Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg:
Urteil vom 23. Juni 2015
Aktenzeichen: 22 Sa 61/14

(LAG Baden-Württemberg: Urteil v. 23.06.2015, Az.: 22 Sa 61/14)

Die Zuständigkeit eines Konzernbetriebsrats der Interessenausgleichsverhandlungen endet auch dann spätestens mit der Insolvenzeröffnung, wenn eine geplante Betriebsänderung die Betriebe verschiedener Unternehmen betrifft. Dies gilt auch bei Eigenverwaltung mit Sachwalterbestellung.

Tenor

1. Auf die Berufung der Beklagten zu 1. wird das Urteil des Arbeitsgerichts Freiburg - Kammern Offenburg - vom 21.11.2014, Az. 10 Ca 256/13 abgeändert, soweit es der Klage stattgegeben hat. Die Klage gegen die Beklagte zu 1. wird insgesamt abgewiesen.

2. Die Berufung der Klägerin wird zurückgewiesen und die Klage abgewiesen.

3. Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits.

4. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten um Nachteilsausgleichsansprüche gem. § 113 Abs. 3 BetrVG und Schadensersatzansprüche gegen die Geschäftsführer der Beklagten zu 1.

Die Klagpartei war bei der Beklagten zu 1 zuletzt zu einem durchschnittlichen monatlichen Bruttogehalt von 4.500,00 EUR beschäftigt. Das Arbeitsverhältnis endete aufgrund Kündigung der Beklagten zu 1 vom 13.11.2013 zum Ablauf des 28.02.2014.

Die Beklagte zu 1 betrieb ein Unternehmen im Bereich von Call-Center-Dienstleistungen und beschäftigte zuletzt ca. 150 Mitarbeiter. Sie ist Teil der w. Gruppe und hundertprozentige Tochter der w. GmbH, diese wiederum der w. Holding GmbH, beide mit Sitz in E.. Die Beklagten zu 2 bis 6 waren im streiterheblichen Zeitraum die Geschäftsführer der Beklagten zu 1.

Neben der Beklagten zu 1 gibt es weitere Standort-(Tochter-)Gesellschaften. Bei der Beklagten zu 1 war ein Betriebsrat mit neun Mitgliedern gebildet. Außerdem bestand und besteht ein Konzernbetriebsrat.

Einzige Auftraggeberin der Beklagten zu 1 war die w. GmbH in E.. Für diese bearbeitete die Beklagte zu 1 zuletzt als Subunternehmerin Aufträge der Firmen P., S. und der T..

Die Beklagte zu 1 beantragte am 24.07.2013 beim Amtsgericht Karlsruhe - Insolvenzgericht - die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über ihr Vermögen unter Anordnung der Eigenverwaltung. Zeitgleich beantragten auch die Muttergesellschaften und weitere Standortgesellschaften die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens.

Mit Schreiben vorn 10.09.2013 teilte die w. GmbH (E.) der Belegschaft der Beklagten zu 1 mit, man werde per 01.10.2013 planmäßig in die Insolvenz gehen und Ende September 2013 einen Restrukturierungsplan vorlegen.

Unter dem 16.09.2013 wurden Belegschaft und Betriebsrat der Beklagten zu 1 in Sch. darüber informiert, dass das dortige Callcenter zum 31.10.2013 geschlossen werden solle, da eine kostendeckende Fortführung des Betriebs nicht möglich sei. Der größte Teil des Auftragsvolumens werde an andere w. Standorte verlagert.

Ob bzw. wann und in welchem Umfang der örtliche Betriebsrat in diesem Zusammenhang über die genauen Umstände der beabsichtigten Betriebsstilllegung unterrichtet wurde, ist streitig. Eine Beteiligung des vorhandenen Konzernbetriebsrats erfolgte nicht.

Nachdem Aufträge des Kunden €P." bereits im Juni 2013 an die Standortgesellschaft in F. verlagert worden waren, kam es in der zweiten Septemberhälfte 2013 zu Gesprächen der Geschäftsführer der Beklagten zu 1 und der w. GmbH mit den Kunden S. und T.. Die S. erklärte am 23.09.2013, sie habe an einer Fortführung des Auftrags in Sch. kein Interesse. Darauf wurde eine Ausproduktion des Call-Volumens bis zum 31.10.2013 vereinbart. Die T., die Call-Volumen an verschiedenen Standorten der w. Gruppe wie auch bei der Beklagten zu 1 in Sch. bearbeiten ließ, hatte bereits im Juli 2013 angekündigt, den mit der w. GmbH (E.) bis zum 31.12.2013 befristeten Rahmendienstleistungsvertrag nicht zu den bisherigen Konditionen fortzusetzen. Sie teilte am 24.09.2013 mit, sie werde die Zusammenarbeit mit der w. Gruppe insgesamt nicht dauerhaft fortsetzen. Am 30.09.2013 gab sie bekannt, ab sofort kein Call-Volumen mehr nach Sch. zu leiten, was auch so geschah.

Mit Beschluss vom 01.10.2013 eröffnete das Amtsgericht - Insolvenzgericht - Karlsruhe das Insolvenzverfahren über das Vermögen der Beklagten zu 1 unter Anordnung der Eigenverwaltung und Bestellung eines Sachwalters. Etwa zeitgleich wurden auch Insolvenzverfahren über die Vermögen der w. GmbH in E. sowie weiterer Tochtergesellschaften eröffnet.

Unter dem 02.10.2013 zeigte der Sachwalter der Beklagten zu 1 dem Insolvenzgericht die drohende Masseunzulänglichkeit an.

Am gleichen Tag stellte die Eigenverwaltung zunächst 45 Mitarbeiter der Beklagten zu 1 befristet widerruflich frei, nachdem sie den Betriebsrat zuvor vergeblich zum Abschluss einer Vereinbarung über die unwiderrufliche Freistellung der Mitarbeiter aufgefordert hatte. Anschließend wurden sukzessive auch die übrigen Mitarbeiter widerruflich freigestellt.

In der Folgezeit kam es mehrfach zu Eigenkündigungen bzw. Aufhebungsverträgen. Die entsprechenden Mitarbeiter erhielten sogleich Arbeitslosengeld. Ab dem 01.11.2013 bewilligte die Arbeitsagentur auch den übrigen freigestellten Mitarbeitern Arbeitslosengeld im Wege der Gleichwohlgewährung.

Unter dem 14.10.2013 beantragte die Beklagte zu 1 beim Arbeitsgericht Freiburg - Kammern Offenburg € (- 10 BV 2/13 -) gem. § 122 InsO die gerichtliche Zustimmung zur Stilllegung des Betriebes ohne Durchführung des Verfahrens nach § 112 Abs. 2 BetrVG. In einem zugleich eingeleiteten Beschlussverfahren (€ 10 BV 3/13 -) beantragte sie die Besetzung einer Einigungsstelle zur Verhandlung bzw. Aufstellung eines Interessenausgleichs und Sozialplans. Am 13.11.2013 schlossen die Betriebspartner in diesem Verfahren einen Vergleich, infolgedessen die Einigungsstelle am 17.12.2013 tagte. In dieser Sitzung stellte der Vorsitzende das Scheitern des Versuchs eines Interessenausgleichs fest. Die Verhandlungen über einen Sozialplan ruhen derzeit.

Die Beklagte zu 1 kündigte unter dem 02.01.2014 allen verbliebenen Mitarbeitern und stellte diese unwiderruflich frei.

Den Antrag nach § 122 Ins0 in dem noch anhängigen Beschlussverfahren nahm sie zurück.

Wann sie mit der Durchführung einer Betriebsstilllegung begonnen hat, ist streitig.

Mit E-Mail vom 07.11.2013 teilte der Projektleiter W., Mitarbeiter der w. GmbH (E.), zum Betreff "Status Abbau Sch." mit, der offizielle Betrieb des Standortes sei €wie angekündigt zum 31.10.2013 eingestellt", man habe keinen IT-Mitarbeiter mehr vor Ort, am Vortag habe man mit dem Abbau der IT-Infrastruktur des Standortes begonnen. Die gesamte Hardware inkl. Server sei systematisch heruntergefahren und abgebaut sowie alle neuen/geleasten PCs und TFTs nebst Serversystem seien zum weiteren Einsatz nach M. abtransportiert und ältere Geräte zur Verwertung vorbereitet worden. Ob, welche und zu welchem Zeitpunkt sonstige Gegenstände, wie Büromobiliar aus den Räumlichkeiten entfernt wurden, ist streitig.

Mit Schreiben vom 19.11.2013 teilte die w. GmbH (E.) als Mieterin der Räumlichkeiten, die der Beklagten zu 1 zur Nutzung überlassenen waren, ihrem Vermieter, der Grundstücksverwaltungsgesellschaft Sch. GbR mit, sie €halte an der am 27.09.2013 ausgesprochenen Kündigung des Mietverhältnisses zum 31.12.2013 fest", und kündige nochmals hilfsweise zum nächstmöglichen Termin unter Berufung auf die dreimonatige Kündigungsfrist des § 109 Abs. 1 InsO.

Unter dem 03.03.2014 erfolgte eine erneute Anzeige der (drohenden) Masseunzulänglichkeit seitens der Eigenverwaltung.

Mit ihrer am 04.12.2013 beim Arbeitsgericht Freiburg € Kammern Offenburg € eingereichten Klage hat die Klagpartei gegen die Beklagte zu 1 Nachteilsausgleichsansprüche nach § 113 Abs. 3 BetrVG geltend gemacht, deren Höhe sie ins Ermessen des Gerichts stelle. Sie hat vorgetragen, diese habe schon vor dem Versuch eines Interessenausgleichs mit dem Betriebsrat den Betrieb stillgelegt, somit eine geplante Betriebsänderung bereits durchgeführt und sich folglich nachteilsausgleichspflichtig gemacht, da sie infolge der Maßnahmen entlassen worden sei.

Die Beklagte zu 1 habe bereits am 16.10.2013 mit dem Verkauf des gesamten verwertbaren Inventars begonnen. Dafür spreche die Mail des Projektleiters W. der w. GmbH (E.) vom 07.11.2013, aus der sich ergebe, dass der offizielle Betrieb bereits in frühem Stadium eingestellt worden sei. Darüber hinaus seien die widerruflichen Freistellungen faktisch als unwiderrufliche Freistellung der Mitarbeiter anzusehen und die Betriebsänderung damit spätestens am 31.10.2013 durchgeführt worden, denn zu diesem Zeitpunkt sei die Beklagte zu 1 nicht mehr in der Lage gewesen, auch nur einen funktionsfähigen Arbeitsplatz zur Verfügung zu stellen. Dafür spreche im Übrigen auch die Kündigung des Mietverhältnisses über die genutzten Räumlichkeiten.

Auch die Verlagerung von Aufträgen der Kunden P. bzw. S. an andere Standorte müsse als Beginn der Durchführung einer Betriebsänderung angesehen werden.

Für die Betriebsstilllegung sei der Konzernbetriebsrat zuständig gewesen, den die Beklagte zu 1 überhaupt nicht beteiligt habe. Folglich könne sich diese auch nicht darauf berufen, einen Interessenausgleich versucht zu haben. Die Zuständigkeit des Konzernbetriebsrats ergebe sich daraus, dass der Betriebsstilllegung von Anfang an ein Gesamtsanierungskonzept zugrunde gelegen habe. Das lasse sich schon der Antragstellung im Rahmen des Insolvenzverfahrens entnehmen, nach dem sich der Mittelpunkt der wirtschaftlichen Tätigkeit am Sitz der w. GmbH in E. befinde. Die Muttergesellschaft sei schließlich einzige Auftraggeberin der Beklagten zu 1 gewesen. Die Verlagerung der Aufträge P. und S. indiziere ebenfalls das Bestehen eines mehrere Unternehmen des Konzerns betreffenden Konzepts. Auch der Vorfinanzierung des Insolvenzgeldes könne nur ein Sanierungskonzept zur Erhaltung der Arbeitsplätze zugrunde gelegen haben, denn die diesbezügliche Zustimmung der Arbeitsagentur könne nur bei Darlegung einer überwiegenden Wahrscheinlichkeit für den dauerhaften Erhalt eines erheblichen Teils der Arbeitsplätze erteilt worden sein.

Selbst für den Fall der Zuständigkeit des örtlichen Betriebsrats habe die Beklagte keinen Interessenausgleich versucht, weil sie diesem essentielle Unterlagen vorenthalten und nicht alle erforderlichen Möglichkeiten ausgeschöpft habe.

Die Höhe der Abfindung stelle sie ins Ermessen des Gerichts, weise jedoch darauf hin, dass im Hinblick auf das massiv fehlerhafte Verhalten der Arbeitgeberin und das völlige Übergehen der Verhandlungsansprüche von Betriebsrat bzw. Konzernbetriebsrat eine Bemessung mit mindestens zwei Bruttomonatseinkommen pro Beschäftigungsjahr unabdingbar erscheine.

In diesem Zusammenhang sei ihr zugleich ein Schaden entstanden, für den die Geschäftsführer und Beklagten zu 2 bis 6 auch persönlich einzustehen hätten. Dies sei aus einer analogen Anwendung der §§ 61 bzw. 60 InsO herzuleiten. Die Schadensersatzpflicht der Geschäftsführer ergebe sich daraus, dass sie an der Begründung einer Masseverbindlichkeit mitgewirkt hätten, die aus der Masse nicht erfüllt werden könne. Auch bestehe auf Seiten der Geschäftsführer die insolvenzspezifische Pflicht, die Masse zu erhalten; die Belastung mit Nachteilsausgleichsansprüchen bedinge zwangsläufig die Verletzung insolvenzspezifischer Pflichten. Hilfsweise folge ein Anspruch auch aus § 280 BGB. Schließlich komme eine Haftung aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 119 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG in Betracht, da die Arbeitgeberseite die Rechte des Betriebsrats - auch durch Vorenthalten erforderlicher Unterlagen nach § 80 Abs. 2 BetrVG - missachtet und es versäumt habe, diesen umfassend und rechtzeitig iSd. Gesetzes zu unterrichten.

Die Beklagten haben vor dem Arbeitsgericht Klagabweisung beantragt und vorgetragen, mit der Betriebsänderung sei nicht vor dem Versuch eines Interessenausgleichs mit dem allein zuständigen örtlichen Betriebsrat begonnen worden. Denn unumkehrbare Maßnahmen im Hinblick auf die Betriebseinstellung seien nicht vor dem Ausspruch der Kündigungen im Januar 2014 veranlasst worden.

Am 16.10.2013 sei nicht mit dem Verkauf des gesamten verwertbaren Inventars begonnen worden. Der E-Mail des Mitarbeiters W. sei nur zu entnehmen, dass die operative Produktion des Standorts Sch. zum 31.10.2013 bis auf Weiteres eingestellt worden sei. Die im Rahmen der Insolvenz erforderlich gewordene teilweise Herausgabe von PCs und anderen Betriebsmitteln sei im Hinblick auf bestehende Ab- bzw. Aussonderungsrechte Dritter unvermeidlich gewesen. Tatsächlich sei am 16.10.2013 und auch darüber hinaus die grundlegende IT-Infrastruktur in Form verschiedener Server am Standort vorhanden gewesen. Man sei daher bei - unerwarteter - neuer Auftragserteilung binnen weniger Tage theoretisch in der Lage gewesen, fehlendes Material wieder zu beschaffen bzw. die Produktion aufzunehmen.

Die Kündigung des Mietverhältnisses durch die w. GmbH (E.) könne der Beklagten zu 1 nicht angelastet werden. Die Freistellung der Mitarbeiter sei ausdrücklich widerruflich erfolgt, Eigenkündigungen und Aufhebungsverträge jedenfalls nicht durch sie veranlasst worden.

Ebenso wenig habe die Beklagte zu 1 Einfluss auf den Abzug der Auftragsvolumina durch die jeweiligen Kunden bzw. die w. GmbH (E.) gehabt.

Die bereits im Juni 2013 erfolgte Verlagerung des Auftrags €P." stehe in keinem Zusammenhang mit der Standortschließung. Die Aufträge der Firmen S. und T. seien nicht kostendeckend, vielmehr verlustbringend und daher in der bisherigen Form nicht aufrechtzuerhalten gewesen, was schließlich auch zu den € vergeblichen - Verhandlungsversuchen mit diesen Kunden im September 2013 geführt habe.

Gerade weil der Beklagten zu 1 als Eigenverwaltung im Rahmen der Insolvenz die Kernaufgabe zukomme, zugunsten der Gläubigergemeinschaft die Insolvenzmasse zu erhalten oder ggf. zu mehren, aber bei Fortführung des verlustbringenden Geschäftsbetriebs die weitere Schmälerung der finanziellen Mittel gedroht habe, sei allein die Produktionseinstellung in Betracht gekommen.

Es habe kein unternehmensübergreifendes Sanierungskonzept existiert, weshalb ein solches nicht der Arbeitsagentur oder dem Insolvenzgericht zugeleitet worden sei. Die Betriebsstilllegung sei Konsequenz der Insolvenz gewesen.

Die Beklagten zu 2 bis 6 haben vor dem Arbeitsgericht vorgetragen, eine analoge Anwendung der §§ 60, 61 Ins0 sei nicht möglich und dies weiter ausgeführt. Zudem fehle es an der Verletzung einer (bestehenden) insolvenzspezifischen Pflicht bzw. an der pflichtwidrigen Begründung einer Masseverbindlichkeit. Zum Schutz der Insolvenzmasse sei die Eigenverwaltung verpflichtet gewesen, den Betrieb spätestens zum 31.10.2013 zu schließen, um das Entstehen weiterer Verbindlichkeiten zu verhindern. Schließlich fehle es auch an einem zu ersetzenden Schaden. Eine Haftung nach § 280 BGB scheitere u.a. schon an der fehlenden vertraglichen Bindung der Geschäftsführer persönlich zu den einzelnen Mitarbeitern der Beklagten zu 1. Auch für deliktische Ansprüche seien die Voraussetzungen nicht gegeben.

Mit Urteil vom 21.11.2014 - 10 Ca 256/13 - hat das Arbeitsgericht Freiburg € Kammern Offenburg € der Klage teilweise stattgegeben und die Beklagte zu 1 zur Zahlung einer Abfindung iHv. 9.750,00 EUR an die Klagpartei verurteilt, die Klage aber im Übrigen abgewiesen. Es hat ausgeführt, der Anspruch der Klagpartei folge aus § 113 Abs. 3 BetrVG. Denn die Beklagte zu 1 habe es versäumt, vor Durchführung einer Betriebsänderung einen Interessenausgleich mit dem tatsächlich zuständigen Konzernbetriebsrat zu versuchen. Ein ausreichender Versuch liege nur vor, wenn der Arbeitgeber eine Einigung mit dem zuständigen Verhandlungspartner versucht habe. Handle es sich um eine betriebsübergreifende Maßnahme, die nicht innerhalb der einzelnen Betriebe geregelt werden könne, sei die Beteiligung des Gesamtbetriebsrats bzw. ggf. des Konzernbetriebsrats erforderlich. Verhandlungen mit dem falschen Betriebsrat reichten nicht. Hier sei nicht der örtliche Betriebsrat, sondern der Konzernbetriebsrat als Verhandlungspartner für einen Interessenausgleich gem. § 58 Abs. 1 BetrVG zuständig gewesen. Denn bei der geplanten Betriebsänderung habe es sich um eine betriebsübergreifende, den Konzern betreffende Regelung gehandelt. Die geplante Umstrukturierung des Konzerns sei neben der Stilllegung des Betriebs der Beklagten zu 1 ausweislich der Mitarbeitermitteilung vorn 16.09.2013 mit der Verlagerung (noch) bestehender Aufträge an andere Standorte verbunden gewesen. Der Entschluss zur Stilllegung habe sich - das zeige diese Mitteilung - auch schon hinreichend konkretisiert, und zwar bevor vergeblich versucht worden sei, die Aufträge von S. und der T. zu halten. Eines förmlichen Beschlusses der Betriebsstilllegung habe es nicht bedurft. Objektiv habe ein zwingendes Erfordernis für eine unternehmensübergreifende, einheitliche Regelung in Bezug auf den Interessenausgleich bestanden. Denn das €Ob€ und €Wie" der Betriebsänderung habe im Sachzusammenhang mit der wirtschaftlichen Schieflage aller Unternehmen der w. gestanden, sodass ein sachgerechtes Ergebnis nur durch eine koordinierte Regelung auf Konzernbetriebsratsebene zu erreichen gewesen sei.

Die Beklagte zu 1 habe spätestens mit Ausspruch der betriebsbedingten Kündigungen vom 02.01.2014 mit der Durchführung der Betriebsänderung begonnen. Bis zu diesem Zeitpunkt habe sie mit dem zuständigen Konzernbetriebsrat keinen Interessenausgleich versucht.

Die Klagpartei sei auch infolge der Betriebsänderung entlassen worden, sodass ihr ein Nachteilsausgleichsanspruch zustehe. Bei der Festsetzung der konkreten Höhe der Abfindung orientiere sich die Kammer an der €Faustformel€, was weiter ausgeführt wird.

Die Klage gegen die Beklagten zu 2 bis 6 sei hingegen unbegründet, was ebenfalls weiter ausführt wird.

Gegen dieses, der Klagpartei und den Beklagten zu 1 bis 6 jeweils am 26.11.2014 zugestellte Urteil wenden sich die Beklagte zu 1 mit ihrer am 22.12.2014 und die Klagpartei mit ihrer am 23.12.2014 beim Landesarbeitsgericht eingereichten und nach jeweiliger antragsgemäßer Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist am 19.02.2015 (Beklagte zu 1) und am 25.02.2015 (Klagpartei) fristgerecht ausgeführten Berufungen.

Die Beklagte zu 1 trägt vor, die Leistungsklage sei schon nach einer erstmalig angezeigten Masseunzulänglichkeit generell die falsche Klageart. Es erscheine als bloße Förmelei, noch eine Leistungsklage zuzulassen, obwohl bereits eine Anzeige der Masseunzulänglichkeit erfolgt sei und von Beginn an feststehe, dass höchstwahrscheinlich auch die Neumasseverbindlichkeiten nicht befriedigt werden könnten, was sich schon aus der Höhe der begehrten Ansprüche ablesen lasse.

Entgegen der Auffassung des Arbeitsgerichts sei sie spätestens mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens nicht mehr konzernzugehörig (Entkonzernierung) und demnach der Konzernbetriebsrat nicht mehr für sie zuständig gewesen. Eventuelle Zuständigkeiten des Konzernbetriebsrats seien zu diesem Zeitpunkt zurück auf den Betriebsrat gefallen. Eine Insolvenz der abhängigen Gesellschaft beende die einheitliche Leitung. Die Vermutung der Abhängigkeit und damit der Zugehörigkeit zum Konzern sei damit widerlegt. Denn eine Beherrschung des insolventen Unternehmens vertrage sich nicht mit der unabhängigen Stellung des Insolvenzverwalters. Die Mutter als Anteilseignerin erhielte sonst eine systemwidrige Einflussmöglichkeit. Die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis gehe auf den unabhängigen Insolvenzverwalter über (§ 80 Abs. 1 InsO), zu dessen Aufgaben es nicht gehöre, Weisungen der Obergesellschaft entgegenzunehmen. Aufsicht und Kontrolle des Insolvenzverwalters oblägen dem Insolvenzgericht und den Gläubigern. Die Ausübung der einheitlichen Leitung durch die Obergesellschaft werde im Fall der Insolvenz der Untergesellschaft unmöglich, die faktische Konzernbindung damit aufgelöst. Die Besonderheit im vorliegenden Fall, dass kein Insolvenzverwalter bestellt, sondern die Eigenverwaltung mit Sachwalterbestellung gern. § 270 a lnsO angeordnet worden sei, ändere an der Entkonzernierung ihres insolventen Unternehmens nichts. Auch die Einführung des § 276 a Ins0 zum 1.03.2012 spreche für den Gleichlauf mit dem Regelinsolvenzverfahren: § 276a Ins0 regele, dass bei einer juristischen Person in Eigenverwaltung die Gesellschafterversammlung keinen Einfluss mehr auf die Geschäftsführung des Schuldners habe. Selbst die Abberufung und Neubestellung von Mitgliedern der Geschäftsleitung sei nur wirksam, wenn der Sachwalter zustimme. Demnach sei spätestens mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens am 01.10.2013 ihre Konzernabhängigkeit beendet worden.

Der Arbeitgeber beginne mit der Durchführung einer Betriebsänderung iSd. § 113 Abs. 3 BetrVG erst, wenn er unumkehrbare Maßnahmen ergreife und damit vollendete Tatsachen schaffe. Gemessen an den Vorgaben der Rechtsprechung sei die Betriebsänderung weder durch die Einstellung des operativen Betriebs zum 31.10.2013, noch durch Verkauf einzelner Betriebsmittel ab 16.10.2013, oder durch die widerrufliche Freistellung der Mitarbeiter ab 02.10.2013, oder durch Kündigung der Mieträume durch die w. GmbH aber auch nicht durch die Verlagerung des Auftrags €P." bereits im Juni 2013 oder durch Entzug der Aufträge durch Kunden begonnen worden.

Sie habe den zuständigen örtlichen Betriebsrat rechtzeitig und umfassend informiert und mit den Informationen zu Betriebsschließung und der Aufforderung zur Aufnahme der Verhandlungen über einen Interessenausgleich und Sozialplan am 16./17.09.2013 ordnungsgemäß beteiligt und ihm insbesondere die Anlagenkonvolute B1.5 - B1.13 zukommen lassen.

Zudem sei die Höhe des Nachteilsanspruchs zu beanstanden.

Die Beklagte zu 1 beantragt:

I. Das Urteil des Arbeitsgerichts Freiburg € Kammern Offenburg - vom 21.11.2014, Az 10 Ca 256/13 wird teilweise abgeändert, soweit es der Klage stattgegeben hat.

II. Die Klage wird insgesamt abgewiesen.

Die Klagpartei beantragt, die Berufung die Berufung der Beklagten zu 1 zurückzuweisen.

Sie beantragt mit ihrer Berufung:

Das Urteil des Arbeitsgerichts Freiburg € Kammern Offenburg € vom 21.11.2014 Az 10 Ca 256/13 wird abgeändert und

1. Die Beklagte zu 1 wird verurteilt, an die klagende Partei für den Verlust des Arbeitsplatzes eine Abfindung zu zahlen, deren Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, aber 41.730,00 EUR nicht unterschreiten sollte;

2. Fürsorglich zu Ziff. 1: Es wird festgestellt, dass der klagenden Partei gegen die Insolvenzmasse ein Abfindungsanspruch für den Verlust des Arbeitsplatzes zusteht, dessen Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, aber 41.730,00 EUR nicht unterschreiten sollte;

3. Die Beklagten zu 2 bis 6 werden verurteilt, als Gesamtschuldner neben der Beklagten zu 1 an die klagende Partei Schadenersatz zu zahlen, dessen Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, aber 41.730,00 EUR nicht unterschreiten sollte;

4. Fürsorglich zu Ziff. 3: Die Beklagten zu 2 bis 6 werden verurteilt, als Gesamtschuldner neben der Beklagten zu 1 an die klagende Partei Schadenersatz in Höhe des Betrags zu zahlen, der dem nach Antrag Ziff. 1 zu zahlenden oder nach Antrag Ziff. 2 festgestellten Betrag entspricht;

5. Die Beklagten zu 1 bis 6 werden als Gesamtschuldner verurteilt, Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus den in Ziff. 1 bis 4 ausgeurteilten Beträgen seit Rechtshängigkeit an die klagende Partei zu bezahlen.

Die Beklagten zu 1 bis 6 beantragen, die Berufung der Klagpartei zurückzuweisen.

Die Klagpartei trägt vor, zu Recht sei das Arbeitsgericht von der Zulässigkeit der Leistungsklage ausgegangen. Dass diese schon nach einer erstmaligen Anzeige der Masseunzulänglichkeit generell unzulässig sei, sei mit der höchstrichterlichen Rechtsprechung des BGH und BAG nicht zu vereinbaren. § 210 InsO, der sich allein auf die Masseverbindlichkeiten beziehe, sei nicht ohne Weiteres auf die Neumasseverbindlichkeiten zu erstrecken.

Zu Recht sei das Arbeitsgericht auch von der Zuständigkeit des Konzernbetriebsrats ausgegangen. Dass eine Insolvenz der abhängigen Gesellschaft in jedem Fall die einheitliche Leitung beende, sei nicht zwingend, zumindest nicht für alle Konstellationen eines Insolvenzverfahrens. Tatsächlich sei die konzernrechtliche Betrachtung im Eigenverwaltungsverfahren mit Sachwalterbestellung differenziert zu sehen. Die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis über die Masse verbleibe weiterhin beim Schuldner bzw. dessen Leitungsorganen. Gerade bei parallel laufenden Eigenverwaltungsverfahren von Mutter- und verschiedenen Tochterunternehmen seien Konstellationen möglich, die nicht zu einem vollständigen Kompetenz- und Einflussverlust der Konzernmutter führten. Mit dem Wohlwollen der Beteiligten als Grundlage lasse sich eine Situation herstellen, die einer einheitlichen Leitungsmacht nahe komme. Da im Übrigen eine einheitliche Leitung kein formelles Leitungsrecht erfordere, sondern eine informelle Einflussmöglichkeit ausreichend sei, spreche auch § 276 a InsO nicht dafür, dass Einflussmöglichkeiten auf Null reduziert seien. Auch wenn beispielsweise bei der Abberufung und Neubestellung von Mitgliedern der Geschäftsleitung der Sachwalter zustimmen müsse, gehe die Initiative zu der entsprechenden Maßnahme von der Eigenverwaltung aus. Ein Aufbrechen der Konzernstruktur sei daher zumindest im Bereich der Eigenverwaltung nicht zwingend € auch nicht mit sofortiger Wirkung. Dass der Betriebsänderung eindeutig Gruppen- bzw. Konzernbezogenheit zukomme, ergebe sich u.a. aus dem - nur unvollständig - vorgelegten Grobkonzept zur Sanierung der w. Gruppe. Dort werde ausgeführt, dass die einheitliche Leitung der Insolvenzverfahren über die Gesellschaften der Gruppe betriebswirtschaftlich wichtig erscheine, um den Leistungserstellungsprozess innerhalb der Gruppe nicht zu gefährden. Demnach ergebe sich die Zuständigkeit des Konzernbetriebsrats. Da die Beklagte zu 1 diesen aber in keiner Weise beteiligt habe, bestehe der Nachteilsausgleichsanspruch nach § 113 Abs. 3 BetrVG.

Die Beklagte zu 1 habe bereits im Oktober 2013 mit der Durchführung der Betriebsänderung begonnen. Tatsächlich seien unumkehrbare Maßnahmen ergriffen worden, um die betriebliche Organisation aufzulösen. Die Arbeitsmittel (Computer, Telefonanlage) seien ab Oktober 2013 bis Dezember 2013 komplett abgebaut, abtransportiert und zu anderen Gesellschaften verbracht worden. Die personell identische Leitung der Muttergesellschaft habe das Mietverhältnis gekündigt. Aufträge seien auf andere Gesellschaften verlagert worden. Die Mitarbeiter seien - wenn auch formell widerruflich € freigestellt worden, wobei sich aus der Korrespondenz ergebe, dass die widerrufliche Freistellung eine gewünschte unwiderrufliche Freistellung habe sein sollen und faktisch auch gewesen sei. Bei keiner Fallkonstellation sei eine ordnungsgemäße Beteiligung des Betriebsrats/Konzernbetriebsrats erfolgt.

Mit ihrer Berufung beanstande sie, dass das Arbeitsgericht die Abfindung zu gering bemessen habe, was sie weiter ausführt. Zudem habe das Arbeitsgericht zu Unrecht die Haftung der Beklagten zu 2 bis 6 verneint. §§ 60, 61 InsO seien analog auf die Organe juristischer Personen anzuwenden, was sie ebenfalls weiter ausführt. Sie habe gegen die Beklagten zu 2 bis 6 einen Schadensersatzanspruch, weil diese als Geschäftsführer der Beklagten zu 1 schuldhaft ihre Pflicht verletzt hätten, für die Beklagte zu 1 einen Interessensausgleich mit dem zuständigen Betriebsrat über die geplante Betriebsänderung zu versuchen, wodurch sie in dargestellter Höhe geschädigt worden sei. Zudem stehe ihr auch ein Anspruch auf Ersatz ihres Schadens in aus § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. §§ 112, 113 BetrVG zu.

Die Beklagten zu 1 bis 6 treten diesem Vortrag entgegen.

Zum weiteren Vorbringen der Parteien wird auf die gewechselten Schriftsätze und eingereichten Unterlagen verwiesen.

Gründe

A.

Die Berufungen der Klagpartei und der Beklagten zu 1 sind statthaft und zulässig. Sie sind frist- und formgerecht eingelegt und begründet worden, §§ 64 Abs. 2 b), 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 Satz 1 ArbGG i.V.m. §§ 519, 520 ZPO.

Die Berufung der Klagpartei ist auch nicht wegen fehlender Unterschrift des Pro-zessbevollmächtigtem der Klagpartei unzulässig. Sowohl die Berufungsschrift als auch die Berufungsbegründungsschrift schließen mit der erforderlichen Unterschrift des Prozessbevollmächtigtem der Klagpartei ab. Die Unterschrift erfüllen die von Amts wegen zu prüfenden zwingenden und unverzichtbaren Formerfordernisse an einer Unterschrift.

Eine Unterschrift setzt einen individuellen Schriftzug voraus, der sich - ohne lesbar sein zu müssen - als Wiedergabe eines Namens darstellt und die Absicht einer vollen Unterschriftsleistung erkennen lässt. Unter diesen Voraussetzungen kann selbst ein vereinfachter, von einem starken Abschleifungsprozess gekennzeichneter Namenszug als Unterschrift anzuerkennen sein ( vgl. zuletzt BAG 25.2.2015 - 5 AZR 849/13 - NZA 2015, 701).

Nach diesem Maßstab besteht kein Zweifel daran, dass die Unterschrift ausreichende Merkmale einer Unterschrift erkennen lässt. Es handelt sich weder um ein abkürzendes Handzeichen noch um eine Linienführung ohne individuelle Merkmale. Die Absicht einer vollen Unterschriftsleistung ist erkennbar.

Der Hinweis auf die fehlende Unterschrift auf den der Beklagten zu 1 zugestellten Abschriften geht fehl. Erforderlich ist die Unterschrift unter der Urschrift. Für die zuzustellen Schriftstücke gilt § 169 Abs. 2 ZPO. Richtig ist allein, dass der Mangel der Unterschrift in dem als Urschrift der Berufung gedachten Schriftsatz durch die gleichzeitig eingereichte beglaubigte Abschrift dieses Schriftsatzes behoben werden kann, wenn der Beglaubigungsvermerk von dem Prozessbevollmächtigten handschriftlich vollzogen worden ist (vgl. BGH 9. 12. 2010 - IX ZB 60/10).B.

Die Berufung der Beklagten zu 1 ist begründet. Die Klage ist mit Ausnahme der Zahlungsklage gegen die Beklagte zu 1 zulässig (I.), aber unbegründet. Ein Nachteilsausgleichsanspruch der Klagpartei besteht nicht (II.). Die Berufung der Klagpartei ist unbegründet (III.).I.

1. Die Leistungsklage auf Zahlung eines Nachteilsausgleichs gegen die Beklagte zu 1 ist mit der Anzeige der erneuten drohenden Masseunzulänglichkeit am 03.03. 2014 unzulässig geworden.

Bei dem von der Klagparteigeltend gemachten Anspruch auf einen Nachteilsausgleich handelt es sich um eine Neumasseverbindlichkeit i.S. von § 209 Abs. 1 Nr. 2 InsO, die regelmäßig im Wege der Leistungsklage verfolgt werden kann. Die Klagpartei stützt den Anspruch auf Nachteilsausgleich auf Handlungen der Beklagten zu 1 nach Insolvenzeröffnung und nach Anzeige der Masseunzulänglichkeit, die am 02.10.2013 beim Amtsgericht Karlsruhe als Insolvenzgericht eingegangen ist. Die Klagpartei macht geltend, dass auch nach Insolvenzeröffnung und nach der Anzeige der Massenunzulänglichkeit die Interessenausgleichsverhandlungen mit dem Konzernbetriebsrat hätten geführt werden müssen und unabhängig davon bereits vor den Verhandlungen in der Einigungsstelle am 17.12. 2013 die Beklagte mit der Betriebsstilllegung begonnen habe. Wird der Anspruch auf Nachteilsausgleich auf Maßnahmen nach Anzeige der Masseunzulänglichkeit gestützt, handelt es sich um sind Neumasseverbindlichkeiten i.S. von § 209 Abs. 1 Nr. 2 InsO (BAG 30. 5. 2006 - 1 AZR 25/05 - NZA 2006 1122).

Es kann dahingestellt bleiben, ob allein die Anzeige der weiteren Masseunzulänglichkeit dazu führt, dass eine Leistungsklage auf eine Neumassenverbindlichkeit unzulässig wird und die Klage auf einen Feststellungsantrag umgestellt werden muss oder ob es der zu überprüfenden Darlegung bedarf, dass die Neumassenverbindlichkeiten nicht befriedigt werden können. Auf die unterschiedliche Interpretation der Entscheidungen des BGH (z.B. BGH 3.4.2003 - IX ZR 101/02 - NZI 2003, 369) und BAG (z.B. BAG 31. 3. 2004 - 10 AZR 253/03 - NZA 2004, 1093) durch die Parteien kommt es nicht an.

Anerkannt ist, dass dann, wenn Neu-Massegläubiger versuchen, ihre Masseansprüche gerichtlich geltend zu machen, der Insolvenzverwalter im Prozess die erneute Masseunzulänglichkeit einwenden kann. Selbst wenn, wofür einiges spricht, mit dem Arbeitsgericht davon auszugehen ist, dass der Insolvenzverwalter oder hier die Beklagte in Eigenverwaltung die weitere Masseunzulänglichkeit substantiiert darzulegen und ggf. zu beweisen hat und es nicht genügt, dass die (Neu-)Masseunzulänglichkeit öffentlich bekannt gegeben wurde, ist die Leistungsklage zumindest zum Zeitpunkt der Entscheidung im Berufungsverfahren unzulässig geworden. Unter Berücksichtigung der Beweiserleichterungen des § 287 Abs. 2 ZPO steht die drohende weitere Masseunzulänglichkeit fest.

Bei der Beklagten handelt es sich nach der Konzernstruktur um ein Unternehmen ohne wesentlichen Vermögenswerte.

Bereits unmittelbar nach Insolvenzeröffnung erfolgte die erste Anzeige der Masseunzulänglichkeit. Das Sachverständigengutachten von Herrn G. vom 25.9.2013 als vorläufiger Sachwalter kam zum Ergebnis, dass zwar die Kosten des Insolvenzverfahrens gewährleistet sind, dabei jedoch die Masseschulden nach § 55 InsO außer Betracht bleiben. Bereits am 02.10.2013 erfolgte die erste, nicht zu überprüfende Anzeige der Masseunzulänglichkeit. Der Betrieb wurde beschränkt auf den Kunden S. bis Ende Oktober 2013 fortgeführt. Soweit nicht ausgeschieden, wurden die Arbeitnehmer teilweise mit Insolvenzeröffnung, die restlichen Arbeitnehmer ab November 2013 von der Arbeitsleistung freigestellt. Ein Vermögenszuwachs war in dieser Phase des Insolvenzverfahrens nicht mehr zu erwarten. Im Februar 2014 war bei der Anzeige der weiteren Masseunzulänglichkeit ein Massevermögen von 219.000 EUR angegeben. Wie auch der Klagpartei bekannt, wurde im einen Verfahren auf Nachteilsausgleich der Beklagten Prozesskostenhilfe nicht bewilligt. Die erstinstanzlichen Anwaltsgebühren der Beklagten zu 1 für die Rechtstreitigkeiten nach dem 02.10.2013 sind, da nicht erstattungsfähig, zu berücksichtigen. Die Beklagte zu 1 beziffert die Anwaltskosten für die erstinstanzlichen arbeitsrechtlichen Streitigkeiten sowie die ausgeurteilten vorläufig vollstreckbaren Beträge mit ca. 715.000,01 EUR. Aufgelistet hat die Beklagte zu 1 dies in einer Anlage zu dem Beschwerdeverfahren über die Bewilligung von Prozesskostenhilfe. In dem Schreiben vom 09.01.2015 an das Amtsgericht Karlsruhe hat die Beklagten zu 1 auf diese Anlage Bezug genommen. Die weiteren in diesem Schreiben erwähnten Neumasseverbindlichkeiten (Urteil des Amtsgerichts Freiburg mit 376.000 EUR, weitere vollstreckbare Zahlungstitel 275.000 EUR) sind hingegen nicht näher dargelegt. Hierauf kommt es jedoch nicht an, weil auch ohne diese Beträge bei der gebotenen Schätzung nach § 287 ZPO keine Zweifel daran bestehen, dass die strittigen Ansprüche auf Nachteilsausgleich bei den in der Arbeitsgerichtsgerichtsbarkeit anhängigen Verfahren aus der vorhandenen Masse nicht bedient werden können. Hinzu kommt, dass in den Berufungsverfahren, in denen den Klägern ein Nachteilsausgleich zugesprochen wurde, ein Teil der Kläger eine deutliche Erhöhung der Nachteilsausgleichsansprüche auf bis zum Vierfachen begehren (Faktor 2 statt 0,5 Monategehälter pro Beschäftigungsjahr unter Beachtung der Grenzen des § 10 KSchG). Nicht zu berücksichtigen ist im Rahmen der angezeigten Masseunzulänglichkeit, ob diese Ansprüche tatsächlich bestehen. Prüfungsmaßstab ist, ob bei erfolgreichen Klagen gegen die Beklagte zu 1 die titulierten Ansprüche alle vollständig aus der Masse bedient werden können. Dies ist nicht der Fall.

2. Der Hinweis der Klagpartei auf eine Präklusion des ergänzenden Vorbringens im Berufungsverfahren nach den § 67 Abs. 2. 4 ArbGG geht fehl. Es fehlt bereits an der erforderlichen Verzögerung des Rechtsstreits.

3. Soweit die Klagpartei unter Hinweis auf ein Gutachten der A. AG auf mögliche Schadensersatzansprüche i.H.v. 406.000 EUR verweist, stehen diese Ansprüche nicht fest. Gleiches gilt für mögliche Regress€ und Freistellungsansprüche gegen die Geschäftsführer. Insoweit ist auch darauf hinzuweisen, dass der Anspruch auf Nachteilsausgleich nur die Kausalität zwischen Kündigung und unterlassenem Interessenausgleich verlangt, ein Verschulden des Arbeitgebers jedoch nicht erforderlich ist, während dies bei Regress- und Freistellungsansprüchen erforderlich ist.

4. Der von der Klagpartei im Berufungsverfahren eingeführte Feststellungantrag als Hilfsantrag zum Klagantrag zu 1 ist zulässig und bedarf nach § 264 Nr. 2 ZO weder der Zustimmung der Beklagten zu 1 noch der Prüfung der Sachdienlichkeit.II.

Der Klagpartei steht gegen die Beklagte zu 1 kein Anspruch auf Nachteilsausgleich nach § 113 Abs. 3 BetrVG zu.

1. Nach § 113 Abs. 3 i.V.m. Abs. 1 BetrVG kann ein Arbeitnehmer vom Unternehmer die Zahlung einer Abfindung verlangen, wenn der Unternehmer eine geplante Betriebsänderung nach § 111 BetrVG durchführt, ohne über sie einen Interessenausgleich mit dem Betriebsrat versucht zu haben, und infolge der Maßnahme Arbeitnehmer entlassen werden oder andere wirtschaftliche Nachteile erleiden. Der Anspruch aus § 113 Abs. 3 BetrVG dient vornehmlich der Sicherung des sich aus § 111 Satz 1 BetrVG ergebenden Verhandlungsanspruchs des Betriebsrats und schützt dabei mittelbar die Interessen der von einer Betriebsänderung betroffenen Arbeitnehmer. Er entsteht, sobald der Unternehmer mit der Durchführung der Betriebsänderung begonnen hat, ohne bis dahin einen Interessenausgleich mit dem Betriebsrat versucht zu haben (BAG 16.08.2011 - 1 AZR 44/10 - Rn. 9 mwN). Nach § 111 Satz 3 Nr. 1 BetrVG gilt als Betriebsänderung iSd. § 111 Satz 1 BetrVG ua. die Stilllegung des ganzen Betriebs.

Die Pflichten der §§ 111 ff. BetrVG richten sich an den Unternehmer und setzen eine von ihm geplante Betriebsänderung voraus. Unternehmer ist der Rechtsträger des Betriebs. Nichts anderes ist bei einer abhängigen Konzerngesellschaft anzunehmen. Auch in einem Konzern behält das einzelne Konzernunternehmen grundsätzlich seine rechtliche Selbständigkeit. Bei einer das Unternehmen betreffenden Betriebsänderung ist dieses - und nicht das herrschende oder ein anderes konzernangehöriges Unternehmen - zur Beteiligung des Betriebsrats nach § 111 BetrVG verpflichtet und damit ggf. Schuldner des Nachteilsausgleichs iSd. § 113 BetrVG (vgl. BAG 15.01.1991 - 1 AZR 94/90 - zu I 2 der Gründe; vgl. auch Oetker GK-BetrVG 10. Aufl. § 113 Rn. 10 und 81 mwN). Entsprechend bleibt eine generelle (gegenseitige) €Zurechnung€ von Maßnahmen konzernzugehöriger Unternehmen außen vor (BAG 14.04.2015 € 1 AZR 794/13 € Rn. 16).

Der Unternehmer beginnt mit der Durchführung einer Betriebsänderung, wenn er unumkehrbare Maßnahmen ergreift und damit vollendete Tatsachen schafft. Eine Betriebsänderung in Form der Stilllegung besteht in der Aufgabe des Betriebszwecks unter gleichzeitiger Auflösung der Betriebsorganisation für unbestimmte, nicht nur vorübergehende Zeit. Ihre Umsetzung erfolgt, sobald der Unternehmer unumkehrbare Maßnahmen zur Auflösung der betrieblichen Organisation ergreift (BAG 30.05.2006 - 1 AZR 25/05 - Rn. 17, BAGE 118, 222). Dies ist jedenfalls dann der Fall, wenn er die bestehenden Arbeitsverhältnisse zum Zwecke der Betriebsstilllegung kündigt (BAG 23. 9. 2013 - 1 AZR 576/02 - zu II 1 c der Gründe mwN, BAGE 107, 347).

2. Unter Anwendung dieser Grundsätze gilt im vorliegenden Fall Folgendes:

a) Entgegen der Auffassung des Arbeitsgerichts liegt kein Verstoß im Sinne des § 113 Abs. 3 BetrVG vor, weil die Beklagte zu 1 die Kündigung der Arbeitsverhältnisse im Januar 2014 aussprach, ohne mit dem Konzernbetriebsrat Interessenausgleichsverhandlungen geführt zu haben. Denn dieser war spätestens nach der Insolvenzeröffnung nicht (mehr) zuständig.

aa) Bei der Beklagten zu 1 hat es sich zumindest bis zur Insolvenzeröffnung um ein beherrschtes Unternehmen in einem mehrstufig gegliederten Unternehmen gehandelt. Die w. Holding GmbH hat an der Konzernspitze unter anderem die w. GmbH beherrscht, die ihrerseits 100 % der Anteile an der Beklagte zu 1 hält.

bb) Nach § 54 Abs. 1 S. 1, 54 Abs. 2 BetrVG kann in einem sog. Unterordnungskonzern durch Beschlüsse der Gesamtbetriebsräte bzw. Betriebsräte ein Konzernbetriebsrat errichtet werden. Voraussetzung ist nicht, dass der Konzern unter das Aktiengesetz fällt. Die Definitionsnormen der §§ 15ff AktG, auf die § 54 BetrVG verweist, sind rechtsformneutral, so dass es nicht darauf ankommt, wie das herrschende und die abhängigen Unternehmen geführt werden (BAG 13. 10. 2004 € 7 ABR 56/03 € AP BetrVG 1972 § 54 BetrVG 1972 Nr. 9). Auf der Ebene der w. Holding GmbH konnte daher ein Konzernbetriebsrat gebildet werden.

In einem mehrstufigen gegliederten Unordnungskonzern können, wenn einzelne Tochterunternehmen ihrerseits untergeordnete Unternehmen beherrschen, weitere Konzernverhältnisse bestehen. Nach Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts kann daher dann, wenn ein beherrschendes Tochterunternehmen im Bereich der nach dem Betriebsverfassungsgesetz beteiligungspflichtigen Angelegenheiten Leitungsbefugnisse bestehen, ohne an Weisungen der Konzernspitze gebunden zu sein, auch beim beherrschenden Tochterunternehmen ein Konzernbetriebsrat gebildet werden. Voraussetzung ist eine so genannte Teilkonzernspitze (BAG 21.10.1980 - 6 ABR 41/78 - BB 1981, 1461; 16.5.2007 - 7 ABR 63/06 - AP § 96a ArbGG 1979 Nr. 3). Ob diese Voraussetzungen bei der w. GmbH vorlagen, steht nicht fest. Erst im Rahmen der Berufungsverhandlung hat sich herausgestellt, dass zwischen den Parteien unterschiedliche Vorstellungen darüber bestehen, wo der Konzernbetriebsrat gebildet wurde. Die Beteiligte zu 1 hat angegeben, dass der Konzernbetriebsrat auf der Ebene der w. Holding GmbH gebildet wurde, der Prozessbevollmächtigte der Klagpartei hingegen hat erklärt, er gehe davon aus, dass der Konzernbetriebsrat auf der Ebene der w. GmbH gebildet sei. Da das Arbeitsgericht die besonderen Voraussetzungen des Konzernbetriebsrates beim Konzern im Konzern nicht geprüft hat, ist davon auszugehen, dass dieses bei der Entscheidung davon ausgegangen ist, dass der Konzernbetriebsrat auf der Ebene der w. Holding GmbH gebildet wurde und, da nicht alle Tochter- oder Enkelunternehmen im Insolvenzverfahren waren oder sind, weiterhin gebildet ist.

cc) Einer weiteren Aufklärung dieser Frage bedurfte es zur Entscheidung nicht, da spätestens mit der Insolvenzeröffnung in Eigenverwaltung eine mögliche Zuständigkeit des Konzernbetriebsrats geendet hat und eine Nachwirkung der Zuständigkeit ausscheidet.

Voraussetzung einer originären Zuständigkeit des Konzernbetriebsrates nach § 58 Abs. 1 BetrVG ist, dass es sich um eine Angelegenheit handelt, die entweder den Konzern oder zumindest mehrere Konzernunternehmen betrifft und die nicht durch einzelne Gesamtbetriebsräte oder Betriebsräte geregelt werden kann.

Mit dem Arbeitsgericht ist davon auszugehen, dass auch im Rahmen des Mitbestimmungsrechtes bei Betriebsänderungen nach den §§ 111 BetrVG die Zuständigkeit des Konzernbetriebsrats nicht generell ausscheidet. Die Zuständigkeit kommt in Betracht, wenn die geplante Betriebsänderung Betriebe verschiedener Unternehmen betrifft und eine konzerneinheitliche Lösung zwingend geboten ist (Vgl. zur Möglichkeit der Zuständigkeit des KBR BAG 11.12.2001 - 1 AZR 193/10 - AP BetrVG 1972 § 50 Nr. 22; Richardi/Annuß BetrVG 14. Aufl. § 58 Rndr. 39; Fitting BetrVG 27. Aufl. § 27 Rndr. 15)

dd) Voraussetzung der Zuständigkeit des Konzernbetriebsrats ist dabei jedoch zwingend, dass die Leitungsmacht der Konzernmutter besteht.

Für die Errichtung und das Bestehen eines Konzernbetriebsrats bedarf es der Existenz eines Unterordnungskonzerns. Besteht der Unterordnungskonzern nicht mehr, entfallen auch die Voraussetzungen für die Errichtung eines Konzernbetriebsrats für diesen Konzern (BAG 23.08.2006 - 7 ABR 51/05 - AP BetrVG 1972 § 54 Nr. 12). Hieraus ergibt sich zugleich, dass die Zuständigkeit des Konzernbetriebsrats für die Unternehmen endet, die aus dem Konzernverbund ausscheiden

ee) Die Zuständigkeit des Konzernbetriebsrats hat spätestens mit der Insolvenzeröffnung geendet. Die Interessenausgleichsverhandlungen waren zumindest ab diesem Zeitpunkt mit dem bei der Beklagte zu 1 gebildeten Betriebsrat zu führen.

Spätestens mit der Insolvenzeröffnung der Beklagten zu 1 hat die für einen Konzern erforderliche einheitliche Leitung geendet. Dies gilt auch bei Eigenverwaltung mit Sachwalterbestellung. Bis zur (klarstellenden) Einfügung von § 276a InsO durch das Gesetz zur weiteren Erleichterung der Sanierung von Unternehmen vom 7.12.2011 (BGBl I. 2582) war umstritten, ob bei einer Insolvenz in Eigenverwaltung die Aufsichts € und Kontrollbefugnisse der Hauptversammlung, Gesellschafterversammlung, des Aufsichtsrats und vergleichbarer Organe fortexistieren. (vgl. z.B. Prütting/Huhn, ZIP 2002, 777; Ringstmeier/Homann, NZI 2002, 406, Bilgery, ZInsO 2014, 1694).

Mit § 276a ZPO hat der Gesetzgeber klargestellt, dass die Überwachungsorgane bei der Eigenverwaltung keine weitergehenden Einflussmöglichkeiten auf die Geschäftsführung haben als in der Fremdverwaltung (BT-Drucksache 17/5712, 63). Auch die Eigenverwaltung dient der bestmöglichen Gläubigerbefriedigung. Die Eigenverwaltung hat die Geschäftsführung am Interesse der Gläubiger auszurichten. Die Überwachung der Geschäftsführung erfolgt durch Sachwalter, Gläubigerausschuss und Gläubigerversammlung. Eine zuvor bestehende Leitungsbefugnis im Konzern durch die Obergesellschaft endet. § 276a InsO mag rechtspolitischer Kritik ausgesetzt sein (vgl. Hierzu MK-InsO/Klöhn 3. Aufl. 2014 § 276a InsO, Rn. 11 mwN) und eine Konzernsanierung erschweren. Solange die geplante Neuregelung für Konzerninsolvenzen nicht in Kraft getreten ist (vgl. hierzu Gottwald Insolvenz-Rechts-Handbuch, 5. Aufl. 2015 Rdnr. 29 ff.), steht § 276a InsO einer unternehmensübergreifenden Leitung im Falle der Insolvenz auch bei Eigenverwaltung entgegen. Die organisatorische Eingliederung endet, da die Gesellschafterorgane keinen Einfluss auf die Geschäftsführung mehr haben. Der Grundsatz "eine Person, ein Vermögen, eine Insolvenz" gilt auch bei einer Insolvenz im Konzern mit Eigenverwaltung.

Das Insolvenzrecht enthält bislang keine Regelungen, die im Fall einer Konzerninsolvenz ein einheitliches Insolvenzverfahren für mehrere Konzerngesellschaften ermöglichen. Sowohl hinsichtlich der Feststellung des Insolvenzgrunds als auch in Bezug auf die Abwicklung des Insolvenzverfahrens bleiben verbundene Unternehmen daher insolvenzrechtlich selbstständig. Auch die Vermögensmassen insolvenzfähiger Gesellschaften und Personen sind trotz konzernmäßigen Verbundes getrennt abzuwickeln, so dass es keine Konzerninsolvenz gibt (vgl. so ausdrücklich BFH 14.4.1014 - V B 14/14 - NZA 2014, 421 Rn. 25 mwN).

ff) Dem steht auch nicht entgegen, dass die Geschäftsführung zumindest teilweise identisch ist und im Zusammenhang mit der Antragstellung auf Insolvenzeröffnung als weitere Geschäftsführer die Beklagten zu 5 und zu 6 bestellt wurden. Im ergänzenden Antrag an das Insolvenzgericht vom 24.07.2013 wurde die Bestellung damit begründet, dass beide einschlägige Expertisen und Erfahrungen als Insolvenzverwalter und Eigenverwaltung hätten. Im Übrigen wurde auf ein Grobkonzept zur Sanierung der gesamten Unternehmensgruppe und das Schutzschirmverfahren der w. Holding GmbH verwiesen. Die Personenidentität und das erwähnte "Grobkonzept zur Sanierung der gesamten Unternehmensgruppe" ändert am Ende der Leitungsmacht der Konzernmutter jedoch nichts. Dies ist Ausfluss der in der Sanierungspraxis bei Konzerninsolvenzen akzeptierten "Verfahrenskoordination", in denen die wesentlichen Verfahrensfunktionen in den getrennt bleibenden Verfahren jeweils von derselben Person erfüllt werden und für Interessenkonflikte ein Sondersachwalter eingesetzt wird (vgl. hierzu Möhlenkamp/Möhlenkamp, DStR 2014, 1357). Der Klagpartei ist zuzugeben, dass bei den Geschäftsführern nicht erkennbar ist, für wen und in wessen Interessen die Verhandlungen tatsächlich geführt werden und ob die Interessen der Gläubiger der w. Holding GmbH, der w. GmbH oder der Beklagten zu 1 wahrgenommen werden. Richtig dürfte auch sein, dass die Geschäftsführer als Handelnde für die Beklagte zu 1 eigentlich keinen Handlungsspielraum hatten. Die Kundenkontakte und die Kundenverträge bestanden mit der w. GmbH. Auf dieser Ebene mussten daher mit den Kunden die Verhandlungen darüber geführt worden ob und zu welchen Bedingungen und bei welchen rechtlich selbständigen untergeordneten Unternehmen Aufträge fortgeführt werden mit dem Ziel einer Sanierung in der Insolvenz. Dies kann jedoch nichts daran ändern, dass insolvenzrechtlich der Konzern und die Leitungsmacht der beherrschenden Gesellschaften aufgelöst war und damit die Verhandlungen über den Interessenausgleich mit dem Betriebsrat der Beklagten zu 1 zu führen waren.

gg) Auch wenn man davon ausgeht, dass vor der Insolvenzeröffnung der Konzernbetriebsrat zuständig war und die Pflicht zur Interessenausgleichsverhandlungen bereits vor Insolvenzeröffnung bestand, hat die Zuständigkeit mit Insolvenzeröffnung geendet. Eine entsprechende Anwendung der §§ 21a und b BetrVG scheidet aus. Es besteht keine Schutzlücke, da die Zuständigkeit auf den örtlichen Betriebsrat übergeht und Konzernbetriebsrat mit Konzernmutter sich nicht über die insolvenzrechtlich bedingte Auflösung der Leistungsmacht des Konzern hinwegsetzen können.

hh) Mit dem örtlich zuständigen Betriebsrat führte die Beklagte zu 1 jedoch Interessenausgleichsverhandlungen, bis diese vor der hierfür gebildeten Einigungsstelle am 17.12.2013 vom Einigungsstellenvorsitzenden als gescheitert erklärt wurden. Da die Einigungsstelle lediglich die Aufgabe des €Versuchs€ eines Interessenausgleichs hat, reicht die Feststellung des €Scheiterns€ der Verhandlungen durch ihren Vorsitzenden aus, jedenfalls ab diesem Zeitpunkt den ausreichenden Versuch des Interessenausgleichs der Beklagten zu 1) festzustellen (vgl. BAG 14.04.2015 aaO. Rn. 31; vgl. auch GK-BetrVG/Oetker, 10. Aufl. 2014, § 113 Rn. 54).

b) Vor diesem am 17.12.2013 durch den Vorsitzenden der Einigungsstelle als gescheitert festgestellten Versuch eines Interessenausgleichs hatte die Beklagte zu 1 jedoch noch nicht mit der Betriebsstilllegung iSd. § 113 Abs. 3 BetrVG begonnen, weil sie noch keine unumkehrbaren Maßnahmen der Betriebsänderung ergriffen hatte. Vielmehr dienten die bis dort von ihr getroffenen Maßnahmen lediglich der Vorbereitung von Kündigungen zur Betriebsstilllegung. Sie zwangen nicht zu deren Ausspruch.

aa) Die Erstellung des Grobkonzepts zur Sanierung vom 24.07.2013 schuf keine unumkehrbaren Maßnahmen im obigen Sinn, wie sich allein schon aus dem Begriff ergibt.

bb) Die € ausdrücklich - widerrufliche Freistellung der Mitarbeiter ab 02.10.2013 ist nicht anders zu betrachten. In der bloßen Nichtbeschäftigung von Arbeitnehmern liegt keine Auflösung der Betriebsorganisation. Eine Freistellung der Arbeitnehmer von der Arbeitspflicht stellt regelmäßig noch keine Durchführung der Betriebsstilllegung dar. Dies gilt jedenfalls, wenn die Freistellung € wie hier - widerruflich ist (BAG 14.04.2015 aaO. Rn 27; 30.05.2006 - 1 AZR 25/05 - Rn. 21, BAGE 118, 222). Eine unwiderrufliche Freistellung sämtlicher - oder auch nur eines Großteils der - Arbeitnehmer vor dem Ausspruch der Kündigungen liegt hier ersichtlich nicht vor. Es ergibt sich kein Anhaltspunkt, dass die Beklagte zu 1, nachdem sie sich mit ihrem Betriebsrat nicht einigen konnte, dennoch endgültig auf die Arbeitsleistung verzichtet hat. Dies steht in Widerspruch zu der Formulierung als €widerruflich€. Dass ursprünglich mit Betriebsrat eine unwiderrufliche Freistellung erfolgen sollte, spielt diesbezüglich keine Rolle (vgl. BAG 14.04.2015 aaO).

cc) Die Kündigung der Mieträume kann der Beklagten zu 1 nicht zugerechnet werden, da diese nicht Vertragspartner der Vermieterin war.

dd) Über die Verlagerung der Aufträge hatte nicht die Beklagte zu 1, sondern deren Mutter, die w. GmbH (E.) zu entscheiden. Damit kann auch dieses Kriterium keine Berücksichtigung finden.

ee) Die Einstellung des operativen Betriebs zum 31.10.2013 schuf hier ebenfalls keine unumkehrbare Maßnahme. Denn die Einstellung einer Geschäftstätigkeit kann grundsätzlich rückgängig gemacht werden. Zwar kann dies anders sein, wenn ein Arbeitgeber durch die Veräußerung von Betriebsmitteln bereits mit der Auflösung der betrieblichen Organisation beginnt (vgl. BAG 30.05.2006 - 1 AZR 25/05 - Rn. 20, BAGE 118, 222).

Hier wurden zwar die Arbeitsmittel der Beklagten zu 1 bestehend aus Computern, Telefonanlage, Server(n), Headsets, Schreibtischen und Stühlen vor der Einigungsstellensitzung am 17.12.2013 zumindest großteils abgebaut, daraus ergibt sich jedoch aufgrund der Eigenart der Tätigkeit der Beklagten zu 1 nicht, dass diese Arbeitsmittel für den Fortbestand des Betriebs sowie die Möglichkeit der Weiterverfolgung des Betriebszwecks unerlässlich waren (vgl. BAG 14.04.2015 aaO. Rn. 26).

Unerlässlich für ein Call-Center sind letztlich die für den jeweiligen Auftrag geschulten Mitarbeiter und die vorhandenen Daten. Der Rest, bestehend aus Datenträgern, Headsets, Telefonanlage und Einrichtungsgegenständen wie Tische und Stühle kann jederzeit und auch in kürzester Zeit beschafft und (ggf. nach Freischaltung) genutzt werden.

Hinzu kommt, dass überhaupt nicht ersichtlich ist, ob diese Arbeitsmittel im Eigentum der Beklagten zu 1 standen oder ihr nur zur Nutzung überlassen worden waren.

ff) Damit zeigt sich, dass hier die einzige unumkehrbare Maßnahme letztlich nur der Ausspruch der Kündigungen der Mitarbeiter war, der jedoch erst im Januar 2014 und damit nach dem Versuch des Interessenausgleichs (17.12.2013) erfolgte.

Folglich steht fest, dass die Klagpartei keinen Nachteilsausgleichsanspruch gegen die Beklagte zu 1 hat.III.

Mangels Anspruch auf Nachteilausgleich musste die Berufung der Klagpartei scheitern.

Dies gilt auch, soweit sie Schadensersatzansprüche gegen die Beklagten zu 2 bis 6 geltend macht. Dabei kann sogar die wichtige und zu klärende Rechtsfrage dahingestellt bleiben, ob §§ 61, 61 InsO analog anzuwenden sind. Denn es fehlt bereits an einem Pflichtverstoß. Schließlich war vor Beginn der Betriebsänderung der Interessenausgleich mit dem zuständigen örtlichen Betriebsrat versucht worden.

Demgemäß war auf die Berufung der Beklagten zu 1 die erstinstanzliche Entscheidung abzuändern und die Klage in vollem Umfang abzuweisen. Die Berufung der Klagpartei war dagegen zurückzuweisen.C.

Die Klagpartei hat gemäß § 91 ZPO die Kosten erster und zweiter Instanz zu tragen.

Die Kammer hat die Revision zugelassen, weil es um eine Angelegenheit grundsätzlicher Bedeutung geht (§ 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG).






LAG Baden-Württemberg:
Urteil v. 23.06.2015
Az: 22 Sa 61/14


Link zum Urteil:
https://www.admody.com/urteilsdatenbank/53de93ade04f/LAG-Baden-Wuerttemberg_Urteil_vom_23-Juni-2015_Az_22-Sa-61-14




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