Oberlandesgericht Hamburg:
Beschluss vom 11. Dezember 2009
Aktenzeichen: 11 AR 1/09

(OLG Hamburg: Beschluss v. 11.12.2009, Az.: 11 AR 1/09)

Tenor

Es wird festgestellt, dass die beim Landgericht Hamburg, Kammer 14 für Handelssachen, unter den Geschäftsnummern 414 O 41/09 und 414 O 46/09 erhobenen Anfechtungs- und Nichtigkeitsklagen gegen den Beschluss der Hauptversammlung der Antragstellerin vom 16. Juni 2009 über eine Kapitalerhöhung aus Gesellschaftsmitteln mit anschließender ordentlicher Kapitalherabsetzung sowie Herabsetzung des bedingten Kapitals (TOP 11) der Eintragung des Beschlusses in das Handelsregister nicht entgegenstehen und etwaige Mängel des Beschlusses die Wirkung seiner Eintragung unberührt lassen.

Es wird festgestellt, dass die beim Landgericht Hamburg, Kammer 14 für Handelssachen, unter den Geschäftsnummern 414 O 41/09, 414 O 45/09, 414 O 46/09 und 414 O 47/09 erhobenen Anfechtungs- und Nichtigkeitsklagen gegen den Beschluss der Hauptversammlung der Antragstellerin vom 16. Juni 2009 über die Zustimmung zum Entwurf des Verschmelzungsplans vom 4. Mai 2009 zwischen der T... AG und der E...B...AG, Wien, Österreich (TOP 12) der Ausstellung der Bescheinigung gem. Art. 25 Abs.2 SE-VO nicht entgegenstehen.

Im Übrigen wird der Antrag zurückgewiesen.

Die Antragstellerin trägt 2/11 der eigenen außergerichtlichen Kosten und 1/11 der Gerichtskosten. Die Antragsgegner zu 9) und 11) tragen ihre außergerichtlichen Kosten selbst und je 1/22 der Gerichtskosten. Die Antragsgegner zu 1) bis 8) und 10) tragen ihre außergerichtlichen Kosten selbst und von den Gerichtskosten sowie den außergerichtlichen Kosten der Antragstellerin je 1/11.

Der Streitwert wird auf € 50 .000,- festgesetzt.

Gründe

I.

Die ordentliche Hauptversammlung der Antragstellerin - einer Aktiengesellschaft mit Sitz in Hamburg - fasste am 16. Juni 2009 zu TOP 11 den Beschluss, eine Kapitalerhöhung aus Gesellschaftsmitteln mit anschließender ordentlicher Kapitalherabsetzung sowie Herabsetzung des bedingten Kapitals (TOP 11) durchzuführen. Desweiteren wurde unter TOP 12 die Zustimmung zum Entwurf des Verschmelzungsplans vom 4. Mai 2009 zwischen der T... AG und der E...B...AG, Wien, Österreich beschlossen.

Hinsichtlich des Beschlusses zu TOP 11 haben die Antragsgegner zu 1) bis 8) und 10) beim Landgericht Hamburg Anfechtungs- und Nichtigkeitsklage gegen die Antragstellerin eingereicht (414 O 41/09 und 414 O 46/09); hinsichtlich des Beschlusses zu TOP 12 haben sämtlich Antragsgegner Anfechtungs- und Nichtigkeitsklage erhoben (414 O 41/09, 414 O 45/09, 414 O 46/09 und 414 O 47/09).

Die Antragstellerin ihrerseits hat am 7. September 2009 die hier verfahrensgegenständlichen Anträge auf Freigabe und Unbedenklichkeitserklärung eingereicht. Sie begründet ihre Anträge allein damit, dass die Antragsgegner nicht nachgewiesen haben, dass sie seit der Bekanntmachung der Einberufung der Hauptversammlung Aktien im Wert von mindestens € 1.000,- halten.

II.

1.Die Anträge sind (im Wesentlichen) zu lässig.

TOP 11 betrifft eine Kapitalerhöhung aus Gesellschaftsmitteln mit anschließender ordentlicher Kapitalherabsetzung sowie Herabsetzung des bedingten Kapitals. Hierbei handelt es sich um Maßnahmen der Kapitalbeschaffung (§ 207 AktG) bzw. Kapitalherabsetzung (§ 222 AktG) iSd. § 246 a AktG, so dass der Antrag zulässig ist. Allerdings haben die Antragsgegner zu 9) und 11) keine Anfechtungs- und Nichtigkeitsklage gegen TOP 11 erhoben, so dass dem Antrag hinsichtlich dieser beiden Antragsgegner das Feststellungsinteresse fehlt; insoweit ist der Antrag unzulässig.

TOP 12 betrifft eine Verschmelzung der Antragstellerin mit der österreichischen E... B... AG zu einer europäischen SE. Der diesbezügliche Antrag ist gemäß § 16 Abs.3 UmwG zulässig, welcher gem. Art 18, 25 SE-VO (vgl. Hüffer, AktG, 8. Auflage, Schlussanhang V) auch auf Verschmelzungsbeschlüsse nach der SE-VO Anwendung findet. Soweit der Antragsgegner zu 11) geltend macht, die Antragstellerin trage vor dem Landgericht vor, dass die Klage nicht ordnungsgemäß zugestellt worden sei, steht dies der Zulässigkeit des Antrages nicht entgegen, da der Streit der Parteien über die Rechtshängigkeit der Anfechtungs- und Nichtigkeitsklage im hiesigen Verfahren keine Auswirkungen auf das Feststellungsinteresse hat; die Antragsgegnerin zu 11) vertritt in dem Hauptsacheverfahren ja gerade die Auffassung, dass ihre Klage ordnungsgemäß zugestellt worden sei.

2.Die Anträge sind auch begründet.

a.Dies gilt zunächst für den Feststellungsantrag bezüglich TOP 11. Nach § 246a Abs.2 Ziff.2 AktG haben die Anfechtungskläger binnen einer Woche nach Zustellung des Antrages nachzuweisen, dass sie seit der Bekanntmachung der Einberufung einen anteiligen Betrag von mindestens 1.000,- halten. Ein solcher Nachweis ist nicht erfolgt und kann nach dem Vortrag der Antragsgegner auch nicht erfolgen, da sie die erforderliche Zahl von Aktien nicht halten. Soweit sich die Antragsgegner darauf berufen, wegen der notwendigen Streitgenossenschaft müsse es reichen, wenn die Anfechtungskläger zusammen den Wert von € 1.000,- erreichen würden, kann dem nicht gefolgt werden, da sowohl der Wortlaut als auch der Sinn und Zweck des neuen Gesetzes dagegen sprechen (vgl. etwa Kölner Kommentar zum UmwG, 2009, § 16 Rdn. 104). Im Übrigen haben die Antragsgegner auch nicht nachgewiesen, dass sie zusammen die Wertgrenze von € 1.000,- erreichen. Entgegen der Auffassung der Antragsgegner findet die seit dem 1. September 2009 in Kraft getretene Regelung in § 246a Abs.2 Nr.2 AktG auch auf Anfechtungs- und Nichtigkeitsklagen Anwendung, die vor dem 1. September 2009 erhoben worden sind, da die Neuregelung gemäß § 20 Abs.4 AktGEG nur auf die Freigabeverfahren keine Anwendung findet, die bereits vor dem 1. September 2009 anhängig waren.

Die durch das ARUG neu geschaffene Vorschrift des § 246a Abs.2 Nr.2 AktG begegnet auch keinen verfassungsrechtlichen Bedenken.

Zwar ist der Gesetzeswortlaut der vorgenannten Vorschrift knapp formuliert, wenn dort lediglich von einem gehaltenen €anteiligen Betrag von mindestens 1.000,00 Euro€ die Rede ist. Gleichwohl ist damit jedoch dem aus dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) resultierenden Gebot der Normenklarheit und -bestimmtheit in hinreichendem Maße Genüge getan. Diesem Gebot steht die Auslegungsbedürftigkeit einer Vorschrift nicht entgegen, sofern und soweit diese - wie hier - mit herkömmlichen juristischen Methoden bewältigt werden kann. Dass es sich nämlich bei dem Betrag i.H. von 1.000,00 € um einen anteiligen Nennbetrag des Grundkapitals und nicht etwa des Börsenwertes handelt, ergibt sich bereits daraus, dass der Börsenwert von Aktien marktabhängigen Schwankungen unterworfen ist und aus diesem Grund für ein Quorum nicht herangezogen werden kann. Nicht zuletzt erschließt sich dies auch aus dem Bericht des Rechtsausschusses des Deutschen Bundestages vom 20. Mai 2009 zu dessen Beschlussempfehlung im Gesetzgebungsverfahren des ARUG, der zufolge eine Schwelle von 1.000,00 € €bei normalen Börsenwerten im Mittelmaß und ohne Berücksichtigung von Extremfällen€ etwa 10.000,00 bis 20.000,00 € Anlagevolumen ergebe.

Die von § 20 Abs. 4 EGAktG zugelassene Anwendung von § 246a Abs.2 Nr.2 AktG auf den hier gegebenen Fall verstößt auch nicht gegen das Vertrauensschutzprinzip, welches auch im Schutzbereich des Artikel 14 Abs. 1 GG zu berücksichtigen ist. Denn da die Vorschrift des § 246a Abs.2 Nr.2 AktG auf einen gegenwärtigen, noch nicht abgeschlossenen Sachverhalt für die Zukunft einwirkt, entfaltet sie lediglich eine zulässige so genannte unechte Rückwirkung (vgl. BVerfGE 101, 239, 263). Zwar kann auch die Zulässigkeit einer unechten Rückwirkung an Grenzen stoßen, welche sich aus dem Grundsatz des Vertrauensschutzes wie auch aus dem Verhältnismäßigkeitsprinzip ergeben. Diese Grenzen sind jedoch nur dann überschritten, wenn die Rückwirkung zur Erreichung des Gesetzeszwecks nicht geeignet oder erforderlich ist oder wenn die Bestandsinteressen der Betroffenen die Veränderungsgründe des Gesetzgebers überwiegen. Beides ist hier nach Auffassung des Senats nicht der Fall. Die Geeignetheit der Rückwirkung ergibt sich daraus, dass der gesetzgeberische Zweck dahin geht, das €Aufspringen von Trittbrettfahrern€ mit sehr geringem Aktienbesitz zu erschweren und die faktische Kassationsmöglichkeit nur solchen Aktionären zu gewähren, die ein nicht unwesentliches Investment in eine Gesellschaft getätigt haben; zu diesem Zweck ist die Rückwirkung auch erforderlich. Wenn ein Aktionär nachhaltig an der Entwicklung eines Unternehmens interessiert ist, lässt er sich beim Beteiligungserwerb nicht primär von taktischen Erwägungen zum Erreichen eines Quorums für das dem Beschlussanfechtungsverfahren erst €nachgeschaltete€ Freigabeverfahren leiten, sondern tätigt von vornherein ein Investment über die Schwelle i.H. von 1.000,00 € vom Grundkapital hinaus (vgl. den Bericht des Rechtsausschusses des Deutschen Bundestages vom 20. Mai 2009, BT-Drucks. 16/13098). Überwiegende Bestandsinteressen der Minderheitsaktionäre sind vor diesem Hintergrund nicht ersichtlich.

Entgegen der Auffassung der Antragsgegner verstößt die Regelung in § 246a Abs.2 Nr.2 AktG auch nicht gegen das Willkürverbot. Denn nach dem bereits zitierten Bericht des Rechtsausschusses des Deutschen Bundestages vom 20. Mai 2009 ist bei einer Schwelle von 1.000,00 € bei normalen Börsenwerten im Mittelmaß und ohne Berücksichtigung von Extremfällen ein Anlagevolumen von ca. 10.000,00 bis 20.000,00 € gegeben. Dieser Wert erscheint im Hinblick auf den Gesetzeszweck - nämlich die faktische Kassationsmöglichkeit bei Aktionären mit sehr geringem Aktienbesitz auszuschließen € angemessen. Dass dies im Einzelfall zu einem erforderlichen Investment von über 1 Million € führen mag (vgl. das von den Antragsgegnern aufgeführte Beispiel der Fa. Camera Work AG), spricht nicht gegen die grundsätzliche Ausgewogenheit des vom Gesetzgeber vorgegeben Schwellenwertes; dass eine Aktie bei einem rechnerischen Nennwert von 2,56 € einen Kurswert von 4.500,- € aufweist, ist ein Ausnahmefall, der nicht als Beleg für eine gesetzgeberische Willkürmaßnahme herangezogen werden kann.

Die Vorschrift des § 246a Abs.2 Nr.2 AktG ist auch mit der Eigentumsgarantie aus Art. 14 Abs. 1 GG vereinbar, welche das Anteilseigentum des Aktionärs nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts genießt. Denn über § 246a Abs.2 Nr.2 AktG fordert der Gesetzgeber das Innehaben eines Mindestquorums nicht für die Erhebung der Anfechtungsklage selbst, wogegen sich verfassungsrechtliche Bedenken erheben würden, sondern lediglich für das Freigabeverfahren. Zwar führt das Nichterreichen des Quorums dazu, dass ein Übertragungsbeschluss auf Grund eines erwirkten Freigabebeschlusses in das Handelsregister eingetragen wird, weswegen die Minderheitsaktionäre selbst im Falle der Begründetheit ihrer Hauptsacheklage lediglich auf Schadensersatz beschränkt bleiben (vgl. § 246a Abs.4 AktG). Dies stellt jedoch eine zulässige Inhalts- und Schrankenbestimmung i.S. von Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG dar (vgl. etwa Grunewald, NZG 2009, 967). Nachdem das Bundesverfassungsgericht den Zweck des Squeeze-out (vgl. §§ 327 a ff. AktG), nämlich die Behinderungen des Hauptaktionärs bei der Unternehmensführung durch die Inhaber von Klein- und Kleinstbeteiligungen zu vermeiden, für legitim erachtet hat (vgl. BVerfG ZIP 2007, 1261) muss dies erst recht für den gesetzgeberischen Zweck des Quorumserfordernisses im Freigabeverfahren gelten. Dieser geht dahin, zwar die Anfechtungsmöglichkeit auch bei Kleinstbeteiligungen nicht abzuschneiden, wohl aber die faktische Möglichkeit der Kassation eines Hauptversammlungsbeschlusses nur solchen Aktionären zu gewähren, die ein nicht unwesentliches Investment in eine Gesellschaft getätigt haben und dadurch auch Interesse an der nachhaltigen Entwicklung des Unternehmens vermuten lassen (Bericht des Rechtsausschusses des Deutschen Bundestages vom 20. Mai 2009, BT-Drucks. 16/13098).

Schließlich verletzt die Neuregelung des § 246a AktG auch insoweit nicht das Grundgesetz, als der Beschluss gemäß § 246a Abs.3 S.4 AktG unanfechtbar ist. Der im Grundgesetz verankerte Justizgewährungsanspruch garantiert nicht in jedem Fall die Möglichkeit, richterliche Entscheidungen anfechten zu können. Vorliegend erfordert der vom Gesetzgeber in den Vordergrund gestellte Eilcharakter der Freigabeverfahren (vgl. auch § 246a Abs.3 S.7 AktG) eine baldige rechtskräftige Entscheidung, um im Falle der Begründetheit des Freigabeantrages eine rasche Behebung der Registersperre herbeizuführen.

b.Auch der Feststellungsantrag zu TOP 12 ist begründet. Die Anwendbarkeit des neuen § 16 Abs.3 UmwG ergibt sich aus § 321 Abs.2 UmwG. Im Übrigen kann auf die obigen Ausführungen zu § 246a AktG verwiesen werden.

Die Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 92 Abs.1, 100 Abs.1 ZPO. Der Senat bemisst den Streitwert der beiden Feststellungsanträge mit jeweils € 25.000; dies führt im Hinblick auf die Unzulässigkeit des Feststellungsantrages zu TOP 11 hinsichtlich der Antragsgegner zu 9) und 11) zu einer teilweisen Kostentragungslast der Antragstellerin. Der Senat sieht keine Veranlassung, den Streitwert im Hinblick auf den Antragsgegner zu 11) zu verringern (§ 247 Abs.2 S.1 AktG); angesichts der Kostenaufhebung im Verhältnis der Antragstellerin zu dem Antragsgegner zu 11) ist eine erhebliche Gefährdung der wirtschaftlichen Lage des Antragsgegners zu 9) nicht erkennbar.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§§ 246a Abs.3 S.4 AktG, 16 Abs.3 S.9 UmwG).






OLG Hamburg:
Beschluss v. 11.12.2009
Az: 11 AR 1/09


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