Oberlandesgericht Köln:
Urteil vom 23. April 1993
Aktenzeichen: 6 U 201/92
(OLG Köln: Urteil v. 23.04.1993, Az.: 6 U 201/92)
Zur Irreführungseignung einer Werbung für ein privates "Systemspiel", das wesentlich darauf aufbaut, daß die einzelnen Mitspieler für den "Zufluß" neuer Spieler sorgen müssen, wenn von den versprochenen Gewinnen und den vorgegebenen Einsätzen nicht unbedeutende Anteile für die Initiatoren und "Verwalter" des Spiels abgezweigt werden und wenn die Regeln dieses Spieles als "...verbindlich anerkannt" bezeichnet werden.
Gründe
Die Berufung ist zulässig, sie hat jedoch in der Sache keinen
Erfolg. Die Beklagten waren nach Maßgabe des Tenors zur
Unterlassung der beanstandeten Werbung zu verurteilen.
Soweit der Kläger in der Berufungsverhandlung seinen Antrag neu
gefaßt hat, stehen dem prozessuale Bedenken nicht entgegen. Der
Kläger hat auf diese Weise lediglich den Kern seines
Unterlassungsbegehrens deutlicher herausgestellt und den Antrag
zugleich an die beanstandete konkrete Verletzungshandlung angepaßt.
Die nunmehr in drei Abschnitte unterteilte Antragsfassung betrifft
Punkte, die bereits im ersten Rechtszug Inhalt der
schriftsätzlichen Begründung des Klagebegehrens und damit Teil des
Streitgegenstandes waren.
1. Das Landgericht hat die Unterlassungsverurteilung maßgeblich
darauf gestützt, daß in dem Werbeprospekt eine Auszahlung von
insgesamt 3.600,-- DM herausgestellt werde, obwohl schon deswegen
kein Spieler die Chance habe, volle 3.600,-- DM zu erhalten, weil
pro Jahr 18,-- DM an die Initiatorin bzw. Verwalterin des Spiels zu
zahlen seien. Insoweit wenden die Beklagten im Berufungsverfahren
ein, die Abweichung der angekündigten Gewinnmöglichkeit von
3.600,-- DM von dem tatsächlich erzielbaren Gesamtbetrag von
3.582,-- DM sei nicht geeignet, den Spielentschluß eines nicht
völlig unerheblichen Teils der Mitspielinteressenten positiv zu
beeinflussen. Ob dieser Einwand erheblich ist, erscheint schon
deswegen zweifelhaft, weil der Betrag von 18,-- DM nach § 6 der
Spielregeln für jede Spielernummer j ä h r l i c h erhoben wird.
Die Belastung mit der Gebühr kann mithin auch mehr als 18,-- DM
betragen, wenn nämlich der Spieler länger als ein Jahr benötigt, um
alle Gewinnpositionen der Pyramide zu erreichen. Braucht er hierfür
gar mehrere Jahre, so multipliziert sich der Betrag von 18,-- DM
mit der Zahl der Jahre, in denen der Spieler am Spiel beteiligt
ist. Angesichts der Ungewißheit, ob die notwendige Zahl neuer
Mitspieler gefunden werden kann, die die für den einzelnen Spieler
maßgeblichen Positionen besetzen, erscheint es nicht
unwahrscheinlich, daß mehrere Jahre bis zum Erreichen der
Maximalposition vergehen können. Nach sechse Jahren übersteigt der
Gebührenaufwand aufgrund des § 6 der Spielregeln bereits 100,-- DM.
Ob ein Irrtum über einen eventuell möglichen Abzug von der
maximalen Gewinnsumme in dieser Größenordnung nicht mehr
wettbewerblich relevant ist, erscheint aber fraglich. Letztlich
kann dies indes dahinstehen, denn der beanstandete Text im Prospekt
mit der Óberschrift "die Teilungsautomatic der Pyramiden" erfüllt
jedenfalls aus den nachstehend ausgeführten Gründen den Tatbestand
des § 3 UWG.
Der Kläger hat von Anfang an geltend gemacht, die Seite des
Werbeprospekts, auf der im oberen Teil von der "Teilungsautomatic
der Pyramiden" und unten von der Auszahlung von insgesamt 3.600,--
DM die Rede ist, erwecke den Eindruck, eine solche Auszahlung
erfolge geradezu automatisch. Hierauf hat auch das Landgericht
seine Entscheidung in einer Hilfsbegründung gestützt. Der Senat
tritt diesen Ausführungen bei.
Die textliche und graphische Gestaltung der beanstandeten
Prospektseite erweckt auch nach der Óberzeugung des Senats bei
einem nicht unbeachtlichen Teil der angesprochenen Leser den
Eindruck, die Auszahlung von 3.600,-- DM sei das notwendigerweise
eintretende Ende einer durch den Einstieg in das Spiel und die
Zahlung des Einstiegsbetrags ausgelösten Ursachenkette. Hierauf
werden die Leser bereits durch die ersten Seiten des Prospektes
eingestimmt. Es beginnt dort nämlich mit dem Hinweis: "Das Geld
liegt auf der Straße... bei uns lernen Sie, sich danach zu
bücken!". Sodann wird der Leser aufgefordert, sich seine Wünsche
selbst zu realisieren, wobei auf Urlaub, ausgefallene Hobbies und
ein neues Auto hingewiesen wird. Schließlich wird aufgezeigt, wie
man an 3.600,-- DM kommen kann. Das ganze wird als
Investitionsmöglichkeit den klassischen Geldanlageformen - "Bank,
Immobilien, Kapitalanlagen" - gleichgestellt. Sodann folgen auf der
fraglichen Prospektseite die blickfangmäßig herausgestellten
Ankündigungen "Teilungsautomatic der Pyramiden" und "Auszahlung
insgesamt 3.600,-- DM".
Vor diesem Hintergrund erweckt die geometrische Darstellung der
"Pyramidenteilung" bei den flüchtigen und in erster Linie auf den
Gewinn fixierten Leser den Eindruck, der graphisch wiedergegebene
Aufstieg innerhalb der Pyramiden sei Teil einer sich mit
mathematischer Genauigkeit und Notwendigkeit abspielenden
Entwicklung. Dies gilt um so mehr, als stets davon die Rede ist,
daß die Neueinsteiger/Spieler "kommen", "vorrücken" etc. Daß dies
entgegen dem dadurch verursachten Anschein nicht von selbst
geschieht, sondern der einzelne Spieler selbst für den "Zufluß"
neuer Spieler an den für ihn günstigen Postionen zu sorgen hat, ist
in dem Prospekt mit keinem Wort erwähnt und findet einen
Niederschlag lediglich in § 1 der allgemeinen Spielregeln, also im
Kleingedruckten auf der Rückseite des Teilnahmeantrags.
2. Auch der durch den Antrag zu 2. erfaßte Hinweis unter Ziffer
7. ("Spielregeln") der "Besonderen Sicherheitsmerkmale" verstößt
wegen der damit verbundenen Irreführungsgefahr gegen § 3 UWG. Bei
einem nicht unerheblichen Teil der angesprochenen Verkehrskreise
wird durch diese Ankündigung der Eindruck erweckt, daß die
Spielregeln durch staatliche Autorität geprüft, positiv beurteilt
(= anerkannt) und/oder verbindlich festgelegt worden seien. Soweit
die Beklagten in diesem Zusammenhang geltend machen, die
Redewendung "verbindlich anerkannt" beziehe sich schon dem
allgemeinen Sprachgebrauch nach auf die Anerkennung durch einen
Geschäftspartner, nicht jedoch durch irgendeine Autorität, vermag
das nicht zu überzeugen. Die Beklagten lassen insoweit
unberücksichtigt, daß für den uninformierten und flüchtigen Leser
der Schluß auf die vielfach beworbenen öffentlich veranstalteten
Gewinnspiele naheliegt, bei denen - wie etwa bei den
Klassenlotterien - die Spielbedingungen durch staatliche Stellen
freigegeben sind.
3. Auch die Ankündigung in dem Beitrittsantrag, nach der der
Spieleinsatz 600,-- DM beträgt, ist mit § 3 UWG nicht zu
vereinbaren. Ein nicht unerheblicher Teil der angesprochenen
Verkehrskreise wird nämlich annehmen, es handele sich hier um den
Betrag, der "netto" als Einsatz in das Spiel selbst fließe. Für den
Leser des Formulars ist aus dem Teilnahmeantrag ein
"Einstiegspreis" von 799,-- DM ersichtlich, der sich aus einem
Spieleinsatz von 600,-- DM, einem Beitrag von 100,-- DM für den
"Sicherheitsfonds" sowie einer Aufnahmegebühr von 99,-- DM
zusammensetzt. Diese Aufzählung erweckt den Eindruck, der
"Spieleinsatz" genannte Anteil von 600,-- DM komme in seinem
Nominalwert ungeschmälert der im Umlauf des Spiels befindlichen
Geldmenge zugute. Stattdessen geht jedoch auch von dem
"Spieleinsatz" noch einmal ein Anteil an die Initiatorin. Nach dem
eigenen Vorbringen der Beklagten werden nämlich, sobald sich vier
Mitspieler gefunden haben, deren "Spieleinsätze" von 2.400,-- DM (4
x 600,-- DM) wie folgt verwandt:
Position C: Gewinnausschüttung 1.200,-- DM Position B:
Gewinnausschüttung 400,-- DM Position A: Gewinnausschüttung 400,--
DM 2.000,-- DM;
sodann werden 200,-- DM für "Dynamikeinstiege" verwandt, fließen
also ebenfalls unmittelbar dem Spiel zu. Weitere 200,-- DM werden
jedoch in Form einer "Vertriebsgebühr" für Verwaltungsaufwand an
die Initiatorin abgeführt. Hieraus folgt, daß der als
"Spieleinsatz" bezeichnete Anteil von 600,-- DM nicht vollständig
dem Spiel selbst zufließt, vielmehr erhält hiervon jeweils 50,-- DM
die Initiatorin.
Ein entsprechender Irrtum der Leser über den wirklich als
Spieleinsatz verwandten Teil der Einzahlung ist
wettbewerbsrechtlich relevant, ohne daß es darauf ankommt, ob die
Höhe des Spieleinsatzes für die Größe der Gewinnchance (mit-)
bestimmend ist. Für den Interessenten ist es nämlich, wenn er über
die Teilnahme am Spiel nachdenkt, durchaus von Interesse, wie hoch
der Anteil an seiner Einstiegszahlung ist, der in das Spiel selbst
einfließt und dort gegebenenfalls wiederum als Gewinn verteilt
werden kann. Gerade die Höhe der Gebühren, die nicht in irgendeiner
Weise in den Kreislauf des im Spiel befindlichen Geldes gelangen,
macht im Grunde den Preis aus, den der Teilnehmer letztlich an den
Initiator für seine Beteiligung entrichtet. Im Grunde geht es hier
mithin um die Höhe des Honorars, das der Teilnehmer für seine
Spielbeteiligung an den Veranstalter zu zahlen hat und das
lediglich als "Verwaltungskostenanteil" erbracht wird und der im
Spiel zu verteilenden Geldmenge in keiner Weise zugute kommt.
Ohne Erfolg machen die Beklagten geltend, mit der Untersagung
der angegriffenen Werbebehauptungen in der hier ausgesprochenen
Form werde das verfassungsrechtlich begründete Óbermaßverbot
verletzt. Soweit sie meinen, hinsichtlich Ziffer 1. des
Urteilstenors genüge als weniger einschneidendes Mittel, es zu
untersagen, die Gesamtauszahlung von 3.600,-- DM ohne einen
klarstellenden Hinweis auf die einzubehaltende
Informationsbestandsgebühr von 18,-- DM jährlich anzukündigen,
werden Inhalt und Tragweite des Urteilsausspruches verkannt. Die
Beklagten übersehen, daß die Werbeangabe in der konkret
angegriffenen Form zu untersagen ist. Wird von dieser Form in einer
Weise abgewichen, die das Charakteristische der Wettbewerbshandlung
verändert, so ist dies nicht vom Verbotsbereich umfaßt. Nichts
anderes gilt für die Verurteilungen hinsichtlich der Anträge zu 2.
und 3. Zusätzliche Hinweise in der Werbung, wie die Beklagten sie
schriftsätzlich angesprochen haben, können bedeuten, daß die
neugefaßte Werbung nicht mehr vom Kernbereich des
Unterlassungsgebots erfaßt ist.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO, diejenige
über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf §§ 708 Nr. 10, 713
ZPO.
Die Beschwer war gemäß § 546 Abs. 2 ZPO festzusetzen; sie
entspricht dem Unterliegen der Beklagten in der
Berufungsinstanz.
OLG Köln:
Urteil v. 23.04.1993
Az: 6 U 201/92
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