Landesarbeitsgericht Düsseldorf:
Beschluss vom 25. Oktober 2001
Aktenzeichen: 5 TaBV 87/98 (2)
(LAG Düsseldorf: Beschluss v. 25.10.2001, Az.: 5 TaBV 87/98 (2))
1) Der Auskunftsanspruch aus § 5 Abs. 1 EBRG ist dem Grunde nach bereits dann gegeben, wenn (noch) nicht sicher oder feststellbar ist, ob ein herrschendes Unternehmen im Sinne des § 2 Abs. 1 EBRG existiert.
2) Der Auskunftsanspruch des Betriebsrats umfasst auch das Recht, Angaben vom befragten Unternehmen zu verlangen, die die Vermutungswirkung des § 6 Abs. 2 EBRG auslösen.
3) Das zur Auskunft verpflichtete Unternehmen muss dem Betriebsrat zur Präzisierung und Erläuterung der Auskunft Unterlagen zur Verfügung stellen.
Tenor
1. Die 5. Kammer des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf möchte die Auffassung vertreten, daß sich aus § 5 Abs. 1 und 2 des Gesetzes über Europäische Betriebsräte vom 28.10.1996 ( EBRG ) ein Anspruch des örtlichen Betriebsrates auf Auskunftserteilung und Vorlage von Unterlagen auch dann ergibt, wenn unklar ist, ob das um Auskunft angegangene Unternehmen ein herrschendes im Sinne des § 6 EBRG ist.
2. Der Europäische Gerichtshof wird gemäß Art. 177 Abs.1 Buchstabe a) und Abs. 2 EG-Vertrag zur Auslegung des Art. 117 EG-Vertrag, der Gemeinschafts-charta der Sozialen Grundrechte der Arbeitnehmer vom 9.12.1989 und der Richtlinie 94/45 des Rates der Europäischen Gemeinschaften zur Entscheidung folgender Fragen angerufen:
a) Ist Art. 11 Abs. 1 und 2 der Richtlinie 94/45 EG des Rates vom 22.09.1994 dahingehend auszulegen, daß der dort geregelte Auskunftsanspruch schon dann besteht, wenn (noch) nicht feststeht, ob es in der Unternehmensgruppe gemäß Art. 2 Abs.1 Buchstabe b) Richtlinie 94/45/EG ein herrschendes Unternehmen im Sinne des Art. 3 Richtlinie 94/45/EG gibt€
b) Falls die Frage zu a) bejaht wird:
Umfaßt der Auskunftsanspruch des Art. 11 Abs. 1 und 2 Richtlinie 94/45/EG auch das Recht des Betriebsrates, Angaben vom befragten Unternehmen zu verlangen, die die Vermutungswirkung des Art. 3 Abs. 2 Richtlinie 94/45/EG auslösen€
c) Schließt Art. 11 Abs. 1 und 2 Richtlinie 94/45/EG auch das Recht des Betriebsrates ein, vom Unternehmen die Aushändigung von Unterlagen zur Präzisierung und Erläuterung der Auskunft zu verlangen€
Gründe
G R Ü N D E :
I.
Die Parteien streiten im wesentlichen über die Frage, ob der Antragsgegner (im folgenden Arbeitgeber genannt) verpflichtet ist, dem Antragsteller (im folgenden Betriebsrat genannt) Auskünfte zur Vorbereitung der Installation eines europäischen Betriebsrates zu erteilen.
Der Betriebsrat, der bei dem in S (Bundesrepublik Deutschland, Land Nordrhein-Westfalen) ansässigen Arbeitgeber gebildet wurde, ist einer von mehreren Betriebsräten im Konzern des Arbeitgebers. Nach Darstellung des Betriebsrates gehören zur bnternehmensgruppe in Deutschland und in den Staaten der Europäischen Union folgende Unternehmen:
Deutschland
West GmbH &
Co. KG
S.
ca. 1900
Antragsteller
b. B.
Deutschland Ost GmbH &
Co. KG
A.
ca. 610
Betriebsrat
b.
Dienstleistungs
GmbH & Co. KG
S.
ca. 730
Betriebsrat
s.
Speditions GmbH & Co. KG
S.
ca. 40
b.
Italien
ca. 1800
b.
Spanien
ca. 600
b.
Österreich
ca. 400
b.
Frankreich
ca. 200
b.
Niederlande
ca. 40
b.
Griechenland
ca. 30
b.
England
Im April 1993 schlossen die in Deutschland ansässigen Unternehmen der b.-Gruppe einen sogenannten Gleichordnungskonzernvertrag, wonach die Konzernleitung einem Lenkungsausschuß übertragen wurde. Wegen der Einzelheiten des Vertrages nebst Anlagen wird auf Blatt 7 bis 22 der Akten verwiesen.
Im April 1997 verabschiedeten die europaweit tätigen Unternehmen der b.Gruppe einen Internationalen Gleichordnungskonzernvertrag zwischen den Unternehmen der b.Gruppe in Europa (vgl. Blatt 140 der Akten). Dieser sieht unter anderem folgende Leitungsrichtlinien vor:
...
2. b. Lenkungsausschuß Europa
2.1 Der b. Lenkungsausschuß Europa hat die Aufgabe, die
Grundlinien der Geschäftstätigkeit der b.Unternehmen mit dem Ziel eines möglichst einheitlichen und effektiven Marktantritts der Marke b. in Europa unter Berücksichtigung der jeweiligen länderspezifischen Besonderheiten festzulegen.
2.2 Der b. Lenkungsausschuß Europa setzt sich aus den von
den b.Unternehmen jeweils nach Maßgabe der landesspezifischen Regelungen zu bestimmenden Mitgliedern der nationalen Leitungsorgane zusammen. Auf jede Vertragspartei
(d. h. auf jedes Land, in welchem b.Unternehmen operativ tätig sind) entfällt eine Stimme; wird eine Vertragspartei von mehreren Personen vertreten, können diese das Stimmrecht nur einheitlich ausüben.
2.3 Beschlußfassungen erfolgen einstimmig; läßt sich die Ein-
stimmigkeit nicht erreichen, muß der Beschluß auf eine spätere Zusammenkunft vertagt werden. Gefaßte Beschlüsse sind für alle davon jeweils erfaßten Vertragsparteien verbindlich und von den national zuständigen Leitungsorganen innerhalb ihres Zuständigkeitsbereiches eigenverantwortlich umzusetzen.
3. Gesellschafterbeirat
3.1 Der von den Mehrheitsgesellschaftern der b.Unterneh-
men eingesetzte Gesellschafterbeirat nimmt beratend an den Sitzungen des b. Lenkungsausschusses Europa teil.
3.2 Entsprechend der gegenüber den einzelnen b.Unter-
nehmen bestehenden Beratungs- und Überwachungspflichten äußern sich die Mitglieder des Gesellschafterbeirates anläßlich der Sitzungen des b. Lenkungsausschusses Europa in Bezug auf die Vorteilhaftigkeit, Wirtschaftlichkeit, Zweckmäßigkeit und Rechtmäßigkeit der zur Beschlußfassung vorgeschlagenen Maßnahmen.
3.3 Bei Beschlußfassungen über Geschäfte und Maßnahmen, wel-
che über den gewöhnlichen Betrieb des Handelsgewerbes hinausgehen, üben die Mitglieder des Gesellschafterbeirates in analoger Anwendung zu § 164 HGB das Zustimmungsrecht der Gesellschafter aus.
...
In einer Anlage 1 zum Internationalen Gleichordnungskonzernvertrag werden Regelungen über die Bereiche aufgezählt, in denen die Zustimmung des Lenkungsausschusses eingeholt werden muß. Es handelt sich hierbei um folgende Materien:
1. Kataloge, sonstige Werbemittel (einschließlich Media)
2. Festlegungen und Veränderungen des einheitlichen coporate design
3. Ausstattung und Aufmachung der Tiefkühlspezialfahrzeuge
4. Produkte, Produktqualität und Produktverpackungen
5. Produktionspartner und Einkaufsbedingungen
6. Artikelnummern, Artikelbezeichnung und sprachliche Information
7. Verkäuferbekleidung und Ausstattung
8. Verhalten bei Produktkrisenfällen (insbesondere Warnung und
Rückruf)
9. Sortimentserweiterungen (z. B. auf Wein und non food)
10. Alternative Vertriebsformen (z. B. Auslieferung aufgrund vorheriger
Bestellung; Einrichtung von stationären b.shops)
Der b. Lenkungsausschuß Europa informiert den Gesellschafterbeirat über die im Einzelfall von ihm erteilten Zustimmungsbeschlüsse.
In der Anlage 2 findet sich eine Darstellung der Unternehmensangelegenheiten, in denen der Lenkungsausschuß vor einer Beschlußfassung die Zustimmung des Gesellschafterbeirates einzuholen hat. Hierbei geht es um nachfolgende Themen:
1. Abweichungen von der definierten b.Unternehmenskultur
2. Abweichungen von den Grundstrukturen der b.Organisation
(Unternehmenszwecke und deren arbeitsteiliges Zusammenwirken
in Bezug auf die Funktionen Einkauf, Lager, Vertrieb, zentrale
Dienstleistungen)
3. Festlegung allgemeinverbindlicher Standards und Systeme für
alle Geschäftsbereiche der b.Unternehmen
4. Änderung bereits festgelegter Standards und Systeme
5. Aufgabenverteilung innerhalb des b. Lenkungsausschusses
Europa (Bestellung eines Moderators/Sprechers; Bevollmächtigung/
Stellvertretung der Mitglieder untereinander usw.).
Im Gesellschafterbeirat des Internationalen Gleichordnungskonzerns sind Herr J. B. als Vorsitzender und der Verfahrensbevollmächtigte des Arbeitgebers im vorliegenden Rechtsstreit, Herr Rechtsanwalt Dr. H., als Mitglied tätig.
Nachdem der Betriebsrat die Geschäftsführung des Arbeitgebers in der Vergangenheit wiederholt aufgefordert hatte, ihm gemäß § 5 des Deutschen Gesetzes über Europäische Betriebsräte vom 28.10.1996 (EBRG) Auskunft über Mitarbeiterzahlen und Unternehmensstrukturen zu erteilen, lehnte dies der für den Arbeitgeber handelnde Lenkungsausschuß mit Schreiben vom 09.01.1997 endgültig ab.
Mit seinem am 03.03.1998 beim Arbeitsgericht Wesel anhängig gemachten Antrag hat der Betriebsrat sein Begehren weiterverfolgt und sich hierbei vor allem auf § 5 EBRG gestützt.
Der Betriebsrat hat die Auffassung vertreten, daß die Voraussetzungen des § 5
Abs. 1 EBRG in Verbindung mit § 2 Abs. 1 EBRG gegeben seien, weil Herr J. B. zumindest an den Unternehmen in Deutschland Mehrheitsbeteiligungen halte, die die Vermutungswirkung des § 6 Abs. 1 und 2 EBRG begründeten.
Dem könne, so der Betriebsrat weiter, der Arbeitgeber nicht mit dem Hinweis auf den Internationalen Gleichordnungskonzernvertrag begegnen. Herr J. B. übe nämlich durch seine Stellung als Vorsitzender des Gesellschafterbeirats einen beherrschenden Einfluß auf den Lenkungsausschuß und damit praktisch auch auf die gesamte europäische Unternehmensgruppe aus.
Der Betriebsrat hat darüber hinaus die Auffassung vertreten, daß der von ihm in Anspruch genommene § 5 EBRG keinesfalls die grundlegende Anwendbarkeit des Gesetzes voraussetze. Der in § 5 EBRG festgeschriebene Auskunftsanspruch sei vielmehr dahingehend zu interpretieren, daß er selbst dann zu erfüllen wäre, wenn noch gar nicht feststehe, ob eines der Unternehmen innerhalb der Unternehmensgruppe herrschend sei. Würde man anders argumentieren, hieße das, den Informationsanspruch zu entwerten und die Errichtung des europäischen Betriebsrates unnötig zu erschweren.
Der Betriebsrat hat sich zur rechtlichen Untermauerung schließlich noch auf den allgemeinen, aus § 80 Abs. 2 BetrVG abgeleiteten Auskunftsanspruch berufen und gemeint, daß auch hiernach die von ihm geforderten Auskünfte vom Arbeitgeber zu erteilen wären.
Der Betriebsrat hat beantragt,
1. Der Antragsgegnerin aufzugeben, den Antragsteller durch Vor-
lage und Aushändigung schriftlicher Unterlagen darüber zu unterrichten, ob und in welchem Umfang die Antragsgegnerin mit folgenden Unternehmen
- b. B. Deutschland Ost GmbH & Co. KG
- b. Dienstleistungs GmbH & Co. KG
- s. Speditions GmbH & Co. KG
- b. Italien
- b. Spanien
- b. Österreich
- b. Frankreich
- b. Niederlande
- b. Griechenland
- b. England
in dem Sinne verbunden ist, daß die Antragsgegnerin selbst oder die Gesellschafter der Antragsgegnerin daran direkt oder indirekt Anteile halten;
2. der Antragsgegnerin aufzugeben, den Antragsteller durch Vorlage
und Aushändigung schriftlicher Unterlagen darüber zu unterrichten
1. wieviele Arbeitnehmer durchschnittlich in diesen Unternehmen be-
schäftigt werden;
2. in welcher Rechtsform unter Angabe des Firmensitzes und des
zuständigen Registergerichts;
3. unter welcher Rechtsordnung diese Gesellschaften geführt
werden;
4. durch wen diese Gesellschaften vertreten werden;
5. welche Aufsichtsorgane in diesem Unternehmen bestehen und
wer diese bestellt.
Der Arbeitgeber hat beantragt,
die Anträge zurückzuweisen.
Der Arbeitgeber hat eine Verpflichtung zur Erfüllung des umfassenden Auskunftsbegehrens des Betriebsrates verneint und hierzu vor allem die Rechtsauffassung vertreten, daß schon mangels Anwendbarkeit des Europäischen Betriebsrätegesetzes der hier streitige Informationsanspruch des Betriebsrats gar nicht bestehen könne.
Der Arbeitgeber hat ausgeführt, § 5 EBRG setze voraus, daß die Vorgaben des § 2 Abs. 1 EBRG erfüllt seien, daß also eine europaweit tätige Unternehmensgruppe mit Sitz des herrschenden Unternehmens im Inland festgestellt werden könnte. Diese Vorgabe folge zum einen aus Sinn und Zweck des EBRG, lasse sich aber vor allem aus Artikel 11 Abs. 2 der Richtlinie 94/45/EG des Rates vom 22.09.1994 (RL.94/45/EG) ablesen. Nach dieser Bestimmung könne ein Auskunftsanspruch der Betriebsräte nur dann bejaht werden, wenn feststehe, daß die Richtlinie überhaupt Anwendung finde. Dies wiederum, so hat der Arbeitgeber weiter ausgeführt, setze die Feststellung eines herrschenden Unternehmens in Deutschland voraus, das es aber gerade nicht gäbe. Selbst wenn man nämlich aus dem Vorbringen des Betriebsrates eine Vermutungswirkung im Sinne des § 6 Abs. 2 EBRG ableiten würde, so sei diese Vermutung schon deshalb widerlegt, weil die b.Gruppe als Gleichordnungskonzern ausgestaltet wäre. Dann könne weder rechtlich noch tatsächlich eine Beherrschung durch ein einzelnes Unternehmen vorliegen, und zwar auch nicht durch Herrn J. B.. Dieser sei in keiner der b.Unternehmen Gesellschafter der die Geschäftsführer bestellenden Komplementär-GmbHs, sondern allenfalls Kommanditist. Überdies habe er auch als Mitglied des Gesellschafterbeirats keine Möglichkeit, die deutschen und europäischen Unternehmen der Gruppe zu kontrollieren; dies ergebe sich eindeutig und zwingend aus dem Gleichordnungskonzernvertrag vom April 1997 und der dortigen Anlage 2.
Der Arbeitgeber hat im übrigen gemeint, daß der vom Betriebsrat geltend gemachte Auskunftsanspruch auch nicht auf § 80 Abs. 2 BetrVG gestützt werden könnte. Diese Vorschrift käme schon deshalb nicht zum Zuge, weil sie durch den spezielleren § 5 EBRG verdrängt werde. Darüber hinaus setze auch § 80 Abs. 2 BetrVG letztlich die
Feststellung eines herrschenden Unternehmens im Sinne der §§ 2, 5, 6 EBRG voraus, was nicht bejaht werden könnte.
Mit Beschluß vom 05.08.1998 hat die 3. Kammer des Arbeitsgerichts Wesel
- 3 BV 9/98 - dem Auskunftsantrag des Betriebsrats in vollem Umfang entsprochen.
In den Gründen, auf die im übrigen Bezug genommen wird, hat das Arbeitsgericht ausgeführt, daß der Auskunftsanspruch aus § 5 EBRG begründet sei. Insoweit wäre es ausreichend, daß die Möglichkeit einer Einflußnahme und damit einer Beherrschung durch ein inländisches Unternehmen bestehe. Gerade dies müsse aber hinsichtlich des Unternehmers J. B. angenommen werden, der über seine Stellung als Vorsitzender des Gesellschafterbeirats alle grundlegenden Entscheidungen des Lenkungsausschusses und damit der europaweit tätigen Unternehmensgruppe mitbestimmte. Deshalb, so das Arbeitsgericht weiter, könne es auch auf das eher formale Argument des Gleichordnungskonzernvertrages nicht ankommen.
Der Arbeitgeber hat gegen den ihm am 26.10.1998 zugestellten Beschluß mit einem am 23.11.1998 beim Landesarbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz Beschwerde eingelegt und diese mit einem am 16.12.1998 eingegangenen Schriftsatz begründet.
Er wiederholt zunächst seinen Sachvortrag aus dem ersten Rechtszug und unterstreicht seine Rechtsauffassung, daß der Auskunftsanspruch aus § 5 EBRG die Anwendbarkeit des Gesetzes im Sinne des § 2 Abs. 1 EBRG bedinge. Eine andere Sichtweise, so der Arbeitgeber, sei weder mit der Richtlinie 94/45/EG noch mit dem Territorialitätsprinzip vereinbar und stehe auch mit Sinn und Zweck des § 5 EBRG nicht in Einklang. Überdies habe der Betriebsrat die umfassende Möglichkeit, die Bildung des besonderen Verhandlungsgremiums gemäß § 9 Abs. 1 EBRG zu beantragen; in dem dann einzuleitenden Verfahren müßten die hier diskutierten Sach- und Rechtsfragen ohnedies entschieden werden.
Der Arbeitgeber bekräftigt im weiteren seine Auffassung, daß die Voraussetzungen der §§ 2, 5 EBRG nicht vorlägen, weil es kein herrschendes Unternehmen im Sinne der genannten Vorschriften gäbe. Insbesondere könne Herr J. B. nicht als Unternehmer im Sinne des § 2 Abs. 1 EBRG angesehen werden, weil er an keinem Unternehmen die Kapital- und Stimmenmehrheit halte. Demgemäß greife auch die Vermutungswirkung des § 6 Abs. 2 EBRG nicht Platz.
Selbst wenn man eine solche Vermutung aber annehmen wollte, sei sie durch den Internationalen Gleichordnungskonzernvertrag widerlegt. Auch die Tätigkeit des Herrn J. B. im Gesellschafterbeirat gebe ihm keine Möglichkeit, die Unternehmen der Gruppe zu kontrollieren. Der Vertrag wie auch die Anlagen beinhalteten allenfalls Beratungs- und Anhörungsrechte sowie Zustimmungsvorbehalte, die für die Annahme einer Beherrschung nicht ausreichten.
Der Arbeitgeber beantragt,
den Beschluß des Arbeitsgerichts Wesel vom 05.08.1998 - AZ:
3 BV 9/98 aufzuheben und die Anträge des Antragstellers zurückzuweisen.
Der Betriebsrat beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Der Betriebsrat verteidigt den arbeitsgerichtlichen Beschluß und wiederholt ebenfalls seinen Sachvortrag aus dem ersten Rechtszug. Er behauptet nunmehr, daß Herr J. B. in den b.Gesellschaften in Italien und Österreich über zwei deutsche Beteiligungsgesellschaften mehrheitlich vertreten sei und deshalb die Vermutungswirkung des § 6 Abs. 2 EBRG realisiert werde.
Diese Wirkung sei auch nicht durch den Gleichordnungskonzernvertrag widerlegt; die rechtlichen und tatsächlichen Möglichkeiten der Einflußnahme und Beherrschung durch Herrn J. B. ergäben sich aus seiner Stellung als Vorsitzender des Gesellschafterbeirats. In dieser Stellung beeinflusse Herrn J. B. nicht nur die Grundlagenentscheidungen der Unternehmensgruppe, sondern übe auch einen beherrschenden Einfluß auf Details der jeweiligen Geschäftsführung aus.
Der Arbeitgeber räumt ein, daß die b. International Beteiligungs GmbH in S.zu 60 % an der b. Italia SpA beteiligt sei. Geschäftsführer der genannten Beteiligungsgesellschaft wäre indessen Herr M. B. und nicht Herr J. B., so daß von einer Beherrschung nicht gesprochen werden könne. An anderen Auslandsgesellschaften sei demgegenüber die b. Vertrieb International GmbH & Co. KG in W. mehrheitlich beteiligt. Auch hier fungiere als Geschäftsführer der Komplementärin Herr M. B. und nicht Herr J. B..
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den vorgetragenen Inhalt der zu den Akten gereichten Urkunden und der zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze verwiesen.
II.
1. Die Beschwerde ist zulässig.
Sie ist nämlich an sich statthaft (§ 87 Abs. 1 ArbGG), sowie form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden (§§ 89, 87 Abs. 2, 66 Abs. 1 ArbGG).
2. Ob das Rechtsmittel in der Sache selbst vollständig oder teilweise begründet ist, konnte von der erkennenden Beschwerdekammer noch nicht entschieden werden.
a. Der ursprüngliche, beim Arbeitsgericht Wesel anhängig gemachte Antrag des Betriebsrats ist zulässig.
Die Zuständigkeit der Arbeitsgerichte ergibt sich aus § 2 a Abs. 1 Ziffer 3 b ArbGG. Der Betriebsrat hat überdies zu Recht das Beschlußverfahren als zulässige Verfahrensart gewählt (vgl. hierzu: Däubler in Berg/Buschmann/Däubler/Kittner u. a., Betriebsverfassungsgesetz, 6. Aufl., EBRG, Rz. 15).
b. Die Begründetheit des ursprünglichen Antrags und andererseits die der vom Arbeitgeber eingelegten Beschwerde erscheint demgegenüber fraglich.
Die Beschwerdekammer des Landesarbeitsgerichts möchte der Rechtsauffassung des Betriebsrats und - jedenfalls im Ergebnis - der des Arbeitsgerichts folgen, wonach der streitbefangene Auskunftsanspruch in wesentlichen Teilen jedenfalls schon dann gegeben ist, wenn zum Zeitpunkt der Antragstellung noch nicht feststeht, ob die Voraussetzungen der §§ 2, 5 EBRG überhaupt vorliegen.
3. Die Kammer meint, daß die genannten deutschen Rechtsvorschriften einen derartigen umfassenden Informationsanspruch des Betriebsrates vor der Errichtung eines europäischen Betriebsrates zulassen. Sie sieht sich allerdings an einer endgültigen Entscheidung des aufgeworfenen Rechtsproblems deshalb nicht in der Lage, weil es hierzu einer Auslegung des EG-Vertrages und vor allem der Richtlinie 94/45/EG bedarf und darüber hinaus die Beantwortung der Frage zum Erlaß einer Entscheidung erforderlich ist, Artikel 177 EG-V.
4. Im vorliegenden Verfahren kommt es streitentscheidend darauf an, ob dem Betriebsrat ein Auskunftsanspruch unter den in der Beschlußformulierung genannten Voraussetzungen zugesprochen werden kann.
a. Die erkennende Kammer folgt nämlich zunächst der Rechtsauffassung des Arbeitgebers, daß das bisherige Vorbringen des Betriebsrats in beiden Instanzen (noch) nicht geeignet ist, die Tatbestandsmerkmale auszufüllen, die § 5 Abs. 1 EBRG jedenfalls nach seinem Wortlaut vorauszusetzen scheint.
Nach der genannten Norm hat die zentrale Leitung einer Arbeitnehmervertretung auf Verlangen Auskünfte über die durchschnittliche Gesamtzahl der Arbeitnehmer und ihre Verteilung auf die Mitgliedsstaaten, die Unternehmen und Betriebe sowie über die Struktur des Unternehmens oder der Unternehmensgruppe zu erteilen. Folgt man der Meinung des Arbeitgebers, so setzt dieser Informationsanspruch wegen des Hinweises auf die zentrale Leitung voraus, daß das EBRG überhaupt Anwendung findet, was nach § 2 Abs. 1 EBRG zu bestimmen ist. Danach gilt das Gesetz für gemeinschaftsweit tätige Unternehmen mit Sitz im Inland und für gemeinschaftsweit tätige Unternehmensgruppen mit Sitz des herrschenden Unternehmens im Inland. Hieraus wiederum folgt ersichtlich, daß - die Rechtsauffassung des Arbeitgebers als richtig unterstellt - die vom Betriebsrat geforderten Auskünfte nur dann zu erteilen sind, wenn feststeht, daß es ein herrschendes Unternehmen im Inland gibt.
Gemäß § 6 Abs. 2 EBRG tritt zwar unter bestimmten Voraussetzungen eine Vermutungswirkung für die Beherrschung ein: Das Landesarbeitsgericht hat eine derartige Vermutungswirkung aber weder in Bezug auf den im vorliegenden Rechtsstreit beteiligten Arbeitgeber noch in Bezug auf den Gründer der Unternehmensgruppe, Herrn J. B., feststellen können.
aa. Nach § 6 Abs. 2 Ziffer 1 EBRG wird ein beherrschender Einfluß zunächst dann vermutet, wenn mehr als die Hälfte der Mitglieder des Verwaltungs-, Leitungs- oder Aufsichtsorgans des anderen Unternehmens vom potentiell beherrschenden Unternehmen bestellt werden kann. Eine derartige weitreichende Konsequenz kann vorliegend nicht bejaht werden.
Dies gilt zum einen hinsichtlich des Arbeitgebers, von dem auch der Betriebsrat die im Gesetz beschriebene Vormachtstellung nicht behauptet.
Sie kann überdies auch nicht für Herrn J. B. angenommen werden. Nach dem Vorbringen des Arbeitgebers, der vom Betriebsrat zuletzt nicht bestritten worden ist, fungiert Herr J. B . in den Unternehmen der b.Gruppe nicht als Gesellschafter, der die in § 6 Abs. 2 Ziffer 1 EBRG genannten Befugnisse hat. Dies gilt auch für die Beteiligungen in Italien und Österreich, in denen er jedenfalls nicht als Komplementär oder sogar Organ der Komplementärgesellschaften tätig ist. Darüber hinaus fehlen nach dem Sachvortrag des Betriebsrates jegliche Angaben über die anderen Unternehmen der b.Gruppe in Europa, so daß über die dortigen Möglichkeiten der Organbestellungen keine Aussage gemacht werden kann.
bb. § 6 Abs. 2 Ziffer 2 EBRG stützt die angesprochene Vermutungswirkung weiter darauf, daß das herrschende Unternehmen über die Mehrheit der mit den Anteilen am anderen Unternehmen verbundenen Stimmrechte verfügt. Auch diese Tatbestandsmerkmale können nicht als erfüllt angesehen werden.
Zunächst läßt der Vortrag des Betriebsrats nicht erkennen, daß der Arbeitgeber selbst über eine derartige Stimmenmehrheit verfügen könnte.
Ähnliches gilt mit Blick auf die Person des Herrn J. B.. Nach der Darstellung des Betriebsrats in der Beschwerdeinstanz ist Herr J. B. zwar über verschiedene Beteiligungsgesellschaften, in denen er selbst Kommanditist ist, mit Unternehmen der b.Gruppe in Italien und Österreich verbunden. Ob diese Beteiligungen allerdings zu einer Stimmenmehrheit im Sinne des § 6 Abs. 2 Ziffer 2 EBRG führen, ist wiederum nicht bekannt und kann vor allen Dingen mangels entsprechenden Sachvortrags des Betriebsrats auch nicht für die weiteren Unternehmen der b.Gruppe in Europa angenommen werden.
cc. Ähnliches gilt schließlich hinsichtlich der weiteren Alternative in § 6 Abs. 2 Ziffer 3 EBRG, die die Vermutungswirkung für den Fall vorsieht, daß das herrschende Unternehmen die Mehrheit des gezeichneten Kapitals eines anderen Unternehmens besitzt.
Bezogen auf den Arbeitgeber scheidet eine derartige Annahme offensichtlich aus.
Herr J. B. hält demgegenüber als Kommanditist verschiedener Beteiligungsgesellschaften möglicherweise erhebliche Kapitalanteile an anderen Unternehmen in Europa. In einem solchen Fall wird eine Abhängigkeit - etwa im Sinne der
§§ 17, 18 AktG - dann angenommen, wenn eine KG in der Rechtsform einer GmbH & Co. KG geführt wird, die nur einen einzigen Komplementär hat (BAG, Beschluß vom 22.11.1995 - 7 ABR 9/95 - NZA 1996, Seite 706, 707). Ob indessen eine derartige Fallkonstellation für die Beteiligung von Herrn J. B.an den verschiedenen Unternehmen der b.Gruppe in Europa bejaht werden kann, ist wiederum mangels entsprechenden Sachvortrags des Betriebsrats nicht ersichtlich und auch ansonsten aus dem von den Parteien vorgetragenen Akteninhalt nicht abzuleiten.
dd. Insgesamt steht mithin fest, daß sich der Betriebsrat zur Begründung seines Auskunftsanspruchs nicht auf die Vermutungswirkung des § 6 Abs. 2 EBRG berufen kann, woraus wiederum der Schluß zu ziehen ist, daß ein beherrschendes Unternehmen im Sinne des § 2 Abs. 1 EBRG weder mit Blick auf den Arbeitgeber selbst noch auf Herrn J. B.bejaht werden kann. Nach der vom Arbeitgeber vertretenen Rechtsauffassung wäre demgemäß dem Begehren des Betriebsrats nicht stattzugeben, weil es an einem schlüssigen Sachvortrag fehlt.
b. Die Beschwerdekammer vertritt indessen, wie bereits mehrfach angedeutet, den Standpunkt, daß der Informationsanspruch des Betriebsrates aus § 5 Abs. 1 EBRG schon dann besteht, wenn (noch) nicht sicher oder feststellbar ist, ob ein herrschendes Unternehmen im Sinne des § 2 Abs. 1 EBRG existiert. Dies folgt aus einer umfassenden Interpretation des § 5 Abs. 1 EBRG.
aa. Der Wortlaut der genannten Norm ist nach Ansicht des Gerichts nicht eindeutig und läßt weitergehende Auslegungsüberlegungen zu. In § 5 Abs. 1 wird dem Betriebsrat ohne eine ausdrückliche Einschränkung das Recht zugesprochen, umfangreiche Auskünfte einzuholen, die nicht nur die Gesamtzahl der Arbeitnehmer und ihre Verteilung auf die Mitgliedsstaaten, sondern auch Fragen der Struktur des Unternehmens bzw. der Unternehmensgruppe erfaßt. Es findet sich kein Hinweis auf irgendwie geartete Voraussetzungen für den Auskunftsanspruch und vor allem kein Verweis auf den in § 2 Abs. 1 EBRG beschriebenen Geltungsbereich.
bb. Auch die Systematik und der Sachzusammenhang, in die § 5 Abs. 1 EBRG eingebunden ist, erlaubt keine zwingenden Rückschlüsse, die für die hier zu behandelnde Problematik von entscheidender Bedeutung wären.
Allerdings ist dem Arbeitgeber insoweit zu folgen, als er auf die in § 5 Abs. 1 EBRG genannte zentrale Leitung verweist und hieran die Folgerung knüpft, daß damit die Existenz eines herrschenden Unternehmens vorausgesetzt wird. Dies scheint in der Tat aus § 1 Abs. 3 EBRG und § 2 Abs. 1 EBRG ableitbar, wo der Begriff der zentralen Leitung definiert und jedenfalls im Regelfall mit dem herrschenden Unternehmen einer gemeinschaftsweit tätigen Unternehmensgruppe gleichgesetzt wird. Demgegenüber kann aber auch nicht übersehen werden, daß der Gesetzgeber in anderen Bestimmungen des EBRG die Existenz eines herrschenden Unternehmens und gleichzeitig das Vorhandensein einer zentralen Leitung nicht immer kongruent gesehen hat. So finden sich in § 2 Abs. 2 EBRG konkrete Bestimmungen der einzuschlagenden Verfahrensweise für die Fälle, da die Voraussetzungen des § 2 Abs. 1 EBRG vorliegen, eine zentrale Leitung aber nicht bestimmbar oder nicht bestimmt worden ist. Die erkennende Kammer ist sich bewußt, daß die in § 2 Abs. 2 EBRG angesprochenen Situationen mit der vorliegenden nicht deckungsgleich sind; gleichwohl lassen die Regelungen in § 2 Abs. 2 EBRG die Intention des Gesetzgebers erkennen, kein Abhängigkeitsverhältnis zwischen den Institutionen des herrschenden Unternehmens und der zentralen Leitung zu schaffen.
Darüber hinaus weist der Betriebsrat zur Erläuterung seiner Rechtsauffassung zutreffend darauf hin, daß der Auskunftsanspruch in § 5 Abs. 1 EBRG in ein System vielfältiger Informationsrechte eingebunden ist, die ersichtlich abgestuften Zulässigkeitsvoraussetzungen zu folgen scheinen. Während § 5 Abs. 1 EBRG vor allem eine vorbereitende Funktion hat, die sich auf die Prüfung der Möglichkeiten einer Bildung des Europäischen Betriebsrates beschränkt, gehen die Auskunftsrechte in §§ 8 und 32 EBRG ersichtlich weiter. § 8 setzt in der Tat das Bestehen einer zentralen Leitung bereits voraus und weist dem besonderen Verhandlungsgremium nach § 8 Abs. 2 EBRG ein umfassendes Auskunftsrecht zur Durchführung seiner Aufgaben zu. Nach § 32 Abs. 1 EBRG hat dann schließlich der gebildete Europäische Betriebsrat Unterrichtungs- und Anhörungsrechte gegenüber der zentralen Leitung; hier wird demnach zur Bedingung gemacht, daß die Wahl des Europäischen Betriebsrates bereits stattgefunden hat.
Sieht man die angesprochenen Auskunfts- und Unterrichtungsrechte im Zusammenhang, so kann angesichts deren Wertigkeit und der historischen Abfolge durchaus der Schluß gezogen werden, daß der den gesamten Verfahrensablauf initiierende Auskunftsanspruch nach § 5 Abs. 1 EBRG an keinen weiteren Voraussetzungen geknüpft ist als die, die in der Norm selbst angesprochen ist: Es wird eine Auskunftspflicht der zentralen Leitung statuiert, ohne daß die Frage, ob ein herrschendes Unternehmen existiert und wer dies letztlich ist, endgültig beantwortet werden kann.
cc. Das erkennende Beschwerdegericht meint im übrigen, daß vor allem Sinn und Zweck des § 5 Abs. 1 EBRG die Auffassung des Betriebsrates stützt, der eine von der Feststellung des herrschenden Unternehmens losgelöste Informationspflicht der zentralen Leitung für sich in Anspruch nimmt.
Anhaltspunkte hierfür finden sich zunächst in der Begründung zum Begehungsentwurf des EBRG (Bundestagsdrucksache 13/4520), wonach § 5 Abs. 1 EBRG sicherstellen soll, daß die Arbeitnehmer die erforderlichen Fakten erhalten, um beurteilen zu können, ob die Voraussetzungen für eine grenzüberschreitende Unterrichtung und Anhörung in ihrem Unternehmen oder in ihrer Unternehmensgruppe gegeben sind. Hieraus und aus der entsprechenden Stellungnahme des Bundesrates (vgl. hierzu: Bundestagsdrucksache 13/5021) ergibt sich, daß der Gesetzgeber eine umfassende Information der Arbeitnehmervertretungen etablieren wollte, die darauf gerichtet ist, Auskünfte über alle Umstände zu erlangen, die zur Feststellung der Anwendbarkeit des Gesetzes im Sinne des § 2 Abs. 1 EBRG notwendig sind.
Dieser Einschätzung haben sich, soweit es überhaupt problematisiert wird, auch die bisher veröffentlichten Meinungen in der Literatur - wenn auch nicht immer ausdrücklich - angeschlossen. So stellt Müller (Europäische Betriebsräte-Gesetz, § 5, Rz. 1) fest, daß durch § 5 sichergestellt werde, daß die Arbeitnehmer die erforderlichen Fakten erhalten, um beurteilen zu können, ob die Voraussetzungen für eine grenzübergreifende Unterrichtung und Anhörung in ihrem Unternehmen oder ihrer Unternehmensgruppe gegeben sind. Hierzu sollen insbesondere Auskünfte zählen, aus denen sich ergibt, ob die für eine gemeinschaftsweite Tätigkeit erforderlichen Beschäftigungszahlen erreicht werden oder nicht.
Ähnlich formuliert Däubler (a. a. O., § 5 EBRG, Rz. 1), der in § 5 EBRG einen umfassenden Auskunftsanspruch sowohl über die Anzahl der Beschäftigten wie auch die Unternehmens- und Konzernstruktur sieht.
Bachner/Nielebock (Arbeit und Recht 1997, Seite 129) formulieren im Zusammenhang mit § 6 Abs. 2 EBRG noch weitergehend, in dem sie die Möglichkeit eines beherrschenden Einflusses durch Mehrheitsbeteiligungen und schlichte Abhängigkeitsverhältnisse ausreichend sein lassen.
Den dargestellten Meinungen schließt sich die erkennende Kammer vor allem aus folgenden Erwägungen an: In Fällen der vorliegenden Art, da der Europäische Betriebsrat in einer europaweit tätigen Unternehmensgruppe installiert werden soll, sind die initiierenden Betriebsräte oftmals in einer sehr schwierigen Situation. Gesellschafts- und steuerrechtliche Prämissen veranlassen viele Unternehmer, ihre multinationalen Unternehmensgruppen zu verschachteln , durch Beteiligungsgesellschaften untereinander zu verbinden und dadurch Unternehmensstrukturen zu konstruieren, die für Außenstehende regelmäßig kaum durchschaut werden können. Nimmt man weiter hinzu, daß im Inland agierende Betriebsräte ohne Hilfe anderer kaum in der Lage sind, ausreichende Auskünfte über die im Ausland ansässigen Unternehmen zu erlangen, so wird hieraus deutlich, daß eine Prüfung und Feststellung der Voraussetzungen des § 2 Abs. 1 EBRG regelmäßig kaum möglich ist. Deshalb muß es geradezu Sinn und Zweck des § 5 Abs. 1 EBRG sein, die dort statuierten Auskunftsrechte der Arbeitnehmervertretungen auch dann vorzusehen, wenn die Frage der Beherrschung eines Unternehmens durch ein anderes noch nicht geklärt ist; gerade die Information über die Strukturen der betroffenen Unternehmensgruppe läßt letztlich erst Klarheit darüber aufkommen, welche Beteiligungs- und Einflußmöglichkeiten für das eine oder andere Unternehmen bestehen und ob dies etwa zur Vermutungswirkung des § 6 Abs. 2 EBRG führt.
Hinzu kommt darüber hinaus folgende Überlegung: In den Fällen, in denen die Beherrschungsvermutung des § 6 Abs. 2 EBRG bejaht werden kann und demgemäß von einer Geltung des Gesetzes im Sinne des § 2 Abs. 1 EBRG auszugehen ist, kann die Anwendung der weiteren Normen des EBRG gleichwohl ausgeschlossen sein, weil eine weitere Voraussetzung des Gesetzes, nämlich die gemeinschaftsweite Tätigkeit im Sinne des § 3 Abs. 1 EBRG in Verbindung mit § 2 Abs. 1 EBRG (noch) nicht feststeht. Folgte man der Rechtsauffassung des Arbeitgebers, würde auch in diesen Fällen ein Auskunftsanspruch nicht bejaht werden dürfen, weil noch nicht feststeht, ob das Unternehmen bzw. die Unternehmensgruppe überhaupt von den Bestimmungen des EBRG erfaßt wird. Dabei wird allerdings übersehen, daß § 5 Abs. 1 EBRG dem Betriebsrat ausdrücklich das Recht auf Auskunft über die durchschnittliche Gesamtzahl der Arbeitnehmer und ihre Verteilung auf die Mitgliedsstaaten zugesteht und damit offensichtlich ein Kriterium anspricht, das die Anwendbarkeit des Gesetzes erst begründet. Dann aber stellt sich die Argumentation des Arbeitgebers letztlich als eine Art Zirkelschluß dar, den die erkennende Kammer für nicht zulässig hält.
Das Gericht vermochte im übrigen auch der Ansicht des Arbeitgebers nicht zu folgen, wonach mit Blick auf den weiter unten zu diskutierenden Gleichordnungskonzernvertrag die vom Betriebsrat erbetene Auskunft nicht erteilt werden könne. Der Arbeitgeber selbst hat im Rahmen der behaupteten Gleichordnung einen übergreifenden Lenkungsausschuß geschaffen, der im Zusammenwirken mit dem Gesellschafterbeirat gerade die Aufgabe hat, länderübergreifende Grundlinien der Geschäftstätigkeit festzulegen und zu koordinieren. Dann aber ist er auch mit Sicherheit in der tatsächlichen und rechtlichen Lage, die vom Betriebsrat gewünschten Informationen zu erteilen, ohne hierdurch Abhängigkeitsverhältnisse entgegen Ziffer 1.2 des Gleichordnungskonzernvertrages vom April 1997 zu schaffen.
Schließlich kann der Arbeitgeber der hier vertretenen Rechtsauffassung nicht mit dem Hinweis auf § 9 EBRG begegnen. Die dort beschriebene Möglichkeit, das besondere Verhandlungsgremium zu beantragen, setzt zum einen nach der oben unter Ziffer 4.b.bb dargestellten Rangfolge voraus, daß die Geltung des EBRG insgesamt feststeht und vor allem Sicherheit über die Institution der zentralen Leitung geschaffen worden ist. Zum anderen wäre den Prozeßparteien letztlich nicht geholfen, da die hier zu diskutierenden Rechtsprobleme in das Verfahren nach § 9 Abs. 1 EBRG verlagert würden und dort zu einer Belastung des völlig anders strukturierten Prüfungsschemas führten.
dd. Steht nach dem oben gesagten bisher fest, daß der Auskunftsanspruch nach
§ 5 Abs. 1 EBRG keine sichere Erkenntnis über die Beherrschung durch ein Unternehmen im Sinne des § 2 Abs. 1 EBRG voraussetzt, so ist schließlich auch der Hinweis des Arbeitgebers auf den im April 1997 geschlossenen Gleichordnungskonzernvertrag nicht geeignet, die Geltung bzw. Anwendbarkeit des Europäischen Betriebsrätegesetzes ohne weiteres zu negieren.
Dem Arbeitgeber ist zuzustimmen, daß, soweit ersichtlich, in der Literatur zum EBRG herrschend die Auffassung vertreten wird, daß die Vermutungswirkung des § 6 Abs. 2 EBRG dann als widerlegt gilt, wenn ein Gleichordnungskonzern mit entsprechender Vertragsgestaltung gebildet worden ist, weil in einem solchen Fall - ähnlich wie im Falle des § 18 Abs. 2 AktG - ein beherrschender Einfluß eines Unternehmens in Bezug auf ein anderes Unternehmen nicht ausgeübt werden kann (Müller, a. a. O., § 6, Rz. 12, m. w. N.; Bachner/Nielebock, a. a. O.).
Andererseits ist vor allem in der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zum hier durchaus vergleichsweise heranzuziehenden deutschen Aktiengesetz immer wieder betont worden, daß auch im Gleichordnungskonzern eine eher faktische Abhängigkeit möglich ist, die durch eine natürliche Person als herrschendes Unternehmen ausgeübt werden kann (BAG, Beschluß vom 22.11.1995 - 7 ABR 9/95 - NZA 1996, Seite 706; Müller, a. a. O., Rz. 12; Geßler, Aktiengesetz, Band 1, § 18, Rz. 3).
Voraussetzung für eine Beherrschung bzw. Abhängigkeit - nach Auffassung der erkennenden Kammer auch im Sinne der §§ 2, 6 EBRG - ist lediglich, daß die natürliche Person ihre unternehmerischen Interessen bei mehreren selbständigen Unternehmen als Allein- oder Mehrheitsgesellschafter verfolgen kann. Der konzernrechtliche Unternehmensbegriff will den Gefahren begegnen, die sich für die Gläubiger und Minderheitsgesellschafter abhängiger Gesellschaften durch eine weitere unternehmerische Betätigung des Mehrheits- oder Alleingesellschafters ergeben können. Diese Gefahrenlage realisiert sich bereits dann, wenn eine natürliche Person kraft ihrer gesellschaftsrechtlich vermittelten Einflußmöglichkeiten die Geschicke der jeweiligen Gesellschaft nach ihren Vorstellungen bestimmen kann, wobei es von entscheidender Bedeutung ist, daß die Möglichkeit einer tatsächlichen Einflußnahme durch den Unternehmer besteht, ohne daß er sie im Einzelfall nutzen muß (BAG, Beschluß vom 22.11.1995 - a. a. O. mit vielfältigen Hinweisen auf Literatur und Rechtsprechung).
Folgt man, wie es die erkennende Kammer tut, den oben dargestellten Rechtsgrundsätzen, so erscheint es auch angesichts des Gleichordnungskonzernvertrages vom April 1997 gerade nicht ausgeschlossen, daß Herr J.B. herrschendes Unternehmen im Sinne des § 2 Abs. 1 i. V. m. § 6 EBRG ist.
Es wird insoweit nochmals darauf hingewiesen, daß mangels Angaben zu den Strukturen der Unternehmensgruppe, den damit einhergehenden Stimmen- und Beteiligungsverhältnissen und einer hieraus möglicherweise abzuleitenden beherrschenden Einflußnahme auf Organe der Unternehmen in den Mitgliedsstaaten noch keine gesicherten Erkenntnisse darüber vorliegen, ob und inwieweit Herr J. B.die Geschicke seiner Unternehmensgruppe nach seinen Vorstellungen bestimmen kann.
Zum anderen ist aber auch seine Tätigkeit im Gesellschafterbeirat des Internationalen Gleichordnungskonzerns möglicherweise ein Mittel, beherrschenden Einfluß im Sinne des § 2 Abs. 1 und § 6 Abs. 2 EBRG auszuüben. Jedenfalls ist der überreichte Internationale Gleichordnungskonzernvertrag allein nicht geeignet, eine - hier unterstellte Beherrschungsvermutung - ohne weiteres zu widerlegen. Dies ergibt sich unter anderem aus folgenden Überlegungen:
Nach Ziffer 2 des Internationalen Gleichordnungskonzernvertrags übernimmt der b. Lenkungsausschuß Europa die Aufgabe, die Grundlinien der Geschäftstätigkeit der b.Unternehmen mit dem Ziel eines möglichst einheitlichen und effektiven Marktantritts der Marke b. in Europa unter Berücksichtigung der jeweiligen länderspezifischen Besonderheiten festzulegen. Hierzu werden ihm gemäß Anlage 1 zum Vertrag zustimmungsbedürftige Geschäfte der nationalen Leitungsorgane zugewiesen, deren Palette sich von der Gestaltung von Katalogen bis zur Entwicklung alternativer Vertriebsformen erstreckt. Nach § 3 des Internationalen Gleichordnungskonzernvertrags nimmt der Gesellschafterbeirat, dem Herr J. B. als Vorsitzender angehört, grundsätzlich nur beratend an den Sitzungen des Lenkungsausschusses teil, hat aber nach der Anlage 2 zum Vertrag das Recht, Geschäfte des Lenkungsausschusses durch seine Zustimmung nachhaltig zu beeinflussen. In diesem Zusammenhang ist im übrigen auffällig, daß die in Anlage 2 genannten zustimmungsbedürftigen Geschäfte des Lenkungsausschusses mit denen in der Anlage 1 genannten Materien nicht übereinstimmen und teilweise, soweit es die unternehmerische Wertigkeit betrifft, weit über das hinausgehen, was dem Lenkungsausschuß als Geschäftsbereich zugewiesen worden ist. Sollte der Gesellschaftsbeirat nun so strukturiert sein, daß Herr J. B.als Vorsitzender letztlich die alleinige Entscheidungskompetenz hat (was im Vertrag anders als beim Lenkungsausschuß nicht festgelegt wurde) so hieße das, daß er die in der Anlage 2 zum Internationalen Gleichordnungskonzernvertrag festgelegten Geschäftsbereiche durch entsprechende Ausübung seines Zustimmungsrechts maßgeblich beeinflussen und hierdurch möglicherweise die Unternehmen der b.Gruppe beherrschen könnte. Dabei erscheint im übrigen auch von Bedeutung, daß gewichtige Teile der in der Anlage 2 zum Internationalen Gleichordnungskonzernvertrag genannten Geschäftsbereiche solche sind, die der Mitbestimmung des potentiellen Europäischen Betriebsrates im Sinne des § 32 EBRG unterliegen.
Jedenfalls kann nach dem Vorhergesagten ohne näheres Wissen um die Struktur auch des Gesellschafterbeirats und die damit zusammenhängenden Kompetenzen des Herrn J. B. nicht ausgeschlossen werden, daß Einfluß- und Beherrschungsmöglichkeiten bestehen, so daß die Tatsache des Internationalen Gleichordnungskonzernvertrags allein eine unterstellte Beherrschungsvermutung nach § 6
Abs. 2 EBRG nicht ausschlösse.
ee. Die im einzelnen konkretisierte Interpretation des § 5 Abs. 1 EBRG ergibt bisher, daß der dort statuierte Auskunftsanspruch von der definitiven Feststellung der Existenz eines herrschenden Unternehmens im Sinne der §§ 2 Abs. 1 und 6 EBRG nicht abhängig ist. § 5 Abs. 1 EBRG ist vielmehr dahingehend auszulegen, daß der Betriebsrat vom Arbeitgeber Informationen über die Gesamtzahl der Arbeitnehmer und ihre Verteilung auf die Mitgliedsstaaten sowie Informationen über die Struktur einschließlich der Beteiligungsverhältnisse auch des Herrn J. B. als Unternehmer von der zentralen Leitung verlangen kann. Dieser Anspruch ist gemäß § 5 Abs. 2 EBRG zulässigerweise an die Unternehmensleitung des Arbeitgebers gerichtet worden.
5. Der vorliegende Rechtsstreit konnte indessen noch nicht einer abschließenden Entscheidung zugeführt werden, weil das oben dargestellte Ergebnis möglicherweise gegen Artikel 11 Abs. 2 Richtlinie 94/45/EG verstößt. Dies wäre nur dann nicht der Fall, wenn auch die zuletzt genannte Vorschrift den vom erkennenden Gericht definierten umfassenden Auskunftsanspruch des Betriebsrates nach § 5 Abs. 1 EBRG zuläßt. Die aufgeworfene Frage ist - wie oben umfänglich aufgeführt - für den vorliegenden Rechtsstreit von entscheidender Bedeutung und bedarf einer Vorabentscheidung des Europäischen Gerichtshofes.
Nach Auffassung des Landesarbeitsgerichts läßt § 11 Abs. 1 der Richtlinie 94/45/EG, wonach die Mitgliedsstaaten sicherstellen, daß die Angaben zu der in Artikel 2 erwähnten Beschäftigtenzahl auf Anfrage der Parteien, auf die die Richtlinie Anwendung findet, von den Unternehmen vorgelegt werden, das hier gefundene Ergebnis in der Tat zu, und zwar aus folgenden Erwägungen, die an einer kurz skizzierten Auslegung von Artikel 11 Abs. 2 Richtlinie 94/45/EG orientiert sind:
a. Bei der Auslegung europäischen Sekundärrechts sind vor allem grammatikalische, historische, systematische und teleologische Interpretationskriterien heranzuziehen (zur Auslegung von EG-Richtlinien vgl. vor allem: Sandmann, Die Euro-Betriebsrats-Richtlinie 94/45/EG, Seite 133 mit vielfältigen Nachweisen auf die EuGH-Rechtsprechung).
aa. Hiernach stellt sich der Wortlaut des Artikel 11 Abs. 2 der Richtlinie als wenig aussagekräftig und ergiebig zur Lösung des hier aufgeworfenen Rechtsproblems dar. In der genannten Norm findet sich eine Aufforderung an die Mitgliedsstaaten nur insoweit, als es um die in Artikel 2 der Richtlinie erwähnte Beschäftigtenzahl geht. Auffällig ist in diesem Zusammenhang allerdings, daß die Feststellung der Beschäftigtenzahl notwendig ist, um die Anwendung der Richtlinie beurteilen zu können. Unter diesem Gesichtspunkt relativiert sich der eingeschobene Zwischensatz auf die die Richtlinie Anwendung findet . Nach der Formulierung des Artikel 11 Abs. 2 der Richtlinie wird nach Meinung der erkennenden Kammer jedenfalls nicht ausgeschlossen, daß Mitgliedsstaaten Normen schaffen, die sich nicht nur auf Auskunftsverpflichtungen zur Beschäftigtenzahl, sondern auch auf Informationen zur Struktur von Unternehmensgruppen erstrecken, um überhaupt erst die Möglichkeit der Anwendung der Richtlinie 94/45/EG und der entsprechenden nationalen Rechtsvorschriften zu prüfen.
bb. Hinzu kommt, daß Artikel 11 Abs. 1 der Richtlinie weitergehende umfassende Aufträge an die Mitgliedsstaaten enthält, die insgesamt dafür Sorge tragen müssen, daß die in der Richtlinie genannten Parteien ihren Verpflichtungen nachkommen. Dies belegt, daß die nationalen Gesetzgeber gehalten sind, Auskunftsverpflichtungen der Arbeitgeber so zu beschreiben, daß hieraus alle für die Errichtung eines Europäischen Betriebsrats erforderlichen Informationen für die antragstellenden Betriebsräte und Arbeitnehmervertretungen sichtbar werden.
cc. Historische Auslegungsmethoden führen bei der Interpretation des Artikel 11 Abs. 2 der Richtlinie nach Einschätzung der erkennenden Kammer nicht weiter. Die verschiedenen Vorschläge der EG-Kommission etwa vom 30.06.1970 oder vom 24.10.1980, aber auch der erste Vorschlag für eine Richtlinie des Rates über die Einsetzung europäischer Betriebsräte vom 12.12.1990 in der überarbeiteten Fassung vom 20.09.1991 enthalten keine Hinweise, die für die Auslegung des Artikel 11
Abs. 2 der am 22.09.1994 verabschiedeten aktuellen Richtlinie von Bedeutung sind.
dd. Entscheidend hat die mit dem Ausgangsverfahren befaßte Beschwerdekammer deshalb auf Sinn und Zweck der Regelungen in Artikel 11 Abs. 1 und 2 der Richtlinie abgestellt, um den Auskunftsanspruch nach § 5 Abs. 1 EBRG in dem aus der Fragestellung im Tenor dieses Beschlusses ersichtlichen Umfang zu begründen.
Die Gemeinschaftscharta der Sozialen Grundrechte der Arbeitnehmer vom 09.12.1989 enthält in seinem Titel I und den dortigen Nummern 17 und 18 den programmatischen Auftrag an die EU und deren Mitgliedsstaaten, Unterrichtung, Anhörung und Mitwirkung der Arbeitnehmer in geeigneter Weise weiterzuentwickeln, wobei dies insbesondere für Unternehmen und Unternehmenszusammenschlüsse mit Betriebsstätten bzw. Unternehmen in mehreren Mitgliedsstaaten der Europäischen Gemeinschaft gilt.
Bereits hieraus wird deutlich, daß mit der Richtlinie 94/45/EG und dem dortigen Artikel 11 Abs. 1 und 2 eine umfängliche Möglichkeit für Arbeitnehmervertretungen geschaffen werden sollte, bei grundlegenden Entscheidungen von gemeinschaftsweit tätigen Unternehmensgruppen mitzuwirken. Ein derartiges Ziel, das sich letztlich auch an Artikel 117 Abs. 1 EG-Vertrag orientieren muß, setzt aber zwangsläufig voraus, daß den Arbeitnehmervertretungen in den Mitgliedsstaaten umfassend die Möglichkeit eröffnet wird, Informationen über Unternehmensstrukturen und Beschäftigtenzahlen zu bekommen, um überhaupt die Möglichkeit auszuloten, Arbeitnehmervertretungen im Sinne der Richtlinie 94/45/EG bilden zu können. Die oftmals diffizile und komplizierte Struktur europäisch tätiger Unternehmensgruppen läßt selten erkennen, ob es ein herrschendes Unternehmen überhaupt gibt, wo es angesiedelt ist und welche anderen Unternehmen von ihm beherrscht werden. Damit die Institution des Europäischen Betriebsrats keine leere Hülse bleibt, ist es notwendig, den Arbeitnehmervertretungen Auskunftsansprüche im Sinne des Artikel 11 Abs. 1 und 2 der Richtlinie 94/45/EG auch über die Strukturen von Unternehmensgruppen schon dann zuzugestehen, wenn die Voraussetzungen der Anwendung der Richtlinie bzw. des entsprechenden nationalen Gesetzes noch nicht sicher ist. Eine andere Sichtweise würde zu einer unnötigen Erschwerung der Installation europäischer Betriebsräte oder sogar zu einer Verhinderung führen, was weder mit Artikel 117 EG-Vertrag noch mit der Gemeinschaftscharta der Sozialen Grundrechte der Arbeitnehmer vom 09.12.1989 in Einklang stünde (so auch: Asshoff/Bachner/Kunz, Europäisches Arbeitsrecht im Betrieb, Seite 208; Holz, Richtlinie 94/45/EG, Seite 196).
ee. Zur Effektivität des Informationsanspruchs nach Artikel 11 Abs. 1 und 2 der Richtlinie gehört nach Meinung der erkennenden Kammer überdies, daß dem antragstellenden Betriebsrat die oben beschriebenen Auskünfte unter Vorlage von Unterlagen erteilt werden; nur so wird er letztlich in die Lage versetzt, die vom Arbeitgeber oder der zentralen Leitung vorgelegten Informationen angemessen zu prüfen.
Nach den unter Ziffer 5 dargestellten Erwägungen möchte das Landesarbeitsgericht daran festhalten, daß die Anträge des Betriebsrats im Ausgangsverfahren durch § 5 Abs. 1 EBRG und durch Artikel 11 Abs. 2 Richtlinie 94/45/EG gedeckt werden. Zur Auslegung der zuletzt genannten europäischen Norm bedarf es demgemäß der erbetenen Vorabentscheidung des Europäischen Gerichtshofes.
7. Soweit sich der Betriebsrat im Ausgangsverfahren auf § 80 Abs. 2 BetrVG berufen hat, führt dies zu keiner anderen rechtlichen Beurteilung. Auch der Auskunftsanspruch nach § 80 Abs. 2 BetrVG ist im Lichte des Artikel 11 Abs. 2 Richtlinie 94/45/EG zu sehen, so daß es wiederum entscheidend auf die Auslegung der Norm durch den Europäischen Gerichtshof ankommt, bevor eine Entscheidung im Ausgangsverfahren ergehen kann.
gez.: Göttling gez.: Focks gez.: Kniese
LAG Düsseldorf:
Beschluss v. 25.10.2001
Az: 5 TaBV 87/98 (2)
Link zum Urteil:
https://www.admody.com/urteilsdatenbank/56404a099490/LAG-Duesseldorf_Beschluss_vom_25-Oktober-2001_Az_5-TaBV-87-98-2