Landgericht Düsseldorf:
Urteil vom 28. Juli 2011
Aktenzeichen: 4a O 250/10 U.

(LG Düsseldorf: Urteil v. 28.07.2011, Az.: 4a O 250/10 U.)

Tenor

Die einstweilige Verfügung vom 19.11.2010 wird aufgehoben und der Antrag auf Erlass der einstweiligen Verfügung wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Verfügungsklägerin.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Der Verfügungsklägerin wird nachgelassen, die Vollstreckung durch die Verfügungsbeklagte gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abzuwenden, wenn nicht die Verfügungsbeklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Die Sicherheitsleistung kann auch durch eine unwiderrufliche, unbedingte, unbefristete und selbstschuldnerische Bürgschaft einer in der Europäischen Union als Zoll- oder Steuerbürgin anerkannten Bank oder Sparkasse erbracht werden.

Gründe

Die einstweilige Verfügung der Kammer vom 19.11.2010 ist aufzuheben und der auf ihren Erlass gerichtete Antrag zurückzuweisen, da es der Verfügungsklägerin zumindest nicht gelungen ist, den erforderlichen Verfügungsanspruch glaubhaft zu machen. Die Verfügungsklägerin hat insbesondere einen Anspruch auf Unterlassung gem. Art. 64 EPÜ, §§ 139 Abs. 1, 9 S. 2 PatG nicht glaubhaft gemacht.

I.

Das Verfügungspatent betrifft eine Verwendung metallischer Galliumlegierungen als Thermometerflüssigkeit. Diese soll als nicht quecksilberhaltige metallische Thermometerflüssigkeit in einem weiten Temperaturbereich von ca. -15 °C bis ca. +1000 °C in Flüssigkeitsglasthermometern eingesetzt werden können.

In der Beschreibung des Verfügungspatents wird ausgeführt, dass es im Stand der Technik bekannt gewesen sei, dass diese nicht quecksilberhaltigen metallischen Thermometerflüssigkeiten wegen ihrer hohen Oberflächenspannung nicht benetzend seien und im thermometrischen System eines Kapillarthermometers in einem weiten Temperaturbereich flüssig blieben. Diese Thermometerflüssigkeiten seien niedrig schmelzende Mehrstoffsysteme mit eutektischen Eigenschaften, bestehend aus jeweils 3 der Elemente Gallium, Indium, Zinn sowie Spuren von Verunreinigungen der Elemente Zink und Blei. Legierungen mit den für Thermometer geeigneten Eigenschaften seien bekannt. Vorzugsweise würden solche Legierungen als umweltschonende, ungiftige Alternative zum Quecksilber in Flüssigkeitsglasthermometern eingesetzt, wenn benetzende in der Regel organische Flüssigkeiten mit definierter linearer Ausdehnung nicht eingesetzt werden könnten. Der lineare Ausdehnungskoeffizient α sei bei den bekannten Legierungen gegenüber dem Quecksilber um 1/3 geringer, was zur Folge habe, dass das einzusetzende Materialvolumen im Thermometer gegenüber dem Quecksilber um 1/3 höher sein müsse.

In der europäischen Patentschrift EP F seien Legierungen mit den Komponenten Gallium (65 bis 95 Gewicht -%) genannt. Als weitere Legierungselemente seien Wismuth und alternativ Antimon als mögliche vierte Komponente in geringer Konzentration bekannt.

Die eutektische Galliumlegierung könne außerdem Spuren von Verunreinigungen der Elemente Zink und Blei enthalten. Im technischen Datenblatt für die Legierung "Galinstan" werde eine spezielle Legierung innerhalb des oben genannten Bereiches angegeben, welche einen Phasenübergang von der flüssigen in die feste Phase erst bei einer Temperatur unter -15 °C bei normalen atmosphärischen Bedingungen garantiere. In der oben angegebenen Patenschrift werde für diesen Phasenübergang eine Temperatur von -19,8 °C angegeben. Die Eigenschaften dieser eutektischen Galliumlegierungen seien geeignet, sowohl in Kapillarthermometern mit Anzeige des Maximums, vorzugsweise in Fieberthermometern, als auch in Kapillarthermometern für Labors bzw. technische Anlagen das gesundheitsschädliche Quecksilber zu ersetzen.

Der Nachteil besteht laut Verfügungspatenschrift jedoch darin, dass diese Thermometer als Massen- und Gebrauchsartikel durch den Einsatz der beschriebenen eutektischen Galliumlegierung mit dem hohen Anteil von Gallium sehr kostenintensiv seien.

Die "Indium Corporation of America" biete laut Offerte als Quecksilberersatz die Legierung Ga 61 Gew%, In 25 Gew%, Sn 13 Gew% und Zn 1 Gew% mit einem Schmelzpunkt von 7 °C und die Legierung Ga 62,5 Gew%, In 21,5 Gew% und Sn 16 Gew% mit einem Schmelzpunkt von 11 °C an. Die Reduzierung des Galliumanteils sichere die Reduzierung der Kosten bei gleichem Ausdehnungskoeffizienten. Für diese Kostenreduzierung werde eine Erhöhung des Schmelzpunktes gegenüber den in obiger Patentschrift offenbarten Legierungen als technischer Nachteil in Kauf genommen.

Vor diesem Hintergrund hat es sich das Verfügungspatent zur Aufgabe (zum technischen Problem) gesetzt, die Verwendung metallischer Galliumlegierungen als Thermometerflüssigkeit unter Vermeidung der bisherigen Nachteile so weiter zu entwickeln, dass die Zusammensetzung der Galliumlegierungen an Metallkomponenten eine Erweiterung des Temperaturmessbereichs von Flüssigkeitsglasthermometern für tiefe und für hohe Temperaturen und damit einen weiteren Quecksilberersatz bei gleichzeitiger Kostenverringerung ermöglicht wird.

Dies geschieht gemäß Patentanspruch 1 des Verfügungspatents mit dem im Tatbestand wiedergegebenen Patenanspruch 1, auf dessen Inhalt zwecks Vermeidung von Wiederholungen verwiesen wird.

II.

Die Verfügungsklägerin hat nicht glaubhaft gemacht, dass die angegriffene Ausführungsform die Lehre des Verfügungspatentanspruchs wortsinngemäß verwirklicht.

Der Verfügungspatentschrift ist zu entnehmen, dass es auf die Einhaltung der in Patentanspruch 1 festgelegten Masseanteile hinsichtlich der Stoffe Gallium, Indium sowie Zinn zur Lösung des technischen Problems, welches sich das Verfügungspatent gesetzt hat, maßgeblich ankommt, während Zink und Blei beigemischt werden können, aber nicht müssen.

Die Verfügungsklägerin hat dargelegt und mittels Vorlage eines Gutachtens (Anlage ASt 5) belegt, dass Muster der angegriffenen Ausführungsform, welche die Verfügungsklägerin in Italien erworben hat, eine Zusammensetzung der Indikatorlegierung aus Hg (= Quecksilber) 0,0040 %, Ga (= Gallium) 62,2 %, In (= Indium) 21,9 % und Sn (= Zinn) 15,9 % aufweisen. Die Konzentration der Stoffe Gallium, Indium und Zinn dieser getesteten Muster liegt mithin im Bereich der vom Verfügungspatent vorgesehenen Zusammensetzung.

Die Verfügungsbeklagte hat jedoch dargelegt und mittels Vorlage eines ebenfalls von der Verfügungsklägerin eingeholten Gutachtens vom 31.05.2010 (Anlage AG 1), welches die gleiche Prüfmethode (Untersuchung der Füllflüssigkeit mittels ICP) anwendete, belegt, dass dort getestete Muster der angegriffenen Ausführungsform eine Zusammensetzung der Indikatorlegierung aus Hg 0,0063% bzw. 0,0021%, Ga 60,2% bzw. 61,1%, In 25,2% bzw. 26,1% und Sn 14.6% bzw. 12,7 %. Die Indium-Konzentration ist nach diesen Testergebnissen zu hoch, um die Lehre des Verfügungspatents zu verwirklichen.

Auf diese Abweichungen in den Testergebnissen geht die Verfügungsklägerin dahingehend ein, dass "mit Blick auf die üblichen Lieferzeiten und Liefermengen derartiger Thermometer davon auszugehen sei", bzw. "hinreichender Grund für die Annahme" bestehe, "dass die vorab (in Italien erworbenen und) getesteten Produkte aus derselben Produktionscharge wie die auf der Messe angebotenen Thermometer stammten". Dies ist auch vor dem Hintergrund nicht hinreichend, dass die Verfügungsklägerin in der mündlichen Verhandlung selbst ausgeführt hat, dass sie den Markt seit längerem beobachtet und die Werte in den Thermometern, welche die Verfügungsbeklagte vertreibt, stark schwanken.

Eine überwiegende Wahrscheinlichkeit, dass die angegriffene Ausführungsform die nach dem Verfügungspatent erforderliche Stoffzusammensetzung aufweist, hat die Verfügungsklägerin mithin weder hinreichend dargelegt, noch glaubhaft gemacht.

Dass die angegriffene Ausführungsform auf ihrer Rückseite sowie auf ihrer Verpackung mit dem Verfügungspatent wirbt, indem es auf die Patentnummer Bezug nimmt, führt nicht zu einer abweichenden Beurteilung. Dies ist zwar ein Indiz dafür, dass die angegriffene Ausführungsform von der Lehre des Verfügungspatentanspruchs wortsinngemäß Gebrauch macht und letztlich auch der Grund dafür, warum die Kammer, in Unkenntnis des vorherigen Gutachtens, die einstweilige Verfügung erlassen hat. Die Wirkung dieses Indizes wird allerdings schon dadurch entkräftet, dass Proben anderer Muster, auf deren Rückseite ebenfalls auf das Verfügungspatent Bezug genommen wurde (siehe Bl. 3 des Gutachtens, Anlage AG 1), die erforderliche Indium-Konzentration nicht aufwiesen und folglich die Lehre des Verfügungspatents gerade nicht wortsinngemäß verwirklichten.

Auch von einer Erstbegehungsgefahr mit Hinblick auf die etwaigen stark schwankenden Werte in der Legierungszusammensetzung kann vorliegend nicht ausgegangen werden, weil nicht mit dem erforderlichen Maß an Wahrscheinlichkeit festgestellt werden kann, dass die Schmelztemperatur der Legierung in der angegriffenen Ausführungsform der Schmelztemperatur des Anspruchs 1 des Verfügungspatents entspricht. Diesbezüglich hat die Verfügungsklägerin zwecks Glaubhaftmachung lediglich eine eidesstattliche Versicherung des Herrn G überreicht, aus welcher sich ergibt, dass ihm aufgrund der von ihm durchgeführten Versuchsreihen bekannt sei, "dass die von D verwendeten Eutektika aus Gallium, Indium und Zinn in dem Mengenverhältnis, wie sie aus den Analysen der IGAS research hervorgehen, unter atmosphärischen Bedingungen einen Schmelzpunkt von unter 0° Celsius und im Hochvakuum bis unter -20° Celsius aufweisen können und einen Temperaturbereich abdecken können, der von -15° Celsius bis -1200° Celsius reichen kann." Welche konkreten Versuche durchgeführt wurden, legt die Verfügungsklägerin demgegenüber ebenso wenig dar wie die konkreten Ergebnisse der Versuchsreihe, so dass der Wert dieser eidesstattlichen Versicherung im Hinblick auf die Glaubhaftmachung gering ist.

Die Verfügungsbeklagte hat demgegenüber in der mündlichen Verhandlung Internetausdrucke der Seiten zweier verschiedener Vertreiber von Eutektika überreicht, aus denen hervorgeht, dass ein zu 99,99% reines Eutektikum aus nahezu derselben Gallium / Indium / und Zinnkonzentration, die nach Vortrag der Verfügungsklägerin in der angegriffenen Ausführungsform enthalten sein soll, einen Schmelzpunkt von 10,7 °C hat (vgl. Anlagen AG 18 und 19). Mithin einen Schmelzpunkt, der erheblich über den Schmelzpunkt hinausgeht, welchen die Legierung nach der Lehre des Verfügungspatents aufweist.

Auch wenn die Verfügungsklägerin in der mündlichen Verhandlung ausgeführt hat, die Angaben in den Anlagen AG 18 und 19 seien nicht auf die Nachkommastelle genau, hier gebe es nur eine 104 -er Reinheit, während für Thermometer lediglich Legierungen mit einer Reinheit von 105 oder 106 verwendet würden, kann nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen werden, dass der Schmelzpunkt der angegriffenen Ausführungsform im Rahmen des Verfügungspatents liegt. Dies wirkt sich zulasten der insofern darlegungs- und glaubhaftmachungsbelasteten Verfügungsklägerin aus.

Der nach der mündlichen Verhandlung eingereichte Schriftsatz vom 22.07.2011 bot keinen Anlass, die mündliche Verhandlung wiederzueröffnen.

III.

Da die Verfügungsklägerin bereits nicht hinreichend darlegen und glaubhaft machen konnte, dass die angegriffene Ausführungsform das Verfügungspatent verletzt, bzw. zumindest eine Erstbegehungsgefahr vorliegt, kann dahinstehen, ob die Rechte der Verfügungsklägerin mit Hinblick auf die von Herrn C erteilte Lizenz erschöpft sind und ob ein Verfügungsgrund vorliegt.

IV.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 6, 711 ZPO.

Streitwert: 100.000,00 EUR

Dr. Crummenerl Dr. Voߠ Bliesner






LG Düsseldorf:
Urteil v. 28.07.2011
Az: 4a O 250/10 U.


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