VerfGH des Landes Berlin:
Beschluss vom 10. November 1993
Aktenzeichen: 78/93
(VerfGH des Landes Berlin: Beschluss v. 10.11.1993, Az.: 78/93)
Gründe
I.
Der Beschwerdeführer beantragte bei der Präsidentin des Kammergerichts Berlin die Aufnahme in den juristischen Vorbereitungsdienst. Einen Nachweis, daß er die erste juristische Staatsprüfung bestanden hat, hat der Beschwerdeführer nicht geführt. Nachdem die Präsidentin das Kammergerichts den Antrag abgelehnt hatte und der Widerspruch von der Senatsverwaltung für Justiz zurückgewiesen worden war, rief der Kläger das Verwaltungsgericht Berlin an.
Der Kläger beantragte zum einen, die Präsidentin des Kammergerichts im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, den Beschwerdeführer zum nächstmöglichen Zeitpunkt in den juristischen Vorbereitungsdienst aufzunehmen. Das Verwaltungsgericht Berlin wies den Antrag mit Beschluß vom 13. Mai 1993 - VG 7 A 114.93 - mit der Begründung zurück, daß es schon an dem Nachweis der bestandenen ersten juristischen Staatsprüfung fehle, die nach § 6 Abs. 1 des Gesetzes über die juristische Ausbildung Voraussetzung für die Aufnahme in den juristischen Vorbereitungsdienst sei. Die gegen diesen Beschluß vom Beschwerdeführer eingereichte Beschwerde wurde vom Oberverwaltungsgericht Berlin mit Beschluß vom 24. Mai 1993 - OVG 4 S 33.93 - "aus den zutreffenden Gründen des angefochtenen Beschlusses, denen auch unter Berücksichtigung des Beschwerdevorbringens nichts hinzuzufügen ist", zurückgewiesen.
Zum anderen beantragte der Beschwerdeführer beim Verwaltungsgericht Berlin, ihm für ein Klageverfahren gegen die Ablehnung seiner Aufnahme in den juristischen Vorbereitungsdienst durch die Präsidentin des Kammergerichts Prozeßkostenhilfe zu gewähren. Dieser Antrag wurde mit Beschluß des Verwaltungsgerichts Berlin vom 13. Mai 1993 - VG 7 A 81.93 - abgelehnt, weil der beabsichtigten Rechtsverfolgung die hinreichende Aussicht auf Erfolg fehle. Das beklagte Land Berlin, vertreten durch die Präsidentin des Kammergerichts, habe die Einstellung in den juristischen Vorbereitungsdienst zu Recht abgelehnt, weil hier für Voraussetzung die bestandene erste Staatsprüfung sei. Die gegen diesen Beschluß gerichtete Beschwerde des Beschwerdeführers wurde vom Oberverwaltungsgericht Berlin mit Beschluß vom 24. Mai 1993 - OVG 4 M 7.93 - "aus den zutreffenden Gründen das angefochtenen Beschlusses, die sich der Senat zu eigen machte", zurückgewiesen.
Mit der am 29. Juli 1993 eingegangenen Verfassungsbeschwerde wandet sich der Beschwerdeführer gegen die Entscheidungen das Verwaltungsgerichts und des Oberverwaltungsgerichts Berlin. Er beantragt die Aufhebung der Beschlüsse und die Gewährung von Prozeßkostenhilfe.
Der Beschwerdeführer rügt die Verletzung von Artikel 64 der Verfassung von Berlin in Verbindung mit Artikel 1 Abs. 1 Satz 1 GG und in Verbindung mit Artikel 12 Abs. 1 GG. Er trägt vor, durch die Nichteinstellung würde die Fortsetzung seiner Ausbildung verhindert. Wegen Qualifizierung im Sinne des Deutschen Richtergesetzes müsse er ein Referendariat leisten. Das Land Berlin könne sich nicht auf das fehlende Zeugnis der ersten juristischen Staatsprüfung berufen. Für den Beschwerdeführer sei e. Zulassung zur ersten juristischen Staatsprüfung nicht erfolgt, weil er entsprechende Nachweise der Hochschule nicht habe vorlegen können, die zur Zulassung erforderlich gewesen seien. Dies beruhe darauf, daß es wegen der Ausbildungsregelung der Hochschule bzw. den Auffassungen über Ausbildungsziel und -modus zu einem Dissens zwischen dem Beschwerdeführer und den Lehrbeauftragten gekommen sei.
II.
Die Verfassungsbeschwerde hat keinen Erfolg.
Gemäß § 49 Abs. 1 VerfGHG kann jedermann mit der Behauptung, durch die öffentliche Gewalt des Landes Berlin in einem seiner in der Verfassung von Berlin enthaltenen Rechte verletzt zu sein, die Verfassungsbeschwerde zum Verfassungsgerichtshof erheben. Die Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerde setzt also voraus, daß der Beschwerdeführer die Verletzung eines in der Verfassung von Berlin zu seinen Gunsten enthaltenen Rechts geltend macht.
Daran fehlt es bereits, soweit der Beschwerdeführer sich auf Vorschriften außerhalb der Verfassung von Berlin beruft, hier auf Vorschriften des Grundgesetzes. Auch soweit der Beschwerdeführer sich auf Artikel 64 Vv8 beruft, liegt kein in der Verfassung von Berlin zugunsten des Beschwerdeführers enthaltenes subjektives Recht vor. Die in Artikel 64 VvB enthaltene Vorschrift über die Gesetzesbindung der Richter enthält kein subjektives, individuelles Recht (vgl. Beschluß vom 11. August 1993 - VerfGH 64/93 - Umdruck S. 3).
Auch wenn man der Rüge auf Verletzung des Grundrechts auf Freiheit der Berufswahl nach Artikel 12 Abs. 1 Satz 1 GG, die der Beschwerdeführer erhoben hat, sinngemäß eine gleichzeitige Rüge des in der Verfassung von Berlin enthaltenen Rechts auf freie Wahl des Berufes, Artikel 11 VvB, entnimmt, hat die Verfassungsbeschwerde keinen Erfolg.
Gemäß Artikel 11 VvB ist das Recht der Freizügigkeit, insbesondere die freie Wahl des Wohnsitzes, das Berufes und des Arbeitsplatzes, gewährleistet. Die Grundrechtsverbürgung des Artikel 11 VvB über die Gewährleistung der freien Wahl des Berufes und den Arbeitsplatzes steht vom materiellen Inhalt her in Übereinstimmung mit Artikel 12 Abs 1 Satz 1 GG u. bleibt neben der Grundrechtsgewährung das Grundgesetzes in Kraft, Artikel 142 mit Artikel 31 GG. Zwar wird das Recht auf freie Wahl das Berufes und das Arbeitsplatzes in Artikel 11 VvB mit etwas anderen Worten als in Artikel 12 Abs. 1 Satz 1 GG gewährleistet. Die übereinstimmenden Verbürgung ergibt sich aber aus dem identischen Sinn der verwandten Worte. Artikel 12 Abs. 1 Satz 1 GG spricht von dem "Recht, Beruf, Arbeitsplatz ... frei zu wählen", entsprechend spricht Artikel 11 VvB davon, daß "die freie Wahl das Berufes und des Arbeitsplatzes" gewährleistet ist (ebenso Schwan in Pfennig/Neumann, Verfassung von Berlin, 2. Auflage, 1987, Rdnr. 4 zu Artikel 11, sowie Papier in Starck/Stern, Landesverfassungsgerichtsbarkeit, Baden-Baden 1983, Bd. III, S. 357).
Das durch Artikel 11 VvB gewährleistete Recht des Klägers auf freie Wahl des Berufes wird durch die Ablehnung des Antrages auf Zulassung zum juristischen Vorbereitungsdienst durch die Präsidentin des Kammergerichts und durch die mit der Verfassungsbeschwerde angegriffenen Entscheidungen das Verwaltungsgerichts Berlin und des Oberverwaltungsgerichts Berlin nicht verletzt.
Die mit der Verfassungsbeschwerde angegriffenen Entscheidungen, stützen sich auf § 6 Abs. 1 des Gesetzes über die juristische Ausbildung in der seinerzeit geltenden Fassung vom 26. November 1984 (GVBl. S. 1684). Nach § 6 Abs. 1 wird auf Antrag in den Vorbereitungsdienst aufgenommen, wer die erste juristische Staatsprüfung bestanden hat. Die Überprüfung dieser gesetzlichen Vorgabe ist dem Verfassungsgerichtshof schon deshalb verwehrt, weil der Berliner Gesetzgeber insoweit nur dem Berliner Recht übergeordnetes Bundesrecht (§ 5 Abs. 1 DRiG, § 4 BRAO, § 5 BNotO) übernommen hat. Die in der Verfassung von Berlin gewährleisteten Grundrechte sind zwar für die rechtsprechende Gewalt des Landes Berlin verbindlich (Art. 23 Abs. 1 VvB) und in den Grenzen der Art. 142, 31 GG auch dann beachtlich, wenn diese Bundesrecht anwendet. Folglich kann der Verfassungsgerichtshof auch bei solchen Fallgestaltungen überprüfen, ob die Grundrechte der Verfassung von Berlin eingehalten worden sind. Dabei stellt sich allerdings nicht die Frage, ob solches Bundesrecht mit der Verfassung von Berlin vereinbar ist. Bundesrecht und Landesrecht bestehen in zunächst voneinander unabhängigen "Verfassungsräumen" (vgl. BVerfGE 4, 178/189). Landesgrundrechte richten sich nicht an den Bundesgesetzgeber. Eine Vorschrift des Bundesrechts kann nicht - wie umgekehrt (vgl. Art. 31 GG) - eine solche das Landesrecht verletzen. Allerdings kann die Unvereinbarkeit einer Vorschrift das einfachen Bundesrechts mit dem Bundesverfassungsrecht gegebenenfalls ein Berliner Gericht, auch den Verfassungsgerichtshof zur Vorlage gemäß Art. 100 Abs. 1 GG an das Bundesverfassungsgericht verpflichten.
Gegen die Gültigkeit der bundesrechtlichen Bestimmungen, die für eine Zulassung zum juristischen Vorbereitungsdienst das Bestehen der ersten juristischen Staatsprüfung vorschreiben, bestehen keinerlei Bedenken. Der Beschwerdeführer hat die erste juristische Staatsprüfung bisher nicht bestanden. Erkennbar dient die erste juristische Staatsprüfung dem Zweck, nur solche Bewerber zum Vorbereitungsdienst als Rechtsreferendar und zu juristischen Gerufen zuzulassen, die durch die Prüfung die erforderliche Eignung und Sachkenntnis nachgewiesen haben. Das Recht auf freie Wahl des Berufes schließt nicht aus, daß die Aufnahme einer Ausbildung oder eines Berufes von Leistungs- bzw. Eignungsnachweisen abhängig gemacht werden, die während der Ausbildung oder wie bei der in zwei Phasen verlaufenden juristischen Ausbildung durch eine Prüfung zum Ende des Studiums nachzuweisen sind. Daß eine derartige subjektive Zugangsvoraussetzung zum Schutz eines besonders wichtigen Gemeinschaftsguts - hier einer leistungsfähigen Rechtspflege - zulässig ist, ist in der Rechtsprechung seit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 11. Juni 1958 zum Apothekenrecht geklärt. Das Bundesverfassungsgericht hat in diesem Urteil ausgeführt, daß die Regelung subjektiver Voraussetzungen der Berufsaufnahme ein Teil der rechtlichen Ordnung eines Berufsbildes sei. Sie gebe den Zugang zum Beruf nur den in bestimmter Weise qualifizierten Bewerbern frei. Eine solche Beschränkung legitimiere sich aus der Sache heraus. Sie beruhe darauf, daß viele Berufe bestimmte, nur durch theoretische und praktische Schulung erwerbbare technische Kenntnisse und Fertigkeiten (im weiteren Sinne) erforderten und daß die Ausübung dieser Berufe ohne solche Kenntnisse entweder unmöglich oder unsachgemäß wäre oder aber Schaden, ja Gefahren für die Allgemeinheit mit sich bringen würden (BVerfGE 7, 377/406 f). Die Berufsqualifikation der in der Rechtspflege tätigen Personen und ebenso die Berufsqualifikation der rechtsanwendenden Berufe außerhalb der Rechtspflege ist ein überragendes Gemeinschaftsgut, das eine subjektive Zulassungsvoraussetzung durch Qualifikationsnachweise durch entsprechende Prüfungen rechtfertigt (ebenso für die Gesundheit der Bevölkerung als besonders wichtiges Gemeinschaftsgut, dessen Schutz durch die ärztliche Prüfung zulässig ist, der Beschluß des Bundesverfassungsgerichts vom 14. März 1989 BVerfGE 89, 1/24; für den Gemeinschaftswert der Volksgesundheit und dessen Schutz durch die pharmazeutische Prüfung das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 7. Oktober 1983 BVerwGE 68, 69/72; für das Gemeinschaftsgut einer funktionsfähigen Steuerrechtspflege und dessen Schutz der Beschluß das Bundesverfassungsgerichts vom 12. März 1985 BVerfGE 69, 209/218; für die Sicherung der medizinischen Versorgung und deren Schutz durch Prüfungen schon während des Studiums der Beschluß des Bundesverwaltungsgerichts vom 3. November 1986 NVwZ 1987, S. 978; für eine leistungsfähige Rechtspflege und deren Schutz durch das zweite juristische Staatsexamen, das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom ... DVBl. 1972, 182/184; ebenso hat der Bayerische Verfassungsgerichtshof die bayerische Regelung, wonach die erste juristische Staatsprüfung nur einmal wiederholt werden darf, in seiner Entscheidung vom 28. Januar 1988 weder als Verstoß gegen das Recht auf Entfaltung der Persönlichkeit nach Artikel 101 der Bayerischen Verfassung noch als Verstoß gegen den Anspruch auf Ausbildung gemäß Artikel 128 Abs. 1 der Bayerischen Verfassung angesehen BayVerfGH 41, 4/B ff). i Hierbei kommt es auf die Ausgestaltung der Zulassung zur ersten juristischen Staatsprüfung und auf die Prüfungsanforderungen im einzelnen für die Entscheidung über die Verfassungsbeschwerde nicht an. Insoweit wäre, was die Zulassung zur ersten juristischen Staatsprüfung oder die Entscheidung über ihr Bestehen oder Nichtbestehen betrifft, der Rechtsweg auch nicht erschöpft (vgl. § 49 Abs. 2 Satz 1 VerfGHG). Dem Beschwerdeführer geht es erkennbar ausschließlich darum, die Zulassungsvoraussetzung der ersten juristischen Staatsprüfung als solche für die Aufnahme des juristischen Vorbereitungsdienstes in Frage zu stellen. Das Anknüpfen der Zulassung zum juristischen Vorbereitungsdienst an das Bestehen der ersten juristischen Staatsprüfung ist jedoch bundesrechtlich zwingend vorgegeben und begegnet - wie dargelegt - keinerlei Bedenken.
Die Bewilligung von Prozeßkostenhilfe war mangels hinreichender Erfolgsaussichten abzulehnen, § 52 Satz 1 VerfGHG mit § 114 Satz 1 ZPO.
Die Entscheidung über die Kosten folgt aus §§ 33, 34 VerfGHG.
Dieser Beschluß ist unanfechtbar.
VerfGH des Landes Berlin:
Beschluss v. 10.11.1993
Az: 78/93
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