Bundesverfassungsgericht:
Beschluss vom 31. Oktober 2007
Aktenzeichen: 1 BvR 574/07
(BVerfG: Beschluss v. 31.10.2007, Az.: 1 BvR 574/07)
Tenor
Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.
Gründe
I.
Die Verfassungsbeschwerde richtet sich gegen die Festsetzung der aus der Staatskasse zu zahlenden anwaltlichen Vergütung in einem zivilrechtlichen Prozesskostenhilfemandat mit einem Streitwert von 42 Millionen DM.
1. Der Beschwerdeführer ist Rechtsanwalt. Er reichte im Auftrag des späteren Klägers ein Prozesskostenhilfegesuch mit dem Antrag auf seine Beiordnung beim zuständigen Landgericht ein. Im Dezember 1993 bewilligte das Gericht ratenfreie Prozesskostenhilfe für die erste Instanz des beabsichtigten Zivilrechtsstreits unter Beiordnung des Beschwerdeführers als Vertreter des Klägers. Mit der anschließend erhobenen Klage wurden gegen eine Bank Schadensersatzansprüche wegen angeblich zu Unrecht erfolgter Kontenbelastungen, die zur Insolvenz der Unternehmen des Klägers geführt hätten, geltend gemacht. Der Beschwerdeführer fertigte im ersten Rechtszug Schriftsätze mit insgesamt etwa 700 Seiten, zu denen er zahlreiche Ordner mit Anlagen vorlegte. Die Klage wurde Ende 2001 nach der Vernehmung von vier Zeugen sowie Erstattung eines umfangreichen schriftlichen Sachverständigengutachtens und dessen mündlicher Erläuterung nach fünf Gerichtsterminen vom Landgericht abgewiesen. In der Folgezeit vertrat ein anderer Rechtsanwalt den Kläger. Seine Berufung blieb ohne Erfolg. Für das hierdurch rechtskräftig abgeschlossene Verfahren wurde schließlich ein Streitwert von 42.016.184,26 DM festgesetzt.
Der Beschwerdeführer erhielt 1999 antragsgemäß einen Vorschuss von 2.708,60 DM (1.384,89 €) auf die entstandenen Prozesskostenhilfegebühren ausgezahlt. Sein nach Abschluss des Rechtsstreits gestellter Antrag, zu seinen Gunsten abweichend von §§ 121, 123 der Bundesgebührenordnung für Rechtsanwälte (BRAGO) die Hälfte der vollen Gebühren nach § 11 Abs. 1 Satz 2 BRAGO und damit 115.243,51 € als Vergütung festzusetzen, blieb ohne Erfolg.
2. Der Beschwerdeführer rügt die Verletzung von Art. 3, Art. 12 und Art. 14 GG. Zwischen seiner anwaltlichen Leistung und den festgesetzten Prozesskostenhilfegebühren klaffe eine so enorme Diskrepanz, dass dies mit dem Gebot der Verhältnismäßigkeit nicht vereinbar, sondern willkürlich sei. Sein Gesamtaufwand an Arbeitszeit habe 1.284 Stunden betragen. Außerdem hätte er bei einem derart hohen Streitwert für eine zusätzliche Einzelfall-Haftpflichtversicherung 57.000 DM (29.143,64 €) aufwenden müssen, während mit der festgesetzten Vergütung von 1.384,89 € nicht einmal die Kosten für die Fotokopien gedeckt seien.
II.
Die Verfassungsbeschwerde ist nicht zur Entscheidung anzunehmen.
Die Voraussetzungen für eine Annahme der Verfassungsbeschwerde im Sinne von § 93a Abs. 2 BVerfGG liegen nicht vor, weil ihr weder grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung zukommt, noch ihre Annahme zur Durchsetzung der Grundrechte des Beschwerdeführers angezeigt ist. Die Verfassungsbeschwerde hat keine Aussicht auf Erfolg.
1. Die angegriffenen Entscheidungen verletzen den Beschwerdeführer nicht in seinem Grundrecht auf Berufsfreiheit aus Art. 12 Abs. 1 GG.
a) Es stellt eine übermäßige, durch keine Gründe des Gemeinwohls gerechtfertigte Einschränkung der freien Berufsausübung dar, wenn der Staat für Aufgaben, deren ordentliche Wahrnehmung im öffentlichen Interesse liegt, Staatsbürger beruflich in Anspruch nimmt, den derart Belasteten jedoch eine angemessene Entschädigung für ihre Inanspruchnahme vorenthält (vgl. BVerfGE 54, 251 <271>). Im vorliegenden Fall liegt zwar eine staatliche Inanspruchnahme vor; denn ein gemäß § 121 der Zivilprozessordnung (ZPO) beigeordneter Rechtsanwalt ist nach § 48 Abs. 1 Nr. 1 der Bundesrechtsanwaltsordnung (BRAO) grundsätzlich verpflichtet, die gerichtliche Vertretung der betreffenden Partei zu übernehmen. Dass die Vergütung des Beschwerdeführers auf die gesetzlich geregelten Gebühren für im Wege der Prozesskostenhilfe beigeordnete Rechtsanwälte beschränkt bleibt, erweist sich jedoch unter den konkreten Umständen nicht als unangemessen.
b) Bei Prüfung der Angemessenheit ist davon auszugehen, dass der von § 123 BRAGO verfolgte Zweck der Schonung der öffentlichen Kassen grundsätzlich eine vernünftige Erwägung des Gemeinwohls darstellt. Diese Ziel rechtfertigt die reduzierten Vergütungssätze des § 123 BRAGO (jetzt des § 49 des Gesetzes über die Vergütung der Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte <Rechtsanwaltsvergütungsgesetzes - RVG>) in Fällen, in denen - wie im Ausgangsverfahren - die Beiordnung eines Rechtsanwalts erfolgte, der gemäß § 121 Abs. 1 oder 2 ZPO seine Bereitschaft zur Übernahme der Vertretung der betreffenden Partei erklärt hatte. Dann ist nämlich das vom Beschwerdeführer geschilderte Missverhältnis zwischen Arbeitsaufwand und Vergütung aufgrund weiterer Umstände entscheidend gemildert und kann daher nicht zur Unangemessenheit der Vergütung führen. Ob dies auch für Fälle gilt, in denen sich kein zur Vertretung bereiter Rechtsanwalt findet und daher die Auswahl gemäß § 121 Abs. 5 ZPO durch den Vorsitzenden erfolgt, bedarf hier keiner Entscheidung.
Maßgebend für den vorliegenden Fall ist, dass der Beschwerdeführer ohne staatlichen Zwang und in Kenntnis aller wesentlichen Umstände seine Bereitschaft zur Übernahme der Vertretung des Klägers erklärt hatte (§ 121 Abs. 1 ZPO). Eine berufsrechtliche Pflicht bestand für den Beschwerdeführer insoweit nicht; denn die Pflicht zur Übernahme der Prozessvertretung wird erst mit der Beiordnung durch das Gericht begründet (§ 48 Abs. 1 Nr. 1 BRAO).
Der Beschwerdeführer hat sich damit freiwillig auf das Risiko eingelassen, das mit der Übernahme eines Mandats nach bewilligter Prozesskostenhilfe verbunden ist. Auf die geringeren Gebühren aus der Staatskasse ist der im Wege der Prozesskostenhilfe beigeordnete Rechtsanwalt nur dann angewiesen, wenn und soweit die von ihm vertretene Partei im Rechtsstreit unterliegt. Hingegen ist mit einem vollen Obsiegen in der Hauptsache regelmäßig die Kostentragungspflicht des unterlegenen Gegners verbunden (§ 91 Abs. 1 ZPO), während im Fall des teilweisen Obsiegens dem Gegner die Kosten anteilig auferlegt werden (§ 92 Abs. 1 ZPO). Im Umfang einer solchen Verurteilung des Gegners in die Prozesskosten ist der der obsiegenden Partei beigeordnete Rechtsanwalt nach § 126 Abs. 1 ZPO berechtigt, die vollen gesetzlichen Gebühren nach § 11 BRAGO (jetzt nach § 13 RVG) und seine Auslagen, soweit nicht von seiner Partei oder der Staatskasse bereits bezahlt, vom Gegner beizutreiben. Daher hängt im Falle der Beiordnung eines Rechtsanwalts im Wege der Prozesskostenhilfe die Höhe der Vergütung des Rechtsanwalts entscheidend vom Ausgang des Rechtsstreits ab. Es handelt sich um eine gesetzliche Regelung, die im Ergebnis zu einer erfolgsbezogenen Vergütung führt (vgl. BVerfG, Beschluss des Ersten Senats vom 12. Dezember 2006 - 1 BvR 2576/04 -, NJW 2007, S. 979 <982>).
Das Vergütungsrisiko, das der mit seinem Einverständnis beigeordnete Rechtsanwalt aufgrund seiner freien Entscheidung eingegangen ist, ist zudem abgeschwächt, weil Prozesskostenhilfe nur zu bewilligen ist, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg hat und nicht mutwillig ist (§ 114 ZPO). Diese der Beiordnung vorausgehende Prüfung durch das Gericht führt dazu, dass die beigeordneten Rechtsanwälte grundsätzlich von einer erhöhten Aussicht auf Erfolg ausgehen können, weil die rechtliche Schlüssigkeit des Klägervorbringens, das Angebot etwa erforderlicher Beweismittel und unter Umständen auch die Glaubhaftmachung tatsächlicher Angaben (§ 118 Abs. 2 ZPO) gerichtlich überprüft worden sind.
2. Von einer weiteren Begründung wird gemäß § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
BVerfG:
Beschluss v. 31.10.2007
Az: 1 BvR 574/07
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