Finanzgericht Köln:
Urteil vom 6. Mai 2010
Aktenzeichen: 10 K 4102/09
(FG Köln: Urteil v. 06.05.2010, Az.: 10 K 4102/09)
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens hat die Klägerin zu tragen.
Tatbestand
Streitig ist die Kostenerstattung nach § 77 EStG, insbesondere die Entstehung einer Erledigungsgebühr.
Mit Bescheid vom 25. August 2009 hatte die Beklagte die Kindergeldfestsetzung gegenüber der Klägerin ab Mai 2008 aufgehoben und die Klägerin gleichzeitig zur Erstattung der nach ihrer Ansicht für die Monate Mai und Juni 2008 überzahlten 308 € aufgefordert, weil der Kindesvater den Sohn P in seinen Haushalt aufgenommen habe. Zugrunde lag eine Fehlinformation der Familienkassen über eine angebliche amtliche Bestätigung betreffend die Aufnahme des Kindes in den Haushalt des Vaters zum 1. Mai 2009.
Im Rahmen des Einspruchsverfahrens, in dem die Klägerin durch ihren jetzigen Bevollmächtigten, ihren Ehemann, vertreten wurde, machte dieser unter Hinweis auf die nicht zutreffende Bescheinigung der Familienkasse D geltend, das Kind P habe bis zur Vollendung seines 18. Lebensjahres (25. Juni 2008) dem alleinigen Sorgerecht seiner Mandantin unterstanden. Ein Wohnortwechsel in das 221 km entfernte F wäre deshalb bereits aus rechtlichen Gründen und nicht ohne Schulwechsel möglich gewesen. Auch die vorgelegte Schulbescheinigung des städtischen Gymnasiums bestätige den Schulbesuch in K.
Mit Abhilfebescheid vom 7. Oktober 2009 wurde dem Begehren der Klägerin in vollem Umfang entsprochen und die Erstattung der für das Einspruchsverfahren entstandenen Aufwendungen angeordnet; die Zuziehung des Bevollmächtigten wurde für notwendig erklärt.
Mit seiner Kostenrechnung vom 8. Oktober 2009 begehrte der Bevollmächtigte die Erstattung eines Betrags von 705,08 €, darin enthalten u.a. eine Erledigungsgebühr gemäß Nr. 1002, 1005 VV RVG i.H.v. 280 €.
Mit Kostenfestsetzung vom 5. November 2009 wurden die dem Bevollmächtigten zu erstattenden Kosten für das Einspruchsverfahren unter Berücksichtigung einer 1,3 Geschäftsgebühr (Gegenstandswert: 1.000 € Mindeststreitwert; volle Gebühr: 85 €) auf 155,30 € festgesetzt. Dabei wurde weder eine Erledigungsgebühr berücksichtigt, noch wurden die vom Bevollmächtigten angesetzten Kosten für Kopien übernommen, weil sie zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung nicht notwendig gewesen seien.
Der Einspruch, mit dem der Bevollmächtigte sich gegen den Nichtansatz der beantragten Erledigungsgebühr wandte, blieb ohne Erfolg, weil es nach Ansicht der Beklagten an der für die Entstehung einer Erledigungsgebühr erforderlichen Mitwirkung des Bevollmächtigten fehle (Einspruchsentscheidung vom 17. November 2009).
Die Klägerin macht geltend, die Erledigungsgebühr entstehe auch dann, wenn der Bevollmächtigte Einspruch einlege, auf tatsächliche und rechtliche Aspekte hinweise und die Behörde daraufhin ihren Standpunkt aufgebe bzw. den begehrten Bescheid erlasse. So habe der Bevollmächtigte Kontakt zu mittelbar Verfahrensbeteiligten aufgenommen und sich etwa um die Beibringung der erforderlichen Schulbescheinigung bemüht bzw. zum Sachbearbeiter der Familienkasse D Kontakt aufgenommen; gleichzeitig habe er eine Anfrage beim Einwohnermeldeamt der Stadt D gestellt. Schließlich habe er den Sachverhalt durch Einholung einer Erklärung des betroffenen Kindes geklärt. Daher seien die zu erstattenden Kosten unter Berücksichtigung einer 1,5 Erledigungsgebühr mit 307,02 € festzusetzen (Kindergeld-Akte, Bl. 118).
Die Klägerin beantragt, die Einspruchsentscheidung vom 17. November 2009 aufzuheben und die Festsetzung der für das Vorverfahren zu erstattenden Kosten unter Berücksichtigung einer 1,5 Erledigungsgebühr dahin zu ändern, dass die zu erstattenden Kosten mit insgesamt 307,02 € festgesetzt werden.
Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.
Die Beklagte bezieht sich auf die Begründung in der Einspruchsentscheidung.
Gründe
Die Klage ist unbegründet, weil es an der für die Entstehung einer Erledigungsgebühr erforderlichen Mitwirkung des Bevollmächtigten fehlt.
1. Nach § 77 Abs. 1 S. 1 EStG hat die Familienkasse dem Einspruchsführer die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen zu erstatten, soweit der Einspruch gegen die Kindergeldfestsetzung erfolgreich ist. Nach Abs. 2 der Vorschrift sind die Gebühren oder Auslagen eines Bevollmächtigten, der - wie der Bevollmächtigte im Streitfall - nach den Vorschriften des Steuerberatungsgesetzes zur geschäftsmäßigen Hilfeleistung in Steuersachen befugt ist, erstattungsfähig, wenn dessen Zuziehung - wie im Streitfall - notwendig war.
2. Die außergerichtlichen Kosten der Klägerin, die bereits im Vorverfahren obsiegt hat, für ihren Prozessbevollmächtigten sind seit dem 1. Juli 2004 ausschließlich nach Maßgabe des RVG zu erstatten (§ 1 RVG).
3. Eine Erledigungsgebühr entsteht nicht bereits deshalb, weil sich der Rechtsstreit im Vorverfahren erledigt, nachdem der Bevollmächtigte den streitigen Sachverhalt durch Kontaktaufnahme zu anderen Personen oder Behörden aufgeklärt hat; dies ist keine über die allgemeine Prozessführung hinausgehende Tätigkeit, die nicht mit der Verfahrensgebühr abgegolten wäre.
a) Da über Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis wegen des Grundsatzes der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung nicht vertraglich verfügt werden kann, ist die Entstehung einer Einigungsgebühr nach Nr. 1000 VV RVG regelmäßig ausgeschlossen (VV Nr. 1000 Abs. 4). Stattdessen sieht Nr. 1002 VV RVG die Entstehung eine Erledigungsgebühr vor, wenn sich eine Rechtssache ganz oder teilweise nach Aufhebung oder Änderung des mit einem Rechtsbehelf angefochtenen Verwaltungsakts durch die anwaltliche Mitwirkung erledigt (Nummer 1003 i.V.m. Nummer 1002 VV). Das Gleiche gilt, wenn sich eine Rechtssache ganz oder teilweise durch den Erlass eines bisher abgelehnten Verwaltungsakts erledigt.
b) Das RVG hat die BRAGO ab 1. Juli 2004 abgelöst. In der BRAGO war die Erledigungsgebühr in § 24 geregelt. Danach erhielt der Rechtsanwalt eine Erledigungsgebühr, wenn sich eine Rechtssache ganz oder teilweise nach Zurücknahme oder Änderung des mit einem Rechtsbehelf angefochtenen Verwaltungsakts erledigte und der Rechtsanwalt bei der Erledigung mitgewirkt hatte. Um den Prozessbevollmächtigten im finanzgerichtlichen Verfahren nicht gegenüber einem Rechtsanwalt zu privilegieren, der im Zivilprozess eine auf einen Vergleich gerichtete Tätigkeit entfaltet hatte, wurde für eine "Mitwirkung bei der Erledigung" nach altem Recht in ständiger Rechtsprechung eine besondere Tätigkeit des Bevollmächtigten verlangt, die die materielle Erledigung des Rechtsstreits ohne Urteil herbeiführte und die über die bereits mit der Prozess- oder Verhandlungsgebühr abgegoltene Einlegung und Begründung des Rechtsbehelfs hinausging (FG Köln, Beschluss vom 28. Juni 2004 10 Ko 1603/04, EFG 2004, 1642, FG Baden-Württemberg, Beschluss vom 4. September 1995 1 Ko 2/95, EFG 1995, 1077, jeweils m.w.N.).
c) Ebenso wie § 24 BRAGO erfordert Nr. 1002 VV RVG eine anwaltliche Mitwirkung bei der Erledigung, die über die überzeugende Begründung sowie die allgemein auf Verfahrensförderung gerichtete Tätigkeit hinausgeht und auf eine Erledigung der Rechtssache ohne förmliche Entscheidung gerichtet ist (BFH-Beschluss vom 12. Februar 2007 III B 140/06, BFH/NV 2007, 1109). Daran ändert sich auch nichts dadurch, dass die mit dem RVG neu geschaffene Einigungsgebühr die früher geltende Vergleichsgebühr nicht nur ersetzen, sondern diese gleichzeitig inhaltlich erweitern sollte. Denn bei dieser Erweiterung ging es nicht um die Schaffung einer Erfolgsgebühr. Es sollte lediglich die Ungewissheit beseitigt werden, wann es sich bei einem Vertrag zur Beilegung eines Streits um einen echten Vergleich i.S. § 779 BGB handelte. Dementsprechend soll die Einigungsgebühr nicht für einen zur Streitbeilegung geschlossenen Vertrag anfallen, in dem ein Anspruch vollständig anerkannt oder auf einen Anspruch vollständig verzichtet wird. Der Gesetzgeber wollte mit dieser Einschränkung verhindern, dass schon die Erfüllung des geltend gemachten Anspruchs oder der Verzicht auf Weiterverfolgung eines Anspruchs die Einigungsgebühr auslöst (BT-Drucks. 15/1971, 147, 204).
d) Somit ist auch die Erledigungsgebühr nach wie vor keine reine Erfolgsgebühr für eine allgemein auf Verfahrensförderung gerichtete Tätigkeit, sondern eine besondere Tätigkeitsgebühr, die anlässlich einer nichtstreitigen Erledigung verdient werden kann. Im Gesetz kommt dies in den Worten "durch die anwaltliche Mitwirkung erledigt" zum Ausdruck. Die Erledigungsgebühr entsteht deshalb grundsätzlich weder, wenn sich die Sache bereits beispielsweise im Rahmen des Verwaltungsvorverfahrens erledigt noch dann, wenn lediglich die Äußerungen des Berichterstatters im Rahmen eines Erörterungstermins die Finanzbehörde zur Rücknahme oder Änderung des Bescheides veranlasst haben. Ebenso wenig entsteht eine Erledigungsgebühr, wenn die Finanzbehörde unter dem Eindruck der Klagebegründung bzw. eines ergänzenden Schriftsatzes oder aufgrund eines Hinweises auf die Rechtslage/Rechtsprechung den Bescheid aufhebt bzw. ändert und damit einen Kläger in einem gerichtlichen Verfahren klaglos stellt (vgl. Gräber/Stapperfend, FGO 6. Aufl., § 139 Rz 77; Hollatz, Kosten in Finanzrechtsstreit, NWB Fach 2, S. 8677/8717). Es versteht sich von selbst, dass der Prozessbevollmächtigte in möglichst überzeugender Weise die rechtlichen Argumente vorträgt, die dem Begehren seines Mandanten zum Erfolg verhelfen können.
e) Das erforderliche Mitwirken kann in einem Klageverfahren beispielsweise in dem Unterbreiten eines Erledigungsvorschlags bestehen. Denkbar ist auch ein Einwirken auf eine vorgesetzte Behörde, welches die Aufhebung/Änderung des angefochtenen Verwaltungsakts nach sich zieht. Auch die mit einer zusätzlichen Beratungsleistung verbundene Prüfung, ob das ursprüngliche Klagebegehren im Interesse der außergerichtlichen Beendigung des Rechtsstreits nicht unwesentlich eingeschränkt werden soll, kann eine über die allgemeine Prozessführung hinausgehende Tätigkeit sein, die den besonderen Erfolg der Erledigung der Sache ohne förmliche Entscheidung fördert und ermöglicht. Ein entsprechendes Einwirken auf den Steuerpflichtigen, der außergerichtlichen Erledigung des Rechtsstreits zuzustimmen, ist eine besondere Leistung, die nicht mit der allgemeinen Verfahrensgebühr abgegolten ist. Aus Gründen der Praktikabilität und Vereinfachung wird eine nicht unwesentliche Einschränkung des ursprünglichen Begehrens angenommen, wenn es um mehr als 10% eingeschränkt wurde (FG Köln, Beschluss vom 28. Juni 2004 10 Ko 1603/04, EFG 2004, 1642).
d) Diese Erwägungen gelten auch, soweit es um den Ansatz einer Erledigungsgebühr im Rahmen einer Kostenerstattung auf der Grundlage von § 77 EStG geht. Danach hat der Prozessbevollmächtigte der Klägerin im Streitfall nicht in der erforderlichen Weise bei der materiellen Erledigung mitgewirkt.
aa) Zu einer Einschränkung des Begehrens ist es nicht gekommen. Maßgeblich für die Kostenerstattung im Rahmen des § 77 Abs. 1 EStG ist nicht das Begehren, die Kosten in einer bestimmten Höhe festzusetzen, sondern das dem Einspruch zugrunde liegende Begehren, die Aufhebung der Kindergeldfestsetzung und die Rückforderung des Kindergelds aufzuheben; insofern hat die Klägerin in voller Höhe obsiegt. Der Bevollmächtigte hat weder einen eigenen Verständigungsvorschlag unterbreitet noch auf die Klägerin eingewirkt, ihr Begehren einzuschränken.
bb) Auch ein Einwirken des Bevollmächtigten auf eine der Beklagten vorgesetzte Behörde hat entgegen der Ansicht des Bevollmächtigten nicht stattgefunden. Der Bevollmächtigte hat durch den Kontakt zu einer weiteren Familienkasse, die der Beklagten in keiner Weise übergeordnet war, und ebenso durch die Anfrage beim Einwohnermeldeamt der Stadt D, die Beibringung der erforderlichen Schulbescheinigung sowie die Einholung der Erklärung des Sohnes der Klägerin lediglich zur Aufklärung des Sachverhalts beigetragen. Im Übrigen beschränkte sich seine Tätigkeit auf Ausführungen zur Sach- und Rechtslage und auf die Stellung von Anträgen. Diese Tätigkeiten sind keine besonderen Leistungen, sondern Teil der allgemeinen Führung des Vorverfahrens, die bereits durch die allgemeine Gebühr für die Vertretung im Verwaltungsverfahren abgegolten ist. Die Tätigkeiten waren darauf gerichtet, dem Antrag zum Erfolg zu verhelfen und halten sich im Rahmen dessen, was von einem mit der Prozessführung beauftragten Bevollmächtigten im Allgemeinen zu erwarten ist.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.
FG Köln:
Urteil v. 06.05.2010
Az: 10 K 4102/09
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