Bundespatentgericht:
Beschluss vom 24. März 2003
Aktenzeichen: 15 W (pat) 307/02
(BPatG: Beschluss v. 24.03.2003, Az.: 15 W (pat) 307/02)
Tenor
Das Patent wird widerrufen.
Gründe
I.
Auf die am 8. Dezember 1999 eingereichte Patentanmeldung hat das Deutsche Patent- und Markenamt das Patent 199 59 238 mit der Bezeichnung
"Verfahren zur Herstellung von Maiskolbenmehl als Abrasivum für Reinigungsmittel"
erteilt. Der Veröffentlichungstag der Patenterteilung ist der 28. Februar 2002.
Die Patentansprüche gemäß Streitpatent haben folgenden Wortlaut:
"1. Verfahren zur Herstellung eines Abrasivums für Reinigungsmittel, dadurch gekennzeichnet, dass Maiskolbenmehl mit Wasserstoffperoxid in wässriger Suspension versetzt, diese Suspension mit Alkalihydroxid auf einen pH-Wert von 11,9 eingestellt und bei Abfall des pH-Wertes auf < 10 das verbleibenden Wasserstoffperoxid mit Säure zersetzt wird.
2. Verfahren nach Anspruch 1, dadurch gekennzeichnet, dass der Wasserstoffperoxidgehalt der Suspension ca. 0,35 % beträgt.
3. Verfahren nach Anspruch 1 oder 2, dadurch gekennzeichnet, dass als Alkalihydroxid Natriumhydroxid in Mengen von etwa 0,6 % eingesetzt wird.
4. Verfahren nach Anspruch 1 bis 3, dadurch gekennzeichnet, dass als Säure Zitronensäure in Mengen von etwa 0,3 % eingesetzt wird.
5. Verfahren nach Anspruch 1 bis 4, dadurch gekennzeichnet, dass die Suspension des gebleichten Maiskolbenmehles ohne Isolierung weiterverarbeitet wird.
6. Verwendung des nach dem Verfahren gemäß Anspruch 1 bis 5 hergestellten Maiskolbenmehles als Abrasivum für Reinigungsmittel.
7. Verwendung nach Anspruch 6 als Abrasivum für Handreinigungsmittel."
Gegen die Patenterteilung hat die Einsprechende mit Schriftsatz vom 28. Mai 2002, eingegangen am 28. Mai 2002 beim Deutschen Patent- und Markenamt per Fax, Einspruch erhoben und beantragt, das Patent in vollem Umfang zu widerrufen, hilfsweise eine mündliche Verhandlung anzuberaumen.
Gegenüber dem vorgebrachten Stand der Technik - hier verweist die Einsprechende insbesondere auf die DE 198 16 664 A1 (2) sowie die EP 559 696 B1 (3) - beruhe der Patentgegenstand nicht auf erfinderischer Tätigkeit. Die Einsprechende führt aus, es habe nahegelegen, die aus (3) für andere Abrasiva bereits bekannte Bleichmethode mittels Wasserstoffperoxid auch auf Maiskolbenmehl zu übertragen.
Die Patentinhaberin widerspricht dem Vorbringen der Einsprechenden und führt im Schriftsatz vom 16. Oktober 2002 insbesondere aus, die natürlichen Schalen- und Kernmehle aus (3) seien von der Konsistenz bzw dem Zellaufbau her nicht mit Maiskolbenmehl vergleichbar, sodass dem Fachmann aus dem Stand der Technik keine Anregung gegeben werde. Im Übrigen unterscheide sich das erfindungsgemäße Verfahren dadurch, dass es sich um eine "Eintopfreaktion" handle, denn die Herstellung der Reinigungsmittel erfolge immer im gleichen Reaktor, in dem die Vorbehandlung des Maiskolbenmehls stattgefunden habe.
In der mündlichen Verhandlung am 24. März 2003 stellt die Einsprechende den Antrag, das Patent zu widerrufen.
Die Patentinhaberin widerspricht dem Vorbringen der Einsprechenden und stellt den Antrag, das Patent in vollem Umfang aufrechtzuerhalten.
Wegen weiterer Einzelheiten des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Akten verwiesen.
II.
Der Senat entscheidet im Einspruchsverfahren auf Grund mündlicher Verhandlung in entsprechender Anwendung von § 78 PatG, nachdem beide Parteien hilfsweise Terminsantrag gestellt haben (vgl auch BPatG, 34. Senat, Mitt 2002, 417).
III.
Der zulässige Einspruch führt zum Erfolg. Das Patent war in vollem Umfang zu widerrufen.
Die Patentansprüche des Streitpatents lassen sich aus den ursprünglich eingereichten Unterlagen herleiten (vgl Patentansprüche 3 und 4 iVm der Beschreibung S 5 Z 24 bis S 6 Z 4, sowie S 5 Z 14 bis 16, S 6 Z 11 bis 16, und Anspr 6), sodass hinsichtlich der ursprünglichen Offenbarung keine Bedenken bestehen.
Die Neuheit beanspruchter Verfahren und Verwendung ist anzuerkennen, da in keiner der im Verfahren befindlichen Druckschriften ein Verfahren zur Herstellung eines Abrasivums, in dem Maiskolbenmehl in wässriger Suspension mit Wasserstoffperoxid behandelt wird, und demzufolge auch keine Verwendung eines derart hergestellten Abrasivums für Reinigungsmittel oder Handreinigungsmittel beschrieben ist.
Das beanspruchte Verfahren beruht jedoch nicht auf erfinderischer Tätigkeit.
Bei der Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit ist von der Aufgabe auszugehen, die darin besteht, einen abrasiven Stoff für Hautreinigungsmittel auf Basis von Maiskolbenmehl bereitzustellen, der vollkommen abbaubar ist, ein niedriges Allergiepotential aufweist, eine niedrige Dichte besitzt und als Alternative zu Naturschalenmehlen verwendet werden kann und damit die im Stand der Technik geschilderten Nachteile nicht aufweist, sowie neue Möglichkeiten bei der Verwendung von Maiskolbenmehl eröffnet (vgl Streitpatent Sp 1 Z 54 bis Sp 2 Z 4 iVm der Beschreibungseinleitung Sp 1 Z 5 bis 53). Weitere Aufgaben bestehen darin, ein einfaches Verfahren zur Herstellung solcher Abrasiva zur Verfügung zu stellen sowie diesen abrasiven Stoff in Hautreinigungsmitteln zu verwenden (vgl Streitpatent Sp 2 Z 47 bis 51).
Gelöst wird die Aufgabe durch ein Verfahren zur Herstellung eines Abrasivums für Reinigungsmittel, welches durch die Behandlung von Maiskolbenmehl mit Wasserstoffperoxid unter den Verfahrensbedingungen gemäß geltendem Patentanspruch 1 gekennzeichnet ist.
Diese Lösung war indessen für den Durchschnittsfachmann - einen mit der Herstellung von kosmetischen Zubereitungen, insbesondere Handwasch- und Handreinigungsmitteln, befassten und vertrauten Chemiker - ausgehend vom vorgebrachten Stand der Technik naheliegend.
Aus der EP 559 696 B1 (3) ist bekannt, Schalen- und/oder Kernmehle mit niedrigem Keimgehalt, biologischer Abbaubarkeit, in optisch heller und kosmetisch akzeptabler Form bereitzustellen, die frei von allergenen Substanzen sind, indem man diese Naturmehle in wasserhaltiger Suspension mit Wasserstoffperoxid als Bleichmittel behandelt und nach Filtration und Waschen trocknet (vgl aaO S 3 Z 31 bis 36 sowie Z 44 bis 47 und Anspr 9).
In seine Suche nach Alternativen zu Naturschalen- und Kernmehlen wird der Fachmann auch das ihm bereits als mildes Abrasivum bekannte Maiskolbenmehl (vgl zB DE 198 16 664 A1 (2), S 2 Z 38 bis 39, sowie US 5 661 119 (1), Sp 3 Z 21 bis 47) miteinbeziehen und zur Lösung der im Streitpatent ausgeführten Aufgaben bzw Probleme ohne weiteres zu der Druckschrift (3) und der dort beschriebenen Erfindung gelangen, der im wesentlichen die gleichen Aufgaben bzw. Probleme wie im Streitpatent zugrunde liegen (vgl (3) S 3 Z 31 bis 50, insbes Z 31 bis 36; vgl Streitpatent Sp 1 Z 54 bis 59).
Ausgehend von dem in (3) beschriebenen Verfahren zur Behandlung von Naturmehlen in wässriger Suspension mit Wasserstoffperoxid bedurfte es keines erfinderischen Zutuns, um zu den übrigen Parametern eines Verfahrens gemäß Patentanspruch 1 des Streitpatents zu gelangen.
Die Anregung bzw Anleitung zur Kontrolle des Überschusses an Wasserstoffperoxid im Verlauf des Behandlungsverfahrens und dessen erforderliche Zersetzung mit Säure erhält der Fachmann bereits unmittelbar aus (3), weil dort nicht nur die Umsetzung des Wasserstoffperoxids mit Kern- und Schalenmehlen, sondern auch die titrimetrische Bestimmung des Wasserstoffperoxids und dessen Zersetzung mit Reduktionsmitteln, darunter auch mit Ascorbinsäure, beschrieben ist (vgl aaO S 4 Z 18 bis 19 sowie S 5 Z 1 bis 2).
Ausgehend von (3) und der dortigen Vorgabe der Umsetzung mit Wasserstoffperoxid in alkalischer Suspension (vgl aaO S 4 Z 43 ff Beispiel 1) bedurfte es zur Ermittlung und Einstellung eines geeigneten pH-Bereichs bzw -Werts aber ebenso keines erfinderischen Zutuns wie zur pH-Kontrolle während dieser Umsetzung. Dabei handelt es sich, wie die Einsprechende zutreffend ausgeführt hat (vgl Schriftsatz vom 28. Mai 2002 S 5 Abs 3), um Maßnahmen, die der Fachmann im Zuge üblicher Optimierungsversuche zur Übertragung und Anpassung des ihm aus (3) bekannten Verfahrens auf Maiskolbenmehl ohne weiteres auffinden konnte.
Wenn die Patentinhaberin vorbringt, es habe aufgrund unterschiedlichen Aufbaus des pflanzlichen Rohmaterials für den Fachmann keine Anregungen aus dem Stand der Technik gegeben, ein aus (3) bekanntes Bleichverfahren auch auf Maiskolbenmehl anzuwenden (vgl Schrifts vom 16. Oktober 2002 S 2 bis 3, Abs II.), so kann sich der Senats dieser Auffassung nicht anschließen. Denn zum einen gehen - wie bereits ausgeführt - sowohl das Streitpatent als auch die Druckschrift (3) von vergleichbaren Aufgaben- bzw Problemstellungen aus und zum anderen werden im Stand der Technik - wie die Druckschrift (2) (vgl dort Anspr 2 iVm S 2 Z 36 bis 39 und S 4 Z 4) zeigt - sowohl Naturkern- und -schalenmehle als auch andere Pflanzenmehle wie zB Maiskolbenmehl unter dem Begriff milde abrasive Bestandteile von Hautreinigungsmitteln subsummiert und gemeinsam abgehandelt.
Es besteht zwar Einigkeit darüber, dass gemäß Streitpatent unter Maiskolbenmehl das Mehl der Maisspindel zu verstehen, daher Maiskolbenmehl identisch zu Maisspindelmehl ist (vgl Protokoll über die mündliche Verhandlung vom 24. März 2003) und sich dieses damit, in Übereinstimmung mit den Angaben im Streitpatent (vgl aaO Sp 2 Z 20 bis 23), aus über 90 % Cellulose und etwa 5 bis 10 % Lignin zusammensetzt.
Der Senat kann jedoch nicht feststellen, dass der von der Patentinhaberin vorgetragene unterschiedliche stoffliche Aufbau des pflanzlichen Rohstoffs "Maiskolbenmehl" gegenüber Samenschalen oder bestimmten Samenkernen (vgl Schriftsatz vom 16. Oktober 2002 S 2 bis 3, Abs II.) den Fachmann hätte davon abhalten können, die in (3) beschriebene Behandlung von Abrasiva pflanzlicher Herkunft mit Wasserstoffperoxid auch auf Maiskolbenmehl anzuwenden.
Der Senat stützt sich dabei auf den schriftlichen Vortrag der Einsprechenden, wonach die gemäß (3) eingesetzten Kern- oder Schalenmehle - entgegen den Ausführungen der Patentinhaberin (vgl Schriftsatz vom 16. Oktober 2002 Abs II.) - nicht im wesentlichen aus Lignin bestünden, sondern, wie am Beispiel des Walnussschalenmehls ausgeführt, im wesentlichen der Zusammensetzung von trokkenem Holz entsprächen, welches aus ca 30 % Lignin, 40 % Cellulose und 30 % Hemicellulose bestehe (vgl Schriftsatz vom 11. März 2003 S 5 Abs 1 bis 5).
Die Zusammensetzung von Walnussschalenmehl, die nach der Einsprechenden im wesentlichen der von trockenem Holz aus den Grundbausteinen Lignin, Cellulose und Hemicellulose entspreche, ist nach Ansicht des Senats in Fachkreisen allgemein bekannt, sodass sich die Vorlage einer Kopie der seitens der Einsprechenden hierzu vorgebrachten Textstelle erübrigte (vgl Schriftsatz v 11. März 2003 S 5 Abs 3, H.W. Heldt in "Pflanzenbiochemie", Spektrum Akademischer Verlag GmbH, S 6 bis 9, sowie das Protokoll über die mündliche Verhandlung).
Deshalb kann auch kein Zweifel daran bestehen, dass - wie die Einsprechende weiter vorgetragen hat (vgl Schriftsatz vom 11. März 2003 S 5 Abs 2 und 3 iVm Anl 1 Abs 1 und 2) - Kern- und Schalenmehle und damit auch Walnussschalenmehl nicht im wesentlichen aus Lignin allein, sondern daneben zu einem hohen Anteil auch aus Cellulosen und Hemicellulosen bestehen. Die Kenntnis der Anwesenheit von Cellulose in mehr oder minder hohen Anteilen in pflanzlichen Rohstoffen unterschiedlicher Herkunft konnte den Fachmann aber gerade nicht davon abhalten, das Bleichverfahren gemäß (3) auch auf andere pflanzliche Rohstoffe, insbesondere auch auf andere Abrasiva als Kern- und Schalenmehle, und damit auch auf Maiskolbenmehl anzuwenden. Daran wird ihn auch eine gegebenenfalls unterschiedliche Genese der Zellstruktur des pflanzlichen Materials schon deshalb nicht hindern können, weil er im Hinblick auf eine Behandlung mit Wasserstoffperoxid vorrangig der stofflichen Zusammensetzung Beachtung schenken wird.
Auch der Einwand der Patentinhaberin, handelsübliches Maiskolbenmehl sei wegen der hohen Keimzahl - sie verweist hierzu auf ein in der mündlichen Verhandlung überreichtes Schreiben der Fa. Rettenmaier & Söhne GmbH + Co, Rosenberg, DE, vom 20. März 2003 - für den Fachmann als pflanzliches Abrasivum nicht in Frage gekommen, greift nicht. Denn der vor das Problem einer hohen Keimbelastung des pflanzlichen Rohmaterials gestellte Fachmann wird das Bleichverfahren der Druckschrift (3) für Maiskolbenmehl mit hoher Gesamtkeimzahl gerade deshalb in Betracht ziehen, weil gemäß (3) die Keimzahl von Kern- und Schalenmehlen unter anderem durch die Bleichbehandlung deutlich verringert und damit die im Endprodukt einzusetzende Konservierungsmittelmenge minimiert werden kann (vgl aaO S 4 Z 26 bis 33).
Somit konnte der Fachmann unter Berücksichtigung verschiedener, dem Streitpatent zugrunde liegender Teilaufgaben nicht umhin, das aus (3) bekannte Bleichverfahren auch auf Maiskolbenmehl in wässriger alkalischer Suspension anzuwenden. Daher kann dahinstehen, ob - wie die Patentinhaberin in der mündlichen Verhandlung geltend gemacht hat - zu erwarten war, dass mittels Wasserstoffperoxidbehandlung der Eigengeruch von Maiskolbenmehl entfernbar sei, und dass Maismehl im Vergleich zu Walnussschalenmehl eine geringere scheinbare Dichte aufweise (vgl das von der Patentinhaberin überreichte Datenblatt zur "Dichte von Bioreibkörpern"), was wiederum anwendungstechnische Vorteile biete.
Ein Verfahren zur Herstellung eines Abrasivums mit den Merkmalen gemäß Patentanspruch 1 ist daher mangels erfinderischer Tätigkeit nicht patentfähig. Mit dem Patentanspruch 1 fallen auch alle anderen Patentansprüche, ohne dass es einer Prüfung und Begründung dahin bedarf, ob diese etwas Schutzfähiges enthalten (BGH, GRUR 1997, 120 - Elektrisches Speicherheizgerät).
Bei gegebener Antragslage konnte auch das Vorbringen der Patentinhaberin, wonach es sich beim erfindungsgemäßen Verfahren um eine Eintopfreaktion handle (vgl Schriftsatz vom 16. Oktober 2002 S 3 Abs 4), zu keinem anderen Ergebnis führen. Denn die Weiterverarbeitung ohne Isolierung im selben Reaktionsansatz zu fertigen Reinigungsmitteln, gegebenenfalls unter Zugabe weiterer Reinigungsmittelkomponenten vor der Behandlung mit Wasserstoffperoxid, stellt eine nichtobligate, alternative Ausführungsform des geltenden Patentanspruch 1 dar, die erst Gegenstand des geltenden Unteranspruchs 5 ist.
Kahr Jordan Klante Egerer Pü
BPatG:
Beschluss v. 24.03.2003
Az: 15 W (pat) 307/02
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