Bundespatentgericht:
Beschluss vom 4. April 2005
Aktenzeichen: 19 W (pat) 343/02

(BPatG: Beschluss v. 04.04.2005, Az.: 19 W (pat) 343/02)

Tenor

Das Patent 101 01 495 wird mit den erteilten Unterlagen aufrechterhalten.

Gründe

I Für die am 12. Januar 2001 im Deutschen Patent- und Markenamt eingegangene Patentanmeldung ist die Erteilung des nachgesuchten Patents am 5. September 2002 veröffentlicht worden. Es betrifft ein Sektionaltor.

Gegen das Patent hat die H... KG B... in S... am 3. Dezember 2002 Einspruch erhoben.

Die Einsprechende stellt den Antrag, das Patent zu widerrufen.

Die Patentinhaberin stellt den Antrag, das Patent mit den erteilten Unterlagen aufrechtzuerhalten, hilfsweisemit Patentansprüchen 1 bis 3 und Beschreibung, jeweils überreicht in der mündlichen Verhandlung vom 4. April 2005, mit Zeichnungen gemäß Patentschrift.

Der Patentanspruch 1 nach Hauptantrag lautet - unter Einfügung der Gliederungsbuchstaben a) bis j) - und unter Berichtigung der Schreibfehler "dir" in "der" im Merkmal i), sowie "einrastender" in "einrastenden" im Merkmal j):

"a) Sektionaltor mitb) einer Torzarge (1), c) einem Torblatt (2) aus gelenkig verbundenen Torblatt-Sektionen (3), die in seitlichen Schienen (4) geführt sind, undd) einer Schließeinrichtung (5) an einer Torblattsektion, die ein Schloss (6), eine Schnepperverriegelungsvorrichtung (7) und eine das Schloss (6) mit der Schnepperverriegelungsvorrichtung (7) verbindende Kupplungsstange (8) aufweist, e) wobei die Schienen (4) einen an der Torzarge (1) angeordneten vertikalen Abschnitt aufweisen undf) wobei die Schnepperverriegelungsvorrichtung (7) einen Drehriegel (9) und einen federbelasteten Schnepperbolzen (10) aufweist, der in der Torblattschließstellung in eine Ausnehmung (11) des Drehriegels (9) einfasst und den Drehriegel blockiert, dadurch gekennzeichnet, g) dass an den Drehriegel (9) ein Schließbolzen (12) angeschlossen ist undh) dass an der Torzarge (1) ein Halteblech (14) befestigt ist, das eine Anschlagfläche (15) für den Schließbolzen (12) und ein Gabelmaul (16) aufweist, i) wobei der Schließbolzen (12) durch eine Drehbewegung des Drehriegels (9) an der Anschlagfläche (15) entlang in das Gabelmaul (16) gleitet undj) wobei die weitere Drehbewegung des Drehriegels (9) in der Torblattschließstellung durch den in die Ausnehmung (11) des Drehriegels (9) einrastenden Schnepperbolzen (10) blockiert ist".

Es soll die Aufgabe gelöst werden, die von der Schließeinrichtung des aus dem Stand der Technik (EP 0 073 964 B1) bekannten Sektionaltores ausgehende Verletzungsgefahr zu reduzieren (Sp 1 Z 38 bis 40 iVm Z 17 bis 39 der PS).

Zum Hilfsantrag wird auf die Akte verwiesen.

Die Einsprechende ist der Auffassung, das Sektionaltor gemäß dem erteilten Patentanspruch 1 nach Hauptantrag unterscheide sich von dem aus der EP 0 073 964 B1 bekannten nur dadurch, dass der Schließbolzen mit dem Gabelmaul vertauscht sei. Dies sei eine einfache kinematische Umkehr, die ein Äquivalent darstelle. Bei einer solchen kinematischen Umkehr nehme ein Fachmann auch geringfügige konstruktive Umgestaltungen, wie die Gestaltung der Anschlagfläche vor. Wenn beim Gegenstand nach Patentanspruch 1 die Anschlagfläche 15 und das Gabelmaul 16 als zwei verschiedene Elemente verstanden würden, wären auch beim Sektionaltor nach der EP 0 073 964 B1 die eine Anschlagfläche aufweisende Öffnung 16 und die das Gabelmaul bildende Ausnehmung 14 als verschiedene Elemente zu verstehen.

Die Patentinhaberin ist der Meinung, durch eine Vertauschung von Gabelmaul und Schließbolzen ergebe sich der Patentgegenstand nicht, da beim Sektionaltor nach der EP 0 073 964 B1 der Schließbolzen nicht zunächst auf eine Anschlagfläche auftreffe und dann erst in das Gabelmaul eintrete; vielmehr treffe der Schließbolzen direkt in das Gabelmaul, wobei er unter weiterer Drehung des Gabelmauls noch weiter in dieses eintrete. Eine Anschlagfläche, wie sie der Patentanspruch 1 beschreibe, sei beim Sektionaltor nach der EP 0 073 964 B1 nicht vorgesehen. Die in Figur 4 an der Öffnung 16 dargestellte gerade Fläche sei keine Anschlagfläche, sondern lediglich eine Erweiterung, die ein Eintreten des Schließbolzens in die das Gabelmaul bildende Ausnehmung 16 erleichtere.

Auch unter Berücksichtigung der GB 1 321 834 komme der Fachmann nicht ohne weiteres zum Gegenstand gemäß dem erteiltem Patentanspruch 1, da ihm auch durch diese Druckschrift kein an den Drehriegel angeschlossener Schließbolzen bzw. kein feststehendes Gabelmaul nahegelegt würde.

Wegen weiterer Einzelheiten wird auf den Akteninhalt verwiesen.

II Gemäß § 147 Abs 3 PatG ist die Entscheidungsbefugnis auf den hierfür zuständigen 19. Senat (Technischer Beschwerdesenat) des Bundespatentgerichts übergegangen.

Dieser hatte aufgrund öffentlicher mündlicher Verhandlung zu entscheiden, vgl BPatGE 46, 134.

Gegenstand des Verfahrens ist das erteilte Patent.

Der Einspruch ist zulässig, hat aber keinen Erfolg.

Als Fachmann ist ein Fachhochschulingenieur des Maschinenbaus mit besonderen Kenntnissen der Konstruktion von Sektionaltoren anzusehen.

1. Zur Lehre des Patentanspruchs 1 nach Hauptantrag Unter der Angabe im Merkmal i), dass der Schließbolzen durch eine Drehbewegung des Drehriegels an der Anschlagfläche entlang in das Gabelmaul gleitet, versteht der Fachmann, dass der Schließbolzen zunächst auf die Anschlagfläche auftrifft und entlang dieser in ein an die Anschlagfläche anschließendes Gabelmaul gleitet; die Anschlagfläche liegt somit vor dem Gabelmaul.

2. Neuheit/Äquivalenz/kinematische Umkehr Das Sektionaltor des Patentanspruchs 1 nach Hauptantrag ist neu.

Aus der EP 0 073 964 B1 ist bekannt, ein

"a) Sektionaltor (Fig 1 iVm Sp 4 Z 9 bis 15) mitb) einer Torzarge 1, c) einem Torblatt (Fig 1) aus gelenkig verbundenen Torblatt-Sektionen 4, die in seitlichen Schienen 2 geführt sind (Fig 1 iVm Sp 4 Z 9 bis 19), undd) einer Schließeinrichtung 5 an einer Torblattsektion 4, die ein Schloss (Fig 2: bei Pos. 5), eine Schnepperverriegelungsvorrichtung 8 und eine das Schloss (Fig 2: bei Pos. 5) mit der Schnepperverriegelungsvorrichtung 8 verbindende Kupplungsstange 7 aufweist (Sp 4 Z 41 bis 52), e) wobei die Schienen 2 einen an der Torzarge 1 angeordneten vertikalen Abschnitt aufweisen (Fig 3: 2) undf) wobei die Schnepperverriegelungsvorrichtung 8 einen Drehriegel 10 und einen federbelasteten Schnepperbolzen 11 aufweist (Sp 4 Z 52 Sp 5 Z 7), der in der Torblattschließstellung in eine Ausnehmung 15 des Drehriegels 10 einfasst und den Drehriegel blockiert (Sp 5 Z 20 bis 28), h') wobei an der Torzarge 1 ein Halteblech (Sp 5 Z 7 bis 10 iVm Fig 2 und 3: bei Pos 12) befestigt ist, i') wobei der Schließbolzen 12 durch eine Drehbewegung des Drehriegels 10 in ein Gabelmaul 14 gleitet (Sp 5 Z 15 bis 19; Sp 6 Z6 bis 9; Sp 7 Z 53 bis 58) undj) wobei die weitere Drehbewegung das Drehriegels 10 in der Torblattschließstellung durch den in die Ausnehmung 15 des Drehriegels 10 einrastenden Schnepperbolzen 11 blockiert ist (Fig 2 iVm Sp 6 Z13 bis 16 und Z 26 bis 31)".

Zwar ist dort auch ein Schließbolzen 12 und ein Gabelmaul 14 vorgesehen (Fig 2 und 3). Jedoch unterscheidet sich der Gegenstand des Patentanspruchs 1 vom Sektionaltor gemäß der EP 0 073 964 B1 nicht nur dadurch, dass an den Drehriegel der Schließbolzen angeschlossen ist und dass das Halteblech das Gabelmaul aufweist (Merkmale g) und h)), d.h. dadurch dass Gabelmaul und Schließbolzen vertauscht sind, sondern auch noch dadurch dass eine Anschlagfläche vorgesehen ist, an der entlang der Schließbolzen durch eine Drehbewegung des Drehriegels in das Gabelmaul gleitet (Merkmal i)).

Nach Überzeugung des Senats stellt die in Figur 4 der EP 0 073 964 B1 gezeigte, gerade Fläche an der Öffnung 16 keine Anschlagfläche dar, entlang der der Schließbolzen 12 in das Gabelmaul 14 gleitet. Vielmehr bildet die Öffnung 16 eine Erweiterung des Gabelmauls 14, die ein Eintreten des Schließbolzens 12 in dieses erleichtern soll (Sp 7 Z 53 bis 58). Zwar muss auch beim Sektionaltor nach der EP 0 073 964 B1 eine Anschlagfläche für den Schließbolzen 12 vorhanden sein, um eine Drehbewegung des Drehriegels 10 durchführen zu können, jedoch befindet sich diese im Gabelmaul 14 und nicht - wie sich aus Patentanspruch 1 ergibt - vor dem Gabelmaul. Vor dem Eintreten in das Gabelmaul 14 bedarf es keiner Anschlagfläche, weil der Drehriegel 10 über die Raststellen 18, 18' auf den einlaufenden Schließbolzen 12 ausgerichtet ist (Sp 5 Z 60 bis Sp 6 Z 9).

Auch durch eine einfache kinematische Umkehr entsprechend der Sichtweise der Einsprechenden (Austausch von Gabelmaul und Schließbolzen) - die nach ihrer Auffassung ein die Neuheit betreffendes Äquivalent darstellt - ergäbe sich der Gegenstand des Patentanspruchs 1 nicht, weil das Sektionaltor nach der EP 0 073 964 B1 keine Anschlagfläche im Sinne des Patentanspruchs 1 aufweist.

Die Verlagerung der Anschlagfläche aus dem Gabelmaul heraus und vor das Gabelmaul wäre auch - entgegen der Auffassung der Einsprechenden - nicht als geringfügige konstruktive Umgestaltung anzusehen, die der Fachmann im Rahmen einer kinematischen Umkehr durchführen würde; denn solches Handeln würde sich dem Fachmann nicht mühelos aus der Druckschrift erschließen und wäre daher auch bei der Überprüfung der "erweiterten" Neuheit nicht zu berücksichtigen (vgl Busse 6. Aufl Rdn 99 zu § 3).

Die im Verfahren vor der Patenterteilung genannte DE 31 35 401 A1 begründet die Priorität der EP 0 073 964 B1; sie geht in Bezug auf das Sektionaltor nach Patentanspruch 1 nicht über die EP 0 073 964 B1 hinaus.

Die GB 1 321 834 (Fig 1 bis 3) zeigt ein Schloss für eine Tür 32 mit lediglich einzelnen Teilmerkmalen des erteilten Anspruchs 1, nämlichd") einer Schließeinrichtung 5, die eine Schnepperverriegelungsvorrichtung 8, 18, 20, 30 aufweist , f") wobei die Schnepperverriegelungsvorrichtung 8, 18, 20, 30 einen Drehriegel 8 und einen federbelasteten (Feder 30) Schnepperbolzen 18 aufweist, der in der Schließstellung in eine Ausnehmung 14 des Drehriegels 8 einfasst und den Drehriegel 8 blockiert (Fig 1), g") einem Schließbolzen 34 undh") einem Gabelmaul 12 (S 2 Z 59 bis 64 iVm S 2 Z 128 bis S3 Z 1) undi) wobei der Schließbolzen 34 durch eine Drehbewegung des Drehriegels 8 in das Gabelmaul 12 gleitet (S 2 Z 128 bis S3 Z 1 und S3 Z 26 bis 31 iVm Fig 1 und 2) undj") wobei die weitere Drehbewegung das Drehriegels 8 in der Schießstellung durch den in die Ausnehmung 14 des Drehriegels 8 einrastenden Schnepperbolzen 18 blockiert ist (Fig 1)".

Auch hier ist - neben weiteren Unterschieden - entgegen den Merkmalen g) und h) des Patentanspruchs 1 der Schließbolzen 34 nicht an den Drehriegel 8 angeschlossen und das Gabelmaul 12 nicht fest angeordnet. Außerdem ist das Gabelmaul 12 auf den Schließbolzen 34 ausgerichtet, so dass die gekrümmte Seitenwand 12a lediglich das Einlaufen erleichtert und keine anspruchsgemäße Anschlagfläche darstellt (Fig 2 iVm S 3 Z 26 bis 32).

3. Erfinderische Tätigkeit Das Treibstangenschloss des Patentanspruchs 1 nach Hauptantrag beruht auf einer erfinderischen Tätigkeit.

Ausgehend von einem Sektionaltor, wie es die EP 0 073 964 B1 zeigt, stellt sich die patentgemäße Aufgabe, die von dessen Schließeinrichtung ausgehende Verletzungsgefahr zu reduzieren in der Praxis von selbst.

Der Fachmann wird auch durch die GB 1 321 834 (S 2 Z 128 bis S3 Z 1 und S3 Z 26 bis 31 iVm Fig 1 und 2) nicht angeregt, den Drehriegel beim Sektionaltor gemäß der EP 0 073 964 B1 so zu gestalten, dass der Schließbolzen durch eine Drehbewegung des Drehriegels an der Anschlagfläche, entlang in das Gabelmaul gleitet. Denn auch die vom Schließbolzen 34 zuerst beaufschlagte Fläche 12a ist die Innenfläche des Gabelmauls 12 (S 3 Z 28: "Surface of the recess 12). Er hat auch keinen Anlass, den Schließbolzen an den Drehriegel anzuschließen und ein Halteblech, das ein Gabelmaul aufweist, d.h. ein feststehendes Gabelmaul vorzusehen. Denn auch die GB 1 321 834 zeigt ihm - wie auch die EP 0 073 964 B1 - in allen ihren Ausführungsbeispielen ein Gabelmaul 12 in einem Drehriegel 8 und führt ihn daher nicht zu einem feststehenden Gabelmaul.

Auch wenn der Fachmann daran denken würde, beim Sektionaltor gemäß der EP 0 073 964 B1 eine kinematische Umkehr (Benkhard Patentgesetz 9. Aufl Rdn 138: Austausch von feststehendem und ruhendem Glied) durchzuführen, vertauschte er den Schließbolzen 12 mit dem Drehriegel 9. Er würde sonach den Drehriegel drehbar am an der Torzarge 1 befestigten Halteblech und den Schließbolzen 12 fest an der Torblattsektion anordnen. Dies hätte aber zur Folge, dass auch die mit dem Drehriegel zusammenwirkende Schließeinrichtung 5 von der Torblattsektion wegzunehmen und an der Torzarge 1 anzubringen wäre. Damit führte ihn diese Überlegung nicht zum Gegenstand des Patents.

Der Fachmann muss somit erfinderisch tätig werden, um in Kenntnis des Standes der Technik zum Gegenstand des Patentanspruchs 1 nach Hauptantrag zu gelangen.

4. Rechtsbestand Der erteilte Patentanspruch 1 (Hauptantrag) hat daher Bestand, ebenso die auf ihn rückbezogenen erteilten Patentansprüche 2 bis 4.

Dr. Kellerer Schmöger Dr. Kaminski Dipl.-Ing. Groß

Be






BPatG:
Beschluss v. 04.04.2005
Az: 19 W (pat) 343/02


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