Oberlandesgericht Köln:
Urteil vom 1. Februar 2013
Aktenzeichen: 6 U 163/12

(OLG Köln: Urteil v. 01.02.2013, Az.: 6 U 163/12)

Tenor

Auf die Berufung der Antragstellerin und die Anschlussberufung der Antragsgegnerin wird das am 15.08.2012 verkündete Urteil der 4. Kammer für Handelssachen des Landgerichts Köln teilweise abgeändert und insgesamt wie folgt neu gefasst:

Die Antragsgegnerin wird verurteilt, es bei Meidung eines vom Gericht für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes in Höhe von bis zu 250.000,00 €, ersatzweise Ordnungshaft, oder von Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, zu vollziehen an ihren Geschäftsführern, zu unterlassen,

im geschäftlichen Verkehr für ihr Produkt "Entertain Sat"

mit der Angabe "Highspeed-Surfen bis zu 16 Mbit/s"

und/oder

mit den Angaben

"Unterhaltung in 3 D

[...] Denn mit Entertain stehen Ihnen schon jetzt viele dreidimensionale Inhalte zur Verfügung."

und/oder

"Ihre persönliche Videothek

[...] Davon sind bereits viele in HD und in 3D verfügbar."

und/oder

"Rund 18.000 Film-, TV- und Serienhighlights auf Abruf, davon 2.500 in HD und einige sogar in 3D"

zu werben,

wenn dies jeweils

wie nachfolgend wiedergegeben

geschieht:

(Titelseite = Seite 1)

(Ansicht nach dem ersten Aufklappen = Seiten 2 und 5)

(Ansicht Mitte und rechts nach dem zweiten Aufklappen = Seiten 3 und 4)

(Rückseite und ausgeklappte Innenseite = Seiten 5 und 6)

Das weitergehende Rechtsmittel der Antragstellerin wird zurückgewiesen. Von den Kosten des Verfahrens beider Instanzen haben die Antragstellerin 7/12 und die Antragsgegnerin 5/12 zu tragen.

Gründe

Die zulässigen Rechtsmittel der Parteien gegen das Urteil des Landgerichts, auf dessen tatsächliche Feststellungen der Senat Bezug nimmt (§ 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO), führen zu der aus der Urteilsformel ersichtlichen Teilabänderung. Die Berufung der Antragstellerin hat teilweise Erfolg, weil ihr ein Unterlassungsanspruch wegen irreführender Werbeangaben der Antragsgegnerin in dem streitbefangenen Faltblatt (§§ 3, 5 Abs. 1 S. 1 und 2 Nr. 1, 5a, 8 Abs. 1 und 3 Nr. 1 UWG) nach den Anträgen zu Nr. 1 lit. d und e zusteht. Aber auch die Anschlussberufung der Antragsgegnerin erweist sich als begründet, weil der Senat ihre Verurteilung gemäß dem Antrag zu Nr. 1 lit. c nicht für gerechtfertigt hält.

a) Zu Recht hat das Landgericht allerdings den Slogan "Entertain gibt’s jetzt auch über Satellit." (auf der Titelseite des Faltblatts) im Hinblick auf die im Antrag (zu Nr. 1 lit. a) formulierte Maßgabe "wenn die im Zusammenhang mit Entertain über DSL erhältlichen Zubuchoptionen »Liga total!« und die »Entertain-TV-Pakete« für »Entertain Sat« nicht verfügbar sind" als unbedenklich angesehen, weshalb die diesbezüglichen Angriffe der Berufung sich als unbegründet erweisen.

Gegenstand dieses Antrags ist nicht der Vorwurf, dass dem Verbraucher von der Antragsgegnerin in Bezug auf den technischen Übertragungsweg "über Satellit" Leistungen in Aussicht gestellt würden, die ihm - was unstreitig ist -jede digitale Satellitenempfangsanlage ohnehin bietet. Beanstandet wird vielmehr die Erzeugung der Fehlvorstellung, dass dem Verbraucher bei dem Angebot "Entertain Sat" die gleichen Zubuchoptionen zur Verfügung stünden, die die Antragsgegnerin bei anderen Angeboten mit der Bezeichnung "Entertain" vorsieht. Dies aber setzt ein glaubhaft gemachtes Verbraucherverständnis voraus, wonach schlechthin jedem "Entertain"-Angebot der Antragsgegnerin die angeführten Zubuchoptionen innewohnten. Davon kann indes keine Rede sein. Fraglich ist schon, ob die intensive Werbung der Antragsgegnerin für ihre "Entertain"-Angebote bei dem an eine Vielfalt von werblichen Bezeichnungen, technischen Konfigurationen und tariflichen Kombinationen auf dem Umunikationsmarkt gewöhnten Verbraucher über die allgemeine Assoziation moderner Unterhaltungselektronik hinaus überhaupt konkrete Erwartungen an einzelne Leistungsmerkmale geweckt hat. Jedenfalls wird der Verbraucher bei einem neuen "Entertain"- Angebot nicht ohne weiteres von der Verfügbarkeit bestimmter entgeltlicher Zubuchoptionen, nämlich - wie es der Antrag voraussetzt - sowohl des Fussballkanals "LIGA total!" als auch weiterer (Bezahl-) "TV-Pakete" ausgehen, nachdem die Antragsgegnerin dafür bisher auch unabhängig von "Entertain" geworben und eine Zubuchung nur bei "Entertain Comfort" und "Entertain Premium", nicht aber bei "Entertain Basic" und "Entertain Pur" ermöglicht hat.

b) Ebenfalls ohne Erfolg bleibt die Berufung, soweit sie ein Verbot des Slogans "Das neue Fernsehen, das alles möglich macht" mit der Maßgabe "wenn dabei folgende Merkmale herausgestellt werden: Programm und Sendervielfalt [...] 270 TV-Sender und/oder HDTV und HD+ via Astra-Satellit ein Jahr inklusive und/oder Zeitversetztes Fernsehen" erstrebt.

Der Angriff richtet sich nicht isoliert gegen die Verwendung des Werbetextes auf der Titelseite, dem der durchschnittlich informierte und situationsadäquat aufmerksame Verbraucher nur eine reklamehaft übertreibende Anpreisung entnehmen wird. Insbesondere als Neuheitswerbung in dem Sinne, dass es um das Angebot einer technischen Innovation gehe, die buchstäblich "alles" möglich mache oder zumindest keinen Vergleich mit modernen "Smart-TV"-Geräten zu scheuen brauche, wird die Aussage nicht verstanden. Der durch die Anpreisung aufmerksam gewordene und nach Erläuterung suchende Verbraucher bemerkt vielmehr spätestens nach Aufklappen des Faltblatts, wenn ihm der beanstandete Text in der Überschrift links (Seite 2) erneut begegnet, dass ihm ein kombiniertes Angebot gemacht wird und die Antragsgegnerin nicht irgendein Gerät, sondern ein "Komplettpaket für Internet, Telefon und Fernsehen" (Seite 5) werbend als "neu" herausstellt. Bei Verteilung des Faltblatts im Mai 2012 war das weder falsch noch irreführend, denn das am Markt im September 2011 eingeführte Angebot war als solches durchaus innovativ: Wie vom Landgericht zutreffend betont, fand sich seinerzeit insbesondere die Kombination von (kabelgebundenem) Telefon- und Internetanschluss und (satellitengestütztem) Fernsehempfang mit einem (mietweise überlassenen) leistungsfähigen Festplattenrekorder, einer Online-Videothek und weiteren elektronischen Programmnutzungsfunktionen bei keinem anderen Anbieter.

Entgegen dem Berufungsvorbringen ergibt sich keine relevante Irreführung daraus, dass die Einzelelemente des "Komplettpakets" an sich nicht neu waren, versierte Verbraucher sich ein gleichwertiges Mediencenter mit der Möglichkeit zeitversetzten Fernsehens aus marktgängigen Komponenten auch selbst hätten zusammenstellen können und namentlich über Satellit keine anderen Sender empfangbar waren als mit jeder (weiterhin erforderlichen) herkömmlichen Empfangsanlage. Denn soweit die Antragstellerin das Herausstellen bestimmter Merkmale (alternativ und kumulativ) als irreführende Werbung mit Selbstverständlichkeiten rügt, unterschätzt sie die Fähigkeit der angesprochenen Verbraucher, zwischen dem in dieser Form singulären Gesamtangebot und den in Zwischenüberschriften (auf den Seiten 2, 3 und 4 im Innern des Faltblatts) erwähnten Leistungsmerkmalen zu unterscheiden, von denen die im Antrag angesprochenen Einzelmerkmale nicht etwa exklusiv der Antragsgegnerin, sondern einerseits dem ASTRA-Satelliten und andererseits dem Festplattenrekorder zugeordnet werden, deren Nutzbarkeit dem Kombinationsangebot zu Grunde liegt.

c) Das Landgericht hat der Antragsgegnerin in ermessensgerechter (§ 938 Abs. 1 ZPO) Auslegung des Verfügungsantrags zu Nr. 1 lit. c untersagt, mit der Angabe "Surfen und Telefonieren" wie im streitbefangenen Faltblatt für ihr Angebot "Entertain Sat" zu werden, für das die Abnahme eines nicht über Satellitentechnik realisierten U-DSL-Anschlusses zwingend erforderlich ist. Dagegen wendet sich die Anschlussberufung mit Erfolg.

Bei dem angegriffenen Text handelt es sich um eine Zwischenüberschrift auf der eingeklappten rechten Innenseite des Faltblatts (Seite 5). Angesichts des Kontextes vermag der Senat auszuschließen, dass ein relevanter Teil der angesprochenen Verbraucher daraus auf eine mögliche Nutzung von Internet und Telefon ausschließlich "über Satellit" ohne einen U-DSL-Anschluss schließen wird. Denn die Werbung beschreibt "Entertain Sat" oberhalb der beanstandeten Zeile zwar als Komplettpaket für Internet, Telefon und Fernsehen von nur einem Anbieter, behauptet aber an keiner Stelle, dass es sich bei dem "Paket" um ein ausschließlich satellitengestütztes Angebot handele, sondern bezieht im Gegenteil die Nutzung der Satellitentechnik schon in der Seitenüberschrift "Entdecken Sie Entertain, das neue Fernsehen. Jetzt auch über Satellit" nur auf den Bereich "Fernsehen". Damit korrespondiert die Zwischenüberschrift "Fernsehen", während die unter der Zwischenüberschrift "Surfen und Telefonieren" aufgeführten Leistungen ersichtlich den anderen Teil des Komplettpakets betreffen. Gegen ein ausschließlich satellitenbasiertes Kombinationsangebot spricht auch die getrennte Preisauszeichnung und die Angabe "Festnetz-Flatrate ins gesamte deutsche Festnetz", wonach ein Telefonieren über Satellit zwar nicht begrifflich zwingend ausgeschlossen erscheint, ohne besonderen Hinweis und gerade bei einem Angebot der Antragsgegnerin aber eher fern liegt; im Fußnotenhinweis 1 ist sogar ausdrücklich von einem DSL-Bereitstellungspreis die Rede.

d) Im Ergebnis mit Erfolg rügt die Berufung, dass das Landgericht den zu Nr. 1 lit. d geltend gemachten Antrag, die Werbeaussage "Highspeed-Surfen bis zu 16 Mbit/s" zu unterlassen, aus vorwiegend prozessualen Gründen zurückgewiesen hat. Nach dem jetzt unstreitigen Sachverhalt ist die Angabe im konkreten Zusammenhang des angegriffenen Faltblatts irreführend.

Wie sich aus der von der Antragsgegnerin selbst vorgelegten eidesstattlichen Versicherung ihres Mitarbeiters Marc Schwarze vom 12.12.2012 (Anlage AG 4) ergibt, stellt sie ihr Angebot "Entertain Sat" bereits überall dort bereit, wo eine Breitbandanbindung von 3.000 Kbit/s (= 3 MBit/s) durchgängig realisierbar ist - mithin in relevantem Umfang auch dort, wo die im Faltblatt ausgelobte Datenübertragungsrate von 16 MBit/s bei weitem nicht erreicht wird und angesichts des Stands der Technik im Frühjahr 2012 von einem "Highspeed-Surfen" in dem von ihr selbst und ihren Konkurrenten werblich herausgestellten Sinn ("VDSL-Standard") schwerlich die Rede sein kann.

Zwar werden die Werbeadressaten der Aussage auf Grund der Einschränkung "bis zu ..." entnehmen, dass lokale Faktoren die tatsächlich zur Verfügung gestellte Bandbreite vermindern können. Soweit dafür Gegebenheiten und Strukturen außerhalb des eigenen Kabelnetzes maßgeblich sind, wird ohnehin kein erheblicher Teil des Verkehrs die Vorstellung hegen, die Antragsgegnerin stehe dafür ein, dass die von ihr beworbene Geschwindigkeit durchweg erreicht werde (vgl. BGH, GRUR 2010, 744 = WRP 2010, 1023 [Rn. 48] - Sondernewsletter), und soweit die Auslegung des eigenen Kabelnetzes dazu führt, dass in einigen Regionen Internetanschlüsse mit der ausgelobten höchsten Downloadgeschwindigkeit nicht zur Verfügung gestellt werden können, steht dieses Verfügbarkeitsproblem der Werbung mit einer für andere Regionen zutreffenden Spitzenstellungsbehauptung nicht generell entgegen (vgl. Senat, Urteil vom 07.09.2012 - 6 U 6/12). Im Streitfall kommt aber hinzu, dass die sich an Verbraucher nicht nur in Ballungsgebieten, sondern vor allem auch auf dem Land richtende Werbung der Vorstellung eines neuartigen Angebots dient, das in technischer Hinsicht auf einer Kombination von U-DSL-Anschluss und Satellitentechnik beruht. Obwohl der Werbung - wie vorstehend zu lit. c erörtert - nicht die Auslobung eines ausschließlich satellitengestützten Systems zu entnehmen ist, das die in ländlichen Regionen verbreiteten und dortigen Verbrauchern geläufigen Verfügbarkeitsprobleme gegenstandslos macht, liegt es doch nahe, dass gerade die Interessenten im ländlichen Bereich, die das Angebot besonders ansprechen soll, mit der Aussage "Highspeed-Surfen bis zu 16 Mbit/s" mehr verbinden werden als eine Bezugnahme auf die schon bisher vor Ort verfügbare DSL-Technik mit ihren technisch bedingten Beschränkungen. Denjenigen relevanten Teil der Verbraucher aber, der annimmt, dass die Antragsgegnerin im Zusammenhang mit der Einbeziehung des Satellitenfernsehens in ihr "Entertain"-Angebot auch die technischen Voraussetzungen für höhere Datenübertragungsraten im Internet verbessert habe, führt die angegriffene Werbeaussage ohne besondere Aufklärung - die der Fußnotenhinweis 1 zur Preisangabe nicht zu leisten vermag - in die Irre.

Aus den vorstehenden Erwägungen erhellt sich zugleich, dass dem auf die konkrete Werbung bezogenen Unterlassungsbegehren der Antragstellerin nicht deshalb die Dringlichkeit fehlt, weil die Antragsgegnerin ähnliche Werbetexte in anderem Zusammenhang seit langem unbeanstandet verwendet.

e) Als begründet erweist sich die Berufung auch in Bezug auf die in der Urteilsformel wiedergegebenen Angaben in dem Werbefaltblatt, die im Zusammenhang mit Vorteilen der Videothek auf den möglichen Abruf von Filmen in HD- und 3D-Qualität verweisen, ohne die angesprochenen Verbraucher auf technische Beschränkungen des Abspielens dieser umfangreichen digitalen Dateien durch geringe Bandbreiten insbesondere im ländlichen Raum hinzuweisen. Dass solche Beschränkungen bestehen, ist unstreitig, wenngleich der Datenspeicher des Festplattenrekorders - wie die Antragsgegnerin vorbringt - groß genug sein mag, um nach dem Herunterladen ein störungsfreies Abspielen zu ermöglichen. Denn mit dem beträchtlichen Zeitaufwand, den der Download bei geringen Bandbreiten in Anspruch nimmt, werden die umworbenen Verbraucher nicht rechnen.

Getäuscht fühlen werden sich vor allem jene Verbraucher in ländlichen Gebieten, welche ein HD- oder 3D-fähiges Fernsehgerät besitzen oder die Anschaffung eines solchen Gerätes erwägen und denen die Antragsgegnerin auf Grund der Auslegung ihres Telefonkabelnetzes bisher keine Möglichkeit zur Übertragung entsprechender Filme über das Internet ohne unzumutbare Störungen oder Wartezeiten bieten konnte. Obwohl diese Verbraucher der Werbung entnehmen können, dass das Angebot "Entertain Sat" für die Nutzung des Internets weiterhin einen U-DSL-Anschluss voraussetzt, werden sie bei dem aus Verbrauchersicht nicht eindeutig dem Bereich "Surfen und Telefonieren", sondern sogar eher dem Bereich "Fernsehen" zugeordneten Angebot einer persönlichen Videothek nicht mit derartigen Beschränkungen rechnen, sondern eine durch Satellitentechnik ermöglichte erhebliche Verbesserung erwarten. Die Verwendung des Ausdrucks "Online-Videothek" an einigen Stellen des Faltblatts stellt für sich genommen keine ausreichende Relativierung der übrigen vollmundigen Aussagen dar und führt insoweit zu keiner anderen Bewertung.

f) Die Kostenentscheidung folgt aus § 92 Abs. 1 S. 1 ZPO. Das Urteil ist gemäß § 542 Abs. 2 ZPO mit seiner Verkündung rechtskräftig.

g) Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird in Abänderung des Beschlusses vom 18.10.2012 auf 120.000,00 € festgesetzt, wovon auf die Berufung 90.000,00 € (30.000,00 € für den Antrag zu Nr. 1 lit d und jeweils 20.000,00 € für die Anträge zu Nr. 1 lit. a, b und e) und auf die Anschlussberufung 30.000,00 € entfallen.






OLG Köln:
Urteil v. 01.02.2013
Az: 6 U 163/12


Link zum Urteil:
https://www.admody.com/urteilsdatenbank/54095fbbc88d/OLG-Koeln_Urteil_vom_1-Februar-2013_Az_6-U-163-12




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