit dieser Entscheidung die Existenz der Klägerin und
ihrer Kinder gefährdet war. Der Umstand, daß sie seit Jahren
in der sozialhilferechtlichen Betreuung des Sozialamtes des
Beklagten stand, konnte kein Anlaß sein, auch nach Erhalt des
Bescheides vom 25. Juni 1992 ohne Anwalt Rechtsmittel
einzulegen, weil es zu diesem Zeitpunkt nicht mehr darum ging,
den Sachverhalt (weiter) aufzuklären, sondern es nunmehr
maßgebend auf eine rechtliche Bewertung und Argumentation
ankam. Bei dieser Sachlage war es aus der Sicht der Klägerin
notwendig, am 3. Juli 1992 einen Rechtsanwalt mit der
Wahrnehmung ihrer Interessen zu beauftragen.
Erstattungspflichtig im Sinne des § 63 Abs. 2 SGB X sind
allerdings nur die Gebühren und Auslagen des Rechtsanwaltes,
die ihm gebührenrechtlich auch zustehen. Gemäß § 7 Abs. 1 der
Bundesrechtsanwaltsgebührenordnung (BRAGO) werden die
Gebühren, soweit dieses Gesetz nichts anderes bestimmt, nach
dem Wert berechnet, den der Gegenstand der anwaltlichen
Tätigkeit hat (Gegenstandswert). Soweit sich die
Gerichtsgebühren eines Rechtsanwaltes nach dem Wert richten,
bestimmt sich der Gegenstandswert im gerichtlichen Verfahren
gemäß § 8 Abs. 1 Satz 1 BRAGO nach den für die
Gerichtsgebühren geltenden Wertvorschriften. Diese
Wertvorschriften gelten gemäß § 8 Abs. 1 Satz 2 BRAGO
sinngemäß auch für die Tätigkeit außerhalb eines gerichtlichen
Verfahrens, wenn - wie hier - der Gegenstand der Tätigkeit
auch Gegenstand eines gerichtlichen Verfahrens sein könnte. In
Streitigkeiten dieser Art gelten in entsprechender Anwendung
des § 8 Abs. 1 Satz 2 BRAGO die Wertvorschriften für das
gerichtliche Verfahren. Demgemäß ergibt sich der Wert des
Gegenstandes der anwaltlichen Tätigkeit für das Vorverfahren
in entsprechender Anwendung des § 13 Abs. 1 Satz 1 des
Gerichtskostengesetzes (GKG) nach der sich aus dem Antrag für
den Rechtsmittelführer ergebenden Bedeutung der Sache nach
Ermessen. Nach der ständigen Rechtsprechung der mit
sozialhilferechtlichen Streitigkeiten befaßten Senate des OVG
NW ist, wenn es um die Verpflichtung der Sozialhilfebehörde
zur Gewährung laufender Sozialhilfeleistungen geht, in
entsprechender Anwendung des § 17 Abs. 1 Satz 1 GKG der
Jahresbetrag der geforderten Leistungen zugrunde zu legen,
wenn nicht der Gesamtbetrag geringer ist.
Vgl. u.a. den Beschluß vom 6.
Dezember 1995 - 8 E 1015/95 -.
Hieran anknüpfend liegt der von der Klägerin in dem
erfolgreichen Widerspruchsverfahren geforderte Gesamtbetrag
unter dem Jahresbetrag der der Klägerin und ihren Kindern
gesetzlich zustehenden laufenden Hilfe zum Lebensunterhalt.
Der Widerspruch der Klägerin vom 6. Juli 1992 richtete sich
gegen den Bescheid des Beklagten vom 25. Juni 1992. Darin
hatte der Beklagte entschieden, die laufende Hilfe zum
Lebensunterhalt für die Klägerin und ihre Kinder zum 1. Juli
1992 einzustellen. Die Bewilligung von Sozialhilfe ist keine
rentengleiche Dauerleistung. Sie wird vielmehr mit Rücksicht
auf das Ziel der Sozialhilfe, eine gegenwärtige Notlage des
Hilfesuchenden zu beseitigen, zeitabschnittsweise - in der
Regel für die Dauer eines Monats - bewilligt.
Vgl. BVerwG, Urteil vom 18. Januar
1979 - 5 C 4.78 -, Fürsorgerechtliche
Entscheidungen der Verwaltungs- und
Sozialgerichte (FEVS) 27, 229; Urteil
vom 26. September 1991 - 5 C 14.87 -,
FEVS 43, 1; OVG NW, Urteil vom
19. November 1993 - 8 A 278/92 -, FEVS
45, 58, 65.
Deshalb bestimmt der Bescheid eines Sozialamtes, in dem die
bisher bewilligte laufende Hilfe zum Lebensunterhalt
eingestellt wird, in der Regel, daß die Voraussetzungen für
die Bewilligung dieser Leistungen für den auf den Erlaß des
Einstellungsbescheides nächstfolgenden Monat nicht (mehr)
vorliegen. Der Bescheid des Beklagten vom 25. Juni 1992
regelte mithin gleichsam spiegelbildlich zur Bewilligung, daß
laufende Hilfe zum Lebensunterhalt für den Monat Juli 1992
nicht gewährt werden sollte. Dies war auch aus der Sicht der
Klägerin der Inhalt dieses Bescheides, denn ihr war bekannt,
daß sie in der Vergangenheit laufende Hilfe zum
Lebensunterhalt vom Beklagten jeweils durch auf den einzelnen
Monat abstellende Bescheide erhalten hatte, mithin auch aus
ihrer Sicht klar war, daß die laufende Hilfe zum
Lebensunterhalt Monat für Monat neu bewilligt wurde.
Hinzu kommt, daß der Beklagte in der Begründung seines
Bescheides nur auf den gegenwärtigen Zeitraum, d.h. auf den
Monat Juli 1992, abstellen wollte, denn es heißt in dem
Bescheid ausdrücklich, daß Hilfebedürftigkeit im Sinne des
BSHG zur Zeit nicht gegeben sei. Aus dieser Formulierung war
für die Klägerin erkennbar, daß der Beklagte in seinem
Bescheid vom 25. Juni 1992 zunächst nur für den nachfolgenden
Monat laufende Hilfe zum Lebensunterhalt ablehnen wollte.
Diese zeitliche Begrenzung ist auch von dem Rechtsanwalt
der Klägerin so gesehen worden, denn er hat den Beklagten in
seinem Widerspruch vom 6. Juli 1992 aufgefordert, die fälligen
Sozialhilfebeträge fortzuzahlen. Die Verwendung des Wortes
"fällig" durch einen Anwalt konnte wiederum aus der Sicht des
Beklagten nur bedeuten, daß es anfangs nur um die laufende
Hilfe zum Lebensunterhalt für den Monat Juli 1992 ging, denn
über diesen Monat hinaus waren keine Sozialhilfeleistungen
fällig. Hinzu kommt, daß der Rechtsanwalt der Klägerin dem
Beklagten eine Frist bis zum 10. Juli 1992 gesetzt hat. Auch
diese kurze Frist läßt den Schluß zu, daß dem Anwalt bekannt
war, daß nur um die Weiterbewilligung der Hilfe zum
Lebensunterhalt für den Monat Juli 1992 gestritten werden
sollte. Der Wert des Gegenstandes für das Vorverfahren bemißt
sich somit zunächst einmal nach der der Klägerin und ihren
Kindern zustehenden laufenden Hilfe zum Lebensunterhalt in
gesetzlicher Höhe für den Monat Juli 1992.
Da der Beklagte auch im August 1992 keine Leistungen
erbrachte, mußte Rechtsanwalt M. über den Monat Juli 1992
hinaus für die Klägerin tätig werden. Dies geschah durch eine
telefonische Besprechung mit einem Sachbearbeiter im Sozialamt
des Beklagten am 12. August 1992. Mithin war Gegenstand der
anwaltlichen Tätigkeit im Widerspruchsverfahren der Zeitraum
Juli/August 1992 und die für diesen Zeitraum nachbewilligte
Sozialhilfe in Höhe von 2.854,65 DM.
Die Gebühren und Auslagen von Rechtsanwalt M. berechnen
sich nach dem für die Monate Juli und August 1992 durch
Bescheid vom 24. August 1992 bewilligten Betrag von
2.854,65 DM auf der Grundlage der im Juli 1992 geltenden
Fassung der Bundesrechtsanwaltsgebührenordnung durch Art. 3
Nr. 2 des Gesetzes zur Ànderung von Kostengesetzen vom
9. Dezember 1986, BGBl. I S. 2326.
Danach betrug eine Gebühr bei einem Gegenstandswert
zwischen 2.700,- DM und 3.000,- DM 175,- DM. Dem Anwalt der
Klägerin standen nach seiner eigenen Berechnung zwei Gebühren
gemäß § 118 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 BRAGO in Höhe von 7/10 zu.
Dies ergibt einen Betrag von 224,- DM (2 Gebühren zu 175,- DM
mit 7/10 = 122,50 DM x 2). Hinzu kommt ein Entgelt in Höhe der
Pauschale von 40,- DM für Post- und
Telekommunikationsdienstleistungen gemäß § 26 BRAGO in der
Fassung von Art. 1 des Fünften Gesetzes zur Ànderung der BRAGO
vom 18. August 1980, BGBl. I S. 1503. Dem Betrag von 285,- DM
sind noch 14 % Mehrwertsteuer in Höhe von 39,90 DM
hinzuzurechnen. Dies ergibt Gebühren und Auslagen in Höhe von
324,90 DM.
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 2, 155 Abs. 1
Satz 1, 188 Satz 2 VwGO.
Die Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf
§ 167 Abs. 2 VwGO iVm §§ 708 Nr. 11 und 711 ZPO.
Ein Grund für die Zulassung der Revision liegt nicht vor
(§ 132 Abs. 2 VwGO).
OVG Nordrhein-Westfalen:
Urteil v. 10.06.1997
Az: 8 A 3853/95
Link zum Urteil:
https://www.admody.com/urteilsdatenbank/5248ed411a2b/OVG-Nordrhein-Westfalen_Urteil_vom_10-Juni-1997_Az_8-A-3853-95