Bundespatentgericht:
Beschluss vom 21. November 2006
Aktenzeichen: 17 W (pat) 72/04

(BPatG: Beschluss v. 21.11.2006, Az.: 17 W (pat) 72/04)

Tenor

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

Gründe

I.

Die vorliegende Patentanmeldung ist am 2. November 1999 beim Deutschen Patent- und Markenamt eingereicht worden unter der Bezeichnung:

"Verfahren zur Generierung einer einfachen Form künstlichen Bewusstseins im Computer zur Befähigung selbsttätig planender Erstellung von Maschinencode-Programmen und deren Ausführung zur Lösung beliebiger gestellter Programmieraufgaben".

Sie wurde durch Beschluss der Prüfungsstelle für Klasse G 06 F des Deutschen Patent- und Markenamts vom 15. März 2004 mit der Begründung zurückgewiesen, die mit den einzelnen Anträgen beanspruchten Lehren seien im Hinblick auf das Patentierungsverbot von Programmen für Datenverarbeitungsanlagen als solche vom Patentschutz ausgeschlossen.

Gegen diesen Zurückweisungsbeschluss ist die Beschwerde des Anmelders gerichtet. Der gleichzeitig mit dieser Beschwerde eingereichte Antrag auf Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe und Beiordnung eines Patentanwalts für das Beschwerdeverfahren wurde vom erkennenden Senat mit Beschluss vom 15. Juni 2005 zurückgewiesen.

In der mündlichen Verhandlung hat der Anmelder seinen schriftlichen Vortrag (Beschwerdebegründung vom 25. Juni 2004 mit Anlagen P1 - P16, Eingaben u. a. vom 7. Januar 2005 mit Anlagen P17 und P18, vom 24. Juli 2005, vom 18. November 2006 mit Anlagen P19 - P22 und vom 20. November 2006) ergänzt und erläutert. Nach seiner Auffassung habe der Gegenstand seiner Anmeldung eine vergleichsweise hohe Technizität, da zur Umsetzung Systemregister-Flags verändert und System-Exception-Vektoren umgelenkt würden, der Supervisor-Modus notwendig sei, u. a.. Um hiermit richtig umgehen zu können, sei eine sehr intensive Auseinandersetzung mit dem Handbuch notwendig, in dem der Hersteller seinen Prozessor und dessen Arbeitsweise, insbesondere in Ausnahmezuständen, beschreibt. Eine technische Aufgabenstellung liege bereits darin, eine einfache Form künstlichen Bewusstseins zu generieren, aber auch in dem selbsttätigen Erlernen der eigenen Programmierung durch einen Prozessor, oder in der Verhinderung von Systemabstürzen aufgrund von Ausnahmezuständen des Prozessors. Da für ähnlich gelagerte Fälle ein Patent erteilt worden sei, werde das Benachteiligungsverbot (Art. 3 Abs. 1 GG) verletzt, wenn die Technizität seines Verfahrens verneint würde. Wegen einer Divergenz in der Rechtsprechung müsse dann im Übrigen auch die Rechtsbeschwerde zugelassen werden.

Er stellte den Antrag, den angefochtenen Beschluss aufzuheben und das nachgesuchte Patent mit folgenden Unterlagen zu erteilen:

gemäß Hauptantrag mit Patentansprüchen 1 bis 27 vom 7. Januar 2005, eingegangen am 10. Januar 2005, Beschreibung Seiten 1 - 15 vom 3. November 1999 (mit Änderungen auf Beschreibungs-Seiten 7, 9 - 11 gemäß Eingabe vom 31. August 2000, eingegangen am 2. September 2000), und 19 Blatt Zeichnungen mit Figuren 1 - 24 d vom 3. November 1999 (mit Änderungen auf Zeichnungsseiten 5, 8, 12 und 19 gemäß Eingabe vom 31. August 2000, eingegangen am 2. September 2000);

gemäß Hilfsantrag 1 bis 8 (x 10) mit Patentansprüchen gemäß Matrix P 18 vom 7. Januar 2005, eingegangen am 10. Januar 2005, noch anzupassender Beschreibung und Zeichnungen mit Figuren wie Hauptantrag;

gemäß Sub-Hilfsantrag mit Patentansprüchen 1 bis 24 gemäß P 23 und Patentansprüchen 1 - 8 (x 10) gemäß Matrix P 24, jeweils überreicht in der mündlichen Verhandlung, noch anzupassender Beschreibung und Zeichnungen mit Figuren wie Hauptantrag.

Ferner regte der Anmelder an, die Rechtsbeschwerde zuzulassen.

Der Patentanspruch 1 gemäß Hauptantrag lautet:

"Verfahren auf einem Computer zum automatischen Entwickeln von Maschinencode, dadurch gekennzeichnet, dassa) die Exception-Vektoren auf eigene Analyse-Routinen abgefangen werdenb) Integer-Zahlen generiert werden, c) die Prozessor-Register auf definierte Anfangsbedingungen gesetzt werden, d) der Instruction-Pointer / Program Counter auf die generierte Integerzahl gesetzt wird und diese Integerzahl als OpCode ausgeführt wird, e) die Wirkungen der Ausführungen der Integerzahlenals-Op-Code unter verschiedenen initialen Registerwerten (Anfangsbedingungen) analysiert wird."

Bezüglich der Nebenansprüche 7, 16, 22, 23 und 25 - 27 sowie der Unteransprüche 2 - 6, 8 - 15, 17 - 21 und 24 wird auf die Akte verwiesen.

Zum Hilfsantrag 1 bis 8 (x 10) gemäß Matrix P18 gehören die vertikal nachgeordneten Hilfsanträge "Hilfs-Ant. 1" bis "Hilfs-Ant. 8" und die horizontal nachgeordneten Hilfsanträge "Hilfs-Ant. B" bis "Hilfs-Ant. J". Die zu "Hilfs-Ant. 1" bis "Hilfs-Ant. 8" zugehörigen Ansprüche 1 lauten:

Hilfs-Ant. 1 (= Anspruchsfassung wie Hauptantrag):

"Verfahren auf einem Computer zum automatischen Entwickeln von Maschinencode, dadurch gekennzeichnet, dassa) die Exception-Vektoren auf eigene Analyse-Routinen abgefangen werdenb) Integer-Zahlen generiert werden, c) die Prozessor-Register auf definierte Anfangsbedingungen gesetzt werden, d) der Instruction-Pointer / Program Counter auf die generierte Integerzahl gesetzt wird und diese Integerzahl als OpCode ausgeführt wird, e) die Wirkungen der Ausführungen der Integerzahlenals-Op-Code unter verschiedenen initialen Registerwerten (Anfangsbedingungen) analysiert wird. "

Hilfs-Ant. 2:

Fassung gemäß Hilfs-Ant. 1 mit folgender Ergänzung:

"die in Schritt a) genannten Exception-Vektoren die System-Exception-Vektoren sind" (= kennzeichnendes Merkmal des Anspruchs U2/P17).

Hilfs-Ant. 3:

Fassung gemäß Hilfs-Ant. 2 mit folgender Ergänzung:

"vor Schritt a) das Multitasking eines ggf. laufenden Betriebssystems abgeschaltet wird (z. B durch Setzen der Interruptmaske auf NMI und Abfangen des NMI-Interrupt-Vektors)" (= kennzeichnendes Merkmal des Anspruchs U3/P17).

Hilfs-Ant. 4:

Fassung gemäß Hilfs-Ant. 3 mit folgender Ergänzung:

"vor dem Schritt nach Anspruch 2 in den Supervisor-Modus hochgeschaltet wird (z. B durch Abfangen eines Exception-Vektors und absichtliches Auslösen dieser Exception, wobei die Programmierung in dieser Exception-Routine fortgeführt ist)" (= kennzeichnendes Merkmal des Anspruchs U4/P17).

Hilfs-Ant. 5:

Fassung gemäß Hilfs-Ant. 4 mit folgender Ergänzung:

"vor dem Schritt d) der Trace-Modus aktiviert wird (z. B. durch Poppen des Supervisor-Stacks mit Werten, die beim Returnfrom-Exception-Befehl in das Status/EFlags-Register und in den Programm-Counter/Instruction-Pointer geladen werden)" (= kennzeichnendes Merkmal des Anspruchs U5/P17).

Hilfs-Ant. 6:

Fassung gemäß Hilfs-Ant. 5 mit folgender Ergänzung:

"die Ergebnisse der analysierten Auswirkungen in einer Datenbank gespeichert werden" (= kennzeichnendes Merkmal des Anspruchs U6/P17).

Hilfs-Ant. 7:

Fassung gemäß Hilfs-Ant. 6 mit folgender Ergänzung:

"OpCodes, deren Wirkung insbesondere nach einem der vorhergehenden Ansprüche analysiert ist, kombiniert werden, die keine fatalen Exceptions auslösen, und die Auswirkung dieser Opcode-Kombinationen analysiert wird" (= kennzeichnendes Merkmal des Anspruchs N7/P17).

Hilfs-Ant. 8:

Fassung gemäß Hilfs-Ant. 7 mit folgender Ergänzung:

"OPCode-Kombinationen mit Einzel-OpCodes kombiniert werden und die Auswirkungen dieser 3er-Kombinationen analysiert werden, Einzel-OpCodes mit OpCode-Kombinationen kombiniert werden und die Auswirkungen dieser 3er-Kombinationen analysiert werden, Op-Code-Kombinationen miteinander kombiniert werden und die Auswirkungen dieser Kombinationen von OpCode-Kombinationen analysiert werden" (kennzeichnende Merkmale der Ansprüche U8, U9, U10 /P17).

Die Wortlaute der zu den Hilfs-Ant. 2 bis Hilfs-Ant. 8 gehörenden Ansprüche 1 gelten unverändert für die jeweils horizontal nachgeordneten Hilfsanträge B bis J.

Zum Sub-Hilfsantrag gehören die Patentansprüche 1 bis 24 gemäß P23 und die Patentansprüche 1 bis 8 (x 10) gemäß Matrix P24.

Die Ansprüche 1 bis 24 gemäß P23 unterscheiden sich von den Ansprüchen 1 bis 24 gemäß Hauptantrag (P17) lediglich bezüglich der Kategorie, wobei Anspruch 1 (P23) auf einen "Computer, der zum automatischen Entwickeln von Maschinencode eingerichtet ist" und die weiteren Ansprüche jeweils auf eine "Vorrichtung" gerichtet sind. Der Nebenanspruch N7 (P23) beginnt zwar mit "Ein Verfahren ..." Hierin ist jedoch ein offenkundiger Formulierungsfehler zu sehen, da Unteranspruch 8 (P23) auf eine "Vorrichtung nach Anspruch 7" rückbezogen ist.

Zur Matrix P24 gehören neben den Ansprüchen 1 bis 24 gemäß P23, bezeichnet mit "Hilfs-Ant. 1" bzw. "Hilfs-Ant. ", noch die vertikal nachgeordneten Hilfsanträge "Hilfs-Ant. 2" bis "Hilfs-Ant. 8" und die horizontal nachgeordneten Hilfsanträge "Hilfs-Ant. " bis "Hilfs-Ant. ". Die zu den Hilfsant. 2 bis Hilfs-Ant. 8 und Hilfs-Ant. bis Hilfs-Ant. gehörenden Ansprüche 1 sind bis auf die Gattungsbezeichnung "Computer, der zum automatischen Entwickeln von Maschinencode eingerichtet ist" bzw. "Vorrichtung" inhaltsgleich mit den vergleichbaren Ansprüchen gemäß Hilfsantrag 1 bis 8 (x 10) nach Matrix P18.

Der beanspruchten Lehre soll gemäß den ursprünglichen Unterlagen sinngemäß die Aufgabe zugrunde liegen, eine einfache Form künstlichen Bewusstseins im Computer zu schaffen, sowie ein lernendes System, das selbsttätig planend Maschinencode-Programme erstellt zur Lösung beliebiger gestellter Programmieraufgaben (vgl. Beschreibung eingeg. 2. November 1999, Seite 1 / 2).

II.

Die Beschwerde wurde frist- und formgerecht eingelegt und ist auch sonst zulässig. Sie ist jedoch nicht begründet, denn die Gegenstände der Ansprüche 1 nach Hauptantrag, Hilfsantrag und Sub-Hilfsantrag unterliegen jeweils als "Programm als solches" dem Patentierungsausschluss nach § 1 Abs. 3 Nr. 3 und 4 PatG.

1. Zum Hauptantrag:

1.1 Die Anmeldung betrifft die Programmierung eines Computers in einer solchen Weise, dass Programmcode (zur Lösung einer gestellten Programmieraufgabe) automatisch erzeugt werden kann. Dafür soll das Programm zunächst Befehlscodes, deren Wirkung ihm vorab nicht bekannt ist, ausprobieren - d. h. durch den eigenen Prozessor bearbeiten lassen -, um hernach deren Wirkung zu analysieren und eine Befehlssatztabelle anzulegen; später soll es Befehlscodesequenzen solange durchprobieren, bis eine Lösung der Programmieraufgabe gefunden ist. Ein besonderes Problem liegt dabei darin, dass nicht gezielt zusammengestellte Befehlscodes im Prozessor Ausnahmefehler (wie "nicht zulässiger Op-Code", "Division durch Null" u. a.) erzeugen können, die abgefangen werden müssen.

Als Fachmann, an den sich eine solche Lehre richtet, sieht der Senat einen Informatiker oder Programmierer mit mehrjähriger Erfahrung in der Maschinensprachenprogrammierung von Mikroprozessoren einschließlich vertiefter Kenntnisse der besonderen Fähigkeiten des jeweils verwendeten Mikroprozessors an. Soweit die Aufgabenstellung abstrakt die Schaffung eines "künstlichen Bewusstseins" betrifft, ist als Fachmann auch ein Hochschul-Wissenschaftler der Informatik oder Elektrotechnik anzusehen, der aber wegen der besonderen Probleme (s. o.) den zuvor beschriebenen Fachmann hinzuzieht.

1.2 Der neue Hauptanspruch ist zulässig, da sich seine Merkmale für den Fachmann aus der Lektüre der ursprünglichen Anmeldung ergeben (siehe insbesondere Seite 5 - 9). Ob die weiteren Patentansprüche 2 - 24 nach Hauptantrag zulässig sind, kann dahingestellt bleiben. Zwar bestehen daran teilweise Zweifel, zumal der Anmelder die ursprüngliche Offenbarung aller Merkmale in der nunmehr beanspruchten Zusammenstellung nicht selbst dargelegt hat. Da aber über den Hauptantrag nur insgesamt entschieden werden kann, kann die Frage unerörtert bleiben, wenn bereits der Gegenstand des Hauptanspruchs nicht patentierbar ist.

1.3 Das Verfahren nach dem Patentanspruch 1 gemäß Hauptantrag kann nicht als eine schutzwürdige Bereicherung der Technik angesehen werden, da weder ein konkretes technisches Problem vorliegt noch technische Mittel zur Lösung eingesetzt sind (BGH BlPMZ 2004 S. 428 "elektronischer Zahlungsverkehr", vgl. BGH BlPMZ 2005 S. 77 "Anbieten interaktiver Hilfe"; BGH BlPMZ 2005, 177 "Rentabilitätsermittlung"; BGH BlPMZ 2002, 114 "Suche fehlerhafter Zeichenketten").

1.3.1 Welches technische Problem durch eine Erfindung gelöst wird, ist objektiv danach zu bestimmen, was die Erfindung tatsächlich leistet (s. o. BGH "Anbieten interaktiver Hilfe", II. 4 b).

Im vorliegenden Fall besteht die objektive Leistung darin, dass der verwendete Computer in einer Vorstufe (Hauptanspruch) die Wirkungen seiner testweise ausgeführten eigenen Maschinenbefehle automatisch analysiert und für sich in einer Tabelle abspeichert, also - nach Verständnis des Anmelders - die Bedeutung seines eigenen Befehlssatzes "lernt". Darauf aufbauend wird es möglich, dass der verwendete Computer ein Programm zur Lösung einer Programmieraufgabe selbsttätig erstellt.

Dabei liegt das Problem - neben der allgemeinen Schwierigkeit, alle denkbaren Auswirkungen eines Befehls durch ein Programm korrekt zu analysieren - offensichtlich darin, den Programmablauf "im Griff" zu behalten und nicht durch Ausnahmefehler wie nicht zulässige OpCodes, Division durch Null u. a. (siehe Anmeldung z. B. Seite 4 Zeile 18 - 26) die Kontrolle zu verlieren ("Systemabsturz", siehe Anmeldung Seite 8 Zeile 29 ff.).

Dies ist jedoch kein "konkretes technisches" Problem. Zwar werden tiefgreifende Kenntnisse über die Arbeitsweise und genaue Behandlung der Ausnahmefehler im Prozessor benötigt; jedoch lediglich aus der Sicht eines Programmierers. Ob die erforderlichen tiefgreifenden Kenntnisse dabei einem vollständigen Programmierhandbuch des jeweiligen Prozessors entnehmbar sind oder - wie der Anmelder vorträgt - mangels Vollständigkeit des Handbuchs mühsam, evtl. durch Versuche ermittelt werden müssen, macht dabei keinen Unterschied. Ebenso wenig ist es von Bedeutung, dass ein typischer Software-Entwickler, der in einer Hochsprache übliche "Anwendungsprogramme" schreibt, mit der genannten Problemstellung überfordert wäre, weil ihm die Architektur und "internste Prozessorsteuerung" nicht vertraut sind. Denn aus der zitierten Rechtsprechung des BGH folgt keinesfalls, dass nur "Anwendungsprogramme" unter das Ausschlusskriterium des § 1 Abs. 3 Nr. 3/4 PatG fallen würden. Auch Bestandteilen des Betriebssystems liegt nicht etwa deshalb ein technisches Problem zugrunde, weil ihre Programmierung Kenntnisse der vorhandenen Systemarchitektur erfordert (sondern erst dann, wenn der Programmierer sich damit in technischer Hinsicht auseinandersetzt und eine besonders geeignete Architektur vorschlägt oder das Zusammenwirken der Elemente mittels seiner "auf technischen Überlegungen beruhenden Erkenntnisse" (BGH BlPMZ 2000, 273 "Logikverifikation") verbessert). Vielmehr sind auch Betriebssystem-Teile als "Programme als solche" zu werten, wenn sie - wie im vorliegenden Fall - von dem vorhandenen Prozessor und seiner durch die Architektur festgeschriebenen Arbeitsweise lediglich bestimmungsgemäßen Gebrauch machen.

Ferner kann ein "Systemabsturz" (im obigen Sinne) ebenfalls nicht als technisches Problem gelten, sondern ist üblicherweise das Resultat unzureichender Programmierung.

1.3.2 Die übergeordnete Aufgabenstellung, ein "künstliches Bewusstsein" zu schaffen, vermag daran nichts zu ändern. Dabei kann offenbleiben, wie "Bewusstsein" richtig zu definieren wäre, und ob das, was der Anmeldungsgegenstand leistet, überhaupt irgendetwas mit "künstlichem Bewusstsein" zu tun hat.

Denn es kommt, wie der BGH ausgeführt hat (s. o. BGH "Anbieten interaktiver Hilfe", II. 4 b), nicht auf die in der Anmeldung angegebene Aufgabe an, somit auch nicht auf das, was der Anmelder selbst als Aufgabe sieht. Das technische Problem ist objektiv (lediglich) danach zu bestimmen, was der Anmeldungsgegenstand tatsächlich leistet. Dies wurde bereits erörtert (s. o. 1.3.1).

Zusammenfassend erweist sich somit anhand der genannten "objektiven Leistung" des Anmeldungsgegenstands, dass kein konkretes technisches Problem vorliegt.

Das wirkliche Problem wird auch nicht durch technische Mittel gelöst, vielmehr liegt die Lösung in einer daran angepassten, geschickten Programmierung. Allein der bestimmungsgemäße Einsatz eines Computers rechtfertigt es nicht, die beanspruchte Lehre als patentierbar anzusehen (s. o. BGH "Suche fehlerhafter Zeichenketten").

1.3.3 Auch der Einwand, dass - im Sinne der "Seitenpuffer"-Entscheidung (BGH BlPMZ 1991, 345) - die Funktionsfähigkeit der Datenverarbeitungsanlage als solche und das unmittelbare Zusammenwirken ihrer Elemente betroffen sei, kann zu keiner anderen Beuteilung führen.

Denn die Lehre des dortigen Hauptanspruchs bezieht sich konkret auf die technischen Elemente der Datenverarbeitungsanlage und deren technisches Zusammenwirken, siehe insbesondere BGH, a. a. O. - III. 5b, 5c. Sie setzt sich mit dem technischen Aufbau der Anlage (Hauptspeicher, Seitenpuffer, freigebbare Speicherseiten, mehrfache Seitenanforderungen erfordern Wartezeiten des Prozessors) auseinander. Die dort beanspruchte Lehre verbessert das Zusammenwirken der "Elemente einer Datenverarbeitungsanlage".

Demgegenüber greift die beanspruchte Lehre im hier zu entscheidenden Fall nicht in das Zusammenwirken der "Elemente der Datenverarbeitungsanlage" ein, sondern weist den Programmierer lediglich an, die vorhandenen Mittel (Systemregister-Flags, System-Exception-Vektoren u. a.) in geeigneter Weise zu benutzen. Die technische Arbeitsweise der Elemente der Datenverarbeitungsanlage spielt - nachdem sie ggf. mühsam, evtl. durch Versuche ermittelt worden ist, s. o. - keine weitere Rolle mehr.

Daher ist die "Seitenpuffer"-Entscheidung für den vorliegenden Fall nicht relevant.

1.3.4 Das mit dem Patentanspruch 1 beanspruchte Verfahren ist somit als "Programm als solches" im Sinne der Ausschlusskriterien des § 1 Abs. 3 Nr. 3 und 4 PatG zu bewerten und deshalb nicht patentfähig.

2. Zum Hilfsantrag 1 bis 8 (x10) mit Patenansprüchen gemäß Matrix P 18 Die zu diesem Hilfsantrag gehörenden Ansprüche 1 basieren auf dem Anspruch 1 gemäß Hauptantrag und werden kontinuierlich durch Merkmale aus den Unteransprüchen 2 bis 6, 8 bis 10 und dem Nebenanspruch 7 ergänzt. Der die maximale Zahl von Merkmalen aufweisende Anspruch 1 nach "Hilfs-Ant. 8" (gleichlautend hierzu die Ansprüche 1 der Hilfsanträge B bis G und I) lautet danach wie folgt:

"Verfahren auf einem Computer zum automatischen Entwickeln von Maschinencode, dadurch gekennzeichnet, dassa) die Exception-Vektoren auf eigene Analyse-Routinen abgefangen werdenb) Integer-Zahlen generiert werden, c) die Prozessor-Register auf definierte Anfangsbedingungen gesetzt werden, d) der Instruction-Pointer / Program Counter auf die generierte Integerzahl gesetzt wird und diese Integerzahl als OpCode ausgeführt wird, e) die Wirkungen der Ausführungen der Integerzahlenals-Op-Code unter verschiedenen initialen Registerwerten (Anfangsbedingungen) analysiert wird, f) die in Schritt a) genannten Exception-Vektoren die System-Exception-Vektoren sind, g) vor Schritt a) das Multitasking eines ggf. laufenden Betriebssystems abgeschaltet wird (z. B durch Setzen der Interruptmaske auf NMI und Abfangen des NMI-Interrupt-Vektors), h) vor dem Schritt nach Anspruch 2 in den Supervisor-Modus hochgeschaltet wird (z. B. durch Abfangen eines Exception-Vektors und absichtliches Auslösen dieser Exception, wobei die Programmierung in dieser Exception-Routine fortgeführt ist), i) vor dem Schritt d) der Trace-Modus aktiviert wird (z. B. durch Poppen des Supervisor-Stacks mit Werten, die beim Returnfrom-Exception-Befehl in das Status/EFlags-Register und in den Programm-Counter/Instruction-Pointer geladen werden), j) die Ergebnisse der analysierten Auswirkungen in einer Datenbank gespeichert werden, k) OpCodes, deren Wirkung analysiert ist, kombiniert werden, die keine fatalen Exceptions auslösen, und die Auswirkung dieser OpCode-Kombinationen analysiert wird, l) OpCode-Kombinationen mit Einzel-OpCodes kombiniert werden und die Auswirkungen dieser 3er-Kombinationen analysiert werden, m) Einzel-OpCodes mit OpCode-Kombinationen kombiniert werden und die Auswirkungen dieser 3er-Kombinationen analysiert werden, n) Op-Code-Kombinationen miteinander kombiniert werden und die Auswirkungen dieser Kombinationen von OpCode-Kombinationen analysiert werden."

Die zusätzlichen Merkmale f) bis n) stammen alle aus der Welt der Programmierung und können in keinem Fall, d. h. weder einzeln noch zu mehreren, den beim Anspruch 1 nach Hauptantrag fehlenden Bezug zur Technik herstellen. Gegenteiliges hat auch der Anmelder nicht vorgetragen. Sonach kann keiner der zum Hilfsantrag 1 bis 8 (x 10) mit Patenansprüchen gemäß Matrix P 18 gehörenden Ansprüche 1 anders beurteilt werden als der Anspruch 1 nach Hauptantrag, die dortige Argumentation gilt in entsprechender Weise (Busse, PatG, 6. Aufl., § 100 Rdn. 96). Die Patentansprüche 1 nach dem besagten Hilfsantrag unterliegen folglich ebenso den Ausschlusskriterien des § 1 Abs. 3 Nr. 3 und 4 PatG.

3. Zum Sub-Hilfsantrag gemäß P23, P24:

Die zum Sub-Hilfsantrag (P23, P24) gehörenden Ansprüche 1 unterscheiden sich von den vorstehend abgehandelten Ansprüchen 1 nach Hilfsantrag nur hinsichtlich der Kategorie durch den Übergang von einem "Verfahren auf einem Computer zum automatischen Entwickeln von Maschinencode" zu einem "Computer, der zum automatischen Entwickeln von Maschinencode eingerichtet ist". Auch bei der vorrichtungsmäßigen Einkleidung einer Lehre, die sich der elektronischen Datenverarbeitung bedient, kann deren Patentfähigkeit jedoch nur dann bejaht werden, sofern hierbei die Lösung eines konkreten technischen Problems mit technischen Mitteln gelehrt wird (BGH "Rentabilitätsermittlung" a. a. O., insbes. II.4.a)). Die gegen die Patentierbarkeit der Gegenstände der Ansprüche 1 gemäß Hilfsantrag aufgezeigten Gründe sind demzufolge auch bezüglich der Ansprüche 1 gemäß Sub-Hilfsantrag gegeben. Folglich unterliegen auch diese Ansprüche den Ausschlusskriterien des § 1 Abs. 3 Nr. 3 und 4 PatG.

Soweit der Anmelder sich dagegen auf den BGH-Beschluss X ZB 15/98 ("Sprachanalyse-Einrichtung", GRUR 2000, 1007) beruft, übersieht er, dass dort lediglich der "technische Charakter" einer Datenverarbeitungsanlage bejaht wurde. Dem steht nicht entgegen, dass die Lehre eines formal auf eine solche Datenverarbeitungsanlage gerichteten Anspruchs dennoch als "Programm als solches" zu bewerten sein kann, s. o. BGH "Rentabilitätsermittlung" II.4.a).

4. Aus den aufgezeigten Gründen geht hervor, dass die zum Hauptantrag, Hilfsantrag und Sub-Hilfsantrag gehörenden Ansprüche 1 nicht gewährbar sind.

Da über einen Antrag nur einheitlich entschieden werden kann (BGH GRUR 1997, 120 "Elektrisches Speicherheizgerät"), sind nach Wegfall dieser Ansprüche 1 auch die hierzu jeweils neben- oder untergeordneten Ansprüche nicht gewährbar.

5. Der anmelderseitigen Anregung auf Zulassung der Rechtsbeschwerde war nicht zu folgen, da der Senat weder eine Rechtsfrage sieht, die der höchstrichterlichen Klärung bedarf, noch von der Rechtssprechung in vergleichbaren Fällen abweicht (§ 100 Abs. 2 PatG.

III.

Bei dieser Sachlage war die Beschwerde des Anmelders gegen den Beschluss der Prüfungsstelle zurückzuweisen.

IV.

Für die von dem Anmelder nach Schluss der mündlichen Verhandlung beantragte Ergänzung des Protokolls sieht der Senat keinen Anlass. Das Protokoll enthält die Begleitumstände gemäß § 160 Abs. 1 ZPO sowie die wesentlichen Vorgänge der Verhandlung gemäß § 160 Abs. 2 ZPO. Dabei meinen die wesentlichen Vorgänge im Sinne dieser Vorschrift den Hergang der Verhandlung, nicht ihren Inhalt. Ihn beurkundet der Tatbestand des Beschlusses (vgl. Thomas/Putzo, ZPO, 27. Aufl., § 160 Rdnr. 2). Ein Protokollierungsantrag im Sinne von § 160 Abs. 4 ZPO kann nur bis Schluss der mündlichen Verhandlung gestellt werden (vgl. Thomas/Putzo, a. a. O., § 160 Rdnr. 13 m. w. N.). Im Übrigen wird darauf hingewiesen, dass das entsprechende Vorbringen des Anmelders ohnehin Aktenbestandteil geworden ist und in die rechtliche Würdigung der Patentanmeldung eingeflossen ist.

Dr. Fritsch Eder Schuster Baumgardt WA






BPatG:
Beschluss v. 21.11.2006
Az: 17 W (pat) 72/04


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