Landgericht Köln:
Urteil vom 22. Dezember 2011
Aktenzeichen: 81 O 72/11
(LG Köln: Urteil v. 22.12.2011, Az.: 81 O 72/11)
Tenor
I.
Die Beklagte wird verurteilt,
1. es bei Meidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung vom Gericht festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu 250.000,00 €, ersatzweise Ordnungshaft bis zu 2 Jahren, zu unterlassen, Versicherungsnehmern der A Allgemeine Versicherung AG Nachlässe, Rabatte, Auslagenerstattungen oder sonstige geldwerte Vorteile jeglicher Art auf Reparaturkosten zu gewähren, die nicht in der Abrechnung der Reparaturleistungen gegenüber dem Versicherungsnehmer ausdrücklich als solche erkennbar sind;
2. an die Klägerin außergerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 1.085,04 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 19.05.2011 zu zahlen;
3. der Klägerin Auskunft darüber zu geben, in welchen weiteren Fällen sie gegenüber Versicherungsnehmern der Klägerin Nachlässe, Rabatte, Auslagenerstattungen oder sonstige geldwerte Vorteile auf Reparaturkosten gewährt hat, die nicht in der Abrechnung der Reparaturleistungen gegenüber dem Versicherungsnehmer als solche kenntlich gemacht wurden.
II.
Es wird festgestellt, dass die Beklagte gegenüber der Klägerin verpflichtet ist, der Klägerin sämtliche ihr entstandenen sowie sämtliche der ihr künftig entstehenden Schäden zu erstatten, die darauf zurückzuführen sind, dass die Beklagte Versicherungsnehmern der Klägerin Nachlässe, Rabatte, Auslagenerstattungen oder sonstige geldwerte Vorteile jeglicher Art auf Reparaturkosten gewährt hat, die nicht in der Abrechnung der Reparaturleistungen gegenüber dem Versicherungsnehmer ausdrücklich als solche erkennbar sind.
III.
Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.
IV.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar, wegen der Unterlassung gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 10.000,00 €, wegen der Auskunft gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 1.000,00 € und wegen der Zahlung und der Kosten in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrags.
Tatbestand
Die Klägerin nimmt die Beklagte auf Unterlassung nicht ausgewiesener Vergünstigungen zur Umgehung der Selbstbeteiligung ihrer Versicherungsnehmer bei Reparaturen durch die Beklagte in Anspruch.
Die Klägerin ist ein zur A-Gruppe gehörender Schaden- und Unfallversicherer. Sie erbringt auch Versicherungsleistung in der Kfz-Versicherung, u.a. den Austausch beschädigter Glasscheiben bei vereinbarter Selbstbeteiligung des Versicherungsnehmers.
Die Beklagte ist im Bereich von Autoverglasungen tätig und führt entsprechende Glasaustausche vor, lässt sich von den Kunden die Ansprüche gegen die Kfz-Versicherer abtreten und rechnet mit diesen die Reparaturkosten unmittelbar ab. Die Versicherer zahlen den Rechnungsbetrag abzüglich der mit dem Versicherungsnehmer vereinbarten Selbstbeteiligung, in der Regel 150,00 €.
Die bei der Klägerin Kfzversicherte Kundin O2 ließ den Austausch einer Windschutzscheibe bei der Beklagten durchführen. Die Beklagte berechnete der Klägerin unter dem 29.03.2011 443,34 € (netto). Von diesem Betrag erstattete die Klägerin der Beklagten abzüglich der Selbstbeteiligung 293,34 € (netto).
Eine Barzahlung oder Überweisung der Selbstbeteiligung durch die Zeugin O2 an die Beklagte erfolgte nicht, wobei über den Hintergrund Uneinigkeit besteht.
Die Klägerin mahnte die Beklagte mit anwaltlichem Schreiben vom 11.05.2011 (Anlage K 2) ab. Die Beklagte wies die Abmahnung mit Schreiben vom 27.05.2011 (Anlage K 3) zurück.
Für die Abmahnung verlangt die Klägerin die Erstattung anwaltlicher Kosten in Höhe von 1.085,04 € nach einem Streitwert von 25.000,00 € und einer 1,3-Gebühr (zzgl. Auslagenpauschale und Umsatzsteuer).
Die Klägerin behauptet, die Beklagte habe der Kundin O2 einen Nachlass in Höhe der Selbstbeteiligung in Höhe von 150,00 € gewährt. Entgegen dem Vortrag der Beklagten habe die Kundin O2 die Selbstbeteiligung nicht an die Beklagte gezahlt. Dieser Nachlass hätte von der Kostenerstattung in Abzug gebracht werden müssen. Das Vorgehen der Beklagten diene der Anlockung von Kunden und der Übervorteilung der Klägerin, weil die Kunden dazu verleitet würden, den Vorteil der Klägerin nicht zu offenbaren, da sie anderenfalls den Betrag an die Klägerin abführen müssten. Die Abrechnung der überhöhten Rechnungen sei daher unzulässig. Es werde gegen §§ 3, 4 Nr. 1, 4, 10, 11 UWG i.V.m. §§ 263 ff. StGB verstoßen. Durch die Fehlabrechnungen entstehe ihr ein Schaden in Höhe von 150,00 € netto bzw. 178,50 € brutto je Schadensfall. Zugleich stehe ihr ein Auskunftsanspruch zur Vorbereitung der Bezifferung des Schadensersatzes zu.
Auch gegenüber weiteren Zeugen, den Herren O, P, Q, R und S habe die Beklagte einen Nachlass in Höhe der Selbstbeteiligung gewährt.
Die Klägerin beantragt nach Klageerweiterung,
wie erkannt.
Die Beklagte beantragt
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte hat zunächst behauptet, sie habe keinen Nachlass auf die Reparaturkosten gewährt. Die Kundin O2 habe die Selbstbeteiligung in Höhe von 150,00 € selbst an die Beklagte gezahlt. Sodann führt die Beklagte aus, die Zeugin O2 habe mit der Beklagten einen Werbepartner-Vertrag abgeschlossen, wonach ein Werbeaufkleber der Beklagten, etwa in Größe eines 5-Mark-Stücks, auf die Windschutzscheibe für ein Jahr aufgebracht wird und die Kundin dafür 150,00 € erhalten habe. Diese Vergütung sei nicht ausbezahlt, sondern mit der Selbstbeteiligung verrechnet worden. Auskunft und Schadensersatz stünden der Beklagten nicht zu.
Unter dem 20.09.2011 ist ein Beweisbeschluss ergangen. Dieser ist in der Folge nicht ausgeführt worden, worauf die Parteien in der Sitzung vom 06.12.2011 hingewiesen worden sind.
Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zu den Akten gereichten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
Gründe
Die Klage hat Erfolg.
Die Klägerin kann gemäß §§ 8, 3, 4 Nr. 1, 10 UWG Unterlassung verlangen.
Der Vortrag der Klägerin ist schlüssig. Danach wird die Selbstbeteiligung der Versicherungsnehmer nicht eingefordert, sondern diese wird ihnen im Ergebnis erlassen. Der Rechnungsbetrag weist diesen Nachlass nicht aus und daher wird der Betrag von der Klägerin abzüglich der vermeintlichen Selbstbeteiligung erstattet, obwohl die Versicherungsnehmerin vertraglich zur Offenlegung des Nachlasses verpflichtet war. Dann hätte die Klägerin nur den Rechnungsbetrag abzüglich des Nachlasses abzüglich der Selbstbeteiligung erstatten müssen. Diese versicherungsvertraglichen Zusammenhänge sind der Beklagten als Fachhändlerin unzweifelhaft bekannt. Dementsprechend führt das Vorgehen der Beklagten letztlich dazu, eine Abrechnung unter Umgehung der Selbstbeteiligung durchzuführen. Je Abrechnungsfall entsteht der Klägerin ein Schaden von 150,00 € netto. Hierin liegt einerseits eine Beeinträchtigung der Entscheidungsfreiheit der Verbraucher durch unangemessenen, unsachlichen Einfluss (§ 4 Nr. 1 UWG), da dem Verbraucher ein Angebot unter Umgehung der Selbstbeteiligung bei Mitwirken der Beklagten unterbreitet wird, das allerdings zugleich eine Verleitung zum Vertragsbruch darstellt. Zum anderen stellt dieses Verhalten eine gezielte Behinderung der Klägerin dar (§ 4 Nr. 10 UWG), da deren Kunden der Anreiz genommen wird, durch Zahlung der Selbstbeteiligung die Notwendigkeit einer Auswechslung zu hinterfragen und ggf. davon Abstand zu nehmen.
Für den zu entscheidenden Fall sind die Parteien auch Mitbewerber gemäß §§ 8 Abs. 3 Nr. 1, 2 Nr. 3 UWG. Im Falle des hier vorliegenden Behinderungswettbewerbs ist der Begriff des Mitbewerbers weit zu ziehen. Hier genügt eine Wechselbeziehung zwischen Absatzförderung und Absatzbeeinträchtigung (vgl. Köhler, UWG, § 2, Rdnr. 100). Diese ist in der Form gegeben, dass die Anlockung der Kunden durch den Erlass der Selbstbeteiligung sich auf das Regulierungsaufkommen der Klägerin auswirken kann, da ein Versicherungsnehmer eine Schadensbeseitigung eher vornehmen wird, wenn ihm die Selbstbeteiligung erlassen wird.
Ungeachtet der vorstehenden Erwägungen ergibt sich ein Unterlassungs- und Schadensersatzanspruch auch aus §§ 826, 1004 BGB, da die Vorgehensweise eine vorsätzliche Schädigung der Klägerin bewirkt.
Ob zugleich die Anspruchsgrundlage gemäß §§ 4 Nr. 4, 11 UWG, 263 ff. StGB erfüllt sind, bedarf hier keiner Entscheidung mehr, da es sich um einen einheitlichen Anspruch handelt der nur auf verschiedene Untersagungsgründe gestützt wird.
Die Erwiderung, so wie sich in der letzten mündlichen Verhandlung darstellte, ist nicht erheblich. Die zunächst beabsichtigte Beweisaufnahme war daher entbehrlich.
Die Verteidigung der Beklagten wäre nur dann erheblich, wenn einerseits die Rechnung der Beklagten marktüblich war und andererseits der Abschluss der Werbepartner-Verträge eine vollwertige Leistung darstellte, die in Höhe von 150,00 € zu vergüten war.
Während es zur Höhe der Rechnung an hinreichenden Darlegungen fehlt, um von einer übersetzten Rechnung ausgehen zu müssen, stellen die Werbepartner-Verträge keine vollwertige Leistung dar, sondern sind eine formale Konstruktion zur Umgehung der Selbstbeteiligung. Dies wiederum indiziert immerhin eine Überhöhung der Rechnung, da sich die Beklagte anderenfalls auf eine solche Konstruktion kaum einlassen würde.
Der Werbepartner-Vertrag enthält keine vollwertige Leistung der Kunden für die Gegenleistung i.H.v. 150,00 €. Bei diesem Betrag handelt es sich bei Abrechnung mit dem Versicherer auf Nettobasis um ca. 1/3 des Rechnungsbetrags. Ausweislich der Rechnung gemäß Anlage 1 beträgt der Nettowert der Scheibe 164,00 € und entspricht damit in etwa der Gegenleistung für die Werbung. Es bedarf keiner Vertiefung, dass die Anbringung eines kleinen, kaum ins Auge fallenden Werbeaufklebers für ein Jahr nicht annähernd dem Wert einer Windschutzscheibe entspricht (so im Ergebnis auch OLG Celle, Urteil vom 15.09.2005, 13U 113/05). Zwar hat der Prozessbevollmächtigte der Beklagten vorgetragen, solche Verträge würden auch in Nichtversicherungsfällen abgeschlossen. Diese Behauptung ist aber sowohl substanzlos als auch unbelegt geblieben.
Hinzu kommt, dass der Werbewert „zufällig“ dem Betrag der Selbstbeteiligung entspricht. Daher ist auch nach dem Vortrag der Beklagten der Einschätzung der Klägerin beizutreten, dass die Gegenleistung für die Werbung nichts anderes als ein verschleierter Nachlass ist.
Indem die Beklagte bewirkt, dass die Klägerin vielfach Rechnungen überbezahlte, führt sie wie dargelegt eine gezielte Behinderung zu Lasten der Klägerin aus; zugleich liegt in dem Verhalten der Beklagten ein unlauteres Anlocken von Kunden und eine Verleitung zum Vertragsbruch.
Die Erstattung der außergerichtlichen Anwaltskosten beruht auf § 12 Abs. 1 Satz 2 UWG. Die zugrunde liegende Gebührenrechnung ist der Höhe nach nicht zu beanstanden.
Die Schadensersatzfeststellung beruht auf §§ 256 ZPO, 9 UWG.
Der Auskunftsanspruch zur Vorbereitung des Schadensersatzanspruchs folgt aus § 242 BGB.
Die Nebenentscheidungen folgen aus §§ 91 Abs. 1, 709 ZPO.
Streitwert: 25.000,00 €
LG Köln:
Urteil v. 22.12.2011
Az: 81 O 72/11
Link zum Urteil:
https://www.admody.com/urteilsdatenbank/561b6f7a6cc0/LG-Koeln_Urteil_vom_22-Dezember-2011_Az_81-O-72-11