Oberlandesgericht Düsseldorf:
Urteil vom 19. März 2013
Aktenzeichen: I-20 U 41/12

(OLG Düsseldorf: Urteil v. 19.03.2013, Az.: I-20 U 41/12)

Tenor

Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil der 12. Zivilkammer des Landgerichts Düsseldorf vom 22. Februar 2012 wird auf seine Kosten zurückgewiesen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Der Beklagte darf die Vollstreckung des Klägers durch Sicherheitsleistung in Höhe von 10.000 Euro abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in dieser Höhe leistet.

Gründe

I.

Es wird auf die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil Bezug genommen, mit dem das Landgericht dem Beklagten, einem Augenarzt und zugleich Augenoptikermeister, unter Androhung von Ordnungsmitteln zu 1. verboten hat,

Patienten dadurch zum Kauf von Korrektionsbrillen in (seinem) Optikergeschäft D. e.K. in der F.straße .., .. D. zu bewegen, dass er die Abgabe der nach der Refraktionsbestimmung ermittelten Werte mit der Begründung verweigert, er gebe diese nicht heraus, wenn sie bei einem anderen Augenoptikergeschäft als dem eigenen zum Zwecke des Kaufs einer Korrektionsbrille vorgelegt werden sollten,

und zu 2.

Patienten nach der Feststellung des Refraktionswertes zur weiteren Versorgung mit einer Brille ohne hinreichenden Grund im Einzelfall sein eigenes Augenoptikergeschäft zu empfehlen, ohne dass der Patient um eine Empfehlung gebeten hat,

- zum ersten auf §§ 3 und 4 Nr. 1 UWG gestützt, zum zweiten auf §§ 3 und 4 Nr. 11 UWG in Verbindung mit 34 Abs. 5 BOÄ -

und es ihn schließlich zur

Erstattung von 208,65 Euro Abmahnkosten nebst Zinsen

verurteilt hat.

Gegen die Verurteilung wendet sich der Beklagte mit der Berufung. Er macht geltend, für das Verbot zu 1. gebe es kein Rechtsschutzbedürfnis, da der Kläger keinen Fall benannt habe, in dem er die Herausgabe der Werte nach einer Refraktionsbestimmung verweigert habe. Diese Werte müsse er aber auch gar nicht herausgeben. Brillen dürften im Übrigen nicht allein nach den "Refraktionswerten" ohne Rücksicht auf die maßgeblichen "Brillenwerte" gefertigt werden. Letztere stellten die notwendige "Feinjustierung" der ersteren dar. Die Verweigerung der bloßen Refraktionswerte diene sogar dem Schutz des Patienten, dass er sich nämlich keine falschen Brille machen lasse. Dem Verbot zu 2. stehe das Grundrecht der Berufsausübungsfreiheit entgegen, die ihn berechtige, seine Augenarztpatienten darauf hinzuweisen, dass er in seinem zweiten mit dem augenärztlichen in enger Beziehung stehenden Beruf des Augenoptikermeisters alle augenoptischen Leistungen erbringen könne.

Er beantragt,

das angefochtene Urteil abzuändern und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt

Zurückweisung der Berufung.

Er vertieft sein erstinstanzliches Vorbringen und stützt sich wegen des zweiten Verbots vor allem auf das Urteil "Hörgeräteversorgung II" des Bundesgerichtshofs (GRUR 2011, 345).

Wegen der Einzelheiten des Vorbringens der Parteien im Berufungsverfahren wird auf die Schriftsätze verwiesen, die sie hier gewechselt haben.

Der Senat hat nach dem Beweisbeschluss vom 18. Dezember 2012 Beweis erhoben durch Vernehmung der früheren Patientin S. des Klägers als Zeugin. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die Niederschrift der Berufungsverhandlung vom 26. Februar 2013 Bezug genommen.

II.

Die Berufung des Beklagten gegen seine Verurteilung durch das Landgericht ist zulässig, in der Sache aber nicht begründet. Dem Kläger stehen die nach § 8 Abs. 1 Satz 1 UWG geltend gemachten Unterlassungsansprüche nach Absatz 3 Nr. 2 der Vorschrift zu. Dem Beklagten fallen Handlungen zur Last, die nach § 3 Abs. 1 UWG unzulässig sind. Der nicht weiter umstrittene Zahlungsanspruch findet nach § 12 Abs. 1 Satz 2 UWG seine Rechtfertigung in der vorprozessualen Abmahnung des Klägers. Hinzu kommen seit Rechtshängigkeit des Zahlungsanspruchs die ebenfalls nicht gesondert angegriffenen Verzugszinsen nach § 288 Abs. 1, § 291 BGB.

Das erste Verbot des Landgerichts ist auf die Unterbindung einer geschäftlichen Handlung gerichtet, die nach § 4 Nr. 1 UWG unlauter ist. Es bedeutet die Beeinträchtigung seiner Entscheidungsfreiheit durch unangemessene unsachliche Einflussnahme, wenn dem an einer neuen Brille interessierten Patienten von einem Augenarzt, der selbst ein Optikergeschäft betreibt, nach der Behandlung gesagt wird, er erhalte die ermittelten Refraktionswerte dann nicht, wenn sie zwecks Brillenkaufs in einem anderen Optikergeschäft vorgelegt werden sollten. Der die Entscheidungsfreiheit des Patienten unangemessen und unsachlich beeinträchtigende Einfluss ist darin zu sehen, dass ihm ein einfacherer Weg zur Brille vor Augen geführt wird, wenn er sie bei seinem Arzt kauft, als bei einem Kauf anderswo.

An einer neuen Brille interessierte Patienten sind, was der erkennende Senat aus eigener Erfahrung weiß, daran gewöhnt, dass ihnen das Ergebnis der augenärztlichen Untersuchung in Form eines Papiers mitgegeben wird, das - häufig ohne genauere Erfassung seines Inhalts - als "Brillenrezept" wahrgenommen und im Augenoptikergeschäft der Wahl zwecks Fertigung der Brille vorgelegt wird. Sollte das Papier noch nicht alle Werte enthalten, derer es zur Fertigung der Brille bedarf, vertrauen die Patienten darauf, dass der Augenoptiker die fehlenden selbst erhebt. Patienten wissen aus Erfahrung, dass es im Optiktergeschäft noch zu ergänzenden Untersuchungen kommen kann. Da ein Großteil der Patienten den vom Beklagten angeführten Unterschied zwischen "Refraktionswerten" und "Brillenwerten" nicht kennen wird, werden sie in der Verweigerung der Werte, die die augenärztliche Untersuchung ergeben hat, ohne Rücksicht darauf, ob eine Behandlung beim Beklagten nur zu einer Refraktionsbestimmung geführt hat, als Beeinträchtigung ihrer Entscheidungsfreiheit erleben; denn sie werden befürchten, dass ihnen beim Aufsuchen eines anderen Augenoptikers das gewohnte "Brillenrezept" fehlen wird, und nicht wissen, ob dieser Mangel dort ohne Weiteres ausgeglichen werden kann, während beim Verbleib im Geschäft des Beklagten dort alles notwendige Wissen vorhanden ist.

Der vom Beklagten ausgeübte Einfluss ist unangemessen und unsachlich. Im Prinzip gibt es keinen sachlichen Grund, einen Patienten, der bei einem Augenarzt die Notwendigkeit einer neuen Brille feststellen lässt, dazu zu bringen, auch noch die Brille im Optikergeschäft dieses Arztes zu kaufen, und ihm damit die freie Wahl unter den Anbietern zu nehmen.

Das komplexe Verteidigungsvorbringen lässt das Verhalten des Beklagten nicht als angemessen oder sachlich erscheinen. Davon könnte allenfalls die Rede sein, wenn er die jetzt angeführten Gründe, die Brille bei ihm zu kaufen, - ihre Richtigkeit unterstellt - den Patienten aufdecken würde, und zwar rechtzeitig (vgl. BGH GRUR 2011, 345, Tz. 57 - Hörgerteverordnung II). Nach der überzeugenenden Aussage der Patientin S. war das bei ihr aber nicht der Fall.

Nach dem Beweisergebnis wird den Patienten nur die Unannehmlichkeit vermittelt, bei der Konkurrenz ohne eine Verordnung erscheinen zu müssen. Sie werden - wie die vernommene Zeugin - auch erkennen, dass sie nur von einem Kauf dort abgehalten werden sollen. Angesichts der verbreiteten Verkehrserwartung, dass man den Augenarzt mit einem "Brillenrezept" zur Verwendung bei einem Augenoptiker eigener Wahl verlässt, müsste der Beklagte zur Vermeidung einer unangemessenen unsachlichen Einflussnahme mindestens seine Patienten - schon vor Beginn einer Behandlung - von der Absicht unterrichten, sie ohne jedes Papier zu entlassen, wenn sie die Brille nicht bei ihm kaufen, und klarstellen, ob sie dann noch einen anderen Augenarzt aufsuchen müssen oder der andere Augenoptiker alle fehlenden Werte selbst in gleicher Qualität erheben kann.

Schon das eigene Vorbringen des Beklagten, vor allem auf den Seiten 3 und 4 der Klageerwiderung, legt den Unlauterkeitsvorwurf nahe. Jedenfalls aber hat die Zeugenvernehmung ergeben, dass sich der Beklagte gegenüber der Patientin S. so verhalten hat, wie es ihm für die Zukunft untersagt werden soll. An der Wiederholungsgefahr im Sinne des § 8 Abs. 1 Satz 1 UWG fehlt es danach nicht. Heute wird im Übrigen die Wiederholungsgefahr als eine der beiden alternativ zu fordernden Sachvoraussetzungen eines Unterlassungsanspruchs angesehen und nicht mehr als ein Element des Rechtsschutzbedürfnisses.

Die Zeugin hat in ganz überzeugender Weise geschildert, dass sie durch den Geschehensablauf vor die Alternative gestellt worden ist, die neue Brille entweder im Geschäft des Beklagten zu kaufen oder einen anderen Augenoptiker ohne die begehrte Brillenverordnung aufsuchen zu müssen. Ihr war vermittelt worden, dass die Werte aus der ärztlichen Untersuchung des Beklagten zwar in seinem Geschäft vorlägen, wo sie dann aber nichts kaufen wollte. Die Werte sind ihr darauf dort nicht ausgehändigt, sondern auf eine spätere telefonische Nachfrage sogar ausdrücklich verweigert worden. Die Zeugin nahm das Geschehen, wie sie es bekundet hat, vor dem Hintergrund ihrer Erfahrung seit Kindheitstagen wahr, dass man normalerweise die Verordnung in die Hand bekommt und selber entscheidet, wo man kauft. Sie war befremdet, wie man es bei einer Beeinträchtigung der eigenen Entscheidungsfreiheit durch unangemessene unsachliche Einflussnahme zu sein pflegt.

Das zweite Verbot ist darauf gerichtet, dass der Beklagte nicht im Sinne des § 4 Nr. 11 UWG durch die Zuwiderhandlung gegen eine gesetzliche Vorschrift unlauter handelt, welche auch dazu bestimmt ist, im Interesse der Marktteilnehmer das Marktverhalten zu regeln. Es geht um eine Zuwiderhandlung gegen die Vorschrift in der Berufsordnung der nordrheinischen Ärztinnen und Ärzte vom 14. November 1998, dass Ärzte ihren Patienten nicht ohne hinreichenden Grund bestimmte Anbieter gesundheitlicher Leistungen empfehlen dürfen; das Verbot findet sich dort seit dem 1. Mai 2012 in § 31 Abs. 2; zuvor war es Gegenstand des § 34 Abs. 5. Diese Gesetzesnorm im materiellen Sinne ist auch dazu bestimmt, im Interesse der Marktteilnehmer das Markverhalten zu regeln BGH, GRUR 2011, 345 Tz. 24 - Hörgeräteversorgung II). Die Beschränkungen der Berufsordnung sind im Hinblick auf die Berufsfreiheit nach Artikel 12 GG zulässig, soweit sie dem Schutz der Bevölkerung vor unsachlicher Beeinflussung und vor Gefahren für die ärztliche Versorgung dienen und dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entsprechen, wobei eine Gefahr für die medizinische Versorgung insbesondere dann gesehen wird, wenn sich ein Arzt von kommerziellen Gesichtspunkten leiten lässt (Köhler in Köhler/Bornkamm, UWG, 31. Auflage, § 4 Rn. 11.74 mit Nachweisen der Rechtsprechung). Die Berufsfreiheit wird durch die Norm als solche nicht verletzt, aber auch durch ihre Anwendung auf den Streitfall nicht.

In der für die Patientin S. wahrnehmbaren Weitergabe der Refraktionswerte aus der Arztpraxis an das Augenoptikergeschäft des Beklagten mit der beabsichtigten Folge, dass die Patientin sich ebenfalls dorthin begab und dort nach einer neuen Brille suchte, lag eine Empfehlung des Geschäfts an die Patientin. Die Empfehlung erfolgte ohne hinreichenden Grund im Einzelfall; denn der Beklagte trägt selbst keinen Grund vor, dass sein eigenes Angebot für den Einzelfall vorzugswürdig wäre. Er rechtfertigt sein Verhalten selbst nicht aus den besonderen Umständen des Streitfalls, sondern meint, dass ein Augenarzt ein eigenes Augenoptikergeschäft immer empfehlen dürfe.

Die Auffassung steht im Widerspruch zum Wortlaut der Norm, der den Gesetzeszweck klar zum Ausdruck bringt, die unbeeinflusste Wahlfreiheit des Patienten u.a. in Bezug auf Anbieter gesundheitlicher Leistungen zu gewährleisten; auf diesen Gesetzeszweck hebt der Bundesgerichtshof in der aktuellen Rechtsprechung ab (a.a.O. Tz. 27). Die Vorschrift erfasst alle Empfehlungen für einen bestimmten Leistungserbringer, die der Arzt seinen Patienten von sich aus erteilt, wie selbst Empfehlungen durch Plakate, Flyer, Visitenkarten und Gutscheine oder, in Bezug auf eine Apotheke, durch einen Rezeptaufdruck (a.a.O. Tz. 30). Der Bundesgerichtshof lässt zwar Empfehlungen auf Bitten eines Patienten zu (a.a.O. Tz. 28), eine solche Bitte hat es im Streitfall von Seiten der Zeugin S. aber nicht gegeben. Als hinreichende Gründe für eine Empfehlung lässt der Bundesgerichtshofs (a.a.O. Tz. 37) in Anknüpfung an seine frühere Rechtsprechung auch die Qualität der Versorgung gelten, die Vermeidung von Wegen bei gehbehinderten Patienten und schlechte Erfahrungen, die Patienten bei anderen Anbietern gemacht haben. Derartige Gründe sind im Streitfall aber ebenso wenig gegeben Zum ersten Merkmal hat der Bundesgerichtshof zudem klargestellt, dass langjährige gute Erfahrungen mit einem Anbieter und allgemein hohe fachliche Kompetenz als Umstände, die nicht von den Bedürfnissen gerade des einzelnen Patienten abhängen, keine uneingeschränkte Verweisungen rechtfertigen (a.a.O. Tz. 41); ihnen stehen Empfehlungen gleich. Eine generelle Verweisung an einen bestimmten Anbieter, wie sie in Form einer Empfehlung dem Streitfall ersichtlich zugrunde liegt, ist nach der Auffassung des Bundesgerichtshofs mit der Norm immer unvereinbar. Verweisungen und die ihnen gleichgestellten Empfehlungen sind nur in einem Ausnahmefall zulässig. Im Regelfall soll dagegen die unbeeinflusste Wahlfreiheit des Patienten gewährleistet sein (a.a.O. Tz. 37).

Abschließend sei klargestellt, dass die Aufnahme des Merkmals "ohne hinreichenden Grund im Einzelfall" dem gerichtlichen Verbot zu 2. nicht die notwendige Bestimmtheit nimmt (vgl. BGH a.a.O. Tz. 18, 21). Das Merkmal verweist nur darauf, dass es nach dem Gesetz im Einzelfall geeignete Gründe für eine Empfehlung geben kann, und lässt insofern Raum für künftige Empfehlungen mit diesem Merkmal, die dann nicht unter das Verbot fallen sollen. Es bleibt wie allgemein Aufgabe des Beklagten, in Zukunft hinreichende Gründe anzuführen, die aus dem Bereich des Verbots hinausführen. Bisher besteht kein Streit unter den Parteien, was ein solcher Einzelfall ist.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO, die Entscheidungen zur vorläufigen Vollstreckbarkeit auf § 708 Nr. 10, § 711 ZPO. Die Voraussetzung für eine Zulassung der Revision sind nach der bereits vorliegenden Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs nicht gegeben.

Streitwert für das Berufungsverfahren und - in Abänderung der landgerichtlichen Wertfestsetzung - auch für die erste Instanz: bis zu 22.000 Euro.

Der Wertbestimmung liegt die Angabe der Klageschrift zugrunde. Ungeachtet der Änderungen in der Fassung des Unterlassungsbegehrens ging es dem Kläger immer um die Unterbindung eines bestimmten im Wesentlichen gleichen Verhaltens des Beklagten im Wettbewerb.






OLG Düsseldorf:
Urteil v. 19.03.2013
Az: I-20 U 41/12


Link zum Urteil:
https://www.admody.com/urteilsdatenbank/54237620d8ed/OLG-Duesseldorf_Urteil_vom_19-Maerz-2013_Az_I-20-U-41-12




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