Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg:
Beschluss vom 27. Juli 1990
Aktenzeichen: 2 S 1395/90

(VGH Baden-Württemberg: Beschluss v. 27.07.1990, Az.: 2 S 1395/90)

1. Für den Prozeßbevollmächtigten des Berufungsbeklagten entsteht schon dann die volle Prozeßgebühr, wenn er sofort nach Eingang der Berufung des Berufungsklägers einen Antrag auf Zurückweisung der Berufung einreicht. Dies gilt im allgemeinen auch dann, wenn die Berufungsbegründung noch nicht bei Gericht eingegangen ist und die Berufung zunächst nur zur Fristwahrung eingelegt wurde.

Gründe

Die zulässige Beschwerde (§§ 146 Abs. 1 und Abs. 3, 147, 165 VwGO) ist begründet. Zu Unrecht hat das Verwaltungsgericht die Erinnerung der Kläger gegen den Kostenfestsetzungsbeschluß des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle vom 30.10.1989 zurückgewiesen. Die Kläger haben einen Anspruch auf Festsetzung der vollen, für die Tätigkeit ihrer Prozeßbevollmächtigten im Berufungsverfahren entstandenen Prozeßgebühr (13/10 der vollen Gebühr) und nicht nur einen solchen auf Erstattung der genannten Gebühr in halber Höhe, wie das Verwaltungsgericht meint.

Nach § 162 Abs. 2 S. 1 VwGO sind die Gebühren und Auslagen eines Rechtsanwalts stets erstattungsfähig. Das Gesetz sieht weder nach seinem Wortlaut und seiner Systematik noch nach Sinn und Zweck der getroffenen Regelung vor, daß bei der Kostenfestsetzung die Notwendigkeit der Heranziehung eines Rechtsanwalts geprüft und zum Maßstab für die Erstattungsfähigkeit der Kosten gemacht wird. Nur für die Erstattungsfähigkeit von Gebühren und Auslagen eines Bevollmächtigten im Vorverfahren sieht § 162 Abs. 2 S. 2 VwGO eine Notwendigkeitsprüfung durch das Gericht vor (vgl. VGH Bad.-Württ., Beschluß vom 16.3.1988 -- Z 10 S 621/88 --). Zwar gilt nach der Rechtsprechung auch für die Anwaltskosten der das gesamte Kostenrecht beherrschende Grundsatz, die Kosten so niedrig wie möglich zu halten (VGH Bad.-Württ., Beschluß vom 15.2.1989 -- 5 S 2167/88 --; Beschluß vom 24.6.1985 -- 2 S 585/85 -- mit zahlreichen weiteren Nachweisen). Dieser Grundsatz, der insbesondere bei der Prüfung der Erstattungsfähigkeit von Auslagen eines Rechtsanwalts Platz greift, schränkt jedoch das Recht eines Beteiligten, sich in jeder Lage des Verfahrens eines Bevollmächtigten zu bedienen, nicht ein (§ 67 Abs. 2 VwGO; vgl. auch Bay.VGH, Beschluß vom 28.5.1982, NJW 1982, 2394). Obwohl die Beklagte die Berufung "zunächst nur zur Fristwahrung eingelegt" hatte, brauchten die Kläger daher mit der Bestellung eines Prozeßbevollmächtigten für das Berufungsverfahren nicht abzuwarten, bis die Beklagte etwa durch eine Berufungsbegründung zu erkennen gegeben hätte, das Berufungsverfahren durchführen zu wollen.

Für die Tätigkeit der Prozeßbevollmächtigten der Kläger im Berufungsverfahren ist eine Prozeßgebühr gemäß §§ 114, 31 Abs. 1 Nr. 1, 11 Abs. 1 S. 4 BRAGO entstanden. Die Prozeßbevollmächtigten der Kläger haben sich mit am 26.7.1989 beim erk. Gerichtshof eingegangenen Schriftsatz vom 25.7.1989 zum Berufungsverfahren gemeldet, die kostenpflichtige Zurückweisung der Berufung der Beklagten, die diese am 30.6.1989 eingelegt hatte, beantragt und sich zugleich entsprechend der Verfügung des Vorsitzenden vom 17.7.1989 zum Streitwert geäußert. Dies löst die Prozeßgebühr in Höhe von 13/10 der vollen Gebühr aus; deren Halbierung gemäß § 32 BRAGO scheidet aus. Nach dieser Vorschrift erhält der Rechtsanwalt u.a. dann nur eine halbe Prozeßgebühr, wenn sein Auftrag endigt, bevor er einen Schriftsatz, der einen Sachantrag enthält, eingereicht hat. Nach allgemeiner Ansicht (vgl. Gerold/Schmidt/von Eicken/Madert, BRAGO, 10. Aufl., § 31 Rdnr. 20 m.w.N.) ist der Zurückweisungsantrag ein Sachantrag im Sinne des § 32 BRAGO. Hieraus folgt, daß für den Rechtsanwalt des Berufungsbeklagten im allgemeinen schon dann die volle Prozeßgebühr entsteht, wenn er sofort nach Berufungseinlegung einen Antrag auf Zurückweisung der Berufung einreicht, auch wenn die Berufungsbegründung noch nicht bei Gericht eingegangen ist oder die Berufung nur zur Fristwahrung eingelegt wurde (so Hartmann, Kostengesetz, 23. Aufl., § 31 BRAGO Anm. 5 E mit zahlreichen Nachweisen auch zur gegenteiligen Ansicht). Ob dieser Grundsatz eine Ausnahme rechtfertigt, wenn zwischen den Beteiligten ein Stillhalteabkommen dergestalt geschlossen worden ist, daß der Berufungsbeklagte bis zu einem gewissen Zeitpunkt keinen Prozeßbevollmächtigten beauftragen werde, braucht hier nicht entschieden zu werden (vgl. Gerold/Schmidt/von Eicken/Madert, aaO). Zwar hat die Beklagte vorgetragen, sie habe den Prozeßbevollmächtigten der Kläger am 27.6.1989 gebeten, sich vorerst nicht beim VGH zu melden und dieser habe das mit Schreiben vom 28.6.1989 bestätigt. Allerdings sei diesem Schreiben hinzugeführt worden, daß sich der Prozeßbevollmächtigte der Kläger Ende Juli beim VGH legitimieren werde, sofern bis dahin nicht die Berufungsrücknahme angezeigt worden sein sollte. Dies rechtfertigt jedoch nicht die Annahme, ein Stillhalteabkommen sei zustandegekommen, das der Prozeßbevollmächtigte der Kläger durch den am 26.7.1989 beim Verwaltungsgerichts eingegangenen Schriftsatz verletzt habe, zumal die Beklagte die Berufung erst am 15.9.1989 zurückgenommen hat.






VGH Baden-Württemberg:
Beschluss v. 27.07.1990
Az: 2 S 1395/90


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