Landgericht Augsburg:
Urteil vom 29. Mai 2012
Aktenzeichen: 2 HK O 323/12, 2 HK O 323/12

(LG Augsburg: Urteil v. 29.05.2012, Az.: 2 HK O 323/12, 2 HK O 323/12)

Tenor

1. Der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger xxx € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten seit dem xxx sowie vorgerichtliche Mahnkosten in Höhe von xxx € zu zahlen.

2. Es wird festgestellt, dass die Abmahnung der Klägerin vom xxx € Anlage 2 zur Anspruchsbegründung € mit dem Inhalt, es zu unterlassen, im geschäftlichen Verkehr die Bezeichnung €Bausachverständiger€ im Briefkopf vom xxx € Anlage 1 zur Anspruchsbegründung € zu führen, unbegründet gewesen ist.

3. Von den Kosten des Verfahrens haben der Kläger 99 % und der Beklagte 1 % zu tragen.

4. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar, für den Beklagten jedoch nur gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils beizutreibenden Betrages.

Tatbestand

Die Klägerin begehrt Erstattung der Kosten einer wettbewerbsrechtlichen Abmahnung. Der Beklagte begehrt die Feststellung, dass die Abmahnung teilweise unberechtigt war.

Die Klägerin ist ein Verband zur Förderung gewerblicher Interessen gemäß § 8 Abs.3 Nr.2 UWG. Der Beklagte ist Sachverständiger und Bauingenieur mit einem Universitätsabschluss als Dipl.-Ing.. Im xxx verwendete er folgenden Briefkopf:

Die Klägerin mahnte den Beklagten mit Schreiben vom 30.05.2011 wegen der Bezeichnung als €Bausachverständiger€ sowie wegen der Angabe €Sachverständiger für vorbeugenden Brandschutz gemäß Art. 68, BayBO€ ab und forderte ihn auf, zur Vermeidung eines gerichtlichen Vorgehens eine vertragsstrafbewehrte Unterlassungsverpflichtungserklärung abzugeben, für die die Klägerin einen Entwurf beifügte (Anlage K2). Gleichzeitig machte die Klägerin einen Aufwendungsersatzanspruch in Höhe von 219,35 € geltend.

Mit Schreiben vom xxx gab der Beklagte eine Unterlassungsverpflichtungserklärung dahingehend ab, in der Zukunft die Bezeichnung €Sachverständiger für vorbeugenden Brandschutz gemäß Art. 68, BayBO€ zu unterlassen und verweigerte die Abgabe einer Unterlassungsverpflichtungserklärung für die Verwendung der Bezeichnung €Bausachverständiger€, weil diese nicht irreführend sei (Anlage K3). Zur Begründung legte er eine gutachterliche Stellungnahme des Beklagtenvertreters vor (Anlage K4). Die Bezahlung des Aufwendungsersatzes verweigerte der Beklagte wegen der Kosten des Gutachtens.

Die Klägerin ist der Auffassung, dass die Abmahnung im vollen Umfang begründet gewesen sei, also auch hinsichtlich der Bezeichnung €Bausachverständiger€. Die Angabe Bausachverständiger sei irreführend nach § 5 Abs.1 Satz 2 Nr.3 UWG. Die Sachverständigen im Bauwesen würden mit Untergruppen in 23 Sachgebiete eingeteilt. Eine Einzelperson wie der Beklagte könne nicht über die vom Bundesgerichtshof geforderte überdurchschnittliche Sach- und Fachkunde verfügen, um sich als Sachverständiger für Bauwesen bezeichnen zu können. Im Hinblick auf das große Sachgebiet könne eine Einzelperson nach Sachlage nicht Sachverständiger, d.h. Experte in den Einzelgebieten des großen Gebiets Bauwesen sein. Die Gefahr der Irreführung werde auch durch den rechts im Briefkopf enthaltenen Hinweis, dass der Beklagte öffentlich bestellter und vereidigter Sachverständiger für Beton- Stahlbau und Mauerwerksbau sowie Sachverständiger für Tragwerksplanung sei nicht aufgehoben. Die Bezeichnung Bausachverständiger sei blickfangmäßig herausgestellt. Die weiteren Angaben nur als beispielhafte Aufzählung aufzufassen.

Mit der Klage macht die Klägerin Ersatz ihrer Aufwendungen für die Abmahnung mit dem Schreiben vom xxx geltend. Sie ist insoweit der Auffassung, dass der Ersatz der vollen Aufwendungen selbst dann verlangt werden könne, wenn die Abmahnung nur wegen der Bezeichnung €Sachverständiger für vorbeugenden Brandschutz gemäß Art. 68, BayBO€ berechtigt gewesen wäre.

Die Klägerin beantragt:

Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin € xxx nebst Zinsen hieraus von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab xxx sowie vorgerichtliche Mahnkosten von xxx € zu zahlen.

Der Beklagte beantragt

Klageabweisung

und im Wege der Widerklage:

Festzustellen, dass die Abmahnung der Klägerin vom xxx € Anlage 2 zur Klage € mit dem Inhalt, es zu unterlassen, im geschäftlichen Verkehr die Bezeichnung €Bausachverständiger€ im Briefkopf vom xxx € Anlage 1 der Klage € zu führen, unbegründet gewesen ist.

Die Klägerin beantragt

die Widerklage abzuweisen.

Der Beklagte hat die Aufrechnung mit einem Zahlungsanspruch erklärt, der ihm wegen missbräuchlicher Abmahnung zustehe. Die Klägerin habe hinsichtlich der Abmahnung bezüglich der Verwendung des Begriffs €Bausachverständiger€ missbräuchlich gehandelt.

Der Beklagte hat gegen den Zahlungsanspruch der Klage die Einrede der Verjährung erhoben.

Sowohl im Hinblick auf den aufgerechneten Schadensersatzanspruch als auch die Feststellungswiderklage vertritt der Beklagte die Auffassung, dass die Bezeichnung als €Bausachverständiger€ nicht irreführend sei. Marktteilnehmer verstünden den Begriff Bausachverständiger nicht so, dass Sachverständiger nur sein könne, wer über Spezialkenntnisse auf ganz bestimmten, eingegrenzten und näher definierten Sektoren eines größeren Sachgebiets verfüge. Der Beklagte verweist darauf, dass auch die Bestellungspraxis der Industrie- und Handelskammern in Form des öffentlich bestellten und vereidigten Sachverständigen für €Schäden an Gebäuden€ bekanntermaßen Generalisten zu Sachverständigen bestelle. Der Beklagte verweist auch darauf, dass er die Bezeichnung €Bausachverständiger€ nicht mit dem Zusatz €öffentlich bestellter und vereidigter€ verknüpft habe. Schließlich werde eine Irreführungsgefahr durch die Hinweise auf der rechten Seite des Briefkopfs beseitigt.

Zur Ergänzung des Sach- und Streitstands wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.

Gründe

Klage und Widerklage sind zulässig und beide begründet.

A.Klage

Die Klage ist aus § 12 Abs.1 Satz 2 UWG begründet; der Anspruch ist nicht nach § 389 BGB durch Aufrechnung erloschen, weil dem Beklagten kein Schadensersatzanspruch wegen unberechtigter Abmahnung zusteht.

I.

Anspruch der Klägerin aus § 12 Abs.1 Satz 2 UWG.

1. Nach § 12 Abs.1 Satz 2 UWG kann die Klägerin Ersatz der erforderlichen Aufwendungen verlangen, soweit die Abmahnung berechtigt ist.

Berechtigt war die Abmahnung soweit sich der Beklagte als Sachverständiger für vorbeugenden Brandschutz gemäß Art. 68, BayBO bezeichnet hat. Art. 68 BayBO enthält keine Regelung für Sachverständige für Brandschutz. Die Vorschrift regelt die Voraussetzungen für die Erteilung von Baugenehmigungen. Dementsprechend war die Bezeichnung irreführend, was zwischen den Parteien im Ergebnis auch nicht streitig ist.

2. Die Klägerin kann deshalb Aufwendungsersatz in Höhe von xxx € verlangen.

a) Dass die Klägerin für eine berechtigte Abmahnung xxx € berechnen darf ist zwischen den Parteien nicht streitig und im Übrigen durch die Rechtssprechung anerkannt (Köhler/Bornkamm, UWG, 28.Auflage, § 12 Rdn.1.98).

b) Der Anspruch besteht in dieser Höhe auch dann, wenn die Abmahnung teilweise unberechtigt war (Köhler/Bornkamm, aaO, § 12 Rdn.1.99; BGH, WRP 1999, 509; BGHZ 177, 253). Es geht insoweit nicht um die Frage eines Teilunterliegens und einer entsprechenden Kostenquotelung sondern um den Ersatz des bei der Klägerin tatsächlich entstandenen Aufwandes. Dieser wäre auch bei einer Abmahnung nur wegen der Bezeichnung als Sachverständiger für vorbeugenden Brandschutz entstanden.

II.

Aufrechnung des Beklagten

Dem Beklagten steht wegen der teilweise unberechtigten Abmahnung im Hinblick auf die Bezeichnung als Sachverständiger für Brandschutz unter keinem Gesichtspunkt ein Schadensersatzanspruch zu.

1. Ein Schadensersatzanspruch ergibt sich nicht aus § 8 Abs.4 UWG. Nach § 8 Abs.4 UWG ist die Geltendmachung von wettbewerbsrechtlichen Unterlassungsansprüchen unzulässig, wenn sie unter Berücksichtigung der gesamten Umstände missbräuchlich ist. § 8 Abs.4 UWG enthält aber keine Anspruchsgrundlage für Schadensersatz wegen missbräuchlicher Geltendmachung von Unterlassungsansprüchen. Der Betroffene ist darauf beschränkt, sich mit dem Missbrauchseinwand zu verteidigen (Köhler Bornkamm, aaO, § 8 Rdn.4.6).

2. Der Beklagte hat auch keinen Schadensersatzanspruch aus §§ 9, 3, 4 Nr.10 UWG.

a) Ein Schadensersatzanspruch dürfte bereits deshalb ausscheiden, weil die Klägerin keine Wettbewerberin im Verhältnis zum Beklagten ist.

b) Jedenfalls stellt selbst eine missbräuchliche Abmahnung, die vorliegend im Sinn von § 8 Abs.4 UWG nicht gegeben ist, in der Regel keinen Wettbewerbsverstoß dar. Insbesondere würde die Abmahnung den Beklagten nicht im Sinn von § 4 Nr.10 UWG gezielt behindern. Der Beklagte wäre ungehindert, den beanstandeten Briefkopf weiterhin zu verwenden und es auf eine gerichtliche Auseinandersetzung ankommen zu lassen.

3. Eine analoge Anwendung von § 12 Abs.1 Satz 2 UWG scheidet nach einhelliger Auffassung aus (Köhler/Bornkamm, aaO, § 12 Rdn.1.78a). Bei den Kosten einer berechtigten Abmahnung wegen wettbewerbswidrigen Verhaltens und der Frage der Erstattung der Kosten einer Verteidigung gegen eine unberechtigte Abmahnung handelt es sich um unterschiedliche Sachverhalte, sodass die analoge Anwendung von § 12 Abs.1 Satz 2 UWG ausscheidet.

4. Dem Beklagten steht auch kein Anspruch aus § 823 Abs.1 BGB wegen eines eventuellen Eingriffs in einen eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb zu. Auch insoweit gilt, dass die Abmahnung den Beklagten nicht hindert, den Briefkopf zu verwenden.

5. Aus demselben Gesichtspunkt scheidet ein Anspruch § 826 BGB aus. Ein solcher kommt allenfalls ausnahmsweise in Missbrauchsfällen in Betracht (Köhler Bornkamm, aaO, § 12 Rdn.1.78a). Es gilt nichts anderes, als bei der Geltendmachung nicht bestehender Forderungen außerhalb des Wettbewerbsrechts.

III.

Verjährung

Der Zahlungsanspruch der Klage ist nicht verjährt. Ansprüche aus § 12 Abs.1 Satz 2 UWG verjähren nach § 11 Abs.1 UWG in 6 Monaten. Die Verjährungsfrist beginnt nach § 11 Abs.2 UWG dann, wenn der Anspruch entstanden ist und der Gläubiger Kenntnis von den sie begründenden Umständen erlangt hat oder erlangen müsste. Dieser Zeitpunkt kann frühestens am 30.Mai 2011, dem Datum der Abmahnung angenommen werden. Ablauf der Verjährungsfrist wäre deshalb der 30.November 2011. Durch die Zustellung des Mahnbescheides am xxx ist aber die Verjährung nach § 204 Abs.1 Nr.3 BGB gehemmt worden.

B.Widerklage

I.

Die Widerklage ist zulässig.

Nach § 256 Abs.1 ZPO kann auf Feststellung des Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses Klage erhoben werden, wenn der Kläger ein rechtliches Interesse daran hat, dass das Rechtsverhältnis durch richterliche Entscheidung alsbald festgestellt werde.

1. Rechtsverhältnis ist die Beziehung einer Person zu einer anderen Person oder zu einer Sache, die ein (mit materieller Rechtskraftwirkung feststellbares) subjektives Recht enthält der solche Rechte entspringen können (Zöller/Greger, ZPO, 28.Auflage, § 256 Rdn.3) dagegen können bloße Tatfragen oder abstrakte Rechtsfragen nicht Gegenstand einer Feststellungsklage sein. Das Rechtsverhältnis muss grundsätzlich ein gegenwärtiges sein. Unzulässig ist die Klage auf Feststellung von Rechtsverhältnissen aus einem erst künftig (möglicherweise) entstehenden Rechtsverhältnis. Ein vergangenes Rechtsverhältnis kann nur Gegenstand einer Feststellungsklage sein, wenn sich aus ihm nach dem Klagevortrag noch Rechtsfolge für Gegenwart oder Zukunft ergeben (Zöller/Greger, aaO, Rdn.3a).

2. Nach diesen Grundsätzen ist zwischen den Parteien ein gegenwärtiges Rechtsverhältnis im Streit. Die Klägerin vertritt die Auffassung, dass die Abmahnung und das Unterlassungsbegehren auch in Bezug auf die Bezeichnung €Bausachverständiger€ berechtigt gewesen sei. Sie vertritt damit die Auffassung, dass sie einen Unterlassungsanspruch gegen den Beklagten erlangt habe. Auf diesen Anspruch hat die Klägerin nicht verzichtet. Ein sonstiger Erlöschenstatbestand ist nicht ersichtlich. Soweit die Klägerin geltend macht, dass zwischenzeitlich der Beklagte gegen einen Unterlassungsanspruch betreffend die Verwendung der Bezeichnung €Bausachverständiger€ die Einrede der Verjährung erheben könne, lässt dies das Rechtsverhältnis nicht entfallen. Die Verjährung ist kein Erlöschenstatbestand. Sie lässt vielmehr den verjährten Anspruch bestehen und gewährt dem Schuldner lediglich das Recht, die Leistung zu verweigern (§ 214 Abs.1 BGB). Der Beklagte hat, anders als gegenüber dem Zahlungsanspruch, gegenüber dem Unterlassungsanspruch die Einrede der Verjährung ausdrücklich nicht erhoben.

Im Übrigen wäre ein bestehendes Rechtsverhältnis allein deshalb noch gegeben, weil die Klägerin den Zahlungsanspruch hilfsweise auch auf die Abmahnung wegen der Bezeichnung als €Bausachverständiger€ stützt.

II.

Die Widerklage ist begründet.

Die Abmahnung des Beklagten wegen der Verwendung der Bezeichnung €Bausachverständiger€ war nicht berechtigt. Die Klägerin konnte keinen Anspruch auf die §§ 5 Abs.1 Satz 2 Nr.3, 8 Abs.1, Abs.3 Nr.2 UWG stützen, weil der Beklagte mit der Selbstbezeichnung als €Bausachverständiger€ im Briefkopf keine irreführende geschäftliche Handlung vorgenommen hat.

Nach § 5 Abs.1 Nr.3 UWG handelt unlauter, wer eine irreführende geschäftliche Handlung vornimmt. Eine geschäftliche Handlung ist unter anderem dann irreführend, wenn sie unwahre Angaben oder sonstige zur Täuschung geeignete Angaben über die Person, die Befähigung oder die Zulassung enthält.

Bei der Selbstbezeichnung als Bausachverständiger im Briefkopf handelt es sich im Sinne der Tatbestandsvoraussetzungen zweifelsfrei um eine geschäftliche Handlung mit Unternehmens- und Marktbezug. Zu entscheiden ist lediglich über die Frage der Eignung zur Irreführung.

1. Bei der Prüfung, ob eine Angabe über geschäftliche Verhältnisse geeignet ist, den Verkehr irrezuführen, kommt es nicht auf den objektiven Wortsinn und nicht darauf an, wie der Werbende selbst seine Aussage über seine Person verstanden haben will. Entscheidend ist die Auffassung der Verkehrskreise, an die sich die Werbung richtet (Köhler/Bornkamm, aaO, § 5 Rdn.2.67). Es ist also zu ermitteln, welche Verkehrskreise durch die Bezeichnung angesprochen sind und welches Verständnis diese Verkehrskreise haben. Sodann ist zu prüfen, ob das Verständnis der angesprochenen Verkehrskreise mit den wirklichen Verhältnisse des Äußernden übereinstimmt.

2. Zu unternehmensbezogenen Angaben sind von § 5 Abs.1 Satz 2 Nr.3 UWG im Zusammenhang mit der Bezeichnung als Sachverständigen haben sich Rechtssprechung und Literatur verschiedentlich geäußert (vgl. Köhler/Bornkamm, aaO, § 5 Rdnrn. 5.142ff.).

a) Nach der Rechtssprechung des BGH (Urteil vom 23.05.1984, AZ IZR 140/82; Urteil vom 06.02.1997, AZ IZR 234/94) ist die Bezeichnung als €Sachverständiger€ anders als die Bezeichnung €öffentlich bestellter und vereidigter Sachverständiger€ gesetzlich nicht geschützt. Es ist deshalb auch das Auftreten als Sachverständiger kraft Selbstbezeichnung grundsätzlich möglich. Allerdings darf die Bezeichnung nicht in einer gegen das UWG verstoßenden Weise unlauter verwendet werden. Der BGH hat insoweit auch bestätigt, dass der Verkehr auch von einem schlichten Sachverständigen uneingeschränkt fundiertes Fach- und Erfahrungswissen erwartet.

Mit einer Bezeichnung €Bausachverständiger€ hat sich der BGH noch nicht auseinandergesetzt. Daraus, dass in der Entscheidung vom 06.02.1997 der BGH die Sache zur weiteren Beweiserhebung über die Sachkunde des Beklagten an das Berufungsgericht zurückgewiesen hat, lässt sich schließen, dass der BGH die Bezeichnung als €KFZ.- Sachverständigenbüro€ jedenfalls nicht per se für irreführend hält, weil niemand eine allumfassende Kompetenz in diesem Sinne haben könne.

b) Die Instanzgerichte haben zur Bezeichnung als €Bausachverständiger€ bislang unterschiedlich entschieden.

aa) Nach der Datenbankauskunft von Juris hat das Landgericht Hamburg mit Urteil vom 02.08.2005 über die Anzeige eines Architekten entschieden, der sich als öffentlich bestellter und vereidigter Bausachverständiger bezeichnet hat. Die Entscheidung ist im Volltext hier nicht zugänglich. Aus den in Juris veröffentlichten Orientierungssätzen und den Aufsätzen Andreas Ottofülling, DS 2008, 53 und Nikolai Klute, NZ Bau 2008, 556 ergibt sich, dass das Landgericht Hamburg die Selbstbezeichnung als Bausachverständiger für zulässig erachtet hat. Aus dem Aufsatz von Ottofülling lässt sich weiter schließen, dass die eingelegte Berufung mangels Erfolgsaussicht zurückgenommen wurde (vgl. Aufsatz Ottofülling Ziffer III, letzter Absatz).

Juris lassen sich zur Entscheidung des Landgerichts Hamburg folgende Orientierungssätze entnehmen:

€Auch Personen, die nicht durch eine amtliche Stelle bestellt werden, dürfen die Bezeichnung €Bausachverständiger€ verwenden.

Auch derjenige kann als Sachverständiger auftreten, der zum Beispiel von privaten Organisationen anerkannt wurde, oder längere Zeit auf dem jeweiligen Fachgebiet tätig gewesen ist und über uneingeschränkt fundierendes Fachwissen verfügt, das auf eine nachprüfbare Weise erworben wurde.

Ein von einer Körperschaft wie der Architektenkammer bestellter Sachverständiger ist daher nicht verpflichtet, bei der Verwendung der Bezeichnung €Bausachverständiger€ jeweils das (u.u. sehr eingeschränkte) Fachgebiet anzugeben, für das die öffentliche Bestellung erfolgt ist."

bb) Dagegen hat das Landgericht Regensburg mit Urteil vom 28.02.2002 (Anlage K5) entschieden, dass die Bezeichnung €Sachverständiger für Bauwesen€ irreführend sei. Bei der Bezeichnung €Sachverständiger für Bauwesen€ unterstelle der Verbraucher eine Befähigung des Werbenden als Experte in dem gesamten Baubereich, das auch Genie nicht haben könne.

Das OLG Stuttgart hat mit Urteil vom 27.09.2007, AZ 2 U 13/07 entschieden, dass eine Werbung eines von der Handwerkskammer für das Maurer und Betonhandwerk öffentlich bestellten und vereidigten Sachverständigen als €öffentlich und bestellter und vereidigter Bausachverständiger (Maurer-, Beton und Stahlbeton) unter Hinweis auf weitere Sachgebiete irreführend sei.

c) In der Literatur werden zur Verwendung der Bezeichnung €Bausachverständiger€ verschiedene Auffassungen vertreten (vgl. die bereits zitierten Aufsätze von Kluthe und Ottofülling).

3. Nach Auffassung der Kammer ist die Selbstbezeichnung des Beklagten im streitgegenständlichen Briefkopf als €Bausachverständiger€ nicht irreführend.

a) Der betroffene Adressatenkreis ist mehrschichtig; die Kammer ist aus eigener Sachkunde in der Lage, ihn zu beurteilen.

aa) Möglicher Adressat der Selbstbezeichnung ist jeder, der Veranlassung haben kann, einen Sachverständigen für Fragen im Bereich des Bauwesens zu suchen, zu beauftragen, zu empfehlen etc.. Das sind nicht nur Gerichte und Bauunternehmen sondern auch sonstige Unternehmer und Verbraucher. Im Bereich der Verbraucher wird eine kleine Einschränkung vorzunehmen sein, dass es sich einerseits um den durchschnittlichen informierten und verständigen Verbraucher handelt, der der Werbung die der Situation angemessene Aufmerksamkeit entgegen bringt (Köhler/Bornkamm, aaO, § 1 Rdn.30).

bb) Die Kammer verfügt über eigene Sachkunde, die Erwartung dieser angesprochenen Verkehrskreise zu beurteilen. Als Gericht ist die Kammer typischer Auftraggeber eines Sachverständigen. Die Handelsrichter sind dies unter anderem Blickwinkel in ihrer Eigenschaft als Unternehmer. Alle drei Kammermitglieder sind es letztlich nochmals unter einem anderen Blickwinkel in ihrer privaten Eigenschaft als Verbraucher.

b) Mit der Bezeichnung als Bausachverständiger ist keine Gefahr der Irreführung der angesprochenen Verkehrskreise verbunden.

aa) Der Begriff des Sachverständigen ist ebensowenig geschützt wie der Begriff des Bausachverständigen. Beide Begriffe sind dementsprechend gesetzlich nicht normiert.

Gemeinhin versteht man unter einem Sachverständigen eine natürliche Person mit einer gewissen Sachkunde oder einer überdurchschnittlichen fachlichen Expertise auf einem gewissen Gebiet (Freie Enzyklopädie Wikipedia, Stichwort Sachverständiger) oder jemanden, der aufgrund seiner besonderen Sachkunde in einem gerichtlichen Verfahren als Gutachter auftritt bzw. jemanden mit Sachverstand, einen Fachmann oder einen Experten (Duden online, Stichwort Sachverständiger).

Der Wortteil €Bau€ ist als Kurzform des Begriffs Bauwesen zu verstehen und umfasst damit alle Themen, Arbeitsbereiche und Fachdisziplinen, die mit der Errichtung von baulichen Anlagen bzw. Bauwerke zusammen hängen (vgl. freie Enzyklopädie Wikipedia, Stichwort Sachverständiger).

bb) Mit der Bezeichnung als Bausachverständiger erweckt der Beklagte bei den betroffenen Verkehrskreisen keinen falschen Eindruck.

(1) Der Beklagte erweckt insbesondere nicht den Eindruck, dass er als Bausachverständiger ohne Einschränkung auf ein bestimmtes Fachgebiet öffentlich bestellt und vereidigt sei.

Dies unterscheidet die vorliegende Konstellation von derjenigen die der Entscheidung des OLG Stuttgart vom 27.09.2007 zugrunde lag, wo sich der Sachverständige als öffentlich bestellter und vereidigter Bausachverständiger bezeichnet hat.

Eine Irreführungsgefahr in Richtung eines öffentlich bestellten und vereidigten Bausachverständigen ist insbesondere auch nicht durch die rechts im Briefkopf kleiner angegebenen Fachgebiete gegeben. Nur dort ist der Sachverständigenstempel mit rundem Kreis angebracht und dort hat sich der Beklagte als €von der IHK Schwaben öffentlich bestellter und vereidigter Sachverständiger für Beton-, Stahlbeton- und Mauerwerksbau€ bezeichnet. Dies impliziert aber nicht, dass der Beklagte allgemein öffentlich bestellter und vereidigter Bausachverständiger sei.

(2) Die Bezeichnung als €Bausachverständiger€ weckt die Erwartung umfassender Kenntnisse im Bauwesen. Der Beklagte ist allerdings auch Bauingenieur mit Universitätsabschluss. Es kann deshalb von ihm erwartet werden, dass er im gesamten Bereich des Bauwesens über besondere Sachkunde sowie Erfahrung verfügt. Beispielsweise wird ein Diplomingenieur auch auf dem Gebiet der Statik kraft seiner Ausbildung über Sachverstand verfügen, über den beispielsweise ein Jurist oder ein Kaufmann nicht verfügt.

Dass andererseits keine Einzelperson in allen verschiedenen Bereichen des Bauwesens alle Fragen sachverständig beantworten kann, versteht sich von selbst. Es ist auch bei den von der Selbstbezeichnung des Beklagten angesprochenen Verkehrskreisen ein derartiges Verständnis vorauszusetzen. Ein Sachverständiger muss nicht begriffsnotwendig ein Spezialist sein. Gegebenenfalls kann die Anforderung an einen Sachverständigen gerade sein, dass er nicht in einem eng begrenzten Themenbereich Spezialist ist sondern auf dem breiten Gebiet des Bauwesens ein Wissen hat, das die angesprochenen Verkehrskreise insgesamt nicht haben.

Das Verständnis der Klägerin würde letztlich darauf hinaus laufen, dass sich Rechtsanwälte im geschäftlichen Verkehr nicht mehr als Rechtsanwälte bezeichnen dürften. Die Materie des Rechts ist noch uferloser als die des Bauwesens. Soweit ersichtlich wird die Auffassung nicht vertreten, dass ein Rechtsanwalt nicht allein unter seiner Berufsbezeichnung Rechtsanwalt auftreten darf. Jedermann weiß, dass der Rechtsanwalt nicht allumfassend in jedem Bereich des Rechts sachverständig sein kann. Ähnlich ist es im Gebiet des Bauwesens. Im Ergebnis ist die Selbstbezeichnung des Beklagten deshalb nicht irreführend, weil der Einwand der Klägerin zwar zutreffend ist, dass niemand in allen Bereichen des Bauwesens sachverständiger Spezialist sein kann. Dies hat aber der Beklagte mit der Selbstbezeichnung weder behauptet, noch wird es von den angesprochenen Verkehrskreisen erwartet.

Dass der Beklagte nicht über das Wissen verfügt, das man von einem Bauingenieur üblicherweise erwarten kann, wird von der Klägerin nicht behauptet und ist nicht Streitgegenstand.

Die Selbstbezeichnung einer Einzelperson als Bausachverständiger ist nicht per se irreführend, weil jedermann weiß, dass man nachfragen muss, in welchem Bereich der Bausachverständige generelle Kenntnisse hat und in welchem er gegebenenfalls spezielle Kenntnisse hat.

C.Nebenentscheidungen

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 92 Abs.1 ZPO. Das Gericht hat davon abgesehen, die Kosten des Verfahrens nach § 92 Abs.2 der Klägerin ganz aufzuerlegen, weil die Abmahnung zwei Streitgegenstände betraf und die Abmahnung, die dem Zahlungsanspruch der Klage zugrunde lag begründet war.

Die Kostentragungspflicht wurde im Verhältnis von Klage und Widerklage gequotelt. Bei der Widerklage ist das Gericht entsprechend dem festgesetzten Streitwert von einem Wert von 25.000,00 € ausgegangen. Dieser Wert erschien dem Gericht als angemessen. Die Klägerin verfolgt gleichartige Unterlassungsansprüche in mehreren Verfahren. Es muss davon ausgegangen werden, welchen Wert der Unterlassungsanspruch für ein gewichtiges Mitglied der Klägerin haben kann.






LG Augsburg:
Urteil v. 29.05.2012
Az: 2 HK O 323/12, 2 HK O 323/12


Link zum Urteil:
https://www.admody.com/urteilsdatenbank/556a89753e71/LG-Augsburg_Urteil_vom_29-Mai-2012_Az_2-HK-O-323-12-2-HK-O-323-12




Diese Seite teilen (soziale Medien):

LinkedIn+ Social Share Twitter Social Share Facebook Social Share