Bundespatentgericht:
Beschluss vom 19. Januar 2004
Aktenzeichen: 11 W (pat) 349/02

(BPatG: Beschluss v. 19.01.2004, Az.: 11 W (pat) 349/02)

Tenor

Auf den Einspruch wird das Patent 101 12 821 mit den am 7. Januar 2004 eingereichten Patentansprüchen 1 bis 12, der Beschreibung Spalte 1 und 2 vom 19. Januar 2004, dem Beiblatt zur Beschreibung vom 7. Januar 2004 und im Übrigen der Beschreibung und den Zeichnungen gemäß Patentschrift beschränkt aufrechterhalten.

Gründe

I Auf die am 16. März 2001 eingereichte Anmeldung mit der Bezeichnung "Schuhsohle und Schuh" ist nach Prüfung durch das Patentamt ohne Offenlegung das Patent erteilt und die Erteilung am 8. August 2002 veröffentlicht worden.

Gegen das Patent ist am 30. Oktober 2002 von der P... AG D... in H... gemäß § 59 PatG Einspruch erhoben worden. Der Einspruch ist mit Gründen versehen und auf die Behauptung gestützt, der Gegenstand des Patents sei nach §§ 3 und 4 PatG nicht patentfähig.

Die Einsprechende beantragt, das Patent in vollem Umfang zu widerrufen.

Die Patentinhaberin stellt den Antrag, das Patent mit den am 7. Januar 2004 eingereichten Patentansprüchen 1 bis 12 (nunmehr Hauptantrag), der Beschreibung Spalte 1 und 2 vom 19. Januar 2004, dem Beiblatt zur Beschreibung vom 7. Januar 2004 und im Übrigen der Beschreibung und den Zeichnungen gemäß Patentschrift beschränkt aufrechtzuerhalten.

Dazu führt sie aus, die Erfindung sei im Umfang der verteidigten Patentansprüche patentfähig.

Der geltende Patentanspruch 1 lautet:

1. Schuhsohle, insbesondere für einen Sportschuh (1), aufweisenda. eine Lastverteilungsplatte (10), die im Fersenbereich der Schuhsohle angeordnet ist;

b. zumindest ein Dämpfungselement (20), das im hinteren lateralen Bereich unterhalb der Lastverteilungsplatte (10) angeordnet ist und das Dämpfungsverhalten der Schuhsohle beim ersten Bodenkontakt mit der Ferse bestimmt, dadurch gekennzeichnet, dassc. ein laterales Führungselement (21) im vorderen lateralen Bereich und ein mediales Führungselement (22) im hinteren medialen Bereich unterhalb der Lastverteilungsplatte angeordnet sind mit Materialeigenschaften, die den Fuß nach dem ersten Bodenkontakt in eine neutrale Position bringen; wobeid. das erste und das zweite Führungselement (21, 22) eine größere Härte als das Dämpfungselement (20) aufweisen.

Der formal nebengeordnete Patentanspruch 12 lautet:

Schuh mit einer Schuhsohle nach einem der Ansprüche 1 - 11.

Wegen der auf den Anspruch 1 zurückbezogenen Unteransprüche 2 bis 11 und weiterer Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Akteninhalt verwiesen.

II Über den Einspruch ist gemäß § 147 Abs 3 Satz 1 Nr 1 PatG durch den Beschwerdesenat des Bundespatentgerichts zu entscheiden.

Der frist- und formgerecht erhobene Einspruch ist gemäß § 59 Abs 1 PatG hinreichend substantiiert und damit zulässig.

Der Einspruch hat insoweit Erfolg, als er zur beschränkten Aufrechterhaltung des Patents führt; ein weitergehender Erfolg ist ihm aus den nachfolgend dargelegten Gründen nicht beschieden.

Die Erfindung betrifft eine Schuhsohle und einen Schuh, insbesondere einen Sportschuh.

Es liegt das technische Problem (die Aufgabe) zugrunde, eine Schuhsohle sowie einen Schuh bereitzustellen, die/der vom ersten Bodenkontakt an zu einer korrekten Fußstellung führt und dadurch vorzeitige Ermüdungs- oder Verschleißerscheinungen der Gelenke und der Muskulatur verhindert.

Die Lösung dieses Problems wird in einer Schuhsohle bzw einem Schuh gesehen, welche entsprechend den Merkmalen der Ansprüche 1 bzw 12 ausgestaltet sind.

Als der dafür zuständige Fachmann ist ein Diplom-Ingenieur mit Fachhochschulabschluss auf dem Gebiet der (Lederverarbeitung und) Schuhtechnik anzusehen, der über langjährige Erfahrung in der Entwicklung von Schuhsohlen, insbesondere für Sportschuhe besitzt.

1. Die geltenden Ansprüche sind formal zulässig.

Der geltende Anspruch 1 entspricht dem erteilten und inhaltsgleichen ursprünglichen Anspruch 1 ergänzt um Merkmale, die in den erteilten und den ursprünglichen Ansprüchen 3, 5 und 8 enthalten waren. Die Ansprüche 2 bis 12 sind aus den erteilten und ursprünglichen Ansprüchen 2 bis 14 ohne die Ansprüche 3, 5 und 8 entstanden, wobei die Nummerierung entsprechend angepasst ist.

2. Die Erfindung ist entgegen den in der mündlichen Verhandlung geäußerten Zweifeln der Einsprechenden so deutlich und vollständig offenbart, dass ein Fachmann sie ausführen kann. Aus dem ihm für eine Schuhsohle üblicherweise zur Verfügung stehenden Angebot vermag der Fachmann die Materialien für die Dämpfungs- bzw Führungselemente bezüglich ihrer Zusammensetzung und/oder Herstellung so auszuwählen, dass ein durch geeignete Verfahren mess- oder feststellbarer Unterschied in der Härte besteht, welcher beim Führungselement eine größere Härte als bei den Dämpfungselementen gewährleistet.

3. Die gewerblich anwendbare Schuhsohle nach dem Anspruch 1 und mit dieser auch der Schuh nach dem Anspruch 12 (der im folgenden nicht mehr durchgehend explizit abgehandelt wird) besitzen die für die Patenterteilung erforderliche Neuheit, da keine vollständige Übereinstimmung aller ihrer Merkmale mit denen einer Schuhsohle oder eines Schuhs der berücksichtigten Entgegenhaltungen besteht.

Gemäß der US-Patentschrift 5 343 639 [E1] sind bei einer Schuhsohle im Fersenbereich unterhalb einer Lastverteilungsplatte (plate 28) Elemente (support elements 32) angeordnet, die das Dämpfungsverhalten der Schuhsohle beim ersten Bodenkontakt bestimmen und den Fuß nach dem ersten Bodenkontakt in eine neutrale Position bringen, somit als Dämpfungs- und gewissermaßen auch als Führungselemente wirken. Diese könnten zwar ua eine unterschiedliche Dichte aufweisen (E1: Sp 10, Z 22). Welche Elemente die höhere Dichte aufweisen könnten, bleibt in der E1 aber offen. Demnach ist bei der Schuhsohle nach Anspruch 1 diesem Stand der Technik gegenüber neu, dass das erste und das zweite Führungselement eine größere Härte als das Dämpfungselement aufweisen.

Nach der europäischen Patentanmeldung 0 744 135 [E2] ist ua im Fersenbereich einer Schuhsohle ein mit Druckluft beaufschlagbarer Schlauch vorgesehen. Deshalb ist die Schuhsohle nach Anspruch 1 demgegenüber dadurch neu, dass im Fersenbereich unterhalb einer Lastverteilungsplatte ein hinteres laterales Dämpfungselement sowie je ein vorderes laterales und ein hinteres mediales Führungselement vorgesehen sind.

Solche Elemente finden sich auch nicht bei den im Prüfungsverfahren berücksichtigten Schuhsohlen nach der deutschen Offenlegungsschrift 199 04 744 [P1], dem US-Patent 45 92 153 [P2] bzw der internationalen Patentanmeldung 91 11 927 [P3], so dass auch diesen gegenüber die Neuheit durch solcherart angeordnete Dämpfungs- bzw Führungselemente bei der Schuhsohle nach dem Anspruch 1 des Patents gegeben ist.

3. Die Schuhsohle nach dem geltenden Anspruch 1 sowie der damit ausgestattete Schuh nach dem Anspruch 12 beruhen auch auf erfinderischer Tätigkeit, da sich dem Fachmann aus dem Stand der Technik keine zur patentgemäßen Erfindung führende Vorbilder erschließen.

Die dem Patentgegenstand am nächsten kommende E1 liefert dem Fachmann eine Schuhsohle (auch für einen Sportschuh), die im Fersenbereich eine Lastverteilungsplatte aufweist, unterhalb welcher Elemente (support elements 32) vorgesehen sind, von welchen ein Element im hinteren lateralen Bereich angeordnet ist, das aufgrund seines Materials als Dämpfungselement wirkt und das Dämpfungsverhalten der Schuhsohle beim ersten Bodenkontakt bestimmt. Es ist jeweils ein weiteres Element im vorderen lateralen und im hinteren medialen Bereich vorgesehen. Ein weiteres Element im vorderen medialen Bereich kann im Vergleich mit dem Streitpatent außer Acht bleiben, da dieses bei der Schuhsohle nach Anspruch 1 nicht vorgesehen ist. Ebenso ist das sogenannte Mittelfußelement (midfoot wedge 40) der Schuhsohle nach der E1 unbeachtlich, da dieses nicht im Sinne des Patents unterhalb des Fersenbereichs angeordnet ist.

Diese Anordnung von Lastverteilungsplatten und Elementen sorgt für ein Rückstellmoment (torsional restoring moment) beim Aufsetzen des Fußes (during footstrike), wenn der Fuß auswärts oder einwärts kippt (everted or inverted). Den Elementen (support elements 32, columns) können also auch gewisse Führungseigenschaften bei der Pronation oder Supination des Fußes (E1: Sp 5, Z 40 - 51) als Nebeneffekt der aus der E1 entnehmbaren Dämpfungswirkung der Elemente nicht abgesprochen werden.

Doch besteht die eigentliche Lehre, welche dem Fachmann durch die E1 an die Hand gegeben ist, darin, dass alle Elemente vornehmlich Dämpfer oder Puffer (cushioning) darstellen, die ein komplettes Durchschlagen (bottomingout) der Sohlenkonstruktion verhindern sollen. Zu diesem Zweck sind die Elemente aus feinzelligen elastomeren Werkstoffen gefertigt, die eine bestimmte, möglichst lineare Dämpfungscharakteristik (Fig 6) aufweisen. Ferner können die Elemente zusätzliche Einrichtungen besitzen, mittels welcher der Träger jederzeit ihre Steifigkeit gezielt verändern, also individuell "tunen" (Sp 11, Z 34) kann. Jeder einzelne Schuh kann sogar so eingestellt werden, dass ein gewünschter Dämpfungsverlauf für mehr als nur eine Verwendung (Sp 12, Z 26) oder auch für in Relation zur Schuhgröße überdurchschnittlich schwere Träger (Sp 12, Z 30) erreicht wird. Dabei wurde experimentell ermittelt, dass die beste Kontrolle des hinteren Fußbereichs mit der gleichen Höhe und Dichte aller Elemente bewirkt wird (Sp 10, Z 14 - 20). Zwar könnten (could) in der Praxis eines oder mehrere dieser Elemente auch unterschiedliche Höhen und/oder Dichten aufweisen (Sp 10, Z 22). Da aber für jedes einzelne Ausführungsbeispiel in E1 (Sp 10, Tabelle B) lediglich eine vergleichsweise geringe Bandbreite für die zugestandene Dichte (density range) der Elemente angegeben ist und der Fachmann in E1 darüber hinaus keine weiteren Informationen dazu findet, welches oder welche der Elemente an welcher Position nach Dichte oder Höhe von dem oder den anderen Elementen abweichend zu gestalten ist, lehrt ihm die E1 lediglich, dass innerhalb eines vorgegeben Bereichs für die Dichte gehaltene Elemente beliebig vorgesehen werden können, ohne die Gesamteigenschaften der Sohle wesentlich zu verändern.

Eine unmittelbare Anweisung dazu, das laterale Element im vorderen lateralen Bereich und das mediale Element im hinteren medialen Bereich mit einer größeren Härte als das Element im hinteren lateralen Bereich zu versehen, wie das bei der Erfindung nach Anspruch 1 vorgesehen ist, erhält der Fachmann aus der E1 demzufolge nicht.

Auch unter Zuhilfenahme seines fachmännischen Könnens kann ihm die E1 die erfindungsgemäße Lösung nicht nahe legen. Obgleich der Fachmann einerseits unbestreitbar weiß, dass die neutrale Lage des Fußes stets anzustreben ist und deshalb zudem anhand der E1 sicherlich zu erkennen vermag, dass den Elementen in ihrer Gesamtheit und Anordnung zueinander neben den dort detailliert beschriebenen Dämpfungs- auch gewisse Führungseigenschaften zukommen, findet er dort doch keine unmittelbaren Verweise darauf, ob überhaupt konkrete und wenn, welche Elemente die eigentliche Führungsfunktion erfüllen. Deshalb kann den Fachmann die nach der E1 in der Praxis zwar mögliche Ausgestaltung der Elemente mit unterschiedlichen Dichten (und/oder Höhen) nicht zu der Erkenntnis führen, die eigentlichen Führungselemente bezüglich ihrer Position im vorderen lateralen Bereich und im hinteren medialen Bereich unterhalb der Lastverteilungsplatte zu ermitteln und gerade deren Härte anders als die der übrigen Elemente vorzusehen. Somit vermag dem Fachmann die E1 auch unter Einbeziehung seines fachmännischen Könnens weder den Weg zu der Schuhsohle nach dem Anspruch 1 noch zu dem Schuh nach dem Anspruch 12, welcher mit der Sohle nach dem Anspruch 1 ausgestattet ist, zu weisen.

Die weiteren im Verfahren befindlichen Druckschriften, auf welche von der Einsprechenden schriftsätzlich zwar verwiesen worden ist, die in der mündlichen Verhandlung jedoch nicht wieder aufgegriffen worden sind, liegen erkennbar weiter ab als die vorstehend behandelte E1, weshalb der Fachmann aus den weiteren Schriften weder Vorbilder noch Anregungen auf die erfindungsgemäße Lösung erhalten kann. Es besteht daher keine Veranlassung, diese anders als geschehen zu berücksichtigen.

Nach alledem ist für den Fachmann erfinderische Tätigkeit erforderlich, um zu der im Anspruch 1 und mittelbar im Anspruch 12 angegebenen Lösung des bestehenden Problems zu gelangen.

Folglich sind der geltende Anspruch 1 wie auch der von ihm abhängige, doch formal nebengeordnete Anspruch 12 bestandsfähig und damit sind dies auch die weiteren auf den Anspruch 1 bezogenen Ansprüche 2 bis 11, die zweckmäßige, keinesfalls selbstverständliche Ausgestaltungen der erfindungsgemäßen Schuhsohle zum Inhalt haben.

Dellingerv. Zglinitzki Harrer Schmitz Pü






BPatG:
Beschluss v. 19.01.2004
Az: 11 W (pat) 349/02


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