Hessischer Anwaltsgerichtshof:
Beschluss vom 10. November 2008
Aktenzeichen: 1 AGH 19/08
(Hessischer AGH: Beschluss v. 10.11.2008, Az.: 1 AGH 19/08)
Tenor
1. Der Bescheid der Antragsgegnerin vom 04.07.2008 wird aufgehoben. Die Antragsgegnerin wird verpflichtet, dem Antragsteller die Führung der Bezeichnung "Fachanwalt für Arbeitsrecht" zu gestatten.
2. Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens.
3. Der Verfahrenswert wird auf 25.000,00 EUR festgesetzt.
Gründe
I.
Mit seinem Antrag vom 06.08.2008 wendet sich der Antragsteller gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 04.07.2008, mit dem sein Antrag auf Gestattung der Führung der Bezeichnung "Fachanwalt für Arbeitsrecht" zurückgewiesen wurde.
1. Der Antragssteller beantragte am 31.01.2007, ihm die Führung der Bezeichnung "Fachanwalt für Arbeitsrecht" zu gestatten. Er war seit dem 29.07.1999 ununterbrochen als Rechtsanwalt zugelassen. In der Zeit vom 25.05. bis 04.11 2006 nahm er erfolgreich an einem Fachlehrgang zum Nachweis der theoretischen Kenntnisse teil.
Auf Anforderung des Fachausschusses hat der Antragsteller seine ursprünglich eingereichte Fallliste überarbeitet. Maßgeblich ist nunmehr die Fallliste in der überarbeiteten Fassung vom 08.10.2007. Diese weist insgesamt 165 Fälle auf, unter denen sich 67 rechtsförmliche/gerichtliche Verfahren befinden. Zwischen den Parteien ist unstreitig, dass sechs Fälle der Liste gestrichen werden müssen, weil sie nicht in den maßgeblichen 3-Jahreszeitraum gemäß § 5 FAO fallen. Unter diesen sechs Fällen befindet sich ein gerichtliches Verfahren (Fall 5), so dass die Fallliste vom 08.10.2007 66 rechtsförmliche/gerichtliche Verfahren umfasst.
2. Mit Bescheid vom 04.07.2008, dem Antragsgegner zugestellt am 08.07.2008, wies die Antragsgegnerin den Antrag auf Gestattung der Führung der Bezeichnung "Fachanwalt für Anwaltsrecht" vom 31.01.2007 zurück, weil der Antragsgegner nicht die erforderliche Zahl von 50 gerichts- und rechtsförmlichen Verfahren nachgewiesen habe. Die Antragsgegnerin begründet diesen Bescheid im Wesentlichen wie folgt:
Die überwiegende Mehrheit der Gerichtsverfahren betreffe Verfahren eines einzigen Arbeitgebers, nämlich der ... GmbH & Co. KG. Davon seien insgesamt 18 Fälle in der Weise bearbeitet worden, dass drei Anwälte beteiligt waren. Neben dem Antragsteller sei Rechtsanwalt ..., dessen Diktatzeichen verschiedene Schriftsätze trügen, sowie Rechtsanwalt Professor Dr. ... tätig gewesen, wobei Rechtsanwalt Professor Dr. ... die Verantwortung der Mandatsführung gemeinsam mit dem Antragsteller getragen habe. Der Antragsteller sei gegenüber Rechtsanwalt ... weisungsbefugt gewesen. Der Reinentwurf der Schriftsätze sei vielfach Rechtsanwalt ... übertragen worden. Der Antragsteller habe die Schriftsätze geprüft und gegebenenfalls korrigiert und sodann mit Professor Dr. ... abschließend besprochen. Hieraus folge, dass es sowohl an der persönlichen Fallbearbeitung als auch an der alleinverantwortlichen Überarbeitung gefehlt habe, da ganz offensichtlich ein ganz wesentlicher Teil der Verantwortung auch bei Professor Dr. ... gelegen habe. Würde man die Mitwirkungsfälle, wenn überhaupt, werten, dann wäre eine anteilige Bewertung mit einem Drittel gerechtfertigt, so dass die 18 Fälle nur als 6 Fälle gezählt werden können. Damit seien 12 Gerichtsverfahren in Abzug zu bringen.
Die Fälle 25 bis 44 und 46 bis 50, also insgesamt 25 Fälle, seien durch das Arbeitsgericht, wenn auch erst zum Kammertermin, verbunden worden. Aus den eingereichten Schriftsätzen gehe hervor, dass die Schriftsätze nahezu identisch seien. Sofern man die verbundenen Fälle nicht ohnehin als lediglich einen Fall werten wolle, käme nach § 5 Satz 4 FAO nur eine maximale Gewichtung je Fall von 0,5 in Betracht. Damit zählten die genannten Fälle maximal als 12,5 Gerichtsfälle und in dem gleichen Umfang seien Fälle in Abzug zu bringen.
Unter Berücksichtigung dieser Abzüge kommt die Antragsgegnerin zu dem Ergebnis, dass lediglich 41,5 gerichtliche bzw. rechtsförmliche Verfahren nachgewiesen seien. Die jedenfalls fehlenden 8,5 Verfahren könnten auch nicht durch die gegebenenfalls überdurchschnittlich umfangreichen Fälle 67 und 68, in denen es um arbeitsgerichtliche Verfahren vor dem zuständigen Sozialgericht in ... ging, kompensiert werden.
3. Der Antragsteller hat mit Schriftsatz vom 06.08.2008, eingegangen am selben Tag, Antrag auf gerichtliche Entscheidung gestellt. Er begehrt die Aufhebung des angefochtenen Bescheids und die Gestattung, die Fachanwaltsbezeichnung führen zu dürfen.
Der Antragsteller ist der Auffassung, er habe die maßgebliche Zahl von mindestens 50 gerichtlichen/rechtsförmlichen Verfahren nachgewiesen. Die von der Antragsgegnerin vorgenommenen Abzüge seien unberechtigt.
Der Abzug wegen des Umstandes, dass eine Vielzahl von Verfahren nur für einen Arbeitgeber, die ... GmbH & Co. KG, geführt worden sei, berechtige nicht zu einer Mindergewichtung. Die Bearbeitung hätte einer besonderen Bedeutung für die Mandantin unterlegen, weil es sich um ein in der Gründungsphase befindliches Luftfrachtunternehmen gehandelt habe, das mit erheblichen arbeitsrechtlichen Ansprüchen ehemaliger Arbeitnehmer der insolventen ... konfrontiert gewesen sei. Die erfolgreiche Durchsetzung auch nur eines Anspruchs hätte das Ende des jungen Unternehmens bedeutet. Die Bearbeitung hätte in der täglichen Arbeit des Antragstellers aufgrund der Bedeutung, der Komplexität und des Umfangs einen erheblichen Raum eingenommen. Alle Fälle seien "voll" anzuerkennen. Bei oberflächlicher Betrachtung hätten zwar die Verfahren auf einem zumindest ähnlichen Lebenssachverhalt beruht, nämlich darauf, dass die Mitarbeiter der insolventen ... den Übergang ihres Arbeitsverhältnisses auf die neu gegründete Gesellschaft geltend gemacht hätten. Bei näherer Betrachtung hätte sich jedoch gezeigt, dass in jedem Verfahren individuelle Besonderheiten zu dem ehemaligen Arbeitsverhältnis und zu dem behaupteten Betriebsübergang vorgetragen worden seien. Es hätte gegolten, diese Besonderheiten im Einzelfall zu erkennen, zu bewerten und aufzuarbeiten. Insoweit habe in jedem einzelnen Fall eine individuelle Prüfung vorgenommen werden müssen und in jedem Verfahren seien Abweichungen vom Kernsachverhalt herauszuarbeiten und zu berücksichtigen gewesen. Außerdem hätte es für jedes Verfahren der gesonderten Beachtung und Verwaltung von Fristen bedurft. Da die Kläger von unterschiedlichen Prozessbevollmächtigten mit unterschiedlichem Sachvortrag vertreten worden seien, sei eine individuelle Auseinandersetzung mit jedem einzelnen Fall erforderlich gewesen. Auch habe es sich bei den Klägern um Angehörige unterschiedlicher Berufsgruppen gehandelt, deren Vortrag zu einem Betriebsübergang teilweise andere Voraussetzungen und Schwerpunkte beinhaltet hätte.
Der Antragsteller rügt, dass die Antragsgegnerin ohne jede Prüfung zu Unrecht Fallidentität in allen Fällen angenommen habe. Die Kammer habe nicht mitgeteilt, welche konkreten Verfahren mit welchen konkreten Gründen abgewertet werden müssten. Zudem könne auch nicht davon ausgegangen werden, dass weniger praktische Erfahrung erlangt würde, wenn nicht wiederholende Rechtsfragen von einem Anwalt bearbeitet werden. Es sei nicht einzusehen, dass einfache und deutlich weniger komplexe Kündigungsschutzverfahren, wie sie jeden Tag am Arbeitsgericht verhandelt würden, als eigenständiges Verfahren voll anerkannt würden, hoch komplexe und anspruchsvolle Verfahren, wie sie der Antragsteller nachgewiesen habe, jedoch nicht.
Auch der Umstand, dass das Arbeitsgericht Verfahren verbunden habe, dürfe nicht zu einer Mindergewichtung führen. Jedes Verfahren sei zunächst einzeln angestrengt worden und habe einer individuellen Prüfung, Beratung und Bearbeitung durch den Antragsteller bedurft. Die Verbindung der selbstständigen Verfahren sei erst im Kammertermin erfolgt. Im Einzelfall seien zuvor Gütetermine durchgeführt worden. Deshalb habe der zuständige Ausschuss gegenüber dem Antragsteller mit Schreiben vom 05.10.2007 unter Hinweis auf die Rechtsprechung des AGH Sachsen-Anhalt vom 23.01.2004 (AGH 19/03) erklärt, die nachgewiesenen Fälle des Mandanten ... jeweils als separate Fälle zu werten. Dies habe die Kammer in dem angefochtenen Bescheid unberücksichtigt gelassen. Es sei zwar richtig, dass ein Großteil der Fälle des Mandanten ... in der Weise bearbeitet worden sei, dass drei Anwälte beteiligt gewesen seien. Dies rechtfertige aber keine Minderbewertung. § 5 FAO erfordere ausschließlich eine Selbstständigkeit im Sinne einer "anwaltlichen Unabhängigkeit". Sie umfasse lediglich die Freiheit von Weisungen durch Vorgesetzte oder Sozien und fordere die Tätigkeit als eigenverantwortlicher, weisungsfreier und unabhängiger Rechtsanwalt. Er habe alle in Frage kommenden Fälle "persönlich" bearbeitet, da dieses Merkmal nur erfordere, dass der Antragsteller für die Fallbearbeitung die persönliche Verantwortung tragen müsse. Dies sei nicht gleichzusetzen mit einer unmittelbaren Verantwortung gegenüber dem Auftraggeber. Die Fälle des Mandanten ... habe er aber sowohl gegenüber dem Mandanten als auch gegenüber Professor Dr. ... als Kanzleiinhaber verantwortet. Er habe eine eigene Entscheidungsbefugnis für wesentliche Teile der Fallbearbeitung gehabt. Dem stehe nicht entgegen, dass ein Teil der Verantwortung bei Professor ... gelegen habe. Aus der anwaltlichen Erklärung von Professor ... vom 05.01.2008 ergebe sich bereits, dass das Erfordernis der "persönlichen Bearbeitung" durch den Antragsteller gegeben sei. Auf jeden Fall sei dieses Merkmal dadurch erfüllt, dass ihm der alleinige Kontakt und die Sachverhaltsarbeit mit dem Mandanten übertragen gewesen seien. Das Abstellen auf den Umstand, dass Schriftsätze das Diktatzeichen des mitarbeitenden Rechtsanwalts ... trügen und der Reinentwurf von Schriftsätzen diesem übertragen gewesen sei, schließe die Übernahme der persönlichen Verantwortung durch den Antragsteller nicht aus. Er habe nachgewiesen, dass er alle Schriftsätze überprüft und gegebenenfalls korrigiert habe. Er habe die Schriftsätze mit Professor Dr. ... als Kanzleiinhaber abschließend besprochen und auch unterzeichnet. Außerdem habe der Kanzleiinhaber versichert, dass Diktatzeichen und die Unterzeichnung eines Schriftsatzes in seiner Kanzlei keinen zwingenden Schluss auf den Urheber zuließen.
Außerdem habe die Antragsgegnerin überhaupt nicht berücksichtigt, dass der Antragsteller in den zahlreichen und umfassenden mündlichen Verhandlungen und Beweisaufnahmen in den nachgewiesenen Fällen teilgenommen und diese vorbereitet habe, was er auf Verlangen des Fachausschusses durch die Vorlage der Terminsprotokolle mit den Aktenauszügen auch belegt habe.
Dass der Antragsteller die Schriftsätze abschließend mit dem Kanzleiinhaber, Rechtsanwalt Professor Dr. ..., besprochen habe, sei kein Anlass, an der Unabhängigkeit des Antragstellers in seiner eigenverantwortlichen Fallbearbeitung zu zweifeln. Aufgrund der Gesamtkomplexität des Mandats sei eine Abstimmung mit weiteren involvierten und aus kanzleiinternen Gründen mitarbeitenden Anwälten erforderlich gewesen. So habe man fachliche Diskussionen über die Sach- und Rechtsfragen geführt und Strategie und Argumentation erörtert. Weisungen seien dem Antragsteller dabei ausdrücklich nicht erteilt worden; der Kanzleiinhaber habe auf die Tätigkeit des Antragstellers nicht eingewirkt.
Schließlich ist der Antragsteller der Auffassung, dass es nicht gerechtfertigt sei, seine Tätigkeiten in den einzelnen Verfahren losgelöst vom einzelnen Fall anders als "voll" zu gewichten, § 5 FAO biete hierfür keine Handhabe.
Schließlich habe die Antragsgegnerin sich ausschließlich auf eine negative Gewichtung der von ihm nachgewiesenen Fälle beschränkt und es dagegen unterlassen, zumindest die unter Nummer 67 und Nummer 68 der Fallliste aufgeführten Fälle vor einem spanischen Gericht positiv zu bewerten. Die Gewichtung dieser beiden Verfahren rechtfertige ein Vielfaches der tatsächlich erfolgten Bewertung mit "1". In beiden Verfahren seien Klagen zahlreicher Arbeitnehmer (jeweils 23 bzw. 22) von dem für arbeitsrechtliche Fragen zuständigen Sozialgericht in ... verhandelt worden. Der Antragsteller habe diese Fälle unter einem erheblichen persönlichen, fachlichen und zeitlichen Einsatz eigenverantwortlich bearbeitet und dies der Kammer in seinem Antrag dargelegt. Die Verfahren hätten zusätzlich noch europarechtliche Bezüge aufgewiesen. Die Kläger hätten die Möglichkeit gehabt, im Wege der Vollstreckung Flugzeuge der Mandantin beschlagnahmen zu lassen und dieses auch konkret angedroht. Der Antragsteller habe mehrfach nach Spanien reisen müssen.
4. Die Antragsgegnerin beantragt, den Antrag auf gerichtliche Entscheidung zurückzuweisen. Sie rechtfertigt den angefochtenen Bescheid.
Sämtliche Verfahren des Auftraggebers ... GmbH & Co. KG hätten darauf beruht, dass die Mitarbeiter der insolventen ... den Übergang ihres jeweiligen Arbeitsverhältnisses auf die neu gegründete Gesellschaft geltend gemacht hätten. Daher sei es jeweils um die Frage des Vorliegens eines Betriebsübergangs nach § 613 a BGB gegangen. Diese Frage könne nur einheitlich und nicht für jeden Mitarbeiter individuell beantwortet werden. Entweder hätte ein betrieblicher Übergang für sämtliche Mitarbeiter vorgelegen oder nicht. Sofern man nicht sogar von einem einheitlichen Lebenssachverhalt ausgehe, hätten den einzelnen Fällen jedenfalls vergleichbare Lebenssachverhalte zugrunde gelegen. Dass die Klagen der Arbeitnehmer von unterschiedlichen Prozessbevollmächtigten mit unterschiedlichem Sachvortrag vertreten wurden und Fristen gesondert beachtet und verwaltet werden mussten, schließe eine Abgewichtung der Fälle nicht aus.
Soweit der Antragsteller vortrage, dass vor der Verbindung der Verfahren im Kammertermin im Einzelfall Gütetermine durchgeführt worden seien, sei auch aus der Fallliste nicht ersichtlich, welche Fälle dies betreffe.
Eine persönliche und weisungsfreie Bearbeitung habe nicht stattgefunden. Zwar sei das Vorliegen dieser Merkmale nicht dadurch ausgeschlossen, dass Fälle gemeinsam mit Kollegen bearbeitet würden. Es mache aber einen Unterschied, ob die Bearbeitung eines Mandats vollständig alleine oder gemeinsam mit Kollegen erfolge. Dieser Unterschied müsse sich auch in der Bewertung niederschlagen. Anderenfalls könnte ein und derselbe Fall von einzelnen oder sämtlichen an der Sachbearbeitung beteiligten Rechtsanwälten im Rahmen eines Fachanwaltantrages jeweils (also insgesamt mehrfach) als vollwertiger Fall gewertet werden, was nicht sachgerecht wäre.
Soweit es sich bei einzelnen Fällen um gerichtlich verbundene Serienfälle handele, welche der Antragsteller zudem auch nicht alleine bearbeitet habe, erscheine eine stärkere Abgewichtung angezeigt, als bei solchen Fällen, bei denen lediglich eines der genannten Merkmale vorliege.
Auch wenn die Fälle 67 und 68 stärker gewichtet worden wären, zum Beispiel jeweils mit Faktor "2", hätte der Antragsteller die erforderliche Anzahl an gerichtlichen/rechtsförmlichen Verfahren nicht dargelegt. Dass die Verfahren auch europarechtliche Bezüge aufweisen, rechtfertige eine Höhergewichtung nicht. Es gehe letztlich um Arbeitsrecht, das durch Europarecht beeinflusst werde. Dementsprechend müssten sich die besonderen theoretischen Kenntnisse jeweils auch auf die verfassungs- und europarechtlichen Bezüge des Fachgebiets beziehen (§ 2 Absatz 3 FAO).
Die Antragsgegnerin hat in der mündlichen Verhandlung nachdrücklich auf die Schwierigkeiten hingewiesen, die das nebeneinander erfolgende Tätigwerden von mehr als einem Bearbeiter bei Anträgen auf Verleihung von Fachanwaltsbezeichnungen und die damit verbundene Prüfungspraxis mit sich bringt. Dem Problem, dass sich mehrere Antragsteller aus einer Sozietät bei ihren Anträgen auf dieselben Fälle bezögen, müsse die Antragsgegnerin dadurch begegnen dürfen, dass sie € je nach Bearbeitungsanteil € einzelne Fälle minder gewichtet. Anders sei einerseits der Gefahr von Manipulationen nicht beizukommen und andererseits erfolge so ein "fairer" Ausgleich zwischen den Interessen mehrerer Antragsteller.
II.
Der Antrag ist zulässig und insbesondere fristgerecht gestellt worden.
Der Antrag ist auch begründet, so dass der angefochtene Bescheid aufzuheben und die Antragsgegnerin zu verpflichten ist, dem Antragsteller die Führung der Bezeichnung "Fachanwalt für Arbeitsrecht" zu gestatten.
Die rechtliche Problematik des vorliegenden Verfahrens wird im Wesentlichen durch zwei Problemkreise bestimmt: Zum einen geht es um die Behandlung von Konstellationen, in denen mehr als ein Rechtsanwalt bei der Bearbeitung eines Falles involviert war, zum anderen ist die Frage zu beantworten, ob und in welchem Umfang bei "Serienfällen" eine vom Faktor "1" abweichende Gewichtung eines Falls zum Nachteil eines Antragstellers zulässig ist.
1. Beteiligung mehrerer Bearbeiter
Die Antragsgegnerin hat 18 der vom Antragsteller gemeldeten 66 gerichtlichen/rechtsförmlichen Fälle wegen der Beteiligung anderer Anwälte nur mit einem Drittel gewertet und daher 12 Fälle in Abzug gebracht.
Der Auffassung der Antragsgegnerin, der Umstand der Beteiligung mehrerer Anwälte bei der Bearbeitung eines Falles erfordere oder erlaube eine Mindergewichtung des einzelnen Falles, vermag der Senat nicht zu folgen.
Die grundsätzliche Möglichkeit einer vom Faktor "1" abweichenden Gewichtung ergibt sich aus § 5 letzter Satz FAO, der lautet:
"Bedeutung, Umfang und Schwierigkeit einzelner Fälle können zu einer höheren oder niedrigeren Gewichtung führen."
Die Vorschrift spricht somit nicht die Konstellation an, dass mehrere Anwälte einen Fall gemeinsam bearbeiten. Die "Selbstständigkeit" der Bearbeitung ist ausdrücklich kein Kriterium von § 5 letzter Satz FAO.
Nach § 5 Satz 1 müssen Fälle innerhalb des maßgeblichen Beurteilungszeitraums "im Fachgebiet als Rechtsanwalt persönlich und weisungsfrei bearbeitet" worden sein. Nur Fälle, die sämtliche der genannten Voraussetzungen kumulativ erfüllen, sind geeignet, den Erwerb besonderer praktischer Erfahrungen im Sinne der Vorschrift nachzuweisen. Damit können nur Fälle gezählt werden, die
€ ein Fall im unter Ziffer 2.1 dargelegten Sinne sind,
€ im maßgeblichen Beurteilungszeitraum bearbeitet wurden,
€ aus dem jeweiligen Fachgebiet stammen,
€ von dem Antragsteller in seiner Funktion als Rechtsanwalt bearbeitet wurden, wobei unschädlich ist, dass der Antragsteller sie als Anwaltsnotar bearbeitet hat, sofern sie auch von einem Rechtsanwalt, der nicht Notar ist, hätten bearbeitet werden können,
€ die Bearbeitung persönlich und weisungsfrei erfolgt ist.
Die Fassung von § 5 Absatz 1 legt es nicht nur nahe, sondern zwingt dazu, dass nur solche Fälle gezählt werden, die vom Antragsteller "persönlich und weisungsfrei bearbeitet worden sind". Sind diese Voraussetzungen aber zu bejahen, zählt der Fall als Fall und kann jedenfalls nicht deshalb minder gewichtet werden, weil an der Bearbeitung noch andere Anwälte beteiligt waren. Eine Abstufung des Kriteriums "persönlich/weisungsfrei" gibt es nicht; entweder ist ein Fall ganz oder gar nicht "persönlich/weisungsfrei" bearbeitet worden.
Der Zählung solcher Fälle mit einem Faktor "1" kann auch nicht das Argument der Antragsgegnerin entgegengehalten werden, dass ansonsten ein und derselbe Fall von einzelnen oder sämtlichen an der Sachbearbeitung beteiligten Rechtsanwälten im Rahmen eines Fachanwaltsantrags jeweils, also insgesamt mehrfach, als vollwertiger Fall gewertet werden müsste, was nicht sachgerecht sei. Wenn im konkreten Einzelfall ein Fall so beschaffen ist, dass er von mehr als einem Anwalt persönlich und weisungsfrei bearbeitet werden kann und auch bearbeitet worden ist, ist nach § 5 Satz 1 FAO zwingend, diesen Fall gegebenenfalls auch mehreren Antragstellern zuzuordnen. Die einzelnen Bearbeitungsbeiträge müssen in solchen Konstellationen dann durch eine besonders sorgfältige Darlegung und sehr sorgfältige Sachverhaltsaufklärung nachvollzogen werden.
Die Antragsgegnerin hat die unabdingbare Konsequenz, die Mitwirkungsfälle ganz oder gar nicht zu zählen, nicht gezogen und ist deshalb in Form eines Kompromisses auf die Mindergewichtung verfallen. Dies ist aus den dargelegten Gründen systematisch aber nicht möglich. Ob Herr Rechtsanwalt ..., der mit dem Antragsteller zusammen gearbeitet und selbst einen Antrag auf Gestattung der Führung der Fachanwaltsbezeichnung "Fachanwalt für Arbeitsrecht" gestellt hat, die Merkmale der "persönlichen und weisungsfreien" Bearbeitung erfüllt hat, muss der Senat nicht entscheiden. Dies könnte aber nicht dazu führen, die "persönliche" Bearbeitung der gemeldeten Fälle durch den Antragsteller zu verneinen.
Deshalb ist alleine entscheidend, ob die vom Antragsteller gemeldeten Fälle im Sinne von § 5 Satz 1 FAO von ihm "persönlich und weisungsfrei" bearbeitet worden sind.
Das Merkmal "persönlich" bedeutet, dass der Antragsteller für die Fallbearbeitung die persönliche Verantwortung tragen muss. Dabei ist jede formale Betrachtungsweise ungeeignet (Hartung/Scharmer, Anwaltliche Berufsordnung, 3. Auflage 2006, § 5 FAO Rn. 146). Da die FAO nicht definiert, woraus sich die persönliche Verantwortung "des Bearbeitenden" ergibt, ist in jedem Einzelfall der Sache nach das Element der persönlichen Verantwortung festzustellen (Hartung/Scharmer, a.a.O., Rn. 245).
Der Antragsteller hat dargelegt, dass er die von ihm nachgewiesenen Fälle sowohl gegenüber dem Mandanten ... als auch gegenüber dem Kanzleiinhaber Professor Dr. ... zu verantworten hatte. Er hat hinreichend dargelegt, dass er eine eigene Entscheidungsbefugnis für wesentliche Teile der Fallbearbeitung hatte. Aus der anwaltlichen Erklärung von Professor Dr. ... vom 05.01.2008 ergibt sich, dass der Antragsteller und Herr Professor Dr. ... bei der Mandatsführung und €bearbeitung gleichwertig und gleichrangig gearbeitet haben, in der Ergebnisumsetzung, insbesondere der Sachverhaltserarbeitung und dem verantwortlichen Erstellen von Schriftsätzen und der Teilnahme an Gerichtsterminen dem Antragsteller jedoch ein größerer Beitrag und eine größere Verantwortung oblag als dem Kanzleiinhaber Professor Dr. .... Dass Professor Dr. ... aufgrund des "Vieraugen-Prinzips" und wohl auch auf Wunsch des Mandanten und der Bedeutung des Mandates für den Mandanten sich mitverantwortlich zeigte, steht der Annahme einer persönlichen Bearbeitung durch den Antragsteller nicht entgegen.
Die vom Antragsteller vorgelegten Arbeitsproben ergeben zwar, dass in vielen Fällen Schriftsätze im Wesentlichen identisch eingereicht wurden, die Schriftsätze selbst haben mit 59 Seiten aber einen erheblich überdurchschnittlichen Umfang, so dass es sachlich nachvollziehbar ist, dass die Vielzahl paralleler Verfahren nicht von einem einzelnen Anwalt, sondern "im Team" bearbeitet wurde. Insoweit scheint die Mitwirkung mehrerer Anwälte nicht willkürlich, sondern sachlich begründet zu sein.
Die Bearbeitung der gemeldeten Fälle erfolgte auch "weisungsfrei". Eine weisungsfreie Bearbeitung ist in der Regel nur dann zu verneinen, wenn Rechtsanwälte innerhalb einer Fallbearbeitung im Wege der Zuarbeit eng umgrenzte Teilaspekte, zum Beispiel durch wissenschaftliche Gutachten, ohne eigene Entscheidungsbefugnis darüber, wie die von ihnen für den Teilaspekt gefundenen Lösungen in die Mandatsbearbeitung einfließen und welche Rechtsfolgen hieraus für die Lösung des Falles resultieren, behandeln (Hartung/Scharmer a.a.O., Rn. 148). Diese Konstellation lag in den vom Antragsteller gemeldeten Fällen nicht vor, was von der Antragsgegnerin auch nicht in Zweifel gezogen wird.
Die € auch in der mündlichen Verhandlung noch einmal vertieft vorgebrachte € Auffassung der Antragsgegnerin, die Bearbeitung eines Falles durch mehrere Rechtsanwälte könne zu einer Mindergewichtung führen, wenn dadurch der Fall hinsichtlich Umfangs und Schwierigkeit ein unterdurchschnittliches Gepräge erhalte, ist mit dem Wortlaut von § 5 letzter Satz FAO nicht in Einklang zu bringen. Auch der BGH hat im Beschluss vom 06.03.2006 (NJW 2006, 1513) entschieden, dass die in dieser Vorschrift genannten Kriterien auf den "Fall" abstellen und nicht auf die erfolgte "anwaltliche Bearbeitung". Diese Entscheidung ist zwar auf Kritik gestoßen (so z.B. Hartung/Scharmer, a.a.O., § 5 FAO Rn. 163a, 165a), der man auch zugeben muss, dass die FAO selbst in § 2 auf "erheblich überdurchschnittliche praktische Erfahrungen" und damit auf die Bearbeitungstiefe durch den Anwalt abstellt. Andererseits ist der Wortlaut aber eindeutig und es ist nicht überzeugend, warum der Begriff des Falles in § 5 letzter Satz FAO ein anderer sein sollte als in § 5 Satz 1 FAO, wo nach überwiegender Meinung als "Fall" jede juristische Aufarbeitung eines einheitlichen Lebenssachverhaltes, der sich von anderen Lebenssachverhalten dadurch unterscheidet, dass die zu beurteilenden Tatsachen und die Beteiligten verschieden sind, verstanden wird. Wenn der Satzungsgeber in § 5 letzter Satz FAO nicht den "Fall" in diesem Sinne, sondern die anwaltliche Bearbeitung als Anknüpfungspunkt für eine Gewichtung oder beides (in diesem Sinne könnte Ziffer 9 der "Berliner Empfehlungen" BRAK-Mitt. 200226, 28 zu verstehen sein) wählen wollte, hätte er es entsprechend formulieren können.
Mangelt es, wie ausgeführt, nicht an einer "persönlichen" Bearbeitung der nachgewiesenen Fälle durch den Antragsteller, können die Fälle, in denen auch andere Rechtsanwälte mitgewirkt haben, bei der Fallzählung nicht ausgeschieden werden. Aus den dargelegten Gründen kommt auch wegen des Mitwirkungsaspektes eine Mindergewichtung nach § 5 letzter Satz FAO nicht in Betracht.
Die "Mitwirkungsfälle" sind daher voll zu zählen. Es verbleibt damit bei der Zahl von 66 vom Antragsteller gemeldeten gerichtlichen/rechtsförmlichen Fällen.
2. "Serienfälle"
Die Antragsgegnerin hat 25 Fälle, und zwar die Fälle 25 bis 44 und 46 bis 50, unter dem Gesichtspunkt der "Serienfälle" nur mit einem Faktor von "0,5" gewichtet und hat deshalb 12,5 Gerichtsfälle in Abzug gebracht.
Ob dieser Abzug zu Recht erfolgte, muss vom Senat nicht entschieden werden. Selbst wenn man nicht mit dem BGH (a.a.O.) davon ausginge, dass ein Abzug schon deshalb nicht in Betracht käme, weil sich die Kriterien des § 5 letzter Satz FAO nur auf den Fall und nicht auf die anwaltliche Bearbeitung bezögen, wäre jedenfalls ein höherer Abzug als von der Antragsgegnerin vorgenommen nicht angemessen, so dass auch bei einem Abzug von 12,5 Fällen immer noch 53,5 Fälle verblieben.
Die Frage, ob eine Gewichtung der Fälle 67 und 68 (Spanienfälle) mit einem höheren Faktor als "1" erfolgen müsste, kann daher ebenfalls dahinstehen.
Die sofortige Beschwerde ist nicht zuzulassen, da die Entscheidung, ob der Antragsteller Fälle persönlich und weisungsfrei bearbeitet hat, keine Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung berührt. Dies gilt auch für die Frage der Gewichtung wegen Besonderheiten bei der anwaltlichen Bearbeitung, da insoweit bereits der Beschluss des BGH vom 06.03.2006 vorliegt.
Da der Antrag Erfolg hat, hat die Antragsgegnerin die Verfahrenskosten zu tragen, §§ 201 Abs. 1, 40 Abs. 4 BRAO, 13a Abs. 1 FGG.
Der Geschäftswert ist auf EUR 25.000,00 festzusetzen. Dies entspricht dem Regelgeschäftswert, von dem abzuweichen kein Anlass besteht.
Hessischer AGH:
Beschluss v. 10.11.2008
Az: 1 AGH 19/08
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